Die Getränkelogistik steht durch Pandemie und Krieg in der Ukraine vor den größten Herausforderungen der letzten Jahrzehnte. Getränke News sprach mit Markus Rütters, CEO der Deutschen Getränke Logistik (DGL), über eine Branche unter massivem Druck.
Getränke News: Mit der Corona-Pandemie erleben wir seit zwei Jahren eine historische Ausnahmesituation. Vor welchen Problemen steht die Getränkelogistik noch immer?
Rütters: Die gesamte Logistikkette unterliegt halsbrecherischen Ausschlägen – nach oben und nach unten. Während der Pandemie hat sich das Verbraucherverhalten signifikant auf das Online-Geschäft verlagert – zu Lasten des stationären Einzelhandels. Noch immer boomen Zustelldienste wie Hello Fresh, Picnic und auch das Versandhandelsgeschäft unverändert.
Dadurch ist die Nachfrage nach Logistikflächen und damit nach Personal, das auch wir in der Getränkelogistik suchen, explodiert. Die Folgen liegen auf der Hand: Regional unterschiedlich führte dieser zweijährige Prozess zu erheblichen Verwerfungen in der Rekrutierung wie auch der Lohnstruktur.
Getränke News: Wie sieht es gegenwärtig im Markt aus, wie steht es um die Entwicklung in Gastronomie und Handel?
Rütters: Die finanziellen Reserven der Gastronomie sind trotz staatlicher Stützungsmaßnahmen vielerorts knapp. Es geht jetzt darum, die Geschäfte schnell wieder zu beleben. Für die Getränkelogistik ist das Alltagsgeschäft, das ohnehin von Volatilität und saisonalen Zyklen geprägt ist, deutlich schwieriger geworden, denn die Umsatzausfälle durch den ersten Lockdown im März/April 2020 und dann zum Jahresstart 2021 haben die Branche schwer getroffen. Mut zur Hoffnung gibt, dass im Februar 2022 wieder ein leichter Anstieg in diesem Absatzmarkt auszumachen war.
Der Handel konnte während der harten Konsumeinschnitte die Absatzverluste der Gastronomie wiederum in Teilen auffangen – die Nachfrage im Mehrweggeschäft für die privaten Haushalte schnellte nach oben. Zusätzlich lockte der Handel mit Aktionspreisen oder Zugaben Verbraucher in die Märkte.
Getränke News: Diese zwei Pandemiejahre haben viele Getränkelogistiker hart getroffen. Wie ist die DGL damit umgegangen?
Rütters: Wir mussten seit Pandemiebeginn alle Kräfte bündeln, um unseren Geschäftsbetrieb aufrechtzuerhalten und gleichzeitig die Gesundheit unserer Mitarbeiter zu schützen. Es besteht kein Zweifel daran, dass die Corona-Restriktionen den gesamten geschäftlichen Betrieb erheblich beeinträchtigt haben. Man denke nur an die Testpflicht, aber auch die Hygiene- und Zutrittsregelungen oder die Homeoffice-Pflicht. Alles hat zu spürbarem finanziellen Zusatzaufwand geführt, den wir als Unternehmen zu tragen hatten.
Und noch etwas sorgte für erhebliche Probleme: Wegen hoher Krankenstände mussten in der Automobilindustrie zeitweise ganze Werke geschlossen werden. Das führte zu gestörten Liefer- und Versorgungsketten und es wurden viele Transportkapazitäten abgebaut. Es steht außer Frage, dass sich damit die Preisstruktur für logistische und Transport-Dienstleistungen erheblich veränderte. Notwendige Ersatzinvestitionen in den Fuhrpark, aber auch andere technische Upgrades werden nur nach und nach vollzogen – und das auf deutlich kostspieligerem Niveau. Täglich ereilen uns Force-majeure-Schreiben. Die Probleme tauchen in allen Bereichen der Logistikkette auf und sind auf absehbare Zeit kaum abzustellen.
