Die Brauereien Binding und Henninger gehörten Mitte der 1960er Jahre zu den größten Braustätten Süddeutschlands. Von Frankfurt am Main aus begannen Marken wie Karamalz (Henninger), Schöfferhofer und Clausthaler (beide Binding) ihren Siegeszug. Die beiden großen Braustätten sind jedoch inzwischen Geschichte: Henninger wurde zur Jahrtausendwende geschlossen, Binding Ende 2023.
Im Sonderteil der Getränke News-Serie „Bier-Marken-Analyse“ beleuchtet das Autorenteam Martin Böttcher, Rüdiger Ruoss, Dr. Christian Zürcher und Corinna Zürcher die Frankfurter Biergeschichte.
Der Sachsenhäuser Berg in Frankfurt, auf dem Henninger und Binding einst brauten, hat eine lange Bierhistorie: Bereits 1835 hat sich der Brauer Johann Gerhard Henrich den ersten Felsenkeller dort genehmigen lassen. Das Bier konnte hier, gut vor Hochwasser geschützt, lange gelagert werden. Der vorhandene Kalkstein bot die ideale Voraussetzung für die Lagerung von Eis – essenziell in Zeiten, in denen es noch keine Eismaschinen gab. Zehn Jahre später setzte ein regelrechter Felsenkeller-Boom ein und bis zum Jahr 1851 legten fast alle Frankfurter Brauereien Eis- und Lagerkeller auf dem Sachsenhäuser Berg an.
Gebraut wurde aber weiterhin in der engen Frankfurter Altstadt, da steuerliche Vorschriften (Accisegesetz) verlangten, dass das gesamte Braugut innerhalb der Altstadtgrenzen verarbeitet werden musste. Und so rumpelten Tag für Tag unzählige Pferdefuhrwerke mit Fässern von den Braustätten in der Altstadt über den Main hinüber zum Sachsenhäuser Berg, um das frisch gebraute Bier in die Lagerkeller zu bringen.
Industrialisierung im Braugewerbe begann
1864 schließlich wurde die Accisegrenze über die Altstadt hinaus erweitert, und Brauer Henrich war mit der Errichtung der ersten Braustätte einschließlich Dampfmaschine auf dem Sachsenhäuser Berg wieder einmal Vorreiter. Im selben Jahr wurde auch der Zunftzwang im Brauereigewerbe abgeschafft, der jeder Brauerei nur maximal vier Mitarbeiter zubilligte. Die neue Gewerbefreiheit erlaubte deutlich größere Produktionsmengen und den Ausbau der bisher handwerklich geführten Brauereien in industriellem Maßstab.
Conrad Binding begann sein Braugeschäft noch in der Innenstadt, wo er am 1. August 1870 die in Zahlungsschwierigkeiten geratene Brauerei Glock auf Kredit kaufen konnte. Mit dem Stammhaus „Stadt Schwalbach“ am Garküchenplatz 7 hinter dem Kaiserdom wurde Binding zum kleinsten Brauereibesitzer der Stadt. Seine Betriebsmittel waren so gering, dass er jede Woche bei allen Kunden sein Geld einkassieren musste, um montags den Gerstenlieferanten bezahlen zu können.
20 Tote beim Frankfurter Bierkrawall
Bier war damals Volksgetränk. Und als im Jahr 1873 der Preis für einen Schoppen (0,5 Liter) von 4 Kreuzer (= 1 Batzen) auf 4 ½ Kreuzer erhöht werden sollte, gingen die Frankfurter auf die Barrikaden und verwüsteten Gaststätten und Brauereien. Der als „Frankfurter Bierkrawall“ in die Geschichte eingegangene Aufstand, bei dem sich die aufgebrachte Menge mit dem Schlachtruf „Wir wolle Batzebier!“ gewaltsam Freibier verschaffte, wurde schließlich mit der traurigen Bilanz von zwanzig Toten und hundert Verletzten vom preußischen Militär blutig niedergeschlagen. Conrad Bindings Brauerei blieb von den Randalierern verschont. Die eingeschüchterten Brauer nahmen daraufhin die Preiserhöhung zurück.
