Es ist eine vogtländische Markenperle geblieben – lange Jahre in Händen der Bitburger Braugruppe, ab Januar 2021 im Regional-Portfolio der dänischen Carlsberg-Gruppe (wir berichteten). Wernesgrüner Pilsener sollte die Hektoliter-Million nie vergönnt sein, zu wenig ambitioniert waren die Vertriebsaktivitäten der letzten drei Jahrzehnte. Dafür hat sich die Pilslegende ihren guten Ruf aus DDR-Zeiten bewahren können. Ob das neue Jahrzehnt ein vielversprechendes wird, dürfte allein von den neuen Eigentümern und ihrem Fingerspitzengefühl für den ostdeutschen Markt abhängig sein. Nur noch auf Platz sechs im sächsischen Handel ist für Wernesgrüner Pilsener jedenfalls noch genug Luft nach oben.
Gut gemeintes Alteigentümer-Engagement scheiterte
Nicht jede Brauereiprivatisierung verlief im Osten reibungslos. In den Wirren der Wendejahre nach 1989 tummelten sich viele westdeutsche Brauereien in den neuen Bundesländern, um sich einen veritablen Anteil an der Biermarkterweiterung zu sichern. Immer mit im Spiel die Treuhandanstalt, die im Spannungsfeld der Rückübereignung an Altbesitzer und der Neuausrichtung auch für die Wernesgrüner Brauerei AG die Karten neu mischen sollte. Deren in die Führung berufene Alteigentümer gingen blauäugig zu Werke, um das Biergeschäft in der neuen Marktwirtschaft zu erlernen. Keine leichte Aufgabe, wie sich schnell erweisen sollte. 1991 bilanzierte das Unternehmen einen Umsatz von 84 Millionen D-Mark und beschäftigte 380 Mitarbeiter – der Gewinn: 1 Million D-Mark!
Tatsächlich befand sich das Unternehmen in den Anfangsjahren der neu gewonnenen Freiheit zunächst mit knapp über 50 Prozent in privater Inhaberschaft, lange Zeit hielt die Treuhandanstalt den Rest. Die Planungen liefen 1992 darauf hinaus, die verwertbaren Anteile an Brau und Brunnen in Dortmund weiterzureichen – aber die Politik intervenierte. Immerhin lag die Kapazität bereits anfangs bei 600.000 Hektolitern, nach der Erneuerung des Sudhauses sprach man wortreich von mindestens einer Verdopplung des Ausstoßes. Die Ambitionen im strukturschwachen Vogtland waren groß, noch größer der Marktdruck durch die fortwährend erstarkenden Regionalmarken wie Radeberger, Freiberger, Sternquell oder Ur-Krostitzer.
Eines hatte man hinter der altehrwürdigen Backsteinfassade von Wernesgrüner aber auf dem Schirm: Während in den neuen Bundesländern Aldi- und Lidl-Flilialen wie Pilze aus dem Boden schossen, wollten die neuen Eigentümer ihr renommiertes Wernesgrüner Pilsener nicht beim Discounter sehen. Das waren zumindest gute Aussichten für eine Premium-Profilierung. Trotz der erfreulichen Wachstumschancen gingen die Turbulenzen um Macht und Anteile bei der Wernesgrüner Brauerei AG weiter. In der Brauwirtschaft wurde rasch klar, dass das Unternehmen gerade in der zweiten Hälfte der 1990er-Jahre kostbare Zeit verspielte, weil man sich mehr mit sich selbst und weniger mit dem Biermarkt beschäftigte. Denn gerade in den neuen Bundesländern – vor allem auch im Heimatmarkt Sachsen und dem angrenzenden Thüringen – erstarkten ehemalige Ost-Marken zu neuer Absatzkraft.
Die Radeberger Gruppe hatte unter Oetker-Führung die Gunst der Stunde genutzt, Inbev mit Hasseröder ebenfalls. Hinzu kam, so berichten Zeitgenossen, die mangelnde Sorgfalt um die Gastronomiepflege, so dass im Ergebnis kostbare Fassbierhektoliter verloren gingen. Auf rund 770.000 Hektoliter Ausstoß hatte es Wernesgrüner bis 1997 gebracht, ein Jahr später sollten es fast 850.000 Hektoliter sein.
