Die Weinbranche muss ihren ökologischen Fußabdruck verkleinern. Angesichts international steigender Anforderungen an ein nachhaltiges Wirtschaften sind vor allem die Glasflaschen ins Visier geraten, denn sie machen den Löwenanteil am CO2-Ausstoß von Weinerzeugern aus. Ein Schlüssel zu einer deutlichen Verbesserung der Lage sind Kreislaufsysteme und Mehrweglösungen.
Durch neue Forschungen am Weincampus Neustadt könnte nun bald mehr Bewegung in das Thema kommen: Unter der Leitung der Professoren Dominik Durner (Lebensmitteltechnologie und Önologie) und Marc Dreßler (Betriebswirtschaftslehre und Entrepreneurship) ist dort das „EIP-Agri Projekt Wein-Mehrweg“ angelaufen, das die Problematik umfassend beleuchten soll – vom Flaschendesign, über technische Anforderungen bei Logistik und Flaschenspülung bis zur Akzeptanz durch Handel und Konsumenten. Da die Ergebnisse am Ende der Allgemeinheit zur Verfügung gestellt werden sollen, könnte – bei einem schlüssigen Ergebnis – die gesamte Branche davon profitieren.
Den offiziellen Auftakt gaben die Wissenschaftler kürzlich mit dem Aufruf zu einem Designwettbewerb unter dem Motto „Germany’s Next Top Bottle“. Aufgabe ist nichts weniger, als „die Weinflasche der Zukunft“ zu entwerfen. Von vornherein sorgt allerdings eben dieser Start bei Fürsprechern der Kreislaufwirtschaft für Unmut.
Einheitlichkeit als entscheidender Faktor
So stört sich etwa Günther Guder, geschäftsführender Vorstand des Verbands Pro Mehrweg, daran, dass von Anfang an ausdrücklich nach „wenigen, aber vielseitigen Flaschendesigns“ gesucht wird. „Unsere Devise lautet, Mehrweg einfach zu machen“, hier werde aber von vornherein „Vielfalt initiiert“. Dabei zeigten die Erfahrungen aus der Brauwirtschaft, dass dieser Weg in die Irre führe. Durch die Abkehr von dem jahrzehntelang bewährten Einheitsgebinde sehe man inzwischen eine Vielzahl an Verpackungen und Individualgebinden und in der Folge eine sehr komplexe, ja geradezu chaotische Rückführ- und Sortierlogistik. „Das wird nun beim Wein reproduziert, statt das man daraus lernt“, so Guder.
Kritisch zeigt sich auch Dirk Reinsberg, geschäftsführender Vorstand des GFGH-Bundesverbands. Der Getränkefachgroßhandel sei zwar interessiert am Aufbau eines Mehrwegsystems für Wein, er warne aber vor Fehlern, die in anderen Getränkesegmenten bereits gemacht wurden. „Der größte Fehler wäre, eine breite Phalanx von Flaschen in den Markt zu bringen“, so Reinsberg. Dass in dem Wettbewerb gleich von unterschiedlichen Flaschen die Rede sei, empfindet er als „mittlere Katastrophe“, denn „Einheitlichkeit ist ein entscheidender Erfolgsfaktor“.
Neben den Fehlern in der Braubranche führt er als aktuelles Beispiel die Bemühungen um den Aufbau eines Systems für Mehrweggeschirr im gastronomischen To-go-Geschäft an: Weil kurz nach dem Start bereits verschiedene, nicht miteinander stapelbare Kaffeebecher in den Umlauf kamen, gerate der Ausbau gleich von Anfang an ins Stocken, nennt er ein Problem.
Gesamte Lieferkette unter der Lupe
Entspannter sieht dies Katharina Kleiner, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Weincampus Neustadt: Der Wettbewerb sei zunächst einmal ein Instrument, um für das Thema überhaupt erst Reichweite zu generieren, erklärt sie im Gespräch mit Getränke News. Wie vieles rund um ein neues Mehrwegsystem hält das Forschungsteam die Anzahl der Flaschen zu Beginn noch völlig offen. Laut Kleiner sind in Deutschland 240 verschiedene Weinflaschen im Umlauf, Bocksbeutel und ähnliche Sondergebinde noch gar nicht mitgerechnet.
