Regulierungen beim Alkoholkonsum, der drohende Brexit und wachsende Herausforderungen in Sachen Umwelt und Nachhaltigkeit halten den europäischen Spirituosenverband Spirits Europe in Atem. Die Zeiten werden nicht ruhiger in dem Brüsseler Büro. Getränke News sprach mit Verbandschef Ulrich Adam über seine Arbeit und die Themen, die ihm aktuell unter den Nägeln brennen.
Getränke News: EU-weit wächst der politische Druck auf Anbieter alkoholischer Getränke, was Werbebeschränkungen oder neue Verbote angeht. Welche Entwicklung erwarten Sie in näherer Zukunft?
Adam: So pauschal kann man das nicht sagen. Die Situation ist in den Staaten sehr unterschiedlich. In den skandinavischen Ländern werden zum Beispiel Spirituosen höher besteuert, in den südlicheren Ländern ist das nicht so. Dort gibt es auch weniger Regulierung. Tatsache ist, dass eine restriktivere Politik nicht unbedingt zur Begrenzung des Missbrauchs führt. Finnland etwa hat trotz seiner hohen Steuern und stärkerer Regulierung keine besseren Daten vorzuweisen als zum Beispiel Italien, wo Konsum und Missbrauch kontinuierlich zurückgegangen sind, obwohl es keine solchen staatlichen Maßnahmen gab.
Getränke News: Hätten Sie noch ein konkreteres Beispiel?
Adam: Estland hat gerade eine deutliche Steuererhöhung zurückgenommen, nachdem sie nur dazu geführt hatte, dass in den Nachbarländern eingekauft wurde. Konsum und Missbrauch sind dadurch aber überhaupt nicht zurückgegangen.
Oder nehmen wir Griechenland: Da hat während der Krise vor zehn Jahren die Troika darauf gedrungen, die Steuern massiv anzuheben. Das hat am Ende den Markt halbiert – zugunsten eines florierenden Schwarzmarkts. Solche Anteile kann man kaum wieder zurückholen.
Getränke News: Was ist denn die Alternative?
Adam: Wir setzen uns schon lange für die Vermittlung eines verantwortungsvollen Genusses ein. Es gibt eine große Zahl an Awareness-Kampagnen, die sich an Konsumenten richten – auch von den Mitgliedsunternehmen selbst. Hinzu kommen Schulungen für Händler oder Bartender. Das sind natürlich langfristige Ansätze, wir halten diese aber für sinnvoller als politische – oft ideologisch basierte – Schnellschüsse, wo große Versprechungen gemacht werden, die aber zu nichts führen.
In den meisten Ländern tragen Spirituosen ja ohnehin eine deutlich höhere Steuerlast als Bier oder Wein, was ja schon keine faktenbasierte Erklärung hat. Wenn dann unter Vorschiebung des Gesundheitsarguments die Preisdifferenz noch künstlich erhöht wird, ist das einfach nur diskriminierend.
Getränke News: Ist zu befürchten, dass durch Eingriffe der EU die Gesetzgebungen in den Mitgliedsstaaten sich stärker zu Gunsten strengerer Regeln vereinheitlichen werden?
Adam: Nein, eine Vereinheitlichung ist auch nicht wünschenswert. Die historisch gewachsene Trinkkultur ist in den Ländern bekanntlich sehr unterschiedlich. Und diese Vielfalt sollte man walten lassen. Vereinheitlichungen sind in den Produktionsstandards und im Lebensmittelrecht anzustreben, etwa, was die Gestaltung der Etiketten betrifft. Das ist erforderlich, damit am Binnenmarkt alles im Fluss bleibt. Rechtsgrundlage dafür ist die gerade überarbeitete EU-Spirituosenverordnung. Bei anderen Aspekten wie steuerlichen Fragen oder der Selbstregulierung der Werbewirtschaft sollten die Staaten hingegen eigene Wege gehen, die auch dem jeweiligen nationalen und kulturellen Kontext Rechnung tragen.
Getränke News: Erwarten Sie in diesen Themen in näherer Zukunft Veränderungen?
Adam: Die EU-Kommission hat vorgeschlagen, Mitgliedsstaaten die Möglichkeit zu geben, kleinere Hersteller etwa von Cider oder Craftbier steuerlich zu entlasten. Wir setzen uns aktuell dafür ein, dass das dann auch für kleine Destillerien gilt.
Getränke News: Ein großes Thema für Ihren Verband ist auch der Handel – innerhalb und außerhalb der EU. Wie groß ist Ihre Angst vor einem harten Brexit?
Adam: Ein No-Deal-Brexit wäre ein starker Bruch im Binnenmarkt. Das bereitet uns einige Sorgen. Wir wollen natürlich ein Szenario, in dem der Handel nach dem Brexit so reibungslos wie möglich abläuft.
Dennoch besteht kein Grund zur Panik: Für uns hat das Thema eine deutlich kleinere Dimension als zum Beispiel für die Automobilindustrie. Er verursacht Kosten und bringt Unsicherheit. Markt- und nachfragetechnisch erwarten wir aber keine größeren Veränderungen, und wir erwarten auch keine Engpässe. Zumal Großbritannien schon den Wunsch geäußert hat, auch im Falle eines No-Deal-Brexits ein enges Verhältnis mit der EU aufrechtzuerhalten. Man wird auch versuchen, neue Abkommen zu schließen.
Getränke News: Mit längerfristigen Perspektiven?