Ostdeutsche Lösung ließ Westbrauerei außen vor
Erst 2000 sollte einigermaßen Klarheit auf dem Wernesgrüner Brauereihof herrschen – zumindest was die Besitzverhältnisse angeht. Die Erfurter Brauerei Riebeck GmbH & Co. KG hatte die zuvor von einer Erbengemeinschaft gehaltenen 51,03 Prozent der Anteile erworben, während der Rest zunächst von einer Beteiligungsgesellschaft der Bayerischen Landesbank gehalten werden sollte. Nicht mal Vorstand und Aufsichtsrat waren über den Deal und den Ausstieg der Alteigentümer informiert worden, nachdem es in den Jahren zuvor immer wieder öffentliche Verwerfungen gegeben hatte, an denen die sächsische Landespolitik nicht unbeteiligt war. Die Dresdener Landesfürsten hatten von Beginn an eine ostdeutsche Lösung für die Wernesgrüner Brauerei angestrebt.
Die seinerzeit expansive Dortmunder Brau und Brunnen Gruppe glaubte zwar lange Zeit an gute Chancen, auch im Vogtland zugreifen zu können, blieb aber letztlich außen vor. In der Getränkebranche war damals zeitweise gar von einem „sächsischen Bierkrieg“ die Rede, der die traditionsreiche Wernesgrüner Brauerei und ihre Mitarbeiter kraftraubend in Atem hielt. Mehrheitseigner und Branchenneuling Dr. Roland Müller, seines Zeichens ein „Wessi“ aus der Eifel, sprach vollmundig von einer „Markenikone“ und meinte damit den ohne Zweifel tadellosen Ruf von Wernesgrüner Pilsener, das bereits zu DDR-Zeiten in der Regierungsresidenz Wandlitz neben Radeberger zu den begehrten Biermarken von Erich Honecker & Co. zählte. Die schon Jahre später erfolglos vom Markt verschwundene Riebeck-Brauerei mit Standorten in Meiningen, Eisenach und Erfurt lechzte zuvor nach einer renommierten Marke, so dass die Wernesgrüner Akquisition gerade recht kam. Am Ende war es eine Nummer zu groß für die neu formierte thüringisch-sächsische Braugruppe – das Eigentümer Gastspiel der Riebeck-Brauerei in Wernesgrün endete 2002 abrupt.
Zukauf-Euphorie: Nach König und Köstritzer kam Wernesgrüner
Die Bitburger Braugruppe – damals nach der König-Akquisition auf ambitionierter Zukaufstour quer durch Deutschland – stockte 2002 ihre Beteiligung an der Wernesgrüner Brauerei AG auf 100 Prozent auf. Bereits 63 Prozent der Anteile an der vogtländischen Traditionsbrauerei waren zuvor erworben worden. Sie stammten aus dem Besitz der Bayerischen Kapitalbeteiligungsgesellschaft mbH und einer Kapitalerhöhung. Für den langjährigen Bitburger Vertriebschef Dr. Michael Dietzsch war es „ein wichtiger Schritt auf dem Weg zum führenden Anbieter deutscher Premium-Biere“.
Die Getränkebranche hatte zum damaligen Zeitpunkt durchaus Vertrauen in die Expansionsstrategie der Eifeler Traditionsbrauerei, so dass nach vielen Jahren der Unsicherheit spürbares Durchatmen bei Mitarbeitern, aber auch Getränkefachgroßhändlern und Gastronomen herrschte. Dr. Michael Dietzsch, der auch Vorsitzender der Geschäftsführung der Bitburger Verwaltungsgesellschaft war, sprach von zusätzlichen Wachstumsperspektiven und einer idealen Ergänzung des Markenportfolios. Zudem versprach man sich Synergien mit der bereits zu diesem Zeitpunkt zehn Jahre im Besitz befindlichen Schwarzbierbrauerei im thüringischen Bad Köstritz. Immerhin hatte es die Wernesgrüner Brauerei 13 Jahre nach der Wende auf ein Ausstoßvolumen von 800.000 Hektolitern geschafft – der Umsatz lag im Jahr 2002 bei 61,9 Millionen Euro.
Für die gastronomiestarke Braugruppe aus der Eifel schien ein erfolgreicher Weg vorgezeichnet. „Bei uns herrscht weder Euphorie noch haben wir Angst vor Bitburger“, sagte damals Helmut Posern, Vertriebsvorstand der Wernesgrüner Brauerei AG, der mit reichlich Premium-Erfahrung aus Warsteiner- und Jever-Zeiten die Geschicke in Wernesgrün lenkte. Bei Köstritzer hatte Bitburger schon kurz nach der Wende bewiesen, dass man investitionsstark und marktoffensiv arbeiten wollte. Der sächsische Heimatmarkt und die neuen Bundesländer sollten bei Wernesgrüner klar fokussiert werden. „Dieses Vertriebsgebiet hat oberste Priorität, erst dann kommen die alten Bundesländer und danach der Export ins Ausland“, so Posern damals. Der Absatz, so die damalige Maßgabe, sollte sogar noch leicht steigen, wobei jedoch Ertrag vor Umsatz stehe. Und wieder formulierte sich der Wunsch nach Größe: Wernesgrüner könne die Schallmauer von einer Million Hektoliter überwinden, aber eben nicht um jeden Preis, lautete das Credo von Helmut Posern. Mit 230 Mitarbeitern in Wernesgrün und weiteren 200 in Bad Köstritz startete die Bitburger Braugruppe an ihren beiden Ost-Standorten ins neue Jahrtausend.
