1899 gründeten 541 Bierverleger eine gemeinsame Interessenvertretung. Diese feiert 2024 als Bundesverband des Deutschen Getränkefachgroßhandels ihr 125. Jubiläum. Getränke News sprach mit dem geschäftsführenden Vorstand Dirk Reinsberg über eine Branchenvertretung in schwerem Fahrwasser.
Getränke News: Ihr Verband feiert in diesem Jahr sein 125. Jubiläum. Wie hat sich die Branche seit der Gründung des Verbands verändert?
Reinsberg: Die Struktur der Branche hat sich völlig verändert. Zu Gründungszeiten des Verbands war das Geschäft des Getränkefachgroßhandels sehr kleinteilig, es gab rund 12.000 Unternehmen in sehr vielfältiger Zusammensetzung. Heute sind es noch etwa 3.400 Betriebe. Ein entscheidender Schritt war die Zusammenführung der Landesverbände zum Bundesverband. Damit haben wir seit vielen Jahren eine einheitliche Interessenvertretung. Die Branche kann mit einer Stimme sprechen, wird im Konzert der Getränkewirtschaft und auch in der Gesellschaft gehört.
Getränke News: Welche Stimmung nehmen Sie aktuell in der Branche wahr?
Reinsberg: Insgesamt ist die Stimmung in der Branche natürlich von der allgemeinen wirtschaftlichen Lage geprägt. In unserer Branche kommt es stark darauf an, welche Kunden ein Händler bedient. Was die Gastronomie durchlebt, lesen wir täglich in der Zeitung – Stichwort Fachkräftemangel, Kostensteigerungen, Mehrwertsteuererhöhung. Da gibt es mehr Herausforderungen als schöne Ereignisse, die Stimmung ist daher auch bei den Lieferanten eingetrübt.
Sehr düster ist die Laune im Streckengeschäft. Der Preisdruck, der schon seit Jahren extrem ist, hat noch zugenommen – zuletzt durch die Einführung der Lkw-Maut und der CO2-Abgabe. Zusätzlich belastet der Fahrermangel das Geschäft.
Getränke News: Die Beteiligung der Rewe an Trinks bringt ja zusätzlich Unruhe in den Markt …
Reinsberg: Da geht es um nichts weniger als Versorgungssicherheit. Allerdings hat sich diese Entwicklung langfristig abgezeichnet. Reine Streckenlieferanten kämpfen seit Jahren mit geringen Margen. Dann haben zunächst Hersteller investiert, um den Herausverkauf ihrer Waren zu sichern. Es war also schon ein Großteil in der Hand von Industriepartnern. Doch selbst diese haben es nicht geschafft, das Geschäft profitabel zu gestalten.
Und jetzt kommt ein Dritter – nun von der Kundenseite – ins Spiel. Das konnte man vorhersehen. Dass es gerade jetzt passiert, ist auf die starken Kostensteigerungen zurückzuführen. Jetzt sieht man, wie eng die Margen tatsächlich sind. Die Rewe ist da kein Einzelfall, auch die Edeka stellt sich auf die Lage ein. Während Rewe allerdings Dienstleistung am Markt aufkauft, investiert Edeka in den Aufbau eigener Unternehmensteile.
So oder so: Wir beobachten hier einen nicht unerheblichen Wandel, der auch noch nicht beendet ist. Es wird ja für Dienstleistung nicht mehr bezahlt. Daher werden weitere Schritte in diese Richtung folgen.
Getränke News: Und wie sieht es in dem dritten Bereich – dem Endverbrauchergeschäft in den Abholmärkten – aus?
Reinsberg: Auch dort sehen wir seit einiger Zeit Kaufzurückhaltung und eine stärkere Fokussierung auf Angebotspreise. Die guten Zeiten, die die GAMs während der Pandemie hatten, sind vorbei, die Umsätze gehen zurück.
Getränke News: Als wie herausfordernd nehmen Sie die Politik der Bundesregierung wahr?
Reinsberg: Die Politik ist zurzeit nicht gerade populär. An manchen Stellen werden durchaus richtige Entscheidungen einfach handwerklich nicht gut umgesetzt. Zum Beispiel beim Umstieg auf Elektro-Lkw: Die Bereitschaft in der Branche ist da, die Unternehmen setzen sich ernsthaft damit auseinander. Da so ein Elektro-Lkw aber ein Vielfaches eines Dieselfahrzeugs kostet, sind sie auf die ausgeschriebenen Fördermittel angewiesen.
Ein Teil der Branche kann diese aber nicht nutzen, denn die Voraussetzung ist, dass der geförderte Lkw mindestens 60.000 Kilometer im Jahr zurücklegt. Das trifft auf den Großteil des Verteilerverkehrs nicht zu. Die Sache ist einfach nicht zu Ende gedacht.
Insbesondere finde ich aber die Kommunikation der Bundesregierung, wie man Ziele erreichen will, nicht ausreichend. Da fehlen eine klare Positionierung und ein deutlich kommunizierender Kanzler. Dennoch: Man darf bei all dem nicht außer Acht lassen, dass vieles, was die Bundesregierung angeht, dringend notwendig ist. Die Vorgängerregierung unter der Führung der Union hat vieles nicht aktiv angepackt. Das kann man nicht alles der jetzigen Regierung anlasten. Und dass jetzt all die Versäumnisse schnell aufgeholt werden können, kann man nicht erwarten.
