Kaum ein Thema wird in den Unternehmen und Verbänden der Getränkeindustrie derzeit so heiß diskutiert wie die überbordende Bürokratie und ihre Auswirkungen auf den Standort Deutschland. Dokumentations- und Nachweispflichten, immer neue Prüfauflagen und Sonderbestimmungen drohen die Unternehmen zu erdrücken. Das Thema hat auch den EU-Wahlkampf erreicht und viele der Akteure aus der Getränkewirtschaft hoffen auf eine Verbesserung der Lage.
„Seit Jahren darf das Versprechen des Bürokratieabbaus in keiner Sonntagsrede fehlen. Das ist frustrierend“, sagt der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Brauer Bundes (DBB), Holger Eichele. „Wir erwarten von der Politik, dass sie ihren Ankündigungen endlich Taten folgen lässt und dem Bürokratieabbau oberste Priorität einräumt – angefangen auf europäischer Ebene über den Bund und die Länder bis zur Ebene der Bezirke und Kommunen. Es muss jetzt endlich etwas passieren“, so der Hauptgeschäftsführer.
Die Belastung der Wirtschaft durch die Bürokratie schlage sich in den Bilanzen der Betriebe nieder, denn Bürokratie koste Geld. Diese Mittel stünden dann natürlich nicht mehr für Investitionen oder Innovationen zur Verfügung, betont Eichele. Er spricht von einem hohen zweistelligen Millionenbetrag, welche die Braubranche Jahr für Jahr durch unnötige Bürokratie zu schultern habe. Hinzu kämen die indirekten Kosten, die beispielsweise dadurch entstünden, dass Projekte nicht oder nur verzögert umgesetzt werden könnten, weil es jahrelang dauere, bis Baugenehmigungen vorliegen.
Braubranche hofft auf Entlastung
Exemplarisch für überflüssige Bürokratie sei das Lieferkettengesetz. „Das „Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz“ ist ein wahres Bürokratiemonster, es verursacht nicht nur erhebliche finanzielle Kosten, sondern bindet massiv personelle Ressourcen in den Unternehmen. Die Umsetzung trifft derzeit zwar allein größere Unternehmen. Doch auch Betriebe, die nicht im unmittelbaren Anwendungsbereich sind, werden privatrechtlich zur Beachtung und Einhaltung verpflichtet.
„Wir sehen gerade beim Lieferkettengesetz Entlastungspotenzial. So könnte die Bundesregierung den Geltungsbeginn des Gesetzes für Betriebe mit mehr als 1.000 Mitarbeitern auf das Jahr 2026 schieben“, schlägt der Verbandschef vor. In diesem Zeitraum hätten Politik und Unternehmen dann mehr Zeit, praxistaugliche Lösungen und Vereinfachungen bei der Umsetzung des Gesetzes zu finden. Auch eine von staatlicher Seite vorgegebene Positivliste von Ländern mit hohem Arbeits- und Umweltschutzniveau wäre beispielsweise hilfreich, so Eichele.
Anforderungen bremsen Schlagkraft
Die volle Wucht der staatlichen Regelungswut spüren große Unternehmen. „Diese Bürokratiebelastungen rauben Wirtschaftsunternehmen in Zeiten wie diesen dringend für den Markt und im Wettbewerb benötigte Schlagkraft. Es werden für Markterfolge essenzielle Ressourcen blockiert und zusätzliche unternehmerische Kosten verursacht, welche Handlungs-Spielräume an anderer Stelle (z.B. für Forschung und Entwicklung) spürbar verengen“, sagt der Hauptabteilungsleiter Einkauf, Logistik und Nachhaltigkeit der Radeberger Gruppe, Jens Berberich.
Auch Jens Berberich nennt das Lieferkettengesetz als Beispiel für „Bürokratie-Ungetüme“, die Unternehmen über Gebühr belasten. „Dabei sind wir uns sicher alle schnell einig, dass das Ziel des LkSG, Menschenrechte zu schützen und Umweltverstöße zu vermeiden, richtig und gut ist“, so der Manager. Die Art und Weise, wie dieses gute Vorhaben in Deutschland angegangen wurde, schieße allerdings über das Ziel hinaus, weise handwerkliche Fehler auf, sorge im internationalen Umfeld für Wettbewerbsverzerrungen und schaffe eine Komplexität an mit martialischen Strafen belegten Vorgaben, Pflichten und Aufgaben. Arbeiten, die viele mittelständische Unternehmen, die in den Scope der Verordnung fallen, oftmals kaum bewältigen könnten.
Berberich schlägt vor, bei neuen Regelungserlassen wie beim Ausmisten eines Kleiderschrankes vorzugehen: Bevor was Neues reinkommt, müssen mindestens zwei alte Regelwerke raus. Das könnte gleich in zweifacher Hinsicht positiv wirken: Bestehende Regelungen werden forcierter auf Sinnhaftigkeit überprüft und im Zweifel abgebaut – und die Hürde für immer neue bürokratische Vorhaben schmerzhaft und daher möglicherweise wirksam erhöht.