Wernesgrüner verlor nach und nach Marktanteile
Doch für die Eifeler Brauerdynastie sollte der ostdeutsche Biermarkt deutlich schwerer beherrschbar sein als von Marktbegleitern erwartet. Obwohl Wernesgrüner und Radeberger zu den beiden Biermarken mit höchster Wertschätzung in den neuen Bundesländern gehörten, erwies sich die Oetker-Strategie schnell als dehnbarer. Mit den Marken Radeberger, Freiberger und Ur-Krostitzer wurde deutlich preisflexibler auf die Marktbefindlichkeiten der Verbraucher reagiert als es der Bitburger Vertriebspolitik recht sein konnte. Das Ergebnis: Wernesgrüner verlor nach und nach an Marktanteilen und damit an veritabler Ausstoßgröße.
Dabei hatte Bitburger die Investitionen in Standort und Kommunikation nie aus den Augen verloren. Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich war es, der 2012 die neue Flaschenabfüllung in Betrieb nahm. Immerhin 25 Millionen Euro investierte die Bitburger Braugruppe, um die KHS-Abfüllung mit einer Leistung von 50.000 Flaschen pro Stunde an den Start zu bringen. Die Wernesgrüner Brauerei bewies auch in schwierigen Situationen Haltung. So wurde das 2013 geplante Brauereifest kurzfristig abgesagt und stattdessen eine Sofortspende in Höhe von 25.000 Euro für die Betroffenen der Hochwasserkatastrophe zur Verfügung gestellt. Die letzte große Investition von zwei Millionen Euro erfolgte 2019. Damit hatte die neue Fassabfüllung der Wernesgrüner Brauerei offiziell ihren Betrieb aufnahm und ersetzte eine alte Anlage aus dem letzten Produktionsjahr des DDR-Maschinenbaus.
All die Maßnahmen konnten den Abwärtstrend nicht stoppen. Bis zum Ende des letzten Jahrzehnts musste Wernesgrüner nach und nach seinen Platz unter den Top 5-Marken in Sachsen räumen. Die geschmeidige Preispolitik von Ur-Krostitzer entlang der 10-Euro-Preisschwelle hatte dem Leipziger Pils im Vertrieb von Oetker schon längst einen Wettbewerbsvorsprung vor der Vogtländer Pilslegende verschafft. So gingen bis heute fast 400.000 Hektoliter der in Spitzenzeiten nahezu 900.000 Hektoliter starken Wernesgrüner Brauerei verloren. Anfang Juli 2020 gab die Bitburger Braugruppe, die infolge der Corona-Krise dauerhaft mit weniger Bierkonsum rechnet, einen Strategiewechsel bekannt: Das Unternehmen will durch die Umstellung der Organisation, der Kommunikation und des Marketings Kräfte bündeln. Konkret werde man sich auf drei überregionale Marken konzentrieren: Bitburger, Benediktiner und Köstritzer. König Pilsener, Licher und Wernesgrüner sollten sich künftig vor allem auf ihre Regionen konzentrieren. Im Oktober wurde dann die strategische Neuausrichtung der Bitburger Braugruppe noch konkreter: Der Verkauf von Wernesgrüner an Carlsberg Deutschland wurde bekanntgegeben. Die Dänen übernehmen den Standort im Vogtland einschließlich der Marke Wernesgrüner.
Markenaktivitäten mit solidem Ostverständnis fortgesetzt
Wernesgrüner Werbung sollte über all die Jahre merkfähig bleiben, allein die Präsenz verminderte sich spürbar. Als 2005 Andreas Reimer das Geschäftsführungs-Ressort Marketing/Vertrieb der Köstritz-Wernesgrüner Vertriebsgesellschaft sowie der Köstritzer Schwarzbierbrauerei und der Wernesgrüner Brauerei innerhalb der Bitburger Getränkegruppe übernahm, begann in der Eifel das ostdeutsche Herz lauter zu schlagen als je zuvor. Reimer, der selbst aus Ostdeutschland stammt, kümmerte sich angesichts seiner Herkunft und Identifikation intensiv um die Marken Wernesgrüner und Köstritzer und sorgte für kommunikative Aufschläge, die die emotionale Empfindlichkeit der Bierfreunde im Osten erreichte. Ein gesunder Mix aus Below-the-Line-Maßnahmen – vom Eventtruck bis zur Kronkorkenaktion – und klassischer Werbung sorgten für Markenaktualität.