Ob es angesichts dieser Fülle überhaupt eine für alle perfekte Flasche geben kann, ist eine der Fragen, die Kleiner und ihre Kollegen untersuchen. Theoretisch könnte das Resultat auch sein, dass man überhaupt keine neue Flasche benötige, sondern bestehende Modelle abwandeln könne, sagt die Wissenschaftlerin. Abgesehen davon beschäftigt sich das von der EU geförderte Projekt nicht allein mit dem Flaschendesign, sondern damit, wie das gesamte System aussehen müsste.
Wie wird das Leergut zurückgeführt? Wo kann gespült werden? Lohnt es sich, Mehrweg auch außerhalb der Weinanbaugebiete anzubieten? Wären Verbraucher überhaupt gewillt, leere Flaschen in den Handel zurückzubringen? Dies sind nur wenige der zahllosen Fragen, die im Rahmen der Studie untersucht werden sollen. Um belastbare Antworten zu finden, stehen die Wissenschaftler in engem Austausch mit Praktikern. Zum Beispiel mit Werner Bender, Geschäftsführer der Heuchelberg Weingärtner, der die Wein-Mehrweg eG mitinitiierte. Sie brachte im Sommer letzten Jahres die erste 0,75-Liter-Wein-Mehrwegflasche auf den Markt (wir berichteten).
System muss sich am Markt behaupten
Als Chef der württembergischen Winzergenossenschaft, die Teil der so genannten „operationellen Gruppe“ ist, gibt er seine Erfahrungen gerne weiter. „Wir sind ja alle Kollegen, es geht um die Winzerfamilie in der ganzen Hemisphäre“, sagt Bender, der sich am Ende auch neue Erkenntnisse für sein eigenes Tun – etwa in der Leergutlogistik – erhofft. Als Konkurrenz sieht er die Suche nach neuen Mehrweglösungen jedenfalls nicht. Als das neue Projekt bekannt wurde, waren die Arbeiten der Wein-Mehrweg eG schon längst im Fluss, die eigenen Erhebungen und Tests wurden deshalb unverändert fortgesetzt.
Dass sich auch andere mit dem Thema beschäftigen, findet er legitim: „Es gibt nicht die Mehrwegflasche, den Mehrwegkasten oder das Mehrwegsystem, es gibt etwas, das funktioniert und das angenommen wird“, so Bender. Am Ende entscheide der Markt darüber. Außerdem werde in Neustadt zunächst einmal nur geforscht, während der unternehmerische Ansatz der Wein-Mehrweg eG seit letztem Sommer bereits „live“ gehe. „Wir sind jedenfalls mit unserer Flasche auf Kurs und machen es so gut wie wir können.“
Über das Projekt
Die Einführung eines Mehrwegsystems für Weinflaschen gilt als bedeutender Schritt für mehr Nachhaltigkeit und Umweltschutz in der Weinindustrie. In der Umsetzung sind allerdings hohe Hürden zu nehmen, wenn der Wandel für alle Beteiligten – von den Weinerzeugern, über die Distributeure bis zum Endverbraucher – gelingen soll.
In dem aktuellen Projekt des Weincampus Neustadt soll das Thema umfassend beleuchtet werden. Die operationelle Gruppe, mit der die Wissenschaftler sich über die praktische Umsetzung austauschen, setzt sich aus 31 Mitgliedern zusammen, darunter
- 19 Winzergenossenschaften
- überregionale Verbände wie z.B. der Baden-Württembergische Genossenschaftsverband, der Verband der Fruchtsaftindustrie und Pro Mehrweg
- als Handelsunternehmen Edeka Südwest und Globus
- die Genossenschaft Deutscher Brunnen, der Flaschenhersteller Wiegand-Glas, eine Flaschenhandelsgenossenschaft, ein Flaschenspülunternehmen und andere
Das Projekt Wein-Mehrweg wird im Rahmen der Europäischen Innovationspartnerschaft „Landwirtschaftliche Produktivität und Nachhaltigkeit“ (EIP-Agri) gefördert. Finanziert wird es durch das Land Baden-Württemberg und über den Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des Ländlichen Raums.
Der Weincampus Neustadt, der den Zuschlag zu dem Forschungsprojekt erhielt, ist eine wissenschaftliche Einrichtung der Hochschulen Ludwigshafen, Bingen und Kaiserslautern, die gemeinsam mit dem Dienstleistungszentrum Ländlicher Raum (DLR) Rheinpfalz für praxisnahe Lehre und anwendungsorientierte Forschung steht.