Die Brauerei Diebels schwankt. Nach der Ankündigung der Streichung von Abfüllkapazitäten und Arbeitsplätzen (wir berichteten) bangt das niederrheinische Issum um das große Wahrzeichen des Ortes. Unter der Regie von Biergigant AB Inbev wurde der Standort regelrecht heruntergewirtschaftet. Von einstmals 1,6 Millionen Hektolitern blieben gerade mal 200.000 Hektoliter übrig. Und mit dem Verzicht auf eine von zwei Abfüllanlagen wird die Brauerei nochmals an Menge und Konzernbedeutung einbüßen. Ein schmerzlicher Niedergang einer einst ruhmvollen Altbier-Hochburg.
Mitarbeiter müssen Niedergang seit 22 Jahren mitansehen
Die Mitarbeiter der so traditionsreichen Brauerei Diebels sind seit Bekanntwerden der Stellenstreichung wütend. Zu Recht. Sie müssen seit 22 Jahren mitansehen, wie AB Inbev den Standort systematisch ausbluten ließ. Und jetzt das: Arbeitsplatzabbau im Schnelldurchgang – abgeschlossen schon bis Jahresende! Einst wurde die Marke mit hohen Werbebudgets und der eingängigen Melodie „Ein schöner Tag“ zum Hektoliter-Millionär, später gingen die Budgets für Kommunikation unter internationaler Regie in den Keller. Offenbar hatte man in der Bremer Zentrale das Altbiersegment schon vor Jahren abgeschrieben – der Standort Issum verkam zum Abfüllstation für hauseigene Marken wie Beck’s.
Hinter der roten Brauereifassade herrscht seit Bekanntwerden des Arbeitsplatzabbaus innerhalb der ohnehin nur 200 Personen starken Belegschaft Fassungslosigkeit. Viele Mitarbeiter, so ist zu hören, sprechen „von einem Tod auf Raten“. Tatsächlich hatte AB Inbev schon versucht, den Standort loszuschlagen, doch alle Interessenten winkten ab. Der Investitionsstau war laut damaliger Beobachter so groß, dass ein Kauf wirtschaftlich für niemanden Sinn gemacht hätte. Florian Weins, 2019 gerade frischgebackener Deutschland-Chef von AB InBev und inzwischen Managing-Director bei Fritz-Kola, fand damals beschwichtigende Worte: „Unsere Strategie für Deutschland hat sich weiterentwickelt. Daher werden Hasseröder und Diebels in Zukunft eine neu definierte Rolle in unserem Portfolio spielen.“
Welche das ist, wurde vor wenigen Wochen deutlich, als bereits das Aus für die Ergänzungssorten von Diebels an die Öffentlichkeit gedrungen ist. Die Maßnahmen der Bremer Zentrale für ihre niederrheinische Dependance greifen hart und schnell: Schon bis Jahresende werden die Stellen bei Diebels weggekürzt sein, so ist zu lesen. „Anheuser-Busch Inbev beabsichtigt, so das Netzwerk seiner vier deutschen Brauereien zu stärken und es für kommende Herausforderungen aufzustellen“, lässt Pressesprecher Fried Allers in seiner Krisenverlautbarung durchblicken, dass der Standort Issum nach dem personellen Aderlass den Kürzeren gezogen hat.
Flop mit Ansage: Erst Diebels Pils, dann Dimix Erdbeere
Die Bremer Deutschlandzentrale von AB Inbev hatte sich während der letzten zwei Jahrzehnte ohnehin nicht mit brauwirtschaftlichem Ruhm bekleckert. Ganz im Gegenteil. Als man 2005 vollmundig eine Pressekonferenz „mit Sensation“ ankündigte, waren viele Fachjournalisten bereits skeptisch. Als dann der Eröffnungsfilm von Mondlandung und anderen Weltwundern kündete, um dann im Finale Diebels Pils vorzustellen, ernteten die jungen, unerfahrenen Produktmanager mitleidsvolles Lachen. War es Übermut oder Unvermögen? Diese Frage blieb unbeantwortet. Sogar der einstige Bundeswirtschaftsminister und erklärte Pils-Fan Wolfgang Clement ließ es sich damals nicht nehmen, bei über 2.000 Gästen in der Verladehalle das erste Fass anzuzapfen. Aber auch das konnte den Misserfolg nicht aufhalten.
Fast 30 Jahre lang war in Issum kein Pils mehr gebraut worden – aus der „neuen Ära“ wurde ein Flop. Wer in aller Welt konnte überhaupt auf die Idee kommen, im beinharten Pils-Markt mit einem Newcomer Wachstumschancen zu sehen? Die übereinstimmende Meinung damals: In der Bremer Deutschlandzentrale hat man den deutschen Biermarkt nicht verstanden! Als dann 2010 das Aus für das erwartungsgemäß durchgefallene Diebels Pils kam, dauerte es nicht lange und Dimix Erdbeere betrat als neue Sommersorte die Biermixbühne. Man beziehe sich auf „Altbierbowle“ als deutschen Getränkeklassiker, hieß im bekannten Marketing-Sprech. Schließlich folgte noch Diebels Plato 12, ein Bier mit 13 Prozent Stammwürze und 6 Volumenprozent Alkohol.
Sortenkrise: Altbier wurde „kleingeschrumpft“
Die Diebels-Krise ist auch die Krise der Sorte Alt. Tatsächlich war das seit den späten 60er Jahren boomende Altbier seit Jahrtausendbeginn auf einem absteigenden Ast. Der stolzen Marke Frankenheim erging es nicht besser, nachdem Inhaber Peter Frankenheim sein Unternehmen 2005 an die Warsteiner Brauerei verkauft hatte. Auch dort schrumpfte das Markenvolumen dramatisch – die Brauerei in Holzheim wurde verkauft. Deshalb wird Frankenheim Alt nicht mehr im Rheinland, sondern in Westfalen gebraut. Schon 2002 hatte Schlösser Alt zwischen der Münster- und der Rather Straße im Herzen von Düsseldorf den Braubetrieb aufgegeben. Seither