2009 folgte eine jüngere und frischere Kampagne in TV, Print und auf Plakaten. Zwar wurde der Claim mehrfach angepasst und zwischendurch immer wieder an die „Pilslegende“ erinnert, doch die Bildsprache blieb einheitlich – die grüne Aura ist bis heute gesetzt. Mit dem Weggang von Andreas Reimer dürfte bei Bitburger ein wesentlicher Fürsprecher der Ost-Aktivitäten das Stammhaus verlassen haben.
Einstige Monomarke bekommt notwendige Beiboote
Als Monomarke ist Wernesgrüner Pils in die deutsche Einheit eingestiegen und konnte sich jahrelang ohne Beiboote bewegen. Damit ist längst Schluss – der Verbraucher verlangt nach mehr. Zwar ist das Pilsener der absolute Absatzfavorit, aber längst sind auch ein Radler und ein alkoholfreies Bier hinzugekommen. Auch das Naturradler gibt es zusätzlich auch als alkoholfreie Variante. Das Lemon hingegen blieb auf der Strecke. Mit dabei ist das Landbier 1436, das an die Gründungszeit anknüpft und ein Wernesgrüner Landbier meint, das mit einem natürlich-malzigen Geschmack überzeugen will. Der aromatische Elbe-Saale-Hopfen verleiht Wernesgrüner Landbier 1436 seine feine und besondere Note.
Carlsberg-Marktanteil in Sachsen unter 7 Prozent
Nach 30 Jahren deutscher Einheit fällt zu Beginn des neuen Jahrzehnts die Markenbedeutung von Wernesgrüner Pilsener im Heimatmarkt Sachsen eher verhalten aus – der Wettbewerb ist einfach stärker. Ur-Krostitzer ist mit einem Marktanteil von 14 Prozent neben Radeberger, ebenfalls unter dem Oetker-Dach zu Hause, einer der beiden Marktführer. Hasseröder, bekanntlich mit Preisabschlägen im Aktionsfeuerwerk unterwegs, liegt auf Platz drei und miteinem Marktanteil von 11,3 Prozent vor der dritten Oetker-Marke, die aus dem Freiberger Brauhaus kommt. Erst nach Sternquell folgt dann Wernesgrüner Pilsener, das mit einem Marktanteil von 4 Prozent auf Augenhöhe der allenfalls lokal bedeutsamen Dresdner Feldschlösschen-Brauerei rangiert.
Die Carlsberg-Aktivitäten mit der Marke Lübzer fallen in Sachsen mit einem Marktanteil von 2,9 Prozent ebenfalls bescheiden aus. Tatsächlich ist es der Bitburger Braugruppe in den 18 Jahren nicht gelungen, den guten Ruf von Wernesgrüner Pilsener in veritable Absätze umzumünzen. Tatsächlich darf Sachsen ebenso wie Berlin heute als Wohnzimmer der Oetker-Biersparte bewertet werden: Mit einem Marktanteil von 34 Prozent bespielt die Radeberger Gruppe das östliche Bundesland mit einer Preisspreizung, die dem preissensiblen sächsischen Biermarkt funktional entgegenkommt.
Für Carlsberg Deutschland bedeutet der Kauf von Wernesgrüner in Sachsen einen Neuanfang, allerdings auf geringerem Niveau, als man ibeim Verkauf der Feldschlösschen-Brauerei das Bundesland 2011 verlassen hat. Mit Lübzer und Wernesgrüner im Portfolio kommt Carlsberg in Sachsen gerade mal auf einen Marktanteil von bescheidenen 6,8 Prozent. Es dürfte harte Knochenarbeit werden, ehe Carlsberg dort wieder zu nennenswerter Größe erstarkt.
Zahlen & Fakten
Gegründet: 1436
Vertriebsschwerpunkt: Sachsen und neue Bundesländer
Ausstoß 2019: 500.000 Hektoliter*
Marktanteil im Handel: 3,9 Prozent**
*geschätzt
**AC Nielsen
In unserer Serie „Bier-Marken-Analyse 2020“ betrachten wir monatlich eine der Top-Biermarken in Deutschland. Teil 17 „Ur-Krostitzer“ erscheint im Dezember 2020.