Zwei Jahre Corona-Pandemie haben die Getränkebranche massiv belastet. Jetzt machen Störungen der Lieferketten und sprunghaft steigende Preise dem Fachhandel zusätzlich zu schaffen. Wie lässt sich in Zeiten mit historisch hohen Spritpreisen, zunehmendem Personalmangel und verunsicherten Konsumenten wirtschaften? Getränke News sprach mit Dirk Reinsberg, geschäftsführender Vorstand des Bundesverbands des Deutschen Getränkefachgroßhandels, über eine Branche im Krisenmodus.
Getränke News: Wir leben in schweren Zeiten. Was sind augenblicklich die drängendsten Sorgen des Getränkefachgroßhandels?
Reinsberg: In der Branche sind Unternehmen mit ganz unterschiedlichen Geschäftsfeldern unterwegs, deshalb muss man unterscheiden: GFGHs, die auf die Belieferung von Gastronomie und Veranstaltung spezialisiert sind, hätten die Corona-Jahre sicherlich nicht überstanden, wenn es keine Wirtschaftshilfen gegeben hätte. Händler mit eigenen Märkten oder einem Schwerpunkt im Streckengeschäft hingegen konnten sogar Umsatzzuwächse verzeichnen.
Jetzt kehrt sich das um: Wer vor allem Strecke fährt, ist durch die hohen Kraftstoffpreise extrem belastet. Die Situation ist auf lange Sicht für alle Betriebe definitiv nicht tragbar, das ist ein wirtschaftliches Fiasko.
Getränke News: Was fordern Sie von der Politik?
Reinsberg: Die derzeitige Preisexplosion ist nicht auf eine tatsächliche Verknappung von Rohöl zurückzuführen, sondern eine Folge der Kriegsangst. Die Branche braucht jetzt kurzfristig Unterstützung, um diese irrationalen Auswirkungen in den Griff zu bekommen. Wir hatten gehofft, dass Unternehmen, die Logistik in wichtigen Bereichen der Produktion und der Versorgung sicherstellen, durch eine Art „Gewerbediesel“ zusätzlich entlastet würden. Leider ist die Politik auf diese Forderung bislang nicht eingegangen. Es bleibt also bei der Anpassung der Energiesteuer, die eine Entlastung von 14 Cent pro Liter Diesel bringt. Egal, ob Endverbraucher oder Unternehmen.
Getränke News: Im Moment sind die Spritpreise allerdings wieder leicht rückläufig …
Reinsberg: Interessanterweise hat allein die Ankündigung von Wirtschaftsminister Habeck, Raffinerien und Kraftstoffhändler genauer durch das Kartellamt kontrollieren zu lassen, dafür gesorgt, dass die Preise wieder sinken. Das zeigt, dass Marktmechanismen am Werk sind, die mit der Preisentwicklung am Weltmarkt gar nichts zu tun haben.
Es ist zu hoffen, dass wir spätestens nach dem Krieg wieder zu einer Preissituation zurückkommen, die das Bestandsgeschäft sichert und langfristig auch den Umbau in Richtung einer grünen Logistik ermöglicht.
Getränke News: Stimmt, die grüne Logistik gerät in der Krise leicht in Vergessenheit …
Reinsberg: Die Bemühungen um mehr Klimaschutz – unter anderem durch höhere Energiesteuern und veränderte Antriebe – ist politisch nachvollziehbar. Das will ich nicht in Summe wegdiskutieren, und die Branche will sich dem auch nicht entziehen. Wirtschaft und Logistik müssen sich aber darauf einstellen, dass dadurch die Kosten langfristig so oder so steigen werden, auch ohne Krieg oder Pandemie.
Getränke News: Apropos Pandemie – Anfang April werden die Corona-Beschränkungen weitgehend aufgehoben. Wie groß ist Ihre Erleichterung?
Reinsberg: Ich erwarte und hoffe insbesondere in der Gastronomie und Hotellerie auf eine weiter steigende Nachfrage. Auch die ersten Feste und Veranstaltungen machen Mut für den Sommer. Andererseits erleben wir zurzeit immer noch sehr hohe Infektionszahlen, so dass den Betrieben in vielen Bereichen zunehmend das Personal fehlt. Immer mehr Mitarbeiter sind infiziert, erkranken aber mehrheitlich nicht schwer. Die nunmehr für Anfang Mai geplante Änderung der Quarantäneverordnung mag hier Entlastung bringen. (Anmerkung der Redaktion: Als wir das Interview geführt haben, war geplant, die Quarantänepflicht durch eine freiwillige Selbstisolierung zu ersetzen.)
Getränke News: Durch die aktuelle Krise steigen in vielen Bereichen die Preise. In welchem Maße können die Preiserhöhungen weitergegeben werden?
Reinsberg: Wir erleben bereits seit einigen Jahren Veränderungen bei Verträgen und Absprachen. Den starren Liefervertrag gibt es zwar auch heute noch, aber schon mit der Einführung der Maut und der Anhebung der Kraftstoffpreise haben viele begonnen, Preisgleitklauseln reinzunehmen, um Preissteigerungen leichter an die Kunden weitergeben zu können.
Wie dramatisch die Situation nicht nur in unserer Branche ist, zeigt das Beispiel des Brandbriefs von Tönnies an seine Kunden, in dem der Fleischverarbeiter ankündigte, seine Lieferverpflichtungen nicht einhalten zu können. Juristisch war die Argumentation zwar zweifelhaft, die Sache zeigte aber, unter welchem Druck Teile der Lieferkette stehen.
Inzwischen sehe ich aber immer öfter Verhandlungsbereitschaft bei Partnern, wo man sie bislang nicht erwartet hätte – im Lebensmittelhandel und der Systemgastronomie. Jetzt hat sogar Aldi für hunderte Artikel seine Preise erhöht. Wenn der Preisführer das machen kann, ist das ein eindeutiges Signal!
Getränke News: Wie sieht mittelfristig Ihre Prognose aus?
Reinsberg: Die Branche insgesamt muss lernen zu akzeptieren, dass die Preise für Dienstleistungen gewaltig schwanken können. Jahresgespräche, in denen für ein oder zwei Jahre verhandelt wird, wird es daher kaum noch geben. Ich gehe von viel kürzeren Abständen für Vereinbarungen aus – eher halb- oder sogar vierteljährlich. Darüber hinaus werden Preisgleitklauseln allerspätestens nach den jetzt gemachten Erfahrungen zum Standard werden, um unvorhersehbare Preissteigerungen weitergeben zu können.
Getränke News: Viele Verbraucher werden den Gürtel enger schnallen müssen – bei ihren Einkäufen und sicherlich auch, was Gastronomie-Besuche angeht. Worauf muss sich die Branche einstellen?
Reinsberg: Inflation wirkt sich längerfristig immer auf das Konsumverhalten aus. Als Erstes werden Freizeitaktivitäten – auch Gastronomiebesuche – eingeschränkt, man verzichtet auf Urlaube. Momentan haben wir aber eine andere Situation: Während der Pandemie haben die meisten Endverbraucher weiter Geld verdient, konnten aber wegen der Schließungen nicht wie sonst konsumieren. Kurz vor dem Krieg meldeten zum Beispiel die Reisebüros einen starken Anstieg der Buchungen. Das Geld ist also vorhanden und man will es auch ausgeben. Sollte der Krieg allerdings länger dauern, werden die Menschen doch anfangen zu sparen. Erste Umfrageergebnisse deuten daraufhin. Es hängt alles von der weiteren Entwicklung ab.