Das Design von Flaschenetiketten spielt seit Jahren eine stark wachsende Rolle. Gerade die junge Zielgruppe zeigt sich gerne mit Flaschen von angesagten Marken. Worauf es heute beim Marken-Design ankommt und was die größten Herausforderungen bei der Gestaltung sind, erzählen Sandra Roth und Karsten Kummer, Inhaber der Hamburger Design-Agentur Higgins, im Interview.
Getränke News: Sie haben sich auf das Etiketten-Design von Getränkemarken spezialisiert. Warum nur Getränke?
Kummer: Das Schöne an der Getränkebranche ist ihre Diversität; von der verrückten Limo bis hin zur hochwertigen Spirituose gibt es ein breites Spektrum von unterschiedlichen Markenwelten. Es ist ein großes, spannendes Feld und wird nie langweilig. Unsere Gestaltung hört auch nicht beim Etikett auf, wir designen vom Etikett über Sonnenschirme bis hin zum Instagram-Post. Eine Bierflasche ist heute auch nicht bloß eine Verpackung; sie wird auf der Party, im Club oder unterwegs zum Lifestyle-Accessoire in der Hand.
Roth: Wir hatten beide bereits vor der Gründung unserer gemeinsamen Agentur eine große Affinität zu der Entwicklung von Getränkemarken. Manche Marken betreuen wir so nun auch schon seit über 30 Jahren. Dabei ist es immer wieder aufregend und spannend, weil sich der Charakter des Produktes und der Marke im Design spiegeln lässt.
Getränke News: Das Design von Getränkemarken hat sich über die Jahre deutlich verändert …
Roth: Der gesellschaftliche Trend zur Individualisierung spiegelt sich auch in Markendesigns wider. Marken versuchen immer mehr, Nischen zu finden, weshalb die Marken-Architektur immer diverser wird. Die breite Masse gibt es so nicht mehr.
Kummer: Früher wurde im Getränkebereich das Portfolio mit neuen Sorten unter einer Marke erweitert, es gab fast ausschließlich sogenannte Line Extender. Heute gibt es mehr und mehr eigenständige Subbrands, mit denen die Zielgruppe effektiver angesprochen wird.
Getränke News: Woher nehmen Sie Ihre Inspiration?
Kummer: Von überall her. Inspiration zu bekommen ist heute durch das Internet einfacher denn je. Wir können auf alles zugreifen, uns alles anschauen. Designer sind wie Schwämme und saugen alles auf, sei es Popkultur beim Netflix schauen oder Eindrücke beim Besuch einer Galerie.
Roth: Wir machen aber auch Storechecks im Schanzenviertel um die Ecke, aber auch in Tokio. Wir gehen auf Trendsafari nach London oder besuchen Designerkonferenzen.
Getränke News: Wie muss man sich den Ablauf des Kreativprozesses für ein neues Marken-Design von Beginn an vorstellen?
Kummer: Am Anfang steht immer das Briefing des Kunden, die Analyse des Marktes und der Marke. Das kann durchaus auch mit dem Besuch des Firmenarchivs beginnen. Für uns gilt: Vor dem Gestalten kommt das Verstehen.
Roth: Wir starten danach mit einem gemeinsamen Brainstorming mit möglichst vielen Mitarbeitern. Wir setzen uns zusammen und nehmen möglichst jeden Gedanken von jedem mit. Danach beginnt der Gestaltungs-Prozess.
Getränke News: Wie konkret brieft Sie der Kunde, inwieweit dürfen Sie anfangs kreativ sein?
Kummer: Meist starten wir in der ersten Präsentation sehr kreativ und versuchen das ganze Spektrum unserer Möglichkeiten abzudecken. Das geht oft über das Briefing hinaus.
Roth: Anfangs zeigen wir dem Kunden unsere Vision auf, immer so kreativ wie möglich. Im Laufe der Zusammenarbeit nähert sich unsere Vision an die Vision des Kunden an.
Getränke News: Aktuell haben Sie das neue Design von Radeberger Pilsner entworfen. Was waren dabei die größten Herausforderungen?
Roth: Es gibt bei einem Relaunch grundsätzlich die Möglichkeiten, den Auftritt der Marke evolutionär oder revolutionär weiterzuentwickeln. Beim neuen Radeberger-Auftritt sollte der Kern der Marke bewahrt bleiben, das Design neu, aber zugleich vertraut sein. Es sollte damit eine neue Zielgruppe angesprochen werden, ohne die Stammverwender abzuschrecken. Eine weitere Vorgabe war, aus Nachhaltigkeitsgründen das Halsetikett aus Aluminium durch ein Papieretikett zu ersetzen, der prunkvolle Goldeindruck sollte aber erhalten bleiben.
Kummer: Die größte Herausforderung war, die Marke nachvollziehbar weiterzuentwickeln. Radeberger ist eine Marke mit langer Tradition und Historie. Die Geschichte der Marke erzählen wir auf dem Etikett neu, ohne jedoch etwas Neues hinzuzufügen. Den Radeberger-Schriftzug haben wir von der Form her komplett übernommen. Lediglich die Farbe wurde verändert. Vom alten Etikett wurde zum Beispiel das Wappen mit den Löwen vergrößert, damit es eine Geschichte erzählt. Auch aus den Goldmedaillen vom alten Etikett haben wir eine Geschichte entworfen, die aber den Auftritt nicht dominiert.
Getränke News: Es ist deutlich weniger Gold zu sehen …
Kummer: Radeberger ist nach wie vor eine Marke mit viel Gold. Es ist nicht verschwunden, es gibt jetzt nur kein Overload an Gold mehr. Tatsache ist: Die Wahrnehmung dessen, was heute als Premium gilt, hat sich gewandelt. Früher reichten viel Gold und der Zusatz Premium, um hochwertig zu erscheinen.