Den Sprung über den Main wagte Conrad Binding 1874, als er, noch immer schlecht bei Kasse, mit einem Kredit seines Vaters auf der Darmstädter Landstraße 163 einen neuen Gär- und einen Schankbierkeller mit Speicher und Büro bauen konnte. Die Adresse blieb bis in die Gegenwart Stammsitz der Brauerei. Der geschäftstüchtige Conrad Binding warb der Konkurrenz gute Kunden wie z.B. Einbeck am Judenmarkt ab und steigerte den Absatz seiner Brauerei im ersten Jahr bereits um das Dreieinhalbfache.
Conrad Binding expandiert
Auch in den nächsten Jahren expandierte Binding, kaufte nach und nach Nachbarhäuser am Garküchenplatz auf, bis ihm die gesamte Zeile vom „Stadt Schwalbach“ bis zum Roseneck gehörte. Aufgrund der kontinuierlich steigenden Nachfrage waren die Braukapazitäten in der Altstadt bald erschöpft und Conrad Binding verlegte seinen Firmensitz an den Sachsenhäuser Berg. Dies hatten zuvor bereits andere Frankfurter Brauereien getan, unter ihnen 1875 auch die Henninger Brauerei (vormals Stein).
Für die Brauereien war der Sachsenhäuser Berg ideal, denn er bot ausreichend Fläche und in den dortigen Felsenkellern konnte das Bier gut gelagert werden. Außerdem war die Brandgefahr, die damals von den Brauereien ausging und die wohl zu einigen Feuersbrünsten in der Altstadt geführt hatten, eingedämmt. Hinzu kam, dass die Stadt Frankfurt 1842 auf dem Sachsenhäuser Berg das Gelände um die Seehofquelle erworben und 1859 ein Wasserwerk in Betrieb genommen hatte, das den Brauereien Wasser von besonders hochwertiger Qualität lieferte.
1865 gab es in Frankfurt 96 Brauereien – alle in der Altstadt. 20 Jahre später waren 80 Braustätten verschwunden, von den restlichen 16 verblieben sechs in der Altstadt, die anderen brauten auf dem Sachsenhäuser Berg.
Gespür für Marketing
Der Siegeszug des Binding Bieres über die Stadtgrenzen hinaus begann1880. Conrad Binding war mittlerweile eine angesehene Persönlichkeit und gerade in den Wirtschaftsausschuss der Stadt gewählt worden. Anlässlich des 5. Allgemeinen Deutschen Turnfestes wurde die Binding‘sche Bierhalle auf dem Festplatz zum Standquartier der Münchner Turner bestimmt. Noch Jahre später schwärmte der Münchner Wollfabrikant Deininger in München, „seit dem Turnfest kein besseres Bier getrunken zu haben“. Conrad Binding erkannte das Werbepotenzial und verpasste künftig keine Gelegenheit, mit seinem Bier bei öffentlichen Anlässen präsent zu sein. Er war somit der erste Brauereibesitzer, der den Endkunden ansprach.
Binding organisierte regelmäßig eigene Werbeveranstaltungen wie das elitäre „Kellerfest“, zu dem einflussreiche Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens und die Presse eingeladen wurden, die daraufhin diverse Artikel über das gelungene Fest veröffentlichte. Mit Erfolg: 1881, nur elf Jahre nach der Gründung seiner Brauerei, war Conrad Binding lokaler Marktführer in Frankfurt. Mit gerade einmal 35 Jahren hatte er seinen Traum umgesetzt, vom kleinsten zum größten Frankfurter Brauer zu werden.
Neue Braustätte auf den Sachsenhäuser Berg
Im selben Jahr bot sich Binding die Gelegenheit, die Brauerei Schneider zu übernehmen. Eine Übernahme, der noch viele folgen sollten. Mit der Brauerei Schneider kaufte er eine fast neue Braustätte samt Lagerkeller auf dem Sachsenhäuser Berg und verlagerte seine Produktion dorthin. Den ersten Sud, der im neuen Brauhaus gebraut wurde, verband der gewiefte Marketingstratege Conrad Binding wieder einmal mit einer Feier für seine Kunden, die bei Bier, Champagner und Häppchen die neue Ausstellungshalle feucht-fröhlich einweihen durften.
