Nach über zwei Jahren Corona-Pandemie und bald drei Monaten Ukraine-Krieg bewegt sich unser Land zwischen Resignation und Schockstarre. Das Kölner Rheingold-Institut hat sich in einer tiefenpsychologischen Untersuchung mit der aktuellen Gefühlslage der Deutschen beschäftigt. Über die Ergebnisse sprach Getränke News mit der Diplom-Psychologin Birgit Langebartels.
Getränke News: Mit Corona erlebten die meisten Deutschen erstmals eine wirklich schwere Krise, die Pandemie platzte in eine Idylle des sorglosen Lebens. Wie wirkt sich diese Erfahrung nach Ihren Erkenntnissen auf unsere Gesellschaft aus?
Langebartels: Wir können Corona besser verstehen, wenn wir zeitlich etwas zurückgehen. 2019 war vordergründig alles wunderbar, wir lebten wie in einem Auenland. Die Digitalisierung vermittelte uns das Gefühl, alles schaffen zu können. Das Handy in der Hand war wie ein Zepter der Macht.
Angela Merkel hat dieses Auenland geschützt, es veränderte sich nicht viel. Doch jenseits der Idylle machten bereits die Flüchtlingskrise, die allgemeine Terrorgefahr oder die Person Donald Trumps den Menschen Angst. Aus diesem „Grauenland“ konnte man sich aber noch wunderbar fernhalten.
Getränke News: Was hat sich mit der Pandemie geändert?
Langebartels: Die Vorstellung, wir könnten alles schaffen, war schlagartig vorbei. Der Alltag war auf den Kopf gestellt, die Menschen wurden zutiefst verunsichert und fühlten sich in ihrer Allmachtsfantasie gekränkt. Gefühlsmäßig haben wir uns aber anfangs, beim ersten Lockdown, ganz gut eingerichtet. Man zog sich ins private Schneckenhaus zurück, genoss die Ruhe und die Zeit mit dem Partner und der Familie.
Später ging diese Erholung aber in eine Lust- und Antriebslosigkeit über, viele Menschen wurden sehr bequem. Da so viele Aktivitäten ausfielen oder verschoben wurden, plante man lieber gar nichts mehr – keine Feiern, keine Urlaube im Ausland –, um nicht enttäuscht zu werden. So stellte sich uns die Situation im Februar dieses Jahres dar. Diese resignative Stimmung nennen wir „Melancovid“.
Getränke News: Inzwischen wünschen wir uns die Zeit zurück, als es „nur“ Corona gab. Nun erleben die meisten Deutschen erstmals einen Krieg auf europäischem Boden. Was macht das nach Ihren Studien mit den Menschen, welche Gefühle herrschen vor?
Langebartels: Der Krieg gegen die Ukraine hat die Menschen erst einmal in eine Schockstarre versetzt. Mit Corona kannten wir uns inzwischen aus, haben den Umgang damit gelernt. Die Impfung ist zu einer Beruhigungsspritze geworden. Doch die Gefahr eines Kriegs direkt vor unserer Haustür hatten wir verdrängt. Die Bedrohung ist jetzt ungleich größer. Es geht um unsere Werte, unsere Demokratie.
Getränke News: Wie geht man damit um?
Langebartels: Anfangs haben viele mit einem permanenten Updaten reagiert, rund um die Uhr Nachrichten verfolgt – in der Hoffnung auf eine erlösende Nachricht. Andere haben sich eher abgelenkt, ihren Alltag gelebt wie bisher. Das beobachten wir inzwischen vermehrt.
Getränke News: Was hilft gegen die eigene Angst und Ohnmacht?
Langebartels: Anfangs war die Hilfsbereitschaft sehr groß. Es wurde viel gespendet, man zeigte seine Solidarität, indem man Flaggen aus dem Fenster hängte oder an Demonstrationen teilnahm. Manche haben sogar Flüchtlinge aufgenommen. So hat man das Gefühl, etwas tun zu können, statt nur ohnmächtig abzuwarten. Wir Psychologen nennen das „Selbstwirksamkeit“. Gleichzeitig hoffen viele auf „höheren Beistand“ – seitens der Nato oder aus dem russischen Volk heraus.
