Krombacher auf der Jagd nach Sorten-Hektolitern
An kein anderes Werbemotiv deutscher Premium-Biere erinnern sich die Deutschen so selbstverständlich wie den Krombacher See mit seiner grünen Insel. Die Marke hat es geschafft: Aus dem kaum wahrnehmbaren Underdog der frühen 1980er-Jahre wurde eine strahlende Markenpersönlichkeit, unter deren Namen 2018 erstmals über sechs Millionen Hektoliter gebraut wurden. Tatsächlich war der Weg schon lange bereitet, als 2002 das noch Jahre zuvor für unmöglich gehaltene Wirklichkeit wurde und die Marke Krombacher den jahrelangen Marktführer Warsteiner ablöste. Und wer sich die Ausstoßentwicklung beider Marken über die Jahrtausendwende hinaus anschaut, weiß, was geschehen ist: Die einstmals sechs Millionen Hektoliter von Warsteiner werden längst in Krombach gebraut. Die Siegerländer haben die Sauerländer Ortsrivalen inzwischen uneinholbar abgehängt.
Dabei ist das Erfolgsgeheimnis der Inhaberfamilie Schadeberg schnell beschrieben: Line-Extension heißt das Prinzip, das kein anderer Brauer so rigoros vorantrieb wie Krombacher. Während vielen verborgen blieb, dass Krombacher Pils in den letzten 15 Jahren immerhin 400.000 Hektoliter an Jahresvolumen verloren gingen, konnten Radler, Alkoholfrei, Weizen, aber auch Hell und weitere Spezialitäten die Pils-Verluste wettmachen. Das Krombacher Hektolitersammeln sollte am Jahresende 2018 so erfolgreich gewesen sein, dass unter der Ausstoßstatistik erstmals die historische Zahl von 6,02 Millionen Hektolitern strahlte. Wie lange die Strategie noch hält, bleibt einstweilen offen. Der Krombacher See ist in die Jahre gekommen, die Dehnungsfähigkeit des Sortenspektrums unter gleichem Namen nahezu ausgereizt.
Der Aufstieg der Marke Krombacher
Dabei wurden die Weichen schon vor Jahrzehnten richtig gestellt – gut Ding braucht eben Weile, sagen Brauer. Und dennoch hätte um 1980 noch niemand geahnt, dass sich in dem kleinen Siegerländer Dorf eine Familienbrauerei auf den Weg zum Marktführer aufmacht. Der 2018 verstorbene Dr. Friedrich Schadeberg und seine Schwester Barbara Lambrecht-Schadeberg hatten frühzeitig den richtigen Mann an Bord geholt. Günter Heyden hieß er und war vormals Marketingchef beim Kaffee- und Filterhersteller Melitta. Kein Mann mit Biergeruch, aber ein Stratege – analytisch, geschickt und marktorientiert. Er durchdrang den Biermarkt in einer Zeit, als die Eitelkeiten der privaten Brauer vielerorts das operative Geschehen prägten und dazu selbst kleine Brauereien auskömmliche Erträge erwirtschafteten.
Als Heyden nach Krombach kam, braute die Brauerei gerade einmal 1,1 Millionen Hektoliter – reichlich Luft nach oben. In jener Zeit bilanzierten die DAB in Dortmund, auch Beck’s und Binding, vor allem aber König und Wicküler einen jeweils doppelt so hohen Ausstoß. Während Hauptwettbewerber Warsteiner als die wohl größte Markenlichtgestalt der 1990er-Jahre vornehmlich mit vertrieblicher Kraft in die Gastronomie drängte, formierte Krombacher eine Außendienstorganisation, die die schwarzen Kastenwände in den Märkten zu stärken begann. Apropos schwarzer Kasten: Den stellte Krombacher erst 1990 vor und gab der Marke im prosperierenden Handelsgeschäft ein unverwechselbares Gesicht. Schwarz gegen Gelb hieß fortan das Ringen um die Verbrauchergunst, das bis 1995 Warsteiner mit einem Ausstoßsuperlativ von sechs Millionen Hektolitern für sich entscheiden konnte.
Das war die Wirklichkeit des neuen deutschen Biermarktes in den Jahren nach der Grenzöffnung, als die Marktanteile neu verteilt wurden. Krombacher erarbeitete sich unter Günter Heyden die Hektoliter mit aller Kraft der Strategie und setzte in der Werbung alles auf eine Karte – und auf ein Key-Visual. Und das hieß Krombacher See und wurde fortan von der Werbeagentur Wensauer & Partner gepflegt. Mit steigenden Budgets wurde das Sehnsuchtsmotiv mit der grünen Insel inmitten eines beschaulichen Sees penetriert und alsbald so bekannt, wie es damals allenfalls dem längst ausgemusterten Beck’s-Segelschiff gelungen war. Günter Heyden hatte es geschafft, die Marke für den Verdrängungswettbewerb auch nach seinem Ausscheiden 2001 zu stählen.