Binding wuchs in den Folgejahren unaufhörlich weiter. Das schnelle Wachstum hatte jedoch auch seine Schattenseiten: Aufgrund des hohen Wasserbedarfs gelangte über die Brunnenkammer Schmutzwasser mit in den Brauprozess, was zu Qualitätseinbußen beim Bier führte. Daraufhin zogen von der Konkurrenz aufgestachelte Banden durch die Binding-Kneipen, ließen ihr bestelltes Bier ungetrunken stehen und skandierten: „Binding Bier, stinkig Bier!“. Dem Renommee der Brauerei konnte dieses Intermezzo jedoch nicht nachhaltig schaden. Bis 1892 steigerte sich Bindings Marktanteil weiter auf 21,2 Prozent, gefolgt von Henninger (17,9 Prozent) und Stern (11,2 Prozent).
Konzentration der Braubranche
In den Folgejahren kam es durch die zunehmende Industrialisierung des früher handwerklich ausgeübten Brauereihandwerks zu größeren Braubetrieben und zu einer Konzentration der Branche. Gab es 1865 noch 96 Brauereien in Frankfurt, sank deren Zahl bis 1907 auf zehn Betriebe. Architektonisch folgten die neuen Brauereigebäude im Industriegebiet des Sachsenhäuser Berges eher funktionalen als ästhetischen Grundsätzen.
Dennoch entstanden auch damals schon Wahrzeichen, wie die 1886 fertiggestellte Großmälzerei der Binding Brauerei. Sie wurde entworfen von Johann Ludwig Langenroth, dessen Ingenieurbüro auf Brauerei- und Silobauten spezialisiert war. Das monumentale, auf 2.500 Quadratmetern Grundfläche erbaute Backsteingebäude war bis zu seinem Abbruch 1985 ein Wahrzeichen des Frankfurter Brauereien-Viertels.
Größte Brauerei in Mitteldeutschland
Conrad Bindings Ambitionen gingen nach der Jahrhundertwende weit über Frankfurts Grenzen hinaus. Nach dem Zukauf der Brauerei Reutlinger im Jahr 1904 erstreckte sich die Binding Brauerei über eine Fläche von knapp 57.000 Quadratmeter. 1912 schrieb die Presse, dass die Brauerei Binding zurzeit die größte und bedeutendste Brauerei in Mitteldeutschland sei mit einem Ausstoß von 300.000 Hektolitern. Die zweitgrößte Brauerei war die vormals Heinrich Henninger & Söhne, die nach der Umwandlung in eine Aktiengesellschaft 1881 und einem Großbrand im Jahr 1890 durch Neubauten und eine umfassende Modernisierung ihren Ausstoß auf 200.000 Hektoliter im Jahr 1901 steigern konnte.
Wer um die Jahrhundertwende einen Spaziergang auf den Sachsenhäuser Bierberg unternahm, die Darmstädter Landstraße bergauf und den parallel verlaufenden Hainerweg wieder hinab, konnte die Privatbrauerei J.G. Henrich sehen, die den Standort auf dem Sachsenhäuser Berg als erste Brauerei für sich entdeckt hatte, jedoch ihren anfänglichen Vorsprung nicht behaupten konnte. Dahinter lagen Henninger, die kleine Privatbrauerei Gellert und die Brauerei Kempf AG.
Nach dem Tod von Heinrich Henninger übernahm 1912 der aus Stuttgart stammende Bruno Schubert die Leitung der Brauerei. Zu dieser Zeit begann eine Diskussion über die Umwandlung des Mühlbergs und des Sachsenhäuser Bergs mit seiner schönen Aussicht und der Nähe zum Stadtwald in ein Wohnviertel. Bis 1928 wurde diese Idee in mehreren Schritten schließlich in die Tat umgesetzt.
Schöfferhof-Binding-Bürgerbräu AG gegründet
Die Kriegs- und Krisenjahre der 1910er und -20er Jahre führten 1921 zur Fusion der Binding‘schen Brauereigesellschaft mit der Hofbierbrauerei Schöfferhof und der Frankfurter Bürgerbräu AG, aus denen das Unternehmen Schöfferhof-Binding-Bürgerbräu AG hervorging. Der Zusammenschluss erfolgte zum Unmut von Conrad Binding, insbesondere weil in der Namensgebung die Binding-Brauerei nur an zweiter Stelle stand. Er sah in der Fusion das Ende seines Lebenswerkes.