Getränke News: In der gesamten Logistik wird Fahrermangel beklagt. Auch in der Getränkelogistik wird händeringend nach Personal gesucht. Was ist zu tun?
Rütters: Der osteuropäische Markt ist schwieriger geworden, auch weil Ukrainern aufgrund der Kriegssituation die Ausreise nicht gestattet ist. Es muss eine weitreichende politische Lösung her. Wir brauchen einfachere Zuwanderungsgesetze für Personen aus Drittstaaten. Staatliche Anreizsysteme könnten zusätzlich helfen, um das Berufsbild des Lkw-Fahrers attraktiver zu machen und so die Versorgungssicherheit für alle Warengruppen sicherzustellen.
Angesichts der gegenwärtigen Veränderungen im Markt und der schon jetzt sichtbaren Lieferkettenstörungen müssen umgehend zeitgemäße und handelbare Rahmenbedingungen für den Transport- und Logistikbereich geschaffen werden – das gilt im Besonderen für den GFGH-Bereich. Ansonsten drohen irgendwann leere Regale und gestörte Produktionsprozesse in vielen Wirtschaftsbereichen.
Ein verändertes Wochenendruhegesetz im Bereich der regionalen Distributionsverkehre könnte ein erster Gedanke sein, weil es schon einen Unterschied zwischen einem Fernfahrer gibt, der die ganze Woche unter schwierigen Arbeits- und Lebensbedingungen fährt und am Wochenende wirklich Ruhe und ein geregeltes Leben braucht, und einem regionalen Distributionsfahrer, der täglich in seinem sozialen Umfeld lebt, weil er daheim im eigenen Bett schläft und einen geregelten Tagesablauf hat. Hier könnte man neue Ideen gesetzlich umsetzen und ermöglichen, was zur Flexibilisierung der Ressourcenplanung beiträgt.
Getränke News: Wie sieht angesichts der gegenwärtigen Unwägbarkeiten die Zukunft aus?
Rütters: Um den Herausforderungen zu begegnen, müssen teilautomatisierte Geschäftsprozesse erarbeitet und eingeführt werden. Diese Maßnahmen müssen von Logistikdienstleitern und Handel gleichermaßen mit herausfordernden Investitionen begleitet und installiert werden. Nur so werden wir in den nächsten Jahren den Schlüssel zu einer dauerhaft stabilen Dienstleistungsqualität finden.
Es steht außer Zweifel, dass überdies die Schaffung von attraktiven Arbeitsplätzen ganz vorn auf der Prioritätenliste stehen muss, um ausreichend neue und jüngere Fahrer zu gewinnen. Last but not least stellt die Migration in alternative Antriebssysteme für die neue Generation von Lkw im Zuge des ökologischen Wandels eine Herausforderung für die Zukunft dar.
Alle diese notwendigen Maßnahmen werden ein anderes Preisbild und längerfristige Verträge mit nachvollziehbaren Indexierungsklauseln nach sich ziehen. Es ist illusorisch, diese Investitionen ohne Zusatzerlöse schultern zu können. Alle Partner müssen dauerhaft und zielorientiert an den Lösungen arbeiten.
Deutsche Getränke Logistik
Die Deutsche Getränke Logistik (DGL) ist ein Joint Venture der Radeberger Gruppe und der Brauerei Veltins. Mit der Fusion des Dortmunder Streckenlogistikprofi WGH/WGL (Veltins) und des Lingener Getränkelogistikers Getränke Essmann sowie dem Leergutspezialist H. Leiter (beide Radeberger Gruppe) wurde ein ganzheitliches Lösungskonzept rund um die Voll- und Leergutlogistik geschaffen.
Das Unternehmen ist seit Januar 2019 am Start und erwirtschaftet mit ca. 1850 Mitarbeitern einen Jahresumsatz von rund 1,4 Milliarden Euro. Die regionalen Schwerpunkte der DGL liegen in Berlin/Brandenburg, Bremen, Hamburg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt, Thüringen und Schleswig-Holstein.