Adam: Wir fragen uns schon: Was passiert in den Jahren danach? Wird sich Großbritannien mit der Zeit weiter von den EU-Binnenmarktregeln entfernen? Zudem könnte es auch neue Herausforderungen – und Kosten – auf Feldern geben, die nur indirekt mit dem Spirituosenhandel zusammenhängen – wie zum Beispiel die Einfuhr von Investitionsgütern. Britische Destillerien müssen eine Vielzahl ihrer Maschinen in der Regel importieren.
Getränke News: Noch ist Großbritannien ja nicht draußen. Wie beurteilen Sie denn derzeit den Außenhandel der EU?
Adam: Export ist für die Branche ein ganz großes Thema. Mit einem Umsatz von 11,3 Milliarden Euro stehen Spirituosen – nach Wein – für die wertvollsten Ausfuhren des Lebensmittelsektors.
Getränke News: Ein starker Exportmarkt sind auch die USA. Da drohen doch ebenso weitere Handelsbeschränkungen…
Adam: Wir hoffen auf eine Verhandlungslösung. Letztes Jahr ist das ja zwischen Jean-Claude Juncker und Donald Trump auch gelungen. Tatsache ist: Wir brauchen einen regelbasierten internationalen Handel. Im Handelskrieg gewinnt niemand.
Getränke News: Spielt das neue Handelsabkommen mit Mercosur für die Spirituosenbranche eine Rolle?
Adam: Für eine Bewertung im Detail ist es noch zu früh. Aber grundsätzlich ist das natürlich positiv zu bewerten, da wir da große neue Absatzmärkte haben. Für uns stehen zwei Kernanliegen im Vordergrund: der Abbau von Zollschranken und der Schutz von geografischen Indikationen.
Getränke News: Immer mehr Unternehmen in der Spirituosenbranche bemühen sich um das Thema „Umwelt und Nachhaltigkeit“. Wie positioniert sich da Ihr Verband?
Adam: Die großen Firmen haben bekanntlich längst umfangreiche Nachhaltigkeitsaktivitäten und hoch gesteckte Reduktionsziele, was zum Beispiel Energie- und Wasserverbrauch angeht. Das ist für uns durchaus ein Chancenthema. Wir haben inzwischen eine Arbeitsgemeinschaft gegründet, um Aktivitäten zu koordinieren und den Ideenaustausch zu fördern.
Getränke News: Welche Aspekte haben Sie dabei konkret im Blick?
Adam: Wir haben drei Bereiche ausgemacht: Der erste ist der Anbau und Einkauf von Rohstoffen, da geht es beispielsweise um Nachhaltigkeit im Anbau von Wein für Cognac oder Gerste für Whisky. Ein großer Punkt ist natürlich auch die Produktion – also der Einsatz erneuerbarer Energien und eine Verringerung des Wasserverbrauchs. Den dritten Bereich nennen wir „Post-Produktion“, da sind Verpackungsmaterialien oder auch der Einsatz von alternativen Materialien für Strohhalme, Rührstäbchen & Co ein Thema. Darüber hinaus definieren wir auch den ganzen Komplex „verantwortungsvoller Genuss“ als Nachhaltigkeitsthema.
Getränke News: Womit wir wieder bei Ihren Awareness-Kampagnen wären…
Adam: Ja, da haben in den letzten Jahren sowohl Unternehmen als auch Verbände zahllose Initiativen an den Start gebracht. Aber es gibt noch ein anderes Thema, das mir sehr am Herzen liegt und das wir gerade forcieren…
Getränke News: Und das wäre?
Adam: der Spirituosen-Tourismus. Das ist ein dynamisch wachsendes Feld. Immer mehr Konsumenten wollen Brennereien besichtigen. Zum Beispiel haben im letzten Jahr über zwei Millionen Menschen schottische Destillerien besucht. Und es gehört heute schon zum guten Ton, da etwas anzubieten. Nicht zuletzt hat die aufstrebende Craft-Bewegung das Thema befeuert. Das Handwerk lebt einfach von Transparenz und persönlichen Erfahrungen.
Getränke News: Und wo kommt da der Verband ins Spiel?
Adam: Wir sammeln derzeit Informationen und europaweit positive Fallbeispiele und wollen damit ab September an die Öffentlichkeit gehen. Einfach, weil das Thema für viele ein immer wichtigeres Standbein wird. Gerade im Premiumbereich, der überall wächst. Da spielen Dinge wie die Historie von Unternehmen, die Herstellungsweise oder auch die Unternehmensphilosophie eine große, ja entscheidende Rolle. Kunden wollen mit diesen Aspekten umworben werden. Im hochkompetitiven Markt ist erfolgreich, wer Authentizität bietet statt Masse. Und da möchten wir gerne unterstützend tätig sein.
Unser Gesprächspartner
Ulrich Adam ist seit Januar 2018 Geschäftsführer von Spirits Europe. Bevor er bei dem europäischen Spirituosenverband einstieg, vertrat er seit 2013 als Generalsekretär der European Agricultural Machinery Industry Association (CEMA) europaweit die Interessen der Hersteller landwirtschaftlicher Maschinen.
In den neun Jahren davor arbeitete Adam im Brüsseler Büro der internationalen Agentur Hill+Knowlton Strategies und beriet Unternehmen und Verbände in Fragen der EU-Gesetzgebung. Ein besonderer Schwerpunkt lag schon damals auf den Bereichen Nahrungsmittel, Gesundheit und Landwirtschaft.
Der gebürtige Deutsche hat Studienabschlüsse in Geschichte sowie Sozial- und Politikwissenschaft der britischen Cambridge University.