Getränke News: Was glauben Menschen, selbst für ihre Sicherheit tun zu können?
Langebartels: Wir sehen viele Versuche, sich zu wappnen, sich auszurüsten. Das beginnt bei Hamsterkäufen und geht bis zum Packen eines Fluchtkoffers. Angesichts der Bedrohung können sich auch die persönlichen Wertvorstellungen verändern. Wir haben zum Beispiel einen Mann befragt, der aus Überzeugung nie ein Auto besitzen wollte – und sich jetzt eines gekauft hat, um damit im Notfall das Land verlassen zu können. Oder eine Frau, die zuvor auf vieles verzichtet hat – kein Fleisch aß und keine Flugreisen unternahm, die sich jetzt zugesteht, sich ab und zu etwas zu gönnen. Manche leben angesichts der Bedrohung sogar, als gäbe es kein Morgen.
Getränke News: Vieles, was jetzt passiert, steht in krassem Gegensatz zu Überzeugungen, die wir bisher hatten …
Langebartels: Es gibt eine starke Ambivalenz zwischen der Friedenssehnsucht und zugleich dem Wunsch, gegen die Aggression etwas ausrichten zu können. Bis vor kurzem waren höhere Rüstungsausgaben undenkbar, jetzt möchte man selbst, dass die Bundeswehr streitfähig ist.
Bei vielen Menschen führt das zu Schuldgefühlen, weil wir die Möglichkeit eines Krieges so lange ausgeblendet haben. Spätestens jetzt muss jedem klar werden: Ich müsste auf Komfort verzichten, endlich Energie sparen – um zur Senkung der Gasimporte beizutragen und auch einfach aus wirtschaftlichen Gründen. In den vergangenen Jahrzehnten haben die meisten Deutschen im Wohlstand, in einer Bereitstellungskultur gelebt. Jetzt müssen wir auf einmal lernen zu verzichten.
Getränke News: Schon die Corona-Pandemie hat den Zusammenhalt in der Gesellschaft auf die Probe gestellt, Stichwort „Querdenkerbewegung“. Ähnliches wiederholt sich beim Thema des Krieges. Wie groß ist die Gefahr einer gesellschaftlichen Spaltung?
Langebartels: Diese Tendenzen zeigen, dass bei den anstehenden Entscheidungen nichts eindeutig falsch oder richtig ist. Die Ambivalenz, die man selbst spürt, spiegelt sich auch im Ringen der politischen Führung wider. Wirtschaftsminister Robert Habeck ist ein gutes Beispiel: Er geht einen verantwortungsvollen Weg, zeigt sich aber zugleich zerknirscht. Oder nehmen Sie das Zaudern des Bundeskanzlers. In einer Kriegsdebatte kann nichts eindeutig sein. Unsere Werte werden durcheinandergerüttelt.
Getränke News: Das Ringen der Politiker kann auch verunsichern und Ängste verstärken. Bräuchte es einen „starken Führer“?
Langebartels: Natürlich sehnen wir uns nach jemandem, der uns aus der Krise führt. Ein starker Führer wäre aber nicht die Lösung, sondern eine Gefahr. Die Bundesregierung agiert in dieser Lage richtig: Es ist gut, ehrlich anzuerkennen, dass wir in einer sehr schwierigen Lage sind. Zugleich transportiert die Politik aber auf authentische Weise, dass man etwas tun kann und wichtige Entscheidungen getroffen werden.
Unsere Gesprächspartnerin
Birgit Langebartels ist Leiterin Kids & Family Research beim Kölner Markt- und Medienforschungsinstitut Rheingold. Die Forschungsschwerpunkte der Diplom-Psychologin und Autorin sind Frauen, Kinder und Familie, Kultur und Gesellschaft. Langebartels ist zudem Gründerin der psychologisch-medizinischen Beratungsfirma Mediccoach.