Bei den diesjährigen Getränke Impuls Tagen sorgte der Vortrag „Ist das Zukunft oder kann das weg?“ von Prof. Dr. Maximilian Lude für Gesprächsstoff. Der Innovationsspezialist referierte darüber, wie Familienunternehmen jetzt agieren müssen, um weiterhin erfolgreich zu sein. Im Interview mit Getränke News erläutert Maximilian Lude, worauf es morgen ankommt.
Getränke News: In Ihrem Vortrag sprechen Sie von verschiedenen Zukünften, auf die sich die Unternehmen einstellen müssen. Wie meinen Sie das?
Lude: Innovationen sind Wetten auf die Zukunft. Unsere Welt verändert sich jedoch mittlerweile durch neue Technologien derart schnell, dass es immer schwieriger wird, auf die eine Zukunft zu wetten. Die Unternehmen müssen heute verschiedene Szenarien durchdenken und sollten sich auf mehrere Zukünfte einstellen. Dabei kann es helfen, in sogenannten „What If“ Szenarien zu denken und identifizierte Trends mit noch unvorhergesehenem zu kombinieren.
Getränke News: Es gibt aber doch Trends, auf die man wetten kann …
Lude: Ein Trend sind langzeit-Muster, die eine kontinuierliche Veränderung in eine bestimmte Richtung signalisieren. Diese gilt es zu erkennen und systematisch zu bewerten. Unternehmer sind jedoch meist zu sehr in ihrem Alltag gefangen und tun sich mit dem Erkennen und Bewerten von Trends schwer. Ich empfehle deshalb, sich Expertise von außen zu holen, um die Dinge – losgelöst vom eigenen Tun – richtig einzuordnen. Und das sage ich nicht, weil ich selbst Berater bin, sondern weil ich weiß, dass oftmals der Blick von außen hilft, erfolgreich zu sein.
Getränke News: Manche verschließen lieber die Augen und machen weiter wie bisher. Nach dem Motto: Das haben wir schon immer so gemacht …
Lude: Das ist die falsche Haltung. Zukunftssicherung bedeutet, sich der eigenen Kernkompetenzen bewusst zu sein, diese neu zu interpretieren und neue Technologien zu nutzen. Dabei müssen auch die veränderten Konsumgewohnheiten berücksichtigt werden. Das Motto in einem Familienunternehmen sollte lauten „Innovation durch Tradition“. Innovationen aber nicht nur in Bezug auf neue Produkte, sondern auch auf Arbeitsprozesse, Produktionsmethoden etc. Wichtig ist, hin und wieder über den Tellerrand zu schauen und neue Dinge auszuprobieren. Innovation sollte ein konstanter Bestandteil der eigenen Strategie sein. Von Innovationskultur bis hinzu neuen Produktinnovationen.
Getränke News: Geht in Deutschland die Mentalität des Ausprobierens verloren?
Lude: Die war in Deutschland noch nie sonderlich groß. Deutschland ist eine Ingenieur-Nation. Die Ingenieure entwickeln neue Dinge bis hin zur Perfektion, erst dann kommen sie auf den Markt. Das hat den Deutschland lange Wohlstand eingebracht und uns zu der Industrie-Nation gemacht, die wir heute sind. Die Welt funktioniert aber heute anders, wie noch vor zehn Jahren. Die Suche nach ständiger Perfektion kann bei Innovation gerade in der Getränkebranche auch ein Nachteil sein. Wenn zum Beispiel ein Getränk ein Jahr oder länger entwickelt wird, das am Ende den Leuten nicht schmeckt, sind Zeit und Geld verloren.
Eine andere Möglichkeit ist, nach kurzer Zeit mit einem Prototyp in einen Testmarkt zu gehen, sich Feedback zu holen und dann das Produkt Schritt für Schritt weiterzuentwickeln. So gehen heute viele Start-ups insbesondere in den USA mit großem Erfolg vor. Das ständige Streben nach Perfektion ist eine deutsche Mentalität, die den Erfolg auch ausbremsen kann. Wir brauchen also wieder etwas mehr Mut zur Imperfektion.
Getränke News: Wie können Mitarbeiter motiviert werden, neue Ideen ins Unternehmen einzubringen?
Lude: Wichtig dabei ist, dass es zur Unternehmenskultur passt. Es gibt Unternehmen, die nicht wollen, dass die Mitarbeiter incentiviert werden, sich einzubringen. Auch die Erwartungshaltung an den Disruptionsgrad sollte nicht zu hoch sein. Es wird sicherlich nicht das nächste iPhone vorgeschlagen werden. In der Regel werden durch Ideen der Mitarbeiter die Abläufe und die Prozesse im Unternehmen verbessert und inkrementelle Innovationen initiiert.
Wenn Mitarbeiter motiviert sind, Vorschläge zu machen, ist die Chance auf eine Verbesserung groß. Die Mitarbeiter sollten aber immer eine Rückmeldung bekommen, auch wenn ein Vorschlag abgelehnt wird. Wenn das nicht geschieht, reicht bald keiner mehr etwas ein.
Getränke News: Sollten eingereichte Ideen belohnt werden?