Den Zweiten Weltkrieg überlebten nur drei Brauereien: Binding, Henninger und die Frankfurter Brauhaus AG. Die ungeheuren Schäden des Krieges konnten nur allmählich beseitigt werden. Danach begann ein Wettstreit unter den Brauereien auf dem Sachsenhäuser Berg mit ungeheurem Tempo. Die Henninger AG durfte nach dem Krieg als erste Brauerei in Frankfurt wieder Bier brauen, weil sie Lieferant der US-Armee war. Sie führte 1951, auch auf Nachfrage der in Frankfurt stationierten amerikanischen Soldaten, als erste Brauerei Deutschlands die Bierdose ein.
1955 wurde das Henninger Karamell-Kraftbier eingeführt, das 1958 zur Marke Karamalz wurde. Nur fünf Jahre später kam Karamalz bereits auf 250.000 Hektoliter Ausstoß und hatte einen Marktanteil von zehn Prozent am Malztrunkmarkt. Heute gehört die Marke zur Eichbaum-Brauerei.
Henninger deutlich vor Binding
Anfang der 1960er Jahre hatte Henninger einen gehörigen Vorsprung vor Binding und war bis Ende der 1970er Jahre mit zwei Millionen Hektolitern Bierausstoß die größte süddeutsche Braustätte. Binding braute „nur“ eine Million. Dafür errichtete 1957 die Binding Brauerei, an der die Dr. August Oetker KG 1952 die Aktienmehrheit erwarb, auf dem Sachsenhäuser Berg das größte und modernste Sudhaus Europas. Mit seiner ausladenden Glasfront, den glänzenden Kupferkesseln und den schlanken Buchstaben des Namenszuges am Dachrand war das Sudhaus von der viel befahrenen Darmstädter Landstraße ein markantes Aushängeschild. Das dahinter liegende kleinere Henninger Gelände war praktisch unsichtbar geworden.
Henninger begann ein Jahr später mit dem Bau eines Malzsilos, auf dem ein bierfassähnlicher Turmkorb ein sich um die Achse drehendes Restaurant beherbergte. Die Einweihung dieses „Henninger Turms“, des damals höchsten Gebäudes von Frankfurt, fand 1961 statt. Das Unerfreuliche für die Binding Brauerei AG war, dass man ihn nicht wie die eigene Brauerei nur in Dribbdebach, sondern bis über den Main auch in Hibbdebach sehen konnte und er damit zu einem Wahrzeichen für die ganze Stadt Frankfurt wurde.
Die Marketingabteilung der Binding Brauerei ließ alsbald auf dem Dach der Flaschenabfüllanlage einen riesigen Binding Adler malen, der nur vom Restaurant des Henninger Turms aus zu sehen war. Und so kam es, dass die Restaurantbesucher, die während des Essens ihre Blicke über die Stadt schweifen ließen, auf die größte Binding Werbung aller Zeiten blickten und nicht selten nach einem Bier des Konkurrenzunternehmens verlangten. Angestellte der Binding Brauerei erinnern sich noch heute daran, dass der Binding Adler auf dem Dach der Anlage immer wieder erneuert und stets sauber geschrubbt werden musste.
Marketingabteilung heizt Wettbewerb an
Während die Marketingabteilungen der Brauereien den Wettbewerb anheizten und sich gegenseitig zu übertrumpfen suchten, hatten die Techniker der beiden Unternehmen, die sich meist vom Studium her aus Weihenstephan oder Berlin kannten, keine derartigen Ambitionen. Sie tauschten von Labor zu Labor schon mal Biere zu Verkostungen aus und halfen einander auch bei fachlichen Problemen. Mehr als einmal wurden sie deshalb von der Marketingabteilung verwarnt.
Binding war zu dieser Zeit führend im Labor- und Analysenbereich. Es kamen sogar Brauer der Konkurrenzbetriebe Beck‘s und Licher auf den Sachsenhäuser Berg „gepilgert“, um sich über die neuesten technischen Entwicklungen zu informieren; wie z.B. den Gas-Chromatographen und das Atomabsorptions-Spektrometer. Diese technische Vormachtstellung ermöglichte es Binding im Laufe der Jahrzehnte, eine Reihe von unterschiedlichsten Spezialitäten und Spezialbieren zu entwickeln. Dies war schließlich ausschlaggebend dafür, dass Binding Henninger Ende der 1970er Jahre in Hektolitern überholte.
