Ringen um Wahrheitsfindung
Muss Carlsberg Deutschland am Ende des Revisionsverfahrens vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf das Bußgeld von 62 Millionen Euro zahlen oder folgt auch in zweiter Instanz ein Freispruch? Weil ein Senatsmitglied monatelang erkrankt war, beginnt die Hauptverhandlung im Bierkartell-Prozess jetzt von vorn (wir berichteten).
Zahlreiche Zeugen geben sich in diesen Wochen im Gerichtssaal die Klinke in die Hand. Doch die Erinnerungslücken sind 15 Jahre nach dem Geschehen groß. Der einstige Bitburger-Chef Peter Rikowski vermochte sich nicht einmal mehr an die Teilnahme des damaligen Deutschlandchefs von Carlsberg an dem umstrittenen Brauertreffen zu erinnern.
Kuriose Details und widersprüchliche Protokolle
Reicht die notierte Anzahl der bestellten Joghurtbecher im Jahr 2007 aus, um Rückschlüsse auf die Teilnahme von Carlsberg Deutschland am mutmaßlichen „Bierkartell“ zu ziehen? Auch mit diesem kuriosen Detail beschäftigte das Oberlandesgericht Düsseldorf in der Neuverhandlung (Az. V-6 Kart 1/20 OWi), um der schwierigen Wahrheitsfindung ein Stück näher zu kommen. Immerhin 15 Jahre nach dem Vorfall versucht der 6. Kartellsenat mit seinem Vorsitzenden Richter Prof. Ulrich Egger, etwas Ordnung in widersprüchliche Vernehmungsprotokolle und verblasste Erinnerungen der Zeugen zu bringen.
Er gibt sich wieder alle Mühe, seinem Fragenkatalog eine sichere, womöglich für alle erhellende Struktur zu geben. All das ändert nichts daran, dass vieles von dem, was sich 2007 im Umfeld der Internorga tatsächlich ereignete, im Vagen bleibt. Bis Weihnachten erwartet die zahlreichen Prozessbeteiligten ein enger Zeitplan, im neuen Jahr sind die Termine bereits bis Ende Januar angesetzt.
Schon jetzt ist erkennbar, dass der Vorwurf der Bundesanwaltschaft einer kartellrechtswidrigen Preisabsprache durch Carlsberg Deutschland und seinen damaligen Vorstand, Wolfgang Burgard, schwer nachweisbar sein wird. Allzu oft scheinen die inzwischen zehn Jahre alten Vernehmungsakten ein stärkeres Gewicht zu haben als die Zeugenaussagen.
Brauer-Meeting 2007 blieb für Preiserhöhung folgenlos
Dafür lieferte auch Peter Rikowski, 2007 Sprecher der Bitburger Geschäftsführung, einen erkennbaren Beleg, denn er konnte sich zwar an einige Teilnehmer von damals erinnern, aber eben nicht an Wolfgang Burgard. Für dessen damaligen Arbeitgeber, die Deutschlandzentrale des dänischen Carlsberg-Konzerns, stehen mit der Revision erneut 62 Millionen Euro Bußgeld im Feuer. Peter Rikowski hatte seinerzeit mehrere Brauereien, darunter auch Krombacher, Warsteiner, aber auch Oetkers Biersparte, zu einer Gesprächsrunde ins Hamburger Side-Hotel eingeladen. Vorrangig stand damals die Einführung eines branchenweiten Fasspfands in der Diskussion.
Im Rahmen der Sitzung ging es zwischendurch allerdings auch um eine geplante Bierpreiserhöhung, über die bereits Wochen vorher nationale Wirtschafts- und Branchenblätter berichtet hatten. Für die anwesenden Brauereivertreter war der Sachverhalt 2007 also alles andere als neu und schon gar nicht geheim. Allein Krombacher-Inhaber Bernhard Schadeberg war nicht erschienen. Doch ohne Krombacher wollte damals niemand den ersten Schritt tun.
So blieb es nach dem Meeting am Rande der Internorga bei den alten Preisen – von einer erfolgreichen Preisabstimmung de facto keine Spur. Sie sollte erst ein knappes Jahr später kommen. In Rikowskis Unterlagen, insbesondere auf dem aktenkundigen Spesenbeleg des Treffens, waren zwar viele Teilnehmer namentlich sorgfältig dokumentiert, lediglich der Carlsberg-Chef fehlte. Können dafür 17 Jahre später die zahlenmäßig präzise bestellten Joghurts als tragfähiges Indiz herhalten? Dem 6. Kartellsenat bleiben auch solche Diskussionen nicht erspart.