Getränke News: Welche Versäumnisse betreffen den GFGH besonders stark?
Reinsberg: Die Branche leidet natürlich besonders unter der schlechten Infrastruktur bei Straße und Schiene. Der schlechte Zustand der Straßen betrifft den Getränkefachgroßhandel jeden Tag – unter anderem mit nicht befahrbaren Brücken und vielerorts schlechtem Straßenbelag. Da hatten wir viele Jahre einen Mangelhaushalt, während die unter dem Unions-geführten Verkehrsministerium gescheiterte Pkw-Maut Abermillionen gekostet hat.
Da auch die Bahn in katastrophalem Zustand ist, bietet die Schiene im Fernverkehr keine Alternative. Das Netz wurde nicht ausgebaut, es wurde nicht in die Substanz investiert. Man hat sogar Gleisanschlüsse zurückgebaut und Gewerbegebiete vom Schienennetz abgeschnitten. Diese Entscheidungen erweisen sich heute als fatal. Dazu vermisse ich von der Union in der Opposition Selbstkritik und konstruktive Lösungsvorschläge. In dem Thema wurde viel Zeit verloren, die wir in der Verkehrswende nicht haben.
Getränke News: Sie sind seit gut fünf Jahren Verbandschef. Vorher waren Sie für „die andere Seite“ tätig – als Justiziar bei der Radeberger Gruppe. Welche Rolle war schwieriger?
Reinsberg: Ich habe es immer so wahrgenommen, dass ich lediglich auf die andere Seite des Tischs gewechselt bin. Dieselbe Branche ist es ja geblieben. Und das ist auch gut so, denn sie macht mir einfach Spaß. Und es ist ein Vorteil, denn man kann die Position des Partners viel besser einschätzen, weil man sie selbst lange eingenommen hat. Das macht es leichter, Diskussionen zu begleiten. Ich will meinen alten Job jedenfalls nicht zurück.
Getränke News: Was macht Ihnen besonders viel Freude?
Reinsberg: Es ist die tagtägliche Arbeit mit und für unsere Mitglieder. Sie kommen mit ihren alltäglichen Problemen, ob das behördliche Schreiben sind oder Schwierigkeiten mit Mitarbeitern. Wenn ich da mit Tipps oder juristischem Rat helfen kann, ist das einfach hautnah. Wenn man dann noch später die Rückmeldung erhält „es hat geklappt, vielen Dank“, dann macht das einfach Spaß. Das ist der Teil, der über manche unangenehmen Themen hinwegträgt. Und er macht den Großteil der Arbeit aus.
Getränke News: Wie sieht die alltägliche Verbandsarbeit in der Getränkebranche konkret aus?
Reinsberg: Einen großen Teil nimmt die Rechtsberatung ein. Im Schnitt haben wir im Jahr 200 Mitgliederanfragen und -beratungen. Zu Corona-Zeiten waren es 400. Als Verband sind wir nah an dem, was draußen passiert, das sorgt für Bodenhaftung. Dann gibt es größere strategische Themen, um die wir uns kümmern, wie Stammdaten oder Nachhaltigkeitsmanagement. Nicht zuletzt sind da die politischen Fragen, also das klassische Lobbying wie zurzeit rund um das Verpackungsgesetz oder logistische Themen.
Getränke News: Wie oft im Jahr sind Sie in Berlin, wie oft in Brüssel?
Reinsberg: Die Verbandsarbeit spielt sich nicht nur in Berlin und Brüssel ab, sondern auch auf Landesebene. Da bin ich in den Regionen, bei Unternehmen und auf Messen präsent, knüpfe Kontakte, nehme an Besprechungen teil. Gut die Hälfte der Arbeitszeit verbringe ich also nicht am Schreibtisch.
Getränke News: Mit welchen Erwartungen und Gefühlen blicken Sie in die nähere Zukunft?
Reinsberg: Trotz allem Negativen und der schlechten Gesamtsituation, die wir erleben, bin ich fest davon überzeugt, dass der Handel mit Getränken auch weiterhin Zukunft haben wird. Voraussetzung ist, dass die Unternehmen und die Branche insgesamt ihr Handeln konsequent an Wertschöpfung, Regionalität und Nachhaltigkeit orientieren und die Digitalisierung von Prozessen vorantreiben. Veränderung bringt immer auch Abwehr und Angst mit sich. Wer sie aber angeht, wird mit Erfolg belohnt. Dafür gibt es in unserer Branche viele gute Beispiele.
Getränke News: Wie wird man wohl das 150-jährige Jubiläum feiern – auch noch live und mit persönlichem Anstoßen?
Reinsberg: Das Getränk war schon das verbindende Element der Gründungsversammlung, das wird es auch diese Woche bei unserer Jubiläumsfeier in Berlin wieder sein, und ich gehe davon aus, dass sich das auch in den kommenden 25 Jahren nicht ändert. Der Handel mit Getränken lebt eben vom Miteinander der Lieferanten und Kunden. Wenn Menschen zusammenkommen, entsteht mehr, als wenn eine KI die Bestellungen entgegennimmt. Von daher wird wohl auch das nächste Jubiläum mit Bier, Wein und Sekt gefeiert.