Ohne KI ist eine zeitgemäße Logistik kaum mehr möglich. Wie sie die Tourenplanung in der Getränkelogistik erleichtern kann, erklärt Bernd Huesch, Geschäftsführer der Logistikberatung Huesch & Partner, im Interview. Getränke News sprach mit ihm außerdem über Einsparpotenziale in Zeiten explodierender Kosten und über Auswege aus dem Fahrermangel.
Getränke News: Die Logistikkosten steigen weiter. Gibt es noch Möglichkeiten, die Logistik weiter zu optimieren und damit Kosten zu senken?
Huesch: Es gibt vier große Bereiche, in denen Kosten eingespart werden können: Bei den Fahrzeugen, den Fahrern, den Touren und bei der Auswahl der Spedition. Das größte Einsparpotenzial steckt in den Touren. Diese sollten mit Hilfe eines Planungssystems optimiert werden. Noch wichtiger als eine gute Planung ist aber die Nachkalkulation der Touren mit den Ist-Werten. Wie lange stand das Fahrzeug wirklich? Wie ausgelastet und wie teuer war die Tour? Hätte man vielleicht besser einen Subunternehmer eingesetzt? Der Schlüssel zur Beantwortung dieser Fragen liegt in den gesammelten und ausgewerteten Daten. Klar ist: Wer seine Touren optimiert, ohne seine Daten auszuwerten, ist schon bald nicht mehr wettbewerbsfähig.
Getränke News: Wo sollte man bei den Touren besonders genau hinschauen?
Huesch: Wichtig ist die Auslastungsplanung. Je mehr die Fahrzeuge unterwegs sind, umso effizienter sind sie. Wir kennen Betriebe, deren Fahrzeuge fahren rund um die Uhr mit einer Jahresfahrleistung von bis zu 200.000 Kilometern. Um die Touren optimal planen zu können, müssen die gesammelten Daten in Maßnahmen umgesetzt werden. Die Disponenten und Dispoleiter müssen jedoch geschult werden, damit sie vom Mengendenken ins Kostendenken kommen und die Distributions- und Beschaffungstouren effektiv kombinieren. Gesammelte Informationen und Tourenkontrolle müssen zu eineiigen Zwillingen werden.
Getränke News: Sie erwähnten auch die Fahrer, bei denen Kosten eingespart werden können. Dabei haben wir steigende Löhne und Fahrermangel …
Huesch: Entscheidend bei den Fahrern sind die Produktiv-Stundensätze, die sich aus den Fehlzeiten, der Arbeitszeit und der Produktivität berechnen lassen. Wir empfehlen die sogenannte Zeitgradprämie, bei der die Fahrer für besondere Produktivität eine Prämie bekommen. Dabei wird die Plan-Zeit mit der Ist-Zeit verglichen. Fahrer, die ihre Touren gut organisieren, also kurze Standzeiten haben, verdienen so mehr Geld. Wir haben mit der Zeitgradprämie gerade in der Getränkebranche sehr gute Erfahrungen gemacht, sowohl bei der Mitarbeitergewinnung als auch in Bezug auf die Kostenoptimierung.
Fahrer gewinnen kann man aber auch aus dem eigenen Betrieb heraus, wenn die Mitarbeiter die Möglichkeit haben, sich weiterzuentwickeln. So kann ein Lagerarbeiter, wenn er pfiffig ist, später auch Fahrer oder Disponent werden.
Getränke News: Die Frachtraten sind gesunken. Inwieweit kann bei der Auswahl der Spedition gespart werden?
Huesch: Es empfiehlt sich, ein spezielles Ausschreibungsverfahren zu machen und anschließend einen Vertrag zu schließen. Wichtig ist dabei, die Service Level Agreements festzulegen, das ist vergleichbar mit einem Leistungsverzeichnis beim Bau.
Getränke News: Welche Sparpotenziale bieten die Fahrzeuge?
Huesch: Da ist zunächst einmal die Beschaffung selbst: Entscheidet man sich für den Kauf, den Mietkauf mit Restwertoption oder für ein Leasing? Wir empfehlen ein Beschaffungskonzept mit Restwertoption, das ist eine zusätzliche Sicherheit, quasi ein Fangseil. Ein günstiger Ersatzzeitpunkt der Fahrzeuge sollte aus zeit- und kilometerabhängigen Kosten festgelegt werden. Wenn Mietkaufverträge mit Wartungsverträgen kombiniert werden, lässt sich sehr einfach berechnen, wann die Fahrzeuge wieder ausgetauscht werden sollten.
Getränke News: Von eigenen Werkstätten raten Sie ab?