Für das Bundeskartellamt geht es um mehr als den Prozesserfolg
Das Ringen um eine Belastung der Beschuldigten durch Bundesanwaltschaft und Bundeskartellamt ist auf Schritt und Tritt spürbar, aber nur allzu gut nachvollziehbar. Denn für die Bonner Bundesbehörde geht es im laufenden Carlsberg-Verfahren um mehr als die Bestätigung ihres Bußgeldbescheides. Sollte der Prozesserfolg für die Mundt-Behörde ausbleiben, dürften bei anderen Verfahren Widersprüche als erfolgversprechend Schule machen.
Dass damals nicht mehr Brauereien Widerspruch gegen die Bußgeldbescheide in Millionenhöhe einlegten und es zu keiner breiten Klagewelle kam, dürfte das Bundeskartellamt einer wesentlichen Überlegung der Traditionshäuser zu verdanken haben: Die meisten Brauereien wollten sich schlichtweg nicht einem unkalkulierbaren Prozessmarathon mit unnötigem PR-Schaden aussetzen.
Marktregulativ: Die großen Brauer geben die Initialzündung
Dass die Beweislage auch in den nächsten Wochen dünn bleiben wird, dürften die Zeugenvernehmungen bestätigen. Die großen Premium-Brauer ließen bereits im Frühjahr keinen Zweifel daran, dass das Marktverhalten von Carlsberg ohnehin für den Premium-Wettbewerb von Krombacher, Bitburger & Co. keine Bedeutung gehabt habe. Die Marke Holsten spiele preislich schlichtweg in einer Liga darunter. Peter Rikowski erinnerte sich erneut an zumindest fragwürdige Vernehmungsmethoden in den Behördenstuben der Bonner Kartellermittler. Dort sei er sehr persönlich angegangen worden. Der Vernehmer habe ihn urplötzlich mit der Androhung konfrontiert, dass man ihm seinen Wohlstand nehmen werde, wenn er nicht hilfreich aussagen würde.
Weitere Zeugenaussagen dürften in den nächsten Wochen das Bild eines Biermarktes zeichnen, dessen Marktmechanismus bei der Preisfindung immer gleichen Regeln unterworfen ist: Die großen, taktgebenden Brauereien geben angesichts des Kostendrucks die Initialzündung für eine Preiserhöhung, sodass anschließend auch kleinere, regionale Brauereien folgen. Dass es nach dem Treffen im Side-Hotel zur Internorga 2007 für viele Monate zu keiner Preisrunde kam, schreiben die Zeugen immer wieder der ausgebliebenen Teilnahme von Krombacher-Chef Bernhard Schadeberg zu, der trotz vorliegender Einladung seinerzeit nicht erschien.
Krombacher-Chef möchte Marktwissen abschöpfen
Im gesamten Verfahren kommen zwischendurch auch die Marotten einzelner Unternehmenslenker zur Sprache, die ansonsten verborgen geblieben wären. So berichtete Peter Rikowski von einer alarmähnlichen Zahlenaufbereitung des Bitburger Controllings, wenn es um die Vorbereitung der Jahresplanung gegangen sei. Professor Gustavo Möller-Hergt, einst Warsteiner-Generalbevollmächtigter, gab bereits in der ersten Vernehmung des Revisionsverfahrens zu Protokoll, wie er unmittelbar nach seinem schlagzeilenträchtigen Rauswurf bei Warsteiner von Krombacher-Gesellschafter Bernhard Schadeberg eingeladen worden sei.
Möller-Hergt habe gewusst, dass dieser immer sehr „neugierig“ sei, um Marktwissen aus erster Hand abschöpfen zu können. Auch der einstige Warsteiner-Manager wird in Düsseldorf erneut aussagen müssen. Neue Erkenntnisse sind auch von ihm nicht zu erwarten. Er hatte bereits deutlich gemacht, dass er mit der Getränkebranche und den 15 Jahre zurückliegenden Vorgängen abgeschlossen habe.