Nach der Jahrtausendwende
Mit beachtlichen 4,79 Millionen Hektolitern Gesamtausstoß stieg die Krombacher Brauerei ins neue Jahrtausend ein und Familien-Junior Bernhard Schadeberg löste 2001 Günter Heyden (gestorben 2018) ab. Der junge Inhaber, der alsbald von seiner finanzbeflissenen Schwester Petra Schadeberg Unterstützung erfährt, philosophiert im Gespräch mit der Tageszeitung „Die Welt“ schon früh über Entwicklungschancen. Dabei bestätigt er Kaufgespräche mit regionalen Brauern, kann sich gar einen internationalen Vertriebspartner vorstellen, der Krombacher weltweit nach vorne bringt. Alles ambitionierte und ehrgeizige Ziele! Angesichts des rasanten Wachstums und der einschätzbar hohen Renditekraft der Familienbrauerei gibt die neue Generation mit dem Segen von Vater und Tante Gas und kann schon 2002 die Marktführerschaft verkünden – mit einem Umsatz von 425,9 Millionen Euro.
Die Sortenschmiede sollte zu diesem Zeitpunkt ihren Turbo erst noch starten, denn bis dahin waren allenfalls bedeutungsgeringe Produkte wie das Leichtbier „Fairlight“ im Sortiment. Erstmals wird die werbliche Rakete der Regenwaldkampagne gezündet, freilich mit einer simplen Mechanik, die wirklich jeder versteht und kaum jemand auf Plausibilität nachrechnet. So wird das von Günther Jauch mit großen TV-Spendings in Szene gesetzte Spenden für den Regenwald per Kastenkauf zu einem prägenden Kampagneninhalt. Juristische Auseinandersetzungen um einen moralischen Kaufzwang verlaufen zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung im Sande. Bernhard Schadeberg findet, dass die Branche lernen müsse, offener miteinander umzugehen. Er plädiert 2002 in der FAZ für Kooperationen auf distributiver Ebene, aber auch im Hinblick auf den Produktvertrieb, wo Schadeberg damals eine Zusammenarbeit mit Erdinger als Ersatzmaßnahme für ein fehlendes Weißbier ins Feld führt.
Während andere Wettbewerber längst gegen das drohende Dosenpfand von Bundesumweltminister Jürgen Trittin ankämpfen, hat sich Krombacher damals der Sammelklage entzogen, stattdessen die Weichen für eine Zusammenarbeit mit dem lautstarken Dosengegner, der Deutschen Umwelthilfe (DUH), gestellt. Mehrweg war Trumpf, die Dose sollte, so die Brauerei, lediglich für die „jungen Produkte“ kommen. Denn mit der Marke Cab startete die Krombacher Brauerei einen ersten Versuch, selbst eine Marke aufzubauen. Das Geschäft mit den Biermischgetränken, die bei Veltins bereits unter V+ zu haben waren, wollte man sich nicht entgehen lassen. In der Folge wird das Cab-Produktportfolio um Lemon, Energy und sogar mit Wodka-Flavour ergänzt.
Selbstbewusster Anspruch auf Platz 1 und 2
2003 ließ Bernhard Schadeberg eine klare Kampfansage an den Wettbewerb folgen. Man strebe in allen Segmenten Platz 1 oder Platz 2 an – deutlicher kann man die Anwartschaft auf die nachhaltige Marktführerposition bei allen Produkten nicht bekunden. Der Erfolg beim Radler gab ihm recht. Wenig später überholt er das bis dahin segmentführende Henninger Radler. Aber auch Markenscharmützel scheut Krombacher keineswegs. So scheiterte man mit dem Versuch, die Biermarke „SAB“ zu revitalisieren, die damit die Siegener Aktienbrauerei wiederauferstehen lassen und der South African Breweries, ebenfalls als „SAB“ gekürzelt, zumindest einen Nadelstich verpassen sollte. Das OLG Hamm verbot Krombacher diese Art der Expansion. 2005 erneuerte Krombacher seinen Produktauftritt, als der neue, selbstverständlich schwarze, aber optisch noch veredelte Markenkasten vorgestellt wurde.