Huesch: Es gibt sicherlich Betriebe, da machen eigene Werkstätten Sinn. In der Regel sind sie aber kostenintensiver. Um die Reparaturkosten möglichst niedrig zu halten, empfehlen wir, die Fahrzeuge vorausschauend vier Mal pro Jahr und möglichst an einem Samstag warten zu lassen; möglichst mit Wartungsverträgen.
Getränke News: Es gibt aktuell enorme Fortschritte in Sachen Künstliche Intelligenz. Welche Bedeutung hat KI für die Logistikbranche?
Huesch: KI ist für die volatile Getränkebranche überlebenswichtig. Die Tourenplanung wird einfacher, weil durch die KI deutlich bessere Daten vorliegen. Mit Hilfe der KI können sehr genaue Prognosen über beispielsweise den Getränkebedarf getroffen werden. Wir haben gemeinsam mit den Mitarbeitern einer großen Braugruppe ein Prognose-Tool entwickelt, das aus großen Ist-Datenmengen der letzten Jahre sowie Wetterdaten, Feiertagen wie Ramadan, Aktionen des LEH und der Industrie, Ferienzeiten, Events und vielen Faktoren mehr eine Prognose für ein ganzes Jahr erstellen kann.
Damit kann vorhergesagt werden, wie viele Stopps, welche Mengen und welche Artikel an einem bestimmten Datum benötigt werden. Zusätzlich wird berechnet, was passiert, wenn sich große Rahmenbedingungen wie Rohstoffe, Politik, Steuern und Abgaben, Technologien etc. verändern. Auch die vorhergesagte Wetterlage wird kurzfristig mit einbezogen sowie eine Worst-Case-, Normal-Case- und Best-Case-Simulation der Mengen und Erlösdaten durchgeführt.
Getränke News: Bedeutet der Einsatz von KI nicht auch ein Sicherheitsrisiko?
Huesch: Wichtig ist, dass die notwendigen Daten hochgeschützt im Haus bleiben. Wir hatten zuletzt den Fall eines Getränkeherstellers, dessen Verkaufsleiter hatte aus Fahrlässigkeit Lieferschein- und Kundenbestelldaten an ein KI-Start-up weitergegeben. Ein großer Lebensmittelhändler hat davon erfahren und die Geschäftsbeziehung sofort gekündigt. Sendungsdaten herauszugeben ist wie den Goldschmuck seiner Frau vor die Haustür zu legen.Alle Big Player in der Getränkebranche, die wir kennen, setzen deshalb ausnahmslos auf abgekapselte firmeneigene KI-Varianten.
Getränke News: Wie hoch ist die Trefferwahrscheinlichkeit Ihres Prognose-Tools?
Huesch: Die Trefferwahrscheinlichkeit ist enorm hoch. Die Vorhersagen liegen bereits sehr genau für zwölf Monate im Voraus vor und werden immer genauer, je näher das jeweilige Datum kommt. Wir nennen das Rolling Forecast. Daraus werden zukünftige Bestellmengen, Umsätze, Stopps, Distributions- und Beschaffungskapazitäten, der Lagerbedarf und das QM, die Verkaufsplanung und das Preissystem sowie die Finanzplanung abgeleitet; außerdem die Produktionsplanung und Tank-Kapazitäten. Die KI liefert den Betrieben also enorm wichtige Steuerungsmechanismen im Voraus.
Die gute Nachricht ist: Die Unternehmen sind inzwischen in Sachen KI und Prognose-Tool nicht mehr auf Softwarefirmen angewiesen. Die Programmierungen sind einfach und können von den eigenen Mitarbeitern durchgeführt werden. Sie werden von uns geschult und bekommen danach eine Blaupause, mit der sie arbeiten. Das ist keine Raketenwissenschaft, es sind einfache Module, die zusammengesetzt und an die Gegebenheiten des Betriebs angepasst werden.
Getränke News: Stichwort Prognose: Wie sehen Sie die Entwicklung beim Fahrermangel?
Huesch: Der Fahrermangel bleibt so lange ein großes Problem, bis sich der Osten wieder öffnet. Zehn Millionen junge Ukrainer, Russen, Bulgaren und Moldawier suchen Arbeit und wollen ein besseres Leben führen. Hier können wir sicherlich viele Fahrer gewinnen. Hinzu kommt, dass wir in eine Degression laufen und aktuell sogar Überkapazitäten am Speditionsmarkt haben. Und: Wir werden künftig auch selbstfahrende Lkws auf den Straßen haben.
Unser Gesprächspartner:
Bernd Huesch ist zusammen mit seinem Sohn Maximilian Huesch Geschäftsführer von Huesch & Partner. Der studierte Betriebswirt und Informatiker berät die Big Player und viele kleine und mittlere Unternehmen der Getränkebranche in den Bereichen Logistik, Digitalisierung und Prozesskostenrechnung.