Roth: Hochwertigkeit wird heute durch Authentizität, Tradition und Nachhaltigkeit betont. Auch das Thema Materialität ist wichtiger denn je, um hochwertig zu erscheinen. Ausschließlich mit übertriebenem Goldeinsatz Hochwertigkeit erzeugen zu wollen, ist nicht mehr zeitgemäß.
Getränke News: Wie lange arbeiten Sie an einem solchen Auftrag?
Roth: Größere Projekte wie das von Radeberger dauern vom Briefing bis zum fertigen Brand Manual fast ein Jahr. Es gibt aber keine Formel, die auf alle Aufgaben übertragbar wäre. Wir haben zwar sehr viel Erfahrung, doch jede Marke hat ihren individuellen Markenkern, mit dem wir uns zunächst sehr intensiv beschäftigen. Dabei sehen wir eine Marke immer als Persönlichkeit mit einer eigenen Identität.
Kummer: In der ersten Phase wollen wir den Kunden mit unserer Arbeit überzeugen, das dauert meist vier bis sechs Wochen. Dabei arbeiten wir mit einem Team von fünf bis sechs Designern und präsentieren am Ende zehn bis zwölf unterschiedliche Designvorschläge. Anschließend wird das Design gemeinsam mit dem Kunden weiterentwickelt.
Getränke News: Was war bislang Ihre schwierigste Designänderung?
Kummer: Unsere Arbeit lässt sich nicht in Schwierigkeitsgraden messen. Aber: Designänderungen werden herausfordernd, wenn die Erwartungen an das Design hoch sind, der Gestaltungsspielraum jedoch sehr begrenzt ist, nach dem Motto „Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass“.
Getränke News: Beim Design gibt es Modetrends. Was ist gerade angesagt, was eher nicht? Was macht ein Design heute jung, was eher alt?
Roth: Wir unterscheiden beim Design nicht in jung oder alt, wir sprechen eher darüber, ob es noch zeitgemäß ist. Es gibt Ausnahmen, wie beispielsweise die Marke Mixery, dort soll mit dem Design explizit die junge Zielgruppe angesprochen werden, also haben wir ein junges Design entwickelt.
Kummer: Wir stellen fest, dass die Designtrends immer vielfältiger werden. Noch vor ein paar Jahren sahen beispielsweise die Bieretiketten sehr ähnlich aus, es gab einen Bier-Design-Stil, den fast alle übernommen hatten. Durch die Craftbier-Bewegung hat sich hier einiges verändert, die Biermarken unterscheiden sich heute wieder deutlich mehr voneinander. Dennoch muss Bier auch nach wie vor wie Bier aussehen.
Getränke News: Was beeinflusst die Trends?
Roth: Alles um uns herum beeinflusst die Trends im Verpackungsdesign; seien es Technologie, Nachhaltigkeit oder gesellschaftliche Entwicklungen. Sogar die Pandemie hat das Verpackungsdesign beeinflusst: QR-Codes gibt es schon lange, doch erst durch die vielfältige Verwendung während der Pandemie haben sie sich in der breiten Masse durchgesetzt. Heute kommt kaum eine Verpackung ohne QR-Code aus.
Getränke News: Was gefällt Frauen, was Männern besser? Was sind gerade die angesagtesten Farben?
Kummer: Das ist immer schwieriger zu beantworten. Die Unterteilung in Männer und Frauen wird immer weniger zeitgemäß. Heute tragen Männer Nagellack, das Schlagwort heißt Genderneutralität.
Roth: Bei den Farben gibt es heute oft gegenläufige Trends. Wir haben auf der einen Seite natürliche, gesättigte Farben, die gerade in sind, auf der anderen Seite gibt es den Trend hin zu Neon-Farben. Generell gilt: Marken müssen keine Modefarben benutzen, sondern die, die zu ihrem Markenkern passen.
Getränke News: Welche Rolle wird für Ihre Arbeit künftig die KI spielen?
Roth: Eine riesengroße. Es ist eine industrielle Revolution, von der keine Branche „verschont“ bleibt. KI wird auch bei uns grundlegend alles verändern, das ist uns klar. Wir haben aber keine Angst davor, sondern nutzen verschiedene KI-Tools bereits heute als sehr hilfreiche Werkzeuge. Wir schulen unser Team und nutzen die neuen Möglichkeiten sehr effektiv.
Kummer: Die Zukunft ist immer ungewiss, also auch bei diesem Thema. Sich verändern zu müssen und auf der Höhe der Zeit zu sein, gehört zum Wesen einer Designagentur. Wir bleiben beim Thema KI am Ball und sind zuversichtlich.
Über Higgins-Design
Higgins-Design wurde 2015 von Sandra Roth und Karsten Kummer im Hamburger Schanzenviertel gegründet. Higgins steht für maßgeschneidertes und zeitgemäßes Packaging- und Brand-Design im Getränkesektor. Das Team entwickelt ganzheitliche Design-Lösungen und arbeitet unter anderem für die folgenden Marken:
Benediktiner, Efes, FZ-Getränke, Grevensteiner, Hacker-Pschorr, Havana Club, Hoepfner, Jever, Karlsberg, Krombacher, Licher, Lichtenauer, Mixery, Brauerei Gebr. Maisel, Margon, Paulaner, Radeberger, Rewe, Rhodius, Schneider Weisse, Schöfferhofer, Schweppes, Stuttgarter Hofbräu, Veltins, V+, Vitamalz, Viva Con Agua