Während das Einwegpfand das Dosengeschäft zwischenzeitlich beinahe zum Erliegen brachte, wurden die Weichen allerorts auf Mehrweg gestellt. Dass der deutsche Biermarkt gleich nach der Jahrtausendwende in einen spürbaren Kapitalwettbewerb der großen Anbieter gemündet war, zeigten Investitionen in immer neue Produkte. Bei Krombacher nicht immer erfolgsgekrönt. Während Beck’s Gold als neue Sorte rasant aufstieg, wollten die Siegerländer den wachsenden Mildbier-Trend nicht vorüberziehen lassen, ohne selbst dabei zu sein. Der Versuch, 2005 mit Krombacher Extramild zu punkten, scheiterte trotz intensiver Bemühungen, weil der Verbraucher weder der Marke noch der Sorte etwas abgewinnen konnte.
Mit Launch von Krombacher Weizen Tabu gebrochen
Die weitere Expansion in neue Sorten machte für Krombacher nicht nur Sinn, sondern war auch unabdingbar. Bereits seit 2003 zeigte Krombacher Pils nahezu Jahr für Jahr Marktverluste im wichtigsten Sortensegment. 2006 trug das erweiterte Produktportfolio immerhin 800.000 Hektoliter zum Gesamtausstoß bei. Dass die heile Welt zwischen den norddeutschen und süddeutschen Brauereien endgültig vorbei sein sollte, dafür sorgte die Krombacher Brauerei dann 2007: Mit Krombacher Weizen wurde dem damals wachsenden, urbayrischen Sortensegment eine klare Ansage gemacht. Vor allem die Preisgleichheit mit Krombacher Pils ärgerte die bayrischen Brauer mächtig, weil sie es geschafft hatten, das Weißbier preislich über dem Pilssegment anzusiedeln.
Der große Durchbruch sollte Krombacher zwar nicht gelingen, doch beim einträglichen Hektolitersammeln für den wachsenden Gesamtausstoß half auch Weizenbier mit Siegerländer Absenderschaft. Dass der Gesamtausstoß 2007 vorübergehend ins Stocken geriet, heizte die Gerüchteküche an. Die Financial Times Deutschland berichtete gar von einem Verkauf an Heineken. Das Dementi folgte umgehend.
Das letzte Jahrzehnt
Auf leisen Sohlen, aber wenig später trendgebend erweist sich die Produkteinführung von Krombacher Radler Alkoholfrei. Das Wachstum der Folgejahre ist rasant – die Demografie hatte die alkoholfreien Produkte beschleunigt. Auch beim Bier. Und da besitzt ein alkoholfreies Radler seither den Vorteil eines Mehr an Geschmack. Im Frühjahr 2011 kündigte Technik-Geschäftsführer Helmut Schaller an, dass der Biermix Cab nicht mehr unterstützt werde; die Produktrange wurde damit aufs Abstellgleis geschoben. Die Begründung im Handelsblatt fiel eindeutig aus: „Wir werden das Spiel nicht mehr mitmachen: jedes Jahr ein neues Produkt für die Jugend, das viel Geld kostet.“
Und dennoch: Krombacher bleibt innovationsfreudig. 2014 setzt die Premium-Marke auch auf die Sorte Hell – Schauspieler Matthias Schweighöfer sorgt als Testimonial für den ersten Aufschlag, verschwindet aber alsbald in der Versenkung. Dennoch: Sage und schreibe zwölf alkoholfreie Produkte – darunter ein Fassbrause- und ein 0,0%-Quartett – sorgen im Handel für prallvolle Six-Pack-Regale. In der Gastronomie bleibt Krombacher begehrt, wenngleich der Fassbierausstoß seit der Jahrtausendwende immerhin 170.000 Hektoliter verloren und sich inzwischen bei rund 700.000 Hektolitern eingependelt hat. Der Fassbieranteil dürfte damit bei rund 12 Prozent liegen und damit deutlich hinter Bitburger, Veltins und Warsteiner. Anders im Dosengeschäft. Dort hat es Krombacher geschafft, mit der ersten nationalen Markenlistung einer Biermarke im Aldi das schrumpfende Pilsgeschäft in den letzten Jahren erneut zu befeuern. In der Branche geht man davon aus, dass es durchaus rund 300.000 Hektoliter sein könnten, die der Discountkanal Jahr für Jahr zum Ausstoß beiträgt. Kein Wunder, dass die Krombacher Brauerei damit auch größter Bierdosenlieferant unter den deutschen Premium-Brauern ist.
