Die EU-Kommission hat Ende November ihren Entwurf für eine neue Verpackungsverordnung veröffentlicht, die in der Europäischen Union für eine Verringerung von Verpackungsmüll sorgen soll. Der Entwurf sieht auch eine Stärkung von Mehrweggebinden für Getränke vor. Getränke News sprach mit Günther Guder, geschäftsführender Vorstand des Verbands Pro Mehrweg, über die Chancen, aber auch Defizite der Vorlage.
Getränke News: Wie bewerten Sie den Entwurf ganz allgemein?
Guder: Der jetzt veröffentlichte Entwurf der PPWR (=Packaging and Packaging Waste Regulation, Anm. d. Red.) ist als Teil des sogenannten „Green Deal“ der EU-Kommission anzusehen, der das Ziel hat, die Europäische Union bis 2050 CO2-neutral zu machen. Er ist insofern ein wichtiger erster Schritt in Richtung Klimaschutz und Abfallvermeidung.
Der Entwurf in seiner aktuellen Form bleibt dennoch hinter meinen Erwartungen zurück. Ein vorausgegangener, geleakter Entwurf sah deutlich strengere Regeln vor. Er wurde jedoch insbesondere von großen Konzernen scharf kritisiert, die geradezu den „Untergang des Abendlands“ beschworen. Daraufhin wurden die ursprünglichen Ziele reduziert.
Positiv ist, dass erstmals auch Wein einbezogen werden soll: Bis 2030 sollen fünf Prozent, bis 2040 15 Prozent in Mehrwegverpackungen abgesetzt werden.
Andererseits bleiben bestimmte Definitionen unklar, die im Verlauf des Gesetzgebungsprozesses noch geklärt werden müssen: Ist zum Beispiel mit „final distributor“ wirklich der Handel einschließlich Discount gemeint, der dann eindeutig verpflichtet würde, sein Angebot zu den angegebenen Prozentsätzen in Mehrweg zu gestalten? An anderer Stelle lässt eine Formulierung vermuten, dass Wasser aus Sprudlergeräten dem Mehrweganteil beim Mineralwasser zugeschlagen werden könnte. Diese und weitere Details werden die Politik und auch betroffenen Branchen noch beschäftigen.
Getränke News: Die Verordnung enthält erstmals Vorgaben zur Abfallvermeidung und zum Einsatz von Mehrweg. Außer in Deutschland sind Mehrwegsysteme bislang weitgehend unbekannt. Ist das der Auftakt zu einem großen Durchbruch – oder eher ein zu optimistischer Plan?
Guder: Es ist letztlich der Einstieg in die konsequente Umsetzung der schon seit Jahren bestehenden Abfallhierarchie, die eindeutig „Vermeidung vor Verwertung“ setzt und somit Mehrweg hierarchisch höher ansiedelt als Recycling. Mehrwegsysteme sind in Europa durchaus bekannt. Sie sind nur in etlichen Staaten wegen des fehlenden politischen Schutzes ins Hintertreffen geraten. Die Kommission versucht hier, mit ihren Vorschlägen erstmals vor dem Hintergrund ihrer eigenen Zielsetzungen lenkend einzugreifen.
Zur Erinnerung: Österreich hat schon vor der PPWR-Veröffentlichung beschlossen, rechtsverbindliche Mehrwegquoten vorzuschreiben. Bis 2030 sind dort 30 Prozent anvisiert. Auch Spanien hatte schon eigene Ziele verlautbart: Im dortigen HoReCa-Sektor sollen bis 2025 80 Prozent des Bieres und 30 Prozent der Wässer in Mehrweg verkauft werden. Für 2030 sind 90 bzw. 50 Prozent gefordert.
Getränke News: Der Entwurf strebt auch die Einführung von Pfandsystemen für Einweg-Kunststoffflaschen und Getränkedosen an. Kann das zu einer deutlichen Reduzierung des Müllaufkommens in Europa führen?
Guder: Zusätzlich zu den veröffentlichten Ziel-Mehrwegquoten sind Pfandsysteme zur Verringerung des Litterings und für das Entstehen sortenreiner Stoffströme für das Recycling sehr sinnvoll. In Europa werden pro Kopf jährlich etwa 177 Kilogramm Verpackungsmüll produziert. In Deutschland liegt dieser Wert – nicht zuletzt wegen vieler Ausnahmen – sogar bei 226 Kilogramm. Das müssen wir schnellstens reduzieren.
Getränke News: Europaweit gilt das Ziel, bis 2040 bei der Herstellung von Kunststoffflaschen mindestens 65 Prozent Rezyklat einzusetzen. Laut der Gesellschaft für Verpackungsmarktforschung können nur knapp 38 Prozent des R-PETs für neue Getränkeflaschen genutzt werden, da der Handel das Leergut zum Teil an andere Branchen verkauft.
