Die Westerwald Brauerei wächst seit Jahren im schwierigen Biermarkt. Heute führt Jens Geimer das Unternehmen in der fünften Generation. Er übernahm die Brauerei 2010 als geschäftsführender Gesellschafter von Heiner Schneider, der sich aus dem Geschäft zurückzog. Seitdem hat Jens Geimer nicht nur die Brauerei runderneuert, sondern auch der Marke Hachenburger wieder ein positives Image verpasst. Wie er den Turnaround geschafft hat, erzählt er im Interview mit Getränke News.
Getränke News: Heiner Schneider führte die Westerwald Brauerei bis 2010 in der vierten Generation. Dann übergab er Ihnen das Unternehmen, obwohl er drei Kinder hat und Sie weder verwandt noch verschwägert mit ihm sind. Wie kam es dazu?
Geimer: Die Geschichte geht zurück bis in meine Jugend. Ich bin im Westerwald aufgewachsen, zehn Kilometer von Hachenburg entfernt. Mit 16 Jahren begann ich in der Brauerei eine Ausbildung zum Industriekaufmann. Nach meiner Ausbildung ging ich ein halbes Jahr zu Hofbräu nach München und begleitete dort Prozesse im Bereich Beschaffung. Danach fing ich wieder bei der Westerwald Brauerei an, dieses Mal im Marketing. Es war eine One-Man-Show und ich arbeitete sehr eng und sehr gerne mit Heiner Schneider zusammen.
Getränke News: Sie blieben aber nicht dort, sondern studierten anschließend in Bremen internationale Betriebswirtschaft und gingen danach in die Textilindustrie nach München …
Geimer: Ich wollte mich weiterentwickeln und hatte deshalb beschlossen, zu studieren. Bereits während des Studiums lernte ich die Textilindustrie kennen und war danach sieben Jahre lang als Prokurist und Mitglied der Geschäftsleitung bei einem führenden B2B-Anbieter der Textilwirtschaft. Ich bin damals viel um die Welt gereist, habe aber nie den Kontakt zur Brauerei und zu Heiner Schneider verloren. 2007 rief er mich an und fragte, ob ich Interesse hätte, die Brauerei zu übernehmen. Damit hatte ich nie gerechnet und war, ehrlich gesagt, sehr berührt durch diesen Vertrauensvorschuss. Mein Ziel war es ja eigentlich, in München zu leben und zu arbeiten. Und dann dieser Anruf …
Getränke News: Mussten Sie lange überlegen?
Geimer: Nicht allzu lange. Ich habe relativ schnell zugesagt, bin dann aber erst zwei Jahre später, im Januar 2009, in die Brauerei eingetreten, da ich erst meine Nachfolge in München regeln wollte. Mir war wichtig, Anteile an der Brauerei zu kaufen. Die drei Kinder von Heiner Schneider wollten sich beruflich anderweitig orientieren und innerhalb der zwei Jahre wurde die Generationennachfolge gut und professionell umgesetzt.
Zum 1. Juli 2010 ist Heiner Schneider als Geschäftsführer ausgeschieden und in den damals neu gegründeten Unternehmensbeirat der Brauerei gewechselt. Als Mitglieder für den Beirat konnten wir, neben Heiner Schneider, Prof. Dr. Josef Schrädler, Direktor der Bayerischen Staatsbrauerei Weihenstephan und Dr. Karl Tack vom Rhodius Mineralbrunnen gewinnen. Heute ist Heiner Schneider nicht mehr im Beirat, an seiner Stelle sitzt Alexander Rolf von der Früh Brauerei. Für diesen vertrauensvollen, fließenden Übergang und Heiner Schneiders Engagement, die Brauerei als eine von ganz wenigen in Rheinland-Pfalz unabhängigen erhalten zu haben, bin ich ihm ewig dankbar.
