Mit mehr als 18 Millionen im deutschen Lebensmittelhandel verkauften Flaschen gehört Korn immer noch zu den Top 10 Spirituosenkategorien. Zählt man Doppelkorn dazu, sind es laut IRI-Marktforschung noch einmal fast 11 Millionen mehr. Die schlechte Nachricht: Der traditionsreiche Schnaps ist zugleich seit Jahren auch einer der größten Verlierer am deutschen Markt. Allein im letzten Jahr ging der Absatz von Korn um gut 7 Prozent zurück, Doppelkorn musste sogar ein Minus von über 14 Prozent hinnehmen. Zu wenig passt offenbar der einfache, bodenständige Kurze zur Lebenswelt junger, urban orientierter Zielgruppen.
Doch seit ein paar Jahren kommt Bewegung in den Markt: Immer mehr junge Hersteller wollen nicht in den Abgesang der Kategorie einstimmen, sondern – im Gegenteil – beweisen, dass Korn mehr kann als Schützenfest und Herrengedeck. Noch lange, bevor in den 2010er-Jahren neue Start-ups sich anschickten, die Spirituose auf ein höheres Level zu heben, begannen alteingesessene Unternehmen, hochwertige Kornbrände zu entwickeln und zu vermarkten. Wie etwa die Feinbrennerei Sasse aus Schöppingen im Münsterland.

Das Unternehmen blickt bereits auf eine über 300-jährige Historie zurück, die allerdings von zahlreichen Brüchen gekennzeichnet ist. Zum Erliegen kam die Produktion zuletzt Ende der 1970er Jahre, als Korn immer mehr zum Massenprodukt wurde. „Da konnten wir nicht mitspielen“, erinnert sich Inhaber Rüdiger Sasse im Gespräch mit Getränke News.
In einer Liga mit Scotch & Co
Nach vielen Jahren, in denen er seine Aktivitäten in die reine Spirituosenvermarktung verlegt hatte, eröffnete er 2004 die Brennerei wieder – von vornherein mit sehr hochwertigen Produkten, obwohl von einem Premiumtrend damals noch keine Rede sein konnte. Es sei aber seine einzige Chance gewesen, sagt Sasse – und er ist überzeugt: „Korn kann mindestens so gut gemacht werden wie Scotch und in einer Liga zum Beispiel mit Grappa spielen“.
Um sich vom Wettbewerb abzuheben, hat er ein ganz eigenes Verfahren entwickelt: Seit 2014 lagert ein Teil seiner Kornbrände in einem sogenannten „Reifugium“, einer Halle mit Lüftungsöffnungen in Hauptwindrichtung. Anders als in Kellern sind so die Fässer ganzjährig der Witterung ausgesetzt, lagern im Sommer bei großer Hitze, im Winter bei klirrender Kälte. Geschmacklich ergebe das einen sehr großen Unterschied, weiß Sasse aus langer Erfahrung. Darüber hinaus experimentiert er mit alten Getreiden wie Emmer oder Schwarzhafer und setzt Fässer aus verschiedenen Hölzern und mit unterschiedlicher Vorbelegung ein, wie man es zum Beispiel aus der Whiskyherstellung kennt.
Kenner zahlen gerne einen hohen Preis
Seit etwa zehn Jahren spürt er, dass die Nachfrage nach derartig hochwertigen Produkten tatsächlich deutlich wächst. Und auch der Erfolg seiner jährlichen Sonderedition zeigt, dass Sasse auf dem richtigen Weg ist: Am 15. Oktober kam die Neuheit mit 1.500 Flaschen auf den Markt, am 17. war sie bereits ausverkauft. Und das zu einem Preis von 80 Euro pro Flasche. Dabei sind echte Kenner heute auch bereit, noch mehr für ein exklusives Destillat zu zahlen: Der teuerste Korn, den die Feinbrennerei derzeit anbietet, kostet 350 Euro pro 0,5-Liter-Flasche; er lagerte über acht Jahre lang in Fässern prominenter Bordeaux-Chateaus.
Wegbereiter für Premium-Korn sind sicherlich auch die zahllosen teuren Gins, die seit einigen Jahren den Markt geradezu überschwemmen. Davon ist jedenfalls Friedrich Hoffmann überzeugt, Destillateurmeister aus dem niedersächsischen Meine. Die Spirituosenwelt sei durch den Hype, der mit Marken wie „Monkey 47“ begann, offener geworden, für höherwertige Spirituosen auch mehr auszugeben. Dies eröffne eben bei der Auswahl der Rohstoffe und in der Verarbeitung ganz neue Möglichkeiten – weg von der Massenproduktion, hin zur Herstellung mit Leidenschaft. Mit seinem „Memory“-Korn, den er vor zwei Jahren aus der Taufe hob, will er daran erinnern, „wie Korn früher einmal geschmeckt hat“.