Wenn die Politik Rahmenbedingungen schaffen würde, damit diese Lücke geschlossen werden kann, wäre PET ja kein Abfall mehr, sondern reiner Rohstoff. Müsste man dann nicht noch einmal anders über Einweg diskutieren? Zumal es keine aktuelle Ökobilanz gibt, die die prinzipielle ökologische Überlegenheit von Mehrweg belegt.
Guder: Noch einmal: Vermeidung steht vor Verwertung. Dafür brauchen wir keine neue Ökobilanz! Insofern ist eine Mehrweg-PET-Flasche, die 15- bis 25- mal umläuft und dann vom Hersteller selbst einem Recycling zugeführt werden kann, allemal besser als PET-Einweg, das nach einmaliger Verwendung seitens des zurücknehmenden Handels nach dessen Zielen verwertet wird.
Hinzu kommt, dass bei jedem Recyclingvorgang Materialverluste entstehen, die letztlich durch Neu-PET ergänzt werden müssen. Die gern erzählte Mär der „unendlichen Recyclebarkeit“ bei R-PET ist also höchst fragwürdig. Zu guter Letzt: Alle mir bekannten zuletzt vorgelegten Industrie-Ökobilanzen sind wegen darin getroffener Annahmen erheblich kritisch diskutiert und kritisiert worden.
Getränke News: Wie realistisch ist es, dass der Entwurf in seiner jetzigen Form überhaupt realisiert wird – und wie lange wird das nach Ihrer Einschätzung dauern?
Guder: Das normale Gesetzgebungsverfahren auf EU-Ebene sieht jetzt vor, dass sowohl das EU-Parlament als auch die Mitgliedstaaten eingebunden werden. Man kann daher davon ausgehen, dass dieser Entwurf nicht unverändert bleibt. Wir werden uns zusammen mit den anderen Mitgliedern der Mehrwegallianz auf jeden Fall nachdrücklich für ambitioniertere Ziele einsetzen. Es ist vorgesehen, die endgültige Version der PPWR bis Mitte 2024 zu verabschieden. Dann endet ja auch die Amtszeit der aktuellen EU-Kommission.
Getränke News: Der EU-Entwurf sieht auch eine Reduzierung von Einweg-Verpackungen für den To-go-Bereich vor. In Deutschland muss dort bereits zum 1. Januar 2023 Mehrweg- als Alternative zum Einweggeschirr angeboten werden. Wie deutlich wird das die Umwelt entlasten?
Guder: Laut dem Entwurf der PPWR soll bei Getränken to go bis 2030 ein Mehrweganteil von 20 Prozent erreicht werden, der bis 2040 auf 80 Prozent steigen soll. Bei Food to go liegen die Werte bei 10 Prozent bis 2030 und 40 Prozent bis 2040. Wenn ab 1. Januar Restaurants und Imbisse To-go-Speisen und -Getränke erstmals auch in Mehrweggeschirr anbieten müssen, gilt vom ersten Tag an, dass eine Mehrweg- nicht teurer als eine Einwegverpackung angeboten werden darf.
Diese Regeln können meines Erachtens zu einer erheblichen Reduzierung des Verpackungsmülls führen. Es ist jedoch wichtig, die Rückgabe für den Endverbraucher möglichst einfach und bequem zu gestalten. Momentan sehen wir aber eine Vielzahl von Insellösungen aus dem Boden sprießen. Deshalb arbeitet Pro Mehrweg ja auch im Beirat von „Reusable to Go“ mit, um dieses Ziel analog zum DPG-System erreichen zu können.
Getränke News: In Deutschland bewegt sich in Sachen Mehrwegquote – wie seit Jahren – weiterhin wenig. Sie liegt deutlich unter dem Ziel von 70 Prozent. Getränkedosen und -kartons verzeichnen sogar starkes Wachstum. Auch der Marktanteil der Handelsmarken bei Mineralwasser (in PET EW) ist im Krisenjahr 2022 noch einmal um 18,5 Prozent (auf 27 %) gestiegen. Haben Sie noch Hoffnung, dass sich diese Entwicklungen noch jemals umkehren lassen?
Guder: Natürlich! Die Verbraucher präferieren ja Mehrweg, können es häufig nur nicht von Einweg unterscheiden. Nicht umsonst weisen die aktuellen Zahlen des Umweltbundesamtes für 2020 ja eine leichte Steigerung der Mehrwegquote auf 43,1 Prozent (+1,3 % gegenüber 2019) aus. Die Politik muss nur endlich handeln und dem Prinzip „Vermeidung vor Verwertung“ Priorität einräumen.
Genügend Vorschläge liegen auf dem Tisch. Sie reichen von einer von uns präferierten Lenkungsabgabe auf Einwegverpackungen bis zur Reduzierung der Mehrwertsteuer auf Mehrweg oder sonstigen steuerlichen Entlastungen. Insofern sollte die jetzt veröffentlichte PPWR Motivation genug sein, Deutschland zu einem echten Vorreiter bei Mehrweg zu machen und die selbst gesteckte Zielquote möglichst rasch zu erreichen.