Getränke News: Zurück ins Jahr 2007 und zu dem Anruf von Heiner Schneider: Die Absätze in der Braubranche gingen auch damals schon seit längerem zurück, es herrschte knallharter Verdrängungswettbewerb. Als sie mit 16 in Hachenburg in die Lehre gingen, setzte die Brauerei noch knapp 220.000 Hektoliter ab, 2009 lag der Absatz bei nur noch einem Drittel. Das Image der Marke war nicht ganz ideal, vorsichtig formuliert. Was hat Sie also geritten, Ihren gut bezahlten Job in München aufzugeben und zurück in den Westerwald zu gehen?
Geimer: Ich mag Herausforderungen und keine Langeweile. Mir war schon klar: Hier wirst du kein Millionär, hier musst du viel arbeiten, musst viel investieren und brauchst einen langen Atem. Mein Ziel war immer, dass wir mit Hachenburger wieder eine starke Marke in der Region sind, die die Menschen begeistert. Ich habe mich damals intensiv mit dem Thema Turnaround beschäftigt, mit den Firmen Porsche und Puma, die es Mitte/Ende der 90er geschafft haben, wieder aufzusteigen.
Ich habe an die Marke Hachenburger geglaubt und dass wir es schaffen können, wieder erfolgreich zu sein. Und ich hatte bei meinem Vorhaben einen Heimvorteil: Ich stamme aus dem Westerwald und weiß, wie die Menschen hier ticken. Ich habe zwar kein Detailwissen über das Bierbrauen, ich kann aber schnell entscheiden, gut organisieren und bin kreativ.
Getränke News: Wo nahmen Sie das Geld für die Brauerei her? Stammen Sie aus reichem Haus?
Geimer: Ich komme aus bürgerlichem Haus, meine Eltern sind nicht reich und weder sie noch ich hatten im Lotto gewonnen. Ich hatte in München gut verdient und ordentlich was angespart. Die Anteile an der Brauerei habe ich über Jahre hinweg immer in Tranchen gekauft.
Getränke News: Heute stehen die Brauerei und die Marke gut da. Wie lange hat es zum Turnaround gedauert?
Geimer: Seit meinem Eintritt 2009 hatten wir fünf Jahre lang kein Wachstum, haben kein Geld verdient. Ein wichtiger Schritt seit meinem Eintritt war, die Mitarbeiter vom Hektoliter- hin zum Ertragsdenken zu bewegen. Wir haben nach meinem Eintritt angefangen, Prozesse zu optimieren, haben Kosten gespart, uns von unrentablen Gastronomieobjekten getrennt, die Marke neu positioniert und uns in der Kommunikation neu aufgestellt. Mit Erfolg: 2012/13 sahen wir erstmals wieder Licht am Ende des Tunnels, seit 2014 wächst die Brauerei wieder. Bei allem, was wir tun gilt: Wir müssen in Erträgen denken und nicht in Hektolitern, um Geld zu verdienen.
2016 haben wir dann damit begonnen, unsere Brauereianlagen zu erneuern und die Brauerei technisch auf den neusten Stand zu bringen. Bis auf die Abfüllung ist inzwischen fast alles neu. In wenigen Wochen geht eine neue Fassfüllung in Betrieb, danach erneuern wir bis spätestens 2026 die Flaschenfüllung.
Getränke News: Wie ist es gelungen, der Marke Hachenburger wieder ein positives Image zu verpassen?
Geimer: Ich hatte 2010 bei Camba Bavaria zum ersten Mal ein Bier getrunken, das zu 100 Prozent mit Aromahopfen gebraut war, und war begeistert. Da kam mir der Gedanke, die Rezeptur unseres Pilsbieres zu verändern. Dass unsere Braumeister anfangs von der Idee nicht begeistert waren, können Sie sich vorstellen.