Mittelstand sieht sich überfordert
„Rein rechtlich trifft das Lieferkettengesetz die kleinen Unternehmen nicht“, berichtet der Chef der Augsburger Familienbrauerei Riegele und Vizechef der Freien Brauer, Sebastian B. Priller. Doch das sei nur Theorie. „In der Praxis werden wir dann vom Handel verpflichtet, dass wir das Lieferkettengesetz erfüllen.“ Damit werde ein Mittelständler vor eine unlösbare Aufgabe gestellt. „Wie soll er denn überprüfen, ob seine Zulieferer im Bereich der Kronkorken, die Glashersteller, die Kisten- und Grundstoffhersteller ihre ganze Supply Chain im Griff haben?“ fragt er sich.
Priller plädiert dafür, dass die Politik wieder mehr Vertrauen in die Unternehmer haben solle. Ursache für die Regelungsflut seien ja meistens schwarze Schafe, auf deren Vergehen die Politik mit neuen Regeln reagiere. Das sei eine grundfalsche Herangehensweise. „In Summe gab es mal ein Leitbild des ehrenwerten Unternehmers. Und ich glaube auch, dass 99 Prozent gut, korrekt und nachhaltig und fair arbeiten wollen. Und die lassen wir nicht mehr arbeiten, weil es ein Prozent gibt, die alles ausnutzen“, so Priller. Die schwarzen Schafe sollten bestraft werden, alle anderen sollten wie bisher weiterarbeiten dürfen. „Und sagt dem Endverbraucher, du bist selbstverantwortlich“, appelliert er an die Politik.
Papierflut kaum zu bewältigen
„Die Politik muss damit beginnen, diesen Wahnsinn zu stoppen“, bringt es Andreas Tadsen, Geschäftsführer des Getränkefachgroßhändlers Getränke Tadsen aus Husum, plakativ auf den Punkt. Die Kosten, die den Unternehmen durch Bürokratie entstehen, seien nicht mehr zu tragen und schwächten den Wirtschaftsstandort Deutschland, ist er überzeugt.
Bei jedem neuen Gesetz müsse sich der Unternehmer mit der Thematik beschäftigen und dann das Team informieren. „Da sind dann schon mal ein paar Tage weg“, weiß er. Und im Zweifelsfall muss er neue Mitarbeiter einstellen, weil die Papierflut allein gar nicht zu bewältigen sei. „Dann habe ich Kosten von 40.000 Euro mit den Nebenkosten – und das nur, um irgendwelche Gesetze abzuarbeiten oder zu erfüllen“, sagt er.
„Wir brauchen im Unternehmen mittlerweile für alles einen Beauftragten“, macht er das Problem deutlich. „Wir brauchen Warnschutzbeauftragte, wir brauchen Sicherheitsbeauftragte, wir brauchen Datenschutzbeauftragte“, berichtet er. Natürlich müssten die Beauftragten regelmäßig zu Schulungen. Und weil die Mitarbeiter danach besser qualifiziert seien als ihr Nachbar auf dem Lkw, wollten sie zurecht mehr Geld. „Der Staat gibt uns davon nichts zurück, das dürfen wir alles selber tragen“, ärgert er sich. „Als Nächstes werden sie von uns verlangen, dass wir ab einer gewissen Größenordnung einen eigenen Feuerwehrwagen anschaffen, damit wir am Ende, wenn es anfängt zu brennen, dann schon mal löschen können. Also es artet aus, das Ganze“, so Andreas Tadsen.
Spirituose fürchtet Wettbewerbsnachteile
Auch der Spirituosenindustrie ist die Bürokratie ein Dorn im Auge. „Wir brauchen eine umfassende Reformagenda und einen Kurswechsel, der auf die aktuellen Herausforderungen der Branche und insbesondere des Mittelstandes eingeht“, sagt Angelika Wiesgen-Pick, die Geschäftsführerin des Bundesverbandes der Deutschen Spirituosen-Industrie und -Importeure (BSI). Die rechtlichen Auflagen und die damit verbundene Detailarbeit sei zum Teil mit einem hohen bürokratischen Aufwand für die betroffenen Unternehmen verbunden, weiß die Verbandschefin.
Obwohl die Firmen der mittelständisch geprägten Spirituosenbranche hiervon aufgrund ihrer Beschäftigtenzahl überwiegend nicht betroffen seien, würden sie durch betroffene Unternehmen indirekt innerhalb des Anforderungsspektrums integriert. „Überdies gelten diese Anforderungen ausschließlich in Deutschland, was im internationalen Wettbewerb zu Nachteilen führen wird“, ist sie überzeugt.
Auch wenn die Branche die Ziele des Gesetzes befürworte, werde die bisherige Ausgestaltung kritisiert. Die Zielsetzungen seien auch mit einem geringeren Bürokratieaufwand erreichbar, so Wiesgen-Pick. Entscheidend sei, wirtschaftlich und politisch stabile und verlässliche Rahmenbedingungen zu schaffen für ein faires Marktumfeld und vor allem, um Planungssicherheit zu gewährleisten.