Beteiligungen
2002 kaufte die Krombacher Brauerei mit der benachbarten Eichener Brauerei den lokalen Kleinst-Rivalen, dessen 60.000 Hektoliter zwar kaum eine Wettbewerbshürde bedeuteten, aber das lokale Brauerleben einfacher machten. Schon zuvor hatte Krombacher die Vertriebsrechte der Krefelder Rhenania-Brauerei übernommen, deren Sorte Alt dann in Kreuztal-Eichen gebraut werden konnte. Dass man unter dem Eichener Label schon 2003 ein Landbier launchte, fand im Markt kaum Beachtung. Außerdem wurde eine Vetriebskooperation mit Sinalco vereinbart, um ein Softdrink-Portfolio im eigenen Vertrieb zu haben. Die Schlagzahl der Beteiligungsengagements hält an. 2003 folgt dann die Beteiligung (49,8 Prozent) an Miller Brands Germany (MBG), nachdem man sich dort vom Partner Warsteiner getrennt hatte. Krombacher wollte damit näher an die Szene heranrücken, sollte aber alsbald spüren, dass das Engagement bei MBG keine Früchte tragen konnte und 2010 endgültig auslaufen sollte.
2006 konnte Krombacher sich bei den britischen Private-Equity Unternehmen Blackstone und Lion Capital die langfristigen Lizenzrechte für die Marke Schweppes sichern und besitzt damit ein eigenes, vor allem gastronomieaffines AfG-Sortiment. Gleich zu Jahresbeginn 2007 schluckte Krombacher dann auch die bis dahin familiengeführte Rolinck-Brauerei mit einer Ausstoßgröße von rund 250.000 Hektolitern. Zwar wurde investiert, aber wie bereits bei der Eichener Brauerei fielen auch im münsterländischen Steinfurt Arbeitsplätze. 2011 erfolgte die Übernahme des Fassbiergeschäftes der Iserlohner Brauerei, die in der Folge ihren Braubetrieb einstellte. Überdies hält die Krombacher Brauerei Anteile am nationalen Getränkelogistiker Trinks. Zwischenzeitliche übernahm die Brauerei die Lizenzrechte für die Marke Nestea. Jüngste Beteiligung ist der Premium-Getränkevermarkter Drinks & More. Mit der 100-Prozent-Beteiligung der Krombacher Brauerei und dem Wechsel nach Berlin im Jahr 2017 kümmert sich die Szenetochter künftig um neue Vertriebskanäle. Gleichzeitig hat sich die Inhaberfamilie mit einem Aktienpaket am Anlagenhersteller Krones AG beteiligt – Petra Schadeberg vertritt seither die Interessen im Aufsichtsrat.
Prognose
Es bleibt dabei: Krombacher hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten zu einem Markenartikel nach vorn gearbeitet, der für maximale Sortenpräsenz sorgt – das Wohl und Wehe der Marke liegt im Handel. 21 verschiedene Sorten unter einem Markendach kommen für viele Handelspartner dem Vernehmen nach schon an die Grenze des Machbaren. Mit den wohl größten Werbespendings verschärft die Marke Krombacher überdies den ohnehin angespannten Kapitalwettbewerb im nationalen Biermarkt. Die Sechs-Millionen-Hektoliter, die das familiengeführte Unternehmen 2018 hinter sich gelassen hat, dürften allerdings auf Dauer schwer zu toppen sein. Angesichts der bereits erfolgten Sortendiversifizierung und der kaum nennenswert ausbaubaren Distribution im deutschlandweiten Handel bleibt für die Krombacher Brauerei die erfreuliche Aussicht, mit der Marke Schweppes eine veritable, ausbaubare Premium-Marke im Vertrieb zu haben, die durchaus noch Wachstumspotenzial besitzt und einen erheblichen Beitrag zur Renditekraft der gesamten Gruppe beisteuern kann.
Aber die Risiken lauern angesichts der Marktgröße gleich mehrfach: Das Nestea-Engagement brachte der Brauerei einen Shitstorm. Die Kooperation wurde zwischenzeitlich beendet. Auch der unabdingbare Rückzug aus dem Förderkreis der Deutschen Umwelthilfe machte deutlich, dass das Verbraucherauge wachsam auf den Marktführer schaut. Kaum, dass die Probleme aus der Welt geschafft sind, droht vor dem Brauereitor in Krombach Ungemach. In den Nachbardörfern muss man sich der rebellierenden Grundwasserschützer erwehren, die die Erschließung neuer größenbedingt notwendiger Quellen verhindern wollen. Der Wachstumskurs hat in jeder Hinsicht sichtbare Spuren hinterlassen.
Zahlen & Fakten
Ausstoß 2018: 6,02 Millionen Hektoliter *
Marke Krombacher Pils: 4,52 Millionen Hektoliter*
Übrige Sorten: 1,5 Millionen Hektoliter*
Fassbieranteil: rd. 705.000 Hektoliter (12 Prozent am Ausstoß)*
Marktanteil im Handel: 11 Prozent**
*geschätzt
**AC Nielsen
Über die Serie
In unserer Serie „Bier-Marken-Analyse 2020“ betrachten wir monatlich eine der Top-Biermarken in Deutschland. Teil 5 „Becks“ erscheint Ende Oktober.