Die Rettungsversuche um den Thüringer Standort der Oettinger Gruppe gehen in eine erste Phase. Wie aus der Branche zu hören ist, werden vor allem im politischen Raum vielseitig Fühler ausgestreckt, um bei großen Brauereien Interesse abzuklopfen. Ob diese Sondierungen in Absprache mit den Gesellschaftern geschieht, scheint fraglich. Angesichts der großen Bedeutung für die thüringische Brauwirtschaft gilt die angekündigte Schließung (wir berichteten) des vergleichsweise modernen Standortes als bitterer Schlag für die Zukunft eines traditionellen Produktionszweigs in Thüringen.
Gothas Oberbürgermeister Knut Kreuch hatte frühzeitig „Anstrengungen von Stadt, Landkreis und Gewerkschaften in Zusammenarbeit mit der Unternehmerfamilie“ angekündigt, um die Entscheidung rückgängig zu machen. Er zitierte vor Journalisten am Brauereitor aus einem Wirtschaftsgutachten der Oettinger Gruppe, das den Standort Gotha als unwirtschaftlich und überflüssig bewertet habe.
Inzwischen gingen die Mitarbeiter unter Führung der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) auf die Straße und demonstrierten lautstark für einen Erhalt der Brauerei. „Die Zweigniederlassung Gotha hat sich zu einem der Dreh- und Angelpunkte des Unternehmens entwickelt. Von Gotha aus wird das Bier in die ganze Welt geliefert“, so die NGG.
Vielerorts warten Kapazitäten auf Auslastung
Allerdings dürfte das Dilemma für eine erfolgreiche Rettung – auch ohne politisches Gegensteuern – größer sein als auf den ersten Blick sichtbar. Die Gothaer Braukapazitäten von rund 1,4 Millionen Hektoliter sind auf dem deutschen Biermarkt von nur geringem Wert – eine ernüchternde Erkenntnis. Vielerorts gibt es deutliche Überkapazitäten noch aus den goldenen neunziger Jahren, als gerade große Braustandorte mit veritabler Markenbedeutung anfangs gewachsen und dann wieder rückläufig waren. Allein bei den deutschen Top-Brauern gibt es reichlich freie Kapazitäten: So dürfte die Bitburger Braugruppe an den Standorten in Bitburg und Duisburg rund 2,4 Millionen Hektoliter ungenutzte Kapazitäten vor sich herschieben. Bei der Warsteiner Gruppe dürften es nach dem Ausstoßpeak im Jahr 1995 über alle Standorte rein rechnerisch mindestens 3,5 Millionen Hektoliter sein.
In der Brausparte der Oetker Gruppe dürfte die Summe ungenutzter Kapazitäten ebenfalls respektabel ausfallen – deren Radeberger Gruppe gab unlängst den Kölner Standort auf. Die noch verbliebenen 350.000 Hektoliter der fünf Marken braut der einstige Wettbewerber Früh. Oetkers selbst ernanntes „Haus Kölscher Brautradition“ besitzt zwar eigene Schreibtische, aber keine Sudkessel mehr. Not macht erfinderisch und lässt Kapazitäten dahinschmelzen.
Mengenverluste gefährden Mehr-Standorte-Strategie
Für die Oettinger-Inhaberfamilie Kollmar ist die Mehr-Standorte-Strategie mit einem komplexen Vollsortiment und mit ihren logistischen Vorteilen spätestens jetzt ins Wanken geraten, weil man nach erheblichen Mengenverlusten in den letzten Jahren unter erheblichen Kostendruck geraten sein dürfte. Bekanntlich ist das Preiseinstiegsgeschäft, das die Familie Kollmar zum zentralen Geschäftsmodell erhoben hatte, ausgesprochen kostensensibel – die Margen am Kasten sind äußerst gering, die Gruppenrendite fällt seit jeher schmal aus. Allein die Kostenvorteile im Direktgeschäft mit einem erheblichen Aufwand bei der Vorhaltung der Transportlogistik konnte lange Zeit als Vorteil ausgespielt werden.