Wird Korn bald der nächste Gin?
Preislich ist er zunächst am unteren Ende des Premiumbereichs eingestiegen: bei rund 25 Euro pro Liter. Es folgte der „Memory Waldmeister“ bereits zum doppelten Preis; und zu Ostern will Hoffmann das Sortiment um einen sortenreinen, holzfassgelagerten Dinkelbrand für ca. 70 Euro ergänzen. „Nach oben gibt es sicher keine Grenzen“, glaubt Hoffmann. Besonderes Interesse sieht er in der Gastronomie. Dort werde „längst darauf gewartet, dass der Korn der nächste Gin wird“.
Beim Endverbraucher indessen sei noch viel Überzeugungsarbeit notwendig, räumt er ein. In vielen Regionen Deutschlands seien die Konsumenten noch weit davon entfernt, Korn als Premiumprodukt zu sehen. Korn könne sehr vielschichtig sein, doch „in den Köpfen ist oft noch das Image vom langweiligen und ausdruckslosen Korn“.
Eine Spirituose, die Respekt verdient
Bereits drei Jahre vor „Memory“ ist das Hamburger Start-up „Nork Korn“ gestartet – da sei das Angebot an jungen Kornmarken noch ebenso überschaubar gewesen wie die Nachfrage nach hochwertigem Korn, berichtet Johann Dallmeyer, einer der Gründer. Seitdem beobachte er „einen leichten Wandel in der Wahrnehmung dieser unterschätzten Spirituose“. Anders als Friedrich Hoffmann rechnet er aber nicht damit, dass Korn den Gin in der Premiumklasse ablösen könnte. Korn sei auch nie „cool“ gewesen, „aber Respekt hat er verdient“, unterstreicht Dallmeyer.
Unter diesen Vorzeichen entwickelte das Team zunächst mit „Nork Original“ einen „milden, aber nicht langweiligen“ Doppelkorn, der sich für den Pur-Konsum ebenso eignet wie als Partner in Cocktails. Das inzwischen wachsende Angebot an jungen Kornmarken forderte die Macher aber schon bald wieder heraus, denn dadurch verwischten sich auch die Alleinstellungmerkmale schnell – Grund genug, im September 2020 mit „Derbe“ eine „Aromakeule“ herauszubringen, die sich mit einer „für Korn ungekannten geschmacklichen Vielschichtigkeit“ aus dem Wettbewerb herausheben soll. Laut Dallmeyer findet man darin Noten, die eher an Whisky, Grappa oder gar Mezcal erinnern. Auch äußerlich soll sich „Nork“ von traditionellen Vertretern der Gattung unterscheiden. Ohne „Eichenkranz, Eber und Tradition seit 1872“ will man „dem verpönten Dorfschnaps ein urbanes Gewand verschaffen“.
Revival für ein deutsches Traditionsprodukt
Wenig gemeinsam mit Produkten des Massenmarkts hat auch der 2018 gegründete „Herr Häns Vintage Craft Korn“ aus Hamburg. Die „Spirituosenveteranen“ Matthias Knoll (ehemals u.a. Patrón) und Harald Mitterlehner (früher Bacardi) wollen sich damit nach eigener Aussage nebenberuflich ihren Traum verwirklichen, „den deutschen Korn wieder aufleben zu lassen“. Mit einem Preis um die 40 Euro für 0,5 Liter ist auch „Herr Häns“ meilenweit von dem immer noch sehr großen Standardsegment entfernt, das in weiten Teilen unter 10 Euro angesiedelt ist.
Auch geschmacklich bewegt sich der im Pinot-Noir-Eichenfass gelagerte Korn in anderen Sphären: Da ähnele er mehr einem guten Bourbon, mit Aromen von Kirschen, Schokolade und würzigen Holzkomponenten, erläutert Knoll. Und sei damit für „besondere Genussmomente“ gedacht, zum Beispiel als Digestif wie ein Cognac aus einem Schwenker. Mit „100 Prozent Handarbeit und einem tollen Design“ könne er ohne Probleme „in der Liga der hochpreisigen dunklen, gereiften Spirituosen mitspielen“.
Weniger trinken, aber wertvoller, heißt also auch hier die Devise. Angesichts des großen Marktangebots im preisgünstigeren Segment gebe es für Korn noch großes Potenzial für Premiumisierung, meint Matthias Knoll. Allerdings dürfte dafür noch einiges an Aufklärungsarbeit notwendig sein, auch das ist ihm – wie den anderen Newcomern auch – klar. Mit etwas Mühe könnte es gleichwohl möglich sein, die Traditionsspirituose für die Zukunft neu aufzustellen und sie, wie Johann Dallmeyer von Nork Korn es zusammenfasst, „wieder salonfähig zu machen“.