Lude: Ja, nennen wir es incentiviert, nicht belohnt. Die Incentivierung muss aber auch wieder motivieren, Ideen einzureichen. Wenig motivierend ist es, eine gute Idee zum Beispiel mit 20 Euro zu prämieren (alles schon erlebt). Das bringt nichts. Ein erfolgreiches Belohnungssystem hat die Body- und Lifestyle Marke Mey eingeführt. Dort gibt es eine eigene Währung für neue Vorschläge. Für jede eingereichte Idee gibt es einen Mey-Coin. Die Mitarbeiter können diese übers Jahr hinweg sammeln und zum Jahresende gibt es eine große Tombola mit tollen Preisen wie Urlaubsreisen, Fahrräder etc. Die Coins sind am Ende die Lose für die Tombola. Je mehr Ideen ein Mitarbeiter einreicht, desto größer wird die Chance auf einen schönen Gewinn.
Getränke News: Für die Zukunftssicherung eines Unternehmens werden auch Fachkräfte gebraucht. Wo kommen die künftig her?
Lude: Von überall. Es gibt auf der ganzen Welt genügend Fachkräfte, die bereit sind, bei uns zu arbeiten. Das ist eine große Chance. Wir müssen anfangen umzudenken, auch in der Getränkebranche. Die Unternehmen sollten künftig auch aktiv im Ausland nach Fachkräften suchen. Um dabei erfolgreich zu sein, müssen sie den Menschen Perspektiven aufzeigen.
Getränke News: Was ist mit Sprachbarrieren?
Lude: Vor Jahren waren Sprachbarrieren noch ein riesiges Problem. Das Thema wird sich jedoch durch den Einsatz moderner Technologien bald erledigen. Wir haben heute bereits sehr ausgereifte KI-Übersetzer, die in den nächsten Jahren perfektioniert werden. Dann können wir uns in Echtzeit mit jedem in jeder Sprache unterhalten. Über die Sprache müssen wir uns also schon bald keine Gedanken mehr machen. Über die Lebenssituation der Leute aber schon, die muss passen.
Getränke News: Stichwort KI, die wird in vielen Unternehmen noch nicht eingesetzt, es gibt Vorbehalte. Was sagen Sie dazu?
Lude: Digitalisierung und KI sind wie ein Ziegelstein. Man kann damit ein Fenster einwerfen oder ein Haus bauen. Das Mindset muss aber Häuserbauen sein. Von KI werden vor allem kleinere Unternehmen profitieren. Große Unternehmen haben riesige Budgets für Marketing und Kommunikation. Es werden Agenturen beauftragt, Grafiker, Fotografen, Filmemacher etc., um hochwertige Kampagnen zu produzieren. Da konnten kleinere Unternehmen bislang nicht mithalten. Das wird sich nun ändern. Mit Hilfe der KI können hochwertige Videos, Fotos, Grafiken und vieles mehr mit kleinen Budgets hergestellt werden. Für kleinere Unternehmen kann die KI zu einem Gamechanger werden.
Getränke News: Wie kann man den Leuten die Berührungsängste vor KI nehmen?
Lude: Man sollte sich dem Thema langsam und unaufgeregt nähern. Es gibt Workshops, in denen die Teilnehmer langsam und spielerisch mit KI vertraut gemacht werden. Dadurch werden schnell die Hürden abgebaut und jeder merkt, dass KI keine Raketenwissenschaft ist, sondern eine enorm nützliche Hilfe für sein Geschäft. Lasst uns hier positiv bleiben, denn wir haben mehr direkten Einfluss auf die Gestaltung unserer Zukunft als wir denken! Lasst uns also gemeinsam eine positive Zukunft gestalten.
Getränke News: Die Brauwirtschaft befindet sich in einer Krise. Jahr für Jahr wird in Deutschland weniger Bier getrunken, da hilft auch keine KI. Auf welche Zukünfte sollten sich die Brauer einstellen?
Lude: Verpasse niemals die Chancen einer guten Krise. Aus Krisen entstehen neue Opportunitäten. Fast 50 Prozent der größten Firmen in den USA (Fortune 500) sind während Krisen und ökonomischen Tiefphasen entstanden: Von Airbnb über Uber bis hinzu Dropbox. Allesamt während der Finanzkrise 2007-2009 entstanden. Wenn der Bierkonsum sinkt, steigt der Konsum anderer Getränke. Aktuell boomt der Markt für Milch- und Fleischersatz-Produkte oder gesundheitsfördernde und gesunde Getränke. Die Brauer könnten sich mit ihrer Expertise daran beteiligen und Bier-Kapazitäten frei geben für andere Getränke oder andere Produkte. Sie sollten vor allem flexibel bleiben und die Krise als Chance begreifen.
Unser Gesprächspartner
Prof. Dr. Maximilian Lude ist Unternehmer, Wissenschaftler und Speaker. Als Co-Gründer und Geschäftsführer der philoneos GmbH, einem Zukunftsbureau für Familienunternehmen in München, begleiten er und sein Team familiengeführte Unternehmen rundum Innovation, Transformation und Zukunft der Arbeit. Er ist Professor an der Tomorrow University und Dozent an verschiedenen Universitäten (u.A. Zeppelin Universität, Politecnico Milano, TU München), publiziert regelmäßig in renommierten Fachzeitschriften und hält Vorträge auf nationalen wie internationalen (Wissenschafts)Bühnen.