Clausthaler: echte Innovation aus Frankfurt
1973 wurde Dr. Christian Zürcher Leiter für Qualitätssicherung und Technologie bei Binding. Im selben Jahr führte man in Deutschland die 0,8-Promillegrenze für Autofahrer ein und stellte damit eine wichtige Weiche für einen neuen Markt. Bis zu diesem Zeitpunkt war alkoholfreies Bier ohne jede Marktbedeutung gewesen. Das sollte sich ändern.
Eine Marktanalyse der Binding Brauerei ergab, dass nur „Birell“, ein alkoholfreies Bier aus der Schweiz, von einiger Bedeutung war und das, obwohl es geschmacklich nicht überzeugte. Daraufhin gab der Binding Vorstand den Technikern unter der Führung von Dr. Zürcher den Auftrag, ein schmackhaftes alkoholfreies Bier zu entwickeln. Binding ließ eigens zu diesem Zwecke ein Technikum auf dem Sachsenhäuser Berg errichten.
Zürcher sah keinen Sinn darin, mit seiner Mannschaft Vollbier zu brauen, um es hinterher zu entalkoholisieren. Das war in seinen Augen betriebswirtschaftlicher Unsinn und eine Verschwendung von Rohstoffen. Er erinnerte sich aus seinem Studium in Berlin daran, dass der Malz-Rückstand von schon gebrautem Vollbiersud, der Treber, noch wertvolle Substanzen enthält, die mit Hilfe von Malz-Enzymen aufgeschlossen werden können, um einen unvergärbaren Extrakt herzustellen. Mit diesem Extrakt entwickelte sein Team das Brauverfahren für ein alkoholfreies Bier, das geschmacklich alles in den Schatten stellte, was es bis dahin auf dem alkoholfreien Biermarkt gab. Unter der Marke Clausthaler begann der Siegeszug bei den alkoholfreien Bieren.
Mit Werbedruck zur Nummer 1
Die neue Braumethode hatte und hat bis heute auch monetäre Vorteile: Durch das Verfahren kommt viel weniger Malz zum Einsatz und es werden enorme Kosten gespart. Da das alkoholfreie Bier preislich gleich positioniert ist wie Bier mit Alkohol und außerdem bei alkoholfreiem Bier keine Biersteuer anfällt, ist die Marge gegenüber alkoholhaltigen Bieren viel höher. Die Gewinne gab Binding damals direkt in Form von Reklame an den Markt weiter und baute damit einen ungeheuren Werbedruck auf.
In einem Drei-Stufen-Programm des Werbefeldzugs für Clausthaler wurde zuerst der Biertrinker in der Ausnahmesituation angesprochen – der LKW- und Taxifahrer, der sich keinen Alkoholpegel leisten konnte, aber auf den Biergeschmack nicht verzichten mochte. In der zweiten Stufe entfernte man sich davon und forderte die Neugier aller heraus: „Echter Geschmack! Probier mal!“ „Nicht immer – aber immer öfter!“ In der dritten Stufe versicherten kernige Männer allen Biertrinkern: „Clausthaler, ein verdammt gutes Bier! Alles, was ein Bier braucht!“
1987 wurden auf dem Sachsenhäuser Berg bereits 500.000 Hektoliter Clausthaler gebraut. Drei Jahre später eine Million, 1994 knapp 1,5 Millionen. Und das bei einem Preisvorteil gegenüber Vollbier von damals ca. 15 D-Mark pro Hektoliter. Dass die Produktionszahlen nicht noch mehr in die Höhe schnellten, lag daran, dass andere Brauereien auf den fahrenden Zug aufsprangen und ebenfalls schmackhafte alkoholfreie Biere entwickelten, allerdings zum größten Teil durch Entalkoholisierung.