2011 haben wir dann unsere meistverkaufte Sorte, Hachenburger Pils, neu positioniert: Mit neuer Rezeptur, mit 100 Prozent Aromahopfen. Wir haben also den Geschmack unserer Hauptsorte deutlich verändert und das auch ganz laut verkündet; übers Radio, die Tageszeitung und über Social Media. Die Leute waren neugierig, haben das Bier probiert und für gut befunden. Auch die Stammverwender haben wir damit nicht verloren. Es war aber ein Ritt auf der Rasierklinge, im Nachhinein jedoch recht erfolgreich. Doch der Erfolg kam nicht über Nacht, auch hier brauchten wir einen langen Atem.
Getränke News: Und gute Mitarbeiter …
Geimer: Wir haben zum Glück keine Probleme damit, gute Mitarbeiter zu gewinnen, da wir trotz unserer Größe als Markenartikler wahrgenommen werden. Wir sind ein hochmotiviertes Team mit sehr viel Spaß an der Arbeit. Das spricht sich offenbar herum. Wer zu uns kommt, spürt diesen positiven Spirit. Das liegt auch daran, dass wir eine Fehlerkultur pflegen, das heißt, wir sprechen offen über Fehler und wie man es künftig besser machen kann, statt jemandem die Schuld zuzuweisen.
Wir sind außerdem sehr transparent und sagen den Leuten von Anfang an, unter welchen Bedingungen sie bei uns arbeiten, dass es richtig viel zu tun gibt und wir uns aufeinander verlassen müssen. Wer bei uns anfängt, muss eine hohe Veränderungsbereitschaft mitbringen.
Getränke News: Kommen Ihre Mitarbeiter überwiegend aus dem Westerwald?
Geimer: Unsere Mitarbeiter kommen fast ausschließlich aus unserer Region. Wir spüren aktuell auch einen gegenläufigen Trend bei den jungen Leuten. Sie wollen nicht mehr in die große, weite Welt, sondern fühlen sich in ihrer Region pudelwohl. Das ist ein allgemeiner Trend, den auch die aktuellen Zahlen der IHK im Westerwald bestätigen.
Getränke News: Die Zukunftsinitiative Rheinland-Pfalz hat die Westerwald-Brauerei als „Zukunftsunternehmen 2023“ des Landes ausgezeichnet. Überzeugt hat die Jury die Kombination aus Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Was bedeutet Ihnen die Auszeichnung?
Geimer: Wir freuen uns sehr über den Preis, weil damit unsere Leistung honoriert wird. Das Thema Nachhaltigkeit steht bei uns ganz oben auf der Agenda. 2020 sind in unserer Region 25 Prozent der Wälder aufgrund der Borkenkäferplage abgestorben. Wenn ich also morgens aus dem Haus gehe, sehe ich, dass der Klimawandel bei uns angekommen ist.
Wir investieren bereits seit Jahren in mehr Energieeffizienz. 2017 haben wir beispielsweise im Maschinenhaus einen neuen Dampfkessel und eine neue Kälteanlage installiert. Wir sparen dort seitdem richtig viel Energie ein, was uns heute sehr hilft. Wir haben außerdem die Prozesse im Unternehmen sehr transparent gemacht und kennen unsere Klimabilanz. Bei allen Neuinvestitionen schauen wir darauf, dass wir diese weiter verbessern. Das spart übrigens auch Geld.
Getränke News: Wie lautet neben dem Nachhaltigkeitsgedanken Ihre Unternehmensphilosophie im weiterhin schwierigen Biermarkt?
Geimer: Wir wollen die unkomplizierteste Brauerei mit dem besten Bier, dem besten Team und den zufriedensten Kunden sein.
Getränke News: Was meinen Sie mit unkompliziert?
Geimer: Wir wollen uns auf wenige gute Sachen konzentrieren und müssen nicht auf jeder Hochzeit tanzen. Wir erledigen Dinge zuverlässig und mit wenigen Worten oder Bildern statt mit seitenlangen Verträgen. Wir sind froh, dass wir eng an unseren Kunden dran sind und bleiben in der Region Westerwald. Wir wollen kein Bier in Berlin verkaufen. Unsere Stärken sind die hohe Qualität unserer Biere und der persönliche Austausch mit Menschen.