Angesichts der jüngsten Kostenlawine und der Risiken im Transportgeschäft wächst sich das Oettinger Wertschöpfungsmodell zum Nachteil aus – die jüngste Reaktion von Pia Kollmar wird in der Branche als „erwartbar und konsequent richtig“ bewertet. Für Branchenbeobachter ist der „kalte Schnitt“ im Hause Oettinger nichts Neues. Die Schweriner Brauerei ereilte einst das gleiche Schicksal. Hier hatten die Schwaben 1997 zugegriffen und den Standort 2012 geschlossen. Die Produktionsverlagerung erfolgte anschließend in Richtung Braunschweig.
Immer deutlicher wird, dass ein Kastenpreis von 4,80 Euro im Aktionsgeschäfts kein langlebiges Geschäftsmodell ist. Premium-Brauer wie Erdinger fordern inzwischen die vierfache Höhe, um rentabel zu sein. Die Preisbildung in der Brauwirtschaft bewegt sich zwischen Wagnis und Träumerei – die Wirklichkeit liegt heute irgendwo dazwischen.
Thüringens Brauwirtschaft national bedeutungslos
Die heftige Kritik an der aktuellen Schließung und dem zwangsläufigen Verlust von rund 200 der 220 Arbeitsplätze hatte die Oettinger Braugruppe zwei Tage nach Bekanntgabe der Entscheidung zu einer deutlichen Nachjustierung ihrer traditionell nicht ausgeprägten Öffentlichkeitsarbeit bewogen. Man signalisierte in einer „Richtigstellung“ Bereitschaft, den Standort eben nicht – wie vielfach angeführt – schleifen zu wollen, sondern in neue, womöglich bessere Hände zu geben. Die Politik ergriff die Initiative und begann inzwischen auch ohne Verkaufsprospekt mit der Suche. Die Zeit drängt.
Thüringens Brauwirtschaft ist tendenziell schwach ausgeprägt und verfügt über kaum relevante Marken. Selbst Köstritzer aus der Bitburger Brauergruppe konnte sich nicht aus der Spezialitätenecke befreien. Das Bundesland steht abgeschlagen auf Platz 8 im Ranking der nationalen Brauereien-Landschaft. Rund 40 Prozent des Volumens steuerte bislang die Brauerei in Gotha bei, die nach der Wiedervereinigung völlig desolat am Boden gelegen hatte. Insbesondere Pia Kollmars Bruder Dirk, 2014 im Alter von nur 50 Jahren plötzlich verstorben, hatte als langjährige Leitfigur der Gruppe seine Wahlheimat Gotha zum zentralen Standort der Oettinger Braugruppe aufgebaut und sich auch vor Ort in seiner Lieblingssportart Basketball engagiert. Damit macht Pia Kollmar endgültig Schluss – das Engagement im Osten wird abgehakt.
Dass nun die Preiseinstiegsmarke Oettinger gerade in den neuen Bundesländern einen irreparablen Imageschaden erleiden könnte, liegt auf der Hand. Ostdeutsche Bierfreunde gelten als markentreu, aber auch nachtragend. Erschwerend kommt hinzu, dass Oetkers-Brausparte mit Sternburg („Sterni“) aus Leipzig den preissensiblen Verbraucher ebenso anspricht wie AB Inbev mit Hasseröder, das sich bereits seit über einem Jahrzehnt im Preisverhau des Handels befindet. Kastenpreise um die sieben Euro sind längst keine Seltenheit mehr.
Bereits der Verkauf der Hasseröder Brauerei im 130 Kilometer entfernten Wernigerode war 2018 gescheitert, weil deren Renditekraft wenig verlockend und auch der Standort im Harz für keinen deutschen Brauer ein wirkliches Kaufargument waren.
Dieser ernüchternde Marktstatus fällt für Unternehmenslenkerin Pia Kollmar jetzt erschwerend ins Gewicht, weil am Standort in Gotha die eigentliche Heimatmarke („Gothaer Pils“) weder Pflege noch Distributionserweiterung erfuhr. Der Ausgang der politisch protegierten Standortverwertung bleibt offen.
Mehr über die Oettinger Braugruppe lesen Sie in unserer Serie „Bier-Marken-Analyse“ im Artikel „Niedriger Bierpreis als Markenkern“.