Von Frankfurt aus die Welt erobert
Anfang der 90er Jahre war Clausthaler die bekannteste Biermarke Deutschlands. Sie wurde zum Premiumbier der Frankfurter Binding Brauerei. Im rückläufigen Bierausstoß in Deutschland ist das alkoholfreie Bier heute das einzige mit steigenden Verkaufszahlen. Bundesweit gibt es mehr als 700 verschiedene alkoholfreie Marken, und laut dem Deutschen Brauer-Bund wird schon bald jedes zehnte in Deutschland gebraute Bier alkoholfrei sein. Deshalb könnten die Frankfurter auf dieses gesunde und nachhaltig produzierte Bier, das von Sachsenhausen aus die Welt erobert hat, eigentlich mindestens so stolz sein wie auf das Frankfurter Stöffche, den Äbbelwoi.
1995 schrieb dann wieder Henninger Biergeschichte. Als erste Brauerei Deutschlands führte sie mit dem „Henninger Radler“ national ein Mischgetränk ein. Vorher hatte es riesige Proteste gegeben. Wenn Wirte solche Schandtaten begingen, müssten das nicht auch noch die Brauereien selbst tun, tönte es von den Verfechtern des deutschen Reinheitsgebots. Dagegen nahm die Marketingabteilung von Binding das Unterfangen gar nicht erst ernst. Sie glaubte, wer ein Mischgetränk wolle, würde sich das schon selbst mixen.
Binding sollte sich irren. Henninger Radler wurde ein Riesen-Erfolg und bald darauf brauten hierzulande fast alle Brauereien Biermischgetränke. Trotzdem endete später die Erfolgsgeschichte von Henninger: 2001 wurden die Marken- und Vertriebsrechte an den damals noch sehr erfolgreichen Lokalrivalen Binding bzw. die Binding Gruppe des Oetker-Konzerns verkauft. 2002 erfolgte dann die Umbenennung der Binding-Gruppe in „Radeberger Gruppe“.
Das Aus für Binding
Die Umbenennung am Main ließ erkennen, dass Oetkers Biersparte zentralistische Ziele verfolgen sollte. Schließlich wurde auch die Börsennotierung von Binding aufgegeben. In den Folgejahren hat es die Radeberger Gruppe nicht geschafft, vor der Haustür ihrer Bierspartenzentrale die Heimatmarken Binding und Henninger zu stärken und für die Zukunft zu rüsten. Von den noch zu Jahrtausendbeginn in Frankfurt rund 2,9 Millionen Hektolitern, die aus den Sudkesseln von Henninger und Binding kamen, sind heute wohl nicht mehr als 700.000 Hektoliter übriggeblieben.
2023 dann das endgültige Aus für Binding: Im Oktober schloss die Brauerei nach 150 Jahren ihre Türen; die Produktion und Abfüllung wurden eingestellt und die dort produzierten Marken (Binding, Henninger, Schöfferhofer, Clausthaler) schrittweise auf Schwesterstandorte der Radeberger Gruppe verlagert. So müssen sich die Frankfurter daran gewöhnen, dass die Lichter hinter der mächtigen Glasfassade an der Darmstädter Landstraße ausbleiben. Die fünf kupfernen Sudkessel, die warm und einladend in die abendliche Dunkelheit hinausstrahlten, sind ebenso Geschichte wie die schlanken Binding-Lettern der Leuchtschrift am Dachrand darüber. Lediglich die Zentrale der Radeberger Gruppe wird weiterhin ihren Sitz am Sachsenhäuser Berg haben.
Letzte Braustätte am Berg
Auch der ehemalige technische Vorstand der Binding Brauerei und Erfinder des Clausthaler, Dr. Christian Zürcher, wohnt weiterhin am Sachsenhäuser Berg. Von seinem Haus auf der Spitze des Berges blickt er auf die stillgelegte Binding Brauerei und den ehemaligen Henninger Turm dahinter; auf ein Gelände also, das früher einmal zehn Brauereien beheimatete.
Seit 1994 hat Zürcher in seinem Keller eine eigene Brauerei und braut sieben Hektoliter im Jahr für den Eigenbedarf. Seine Familie und Freunde sind sich einig: das mit Abstand beste Bier im Umkreis. Eine kleine Fahne mit dem Brauerwappen ziert den Dachfirst der winzigen und nun einzigen Braustätte des Sachsenhäuser Bergs. Zur Erinnerung: Auch Conrad Binding startete vor 154 Jahren mit der kleinsten Brauerei Frankfurts seine Erfolgsgeschichte zum Hektoliter-Millionär.