Die multinational aufgestellte Spirituosenindustrie leidet doppelt unter der Corona-Krise. Neben den Gastro-Schließungen machen Strafzölle der Branche zu schaffen. Im Interview mit Getränke News spricht Ulrich Adam, Geschäftsführer des europäischen Spirituosenverbands Spirits Europe, über seine Einschätzung der Lage.
Getränke News: Wie stark ist ganz allgemein die Spirituosenbranche in Europa von der Corona-Pandemie betroffen?
Adam: Wir haben schon tiefe Sorgenfalten und die nehmen noch zu. Natürlich gilt unsere Hauptsorge dem Ontrade-Sektor, also der Gastronomie und auch dem ganzen Bereich von Veranstaltungen und Events. Besonders schlecht sieht es natürlich in Ländern aus, in denen ein hoher Anteil des Spirituosen-Absatzes auf die Gastronomie entfällt.
Wegen der großen Bedeutung des Tourismus-Sektors ist das zum Beispiel in Spanien der Fall. Dort liegt der Ontrade-Anteil bei etwa 70 Prozent. Und in Italien, England und Irland sind es stattliche 50 Prozent. Deutschland steht mit ungefähr einem Fünftel bis einem Viertel deutlich besser da. EU-weit lag der Konsum in den ersten beiden Monaten des Lockdowns etwa 10 bis 20 Prozent unter dem des Vorjahres.
Getränke News: Fast überall gingen aber doch die Absatzzahlen im Handel sehr stark in die Höhe. In welchem Maße konnte das die Verluste in der Gastronomie ausgleichen?
Adam: Nun ja, es gab viele Zeitungsartikel, die von sagenhaften Zuwächsen in den Supermärkten berichteten. Aber man muss ja auch sehen, dass nach der Ankündigung des Lockdowns viele Verbraucher Hamsterkäufe getätigt haben. Das ging aber bald auf ein normales Niveau zurück. Aber selbst wenn diese Mengen sofort konsumiert würden, könnte das die Verluste im Horeca-Bereich bei weitem nicht kompensieren.
Getränke News: Die deutsche Drogenbeauftragte fürchtet, dass der heimische Konsum durch die Ausgangsbeschränkungen steigen könnte …
Adam: Das sollte man sicherlich ernstnehmen. Eine aktuelle Studie einer belgischen Universität gibt da aber eher Entwarnung. 46 Prozent von 6.500 Befragten gaben an, ihr Alkoholkonsum sei gleichgeblieben, 29 Prozent trinken sogar weniger als vor dem Lockdown. Insgesamt gibt es also offenbar keinen generellen Anstieg.
Getränke News: Es steht und fällt also doch alles mit der Gastronomie …
Adam: Ja, zumal es nicht nur um die reinen Absatzmengen geht. Im Horeca-Bereich wird ja auch deutlich hochwertiger getrunken. Zudem lebt die Spirituosenbranche von der Geselligkeit in Bars, Restaurants und bei Events. Für Produktinnovationen und Neueinführungen braucht man eine aktive Barszene. Auch das liegt jetzt alles auf Eis. Was wohl die Krise daraus macht? Das ist heute noch gar nicht abzusehen.
Getränke News: Sind denn ganz allgemein bestimmte Unternehmen besonders stark von der Krise betroffen?
Adam: Das ist strukturell ganz unterschiedlich. Die großen exportorientierten Unternehmen haben beispielsweise die Krise besonders früh gespürt: Die Ausfälle bei den Flugreisen wirkten sich unmittelbar auf das für sie wichtige Travel-Retail-Geschäft aus. Der Kanal ist vor allem für international gefragte Spirituosen wie Premiumwhisky oder Cognac bedeutend. Kleine Destillerien haben wieder ganz andere Probleme; viele sind da sehr stark auf bestimmte Vertriebskanäle im Horeca-Sektor fokussiert.
Getränke News: Sie betrachten die Branche ja ziemlich global, also auf EU-Ebene. Wie gravierend sind denn eigentlich augenblicklich die Beeinträchtigungen im Warenverkehr – seitens der Zulieferer einerseits und zum anderen in Richtung der Kunden?
Adam: Das war am Anfang tatsächlich eine große Sorge – etwa, als sich der Lkw-Verkehr an der polnischen Grenze kilometerlang staute. Aber inzwischen hat die EU sehr entschieden Maßnahmen ergriffen, und im Großen und Ganzen funktionieren die Lieferketten. Eine größere Herausforderung war für viele die Umstellung der Betriebe auf die neuen, sehr hohen Sicherheits- und Hygienestandards. Manche mussten dazu ihr Produktionsvolumen herunterfahren. Das hat sich aber inzwischen weitgehend normalisiert.
Getränke News: Wie beurteilen Sie die bisherigen staatlichen Hilfen?
Adam: Die staatliche Unterstützung kam in vielen Ländern schnell und unbürokratisch. In Deutschland etwa mit Verbesserungen in der Kurzarbeit und mit Kreditzusagen. Auch die Senkung der Mehrwertsteuer auf in der Gastronomie konsumierte Speisen ist ein richtiger und wichtiger Schritt. Sobald es im Gastgewerbe wieder losgeht, greift diese Maßnahme sofort. Viele andere Länder spielen das zurzeit auch gedanklich durch. Es wird wohl etwas dauern, bis das Vorkrisen-Level wieder erreicht ist. Ich hoffe, dass diese Steuererleichterung solange beibehalten wird.
Getränke News: Und was halten Sie von der Unterstützung der Gastronomen seitens der Spirituosenindustrie?
Adam: Da gibt es sehr viele tolle Initiativen, wo zum Beispiel über Crowdsourcing oder andere Spendenaktionen Gelder bereitgestellt werden. Auch das gesellschaftliche Engagement finde ich beachtlich, da hat man auf die Notsituation schnell und flexibel reagiert. Etwa die zahlreichen Brennereien, die Alkohol für Desinfektionsmittel zur Verfügung gestellt haben.
Getränke News: Die Corona-Krise ist leider noch nicht zu Ende. Welche längerfristigen Folgen befürchten Sie?
Adam: Wir sorgen uns natürlich um den Freihandel. Es darf jetzt keinen Rückfall in Protektionismus und Kleinstaaterei geben. Immerhin hat man sich ja jetzt auf G20-Ebene zu einem Bekenntnis zum Freihandel durchgerungen. Initiativen zu dessen Rettung und Bewahrung existieren, zuletzt zum Beispiel besiegelt durch Abkommen mit Vietnam und Mexiko. Das stimmt mich doch hoffnungsfroh.
Zugleich ist da das leidige Thema der Strafzölle auf Spirituosen. Da leidet unsere Branche unter einem alten Streit zwischen USA und EU, der seit 15 Jahren nicht enden will und der mit der Alkoholwirtschaft eigentlich gar nichts zu tun hat. Gerade in diesen schweren Zeiten erneuern wir unsere Forderung an beide Seiten des Atlantiks, endlich zu einer Einigung zu kommen. Eine Abschaffung dieser Zölle wäre eine Hilfe, die sofort greifen und den Herstellern sehr helfen würde. Das kann aber nur politisch von ganz oben gelöst werden. Zu Jahresbeginn gab es da vielversprechende Ansätze. Durch die Krise liegen die leider auf Eis.
Getränke News: Wie gut ist die Branche nach Ihrer Einschätzung für die Zeit nach Corona gerüstet?
Adam: Mitten in der Krise kam doch eine gute Nachricht: 2019 wurden aus der EU Spirituosen im Wert von 12,5 Milliarden Euro in die ganze Welt exportiert. Damit ist der Spirituosensektor die erfolgreichste landwirtschaftliche Branche. Gegenüber dem Vorjahr ist das ein Zuwachs von fast zehn Prozent, über die letzten zehn Jahre sogar von 119 Prozent. Damit sehen wir uns auch in schwierigen Zeiten gut aufgestellt.
Unser Gesprächspartner
Ulrich Adam ist seit Januar 2018 Geschäftsführer von Spirits Europe. Bevor er bei dem europäischen Spirituosenverband einstieg, vertrat er seit 2013 als Generalsekretär der European Agricultural Machinery Industry Association (CEMA) europaweit die Interessen der Hersteller landwirtschaftlicher Maschinen.
In den neun Jahren davor arbeitete Adam im Brüsseler Büro der internationalen Agentur Hill+Knowlton Strategies und beriet Unternehmen und Verbände in Fragen der EU-Gesetzgebung. Ein besonderer Schwerpunkt lag schon damals auf den Bereichen Nahrungsmittel, Gesundheit und Landwirtschaft.
Der gebürtige Deutsche hat Studienabschlüsse in Geschichte sowie Sozial- und Politikwissenschaft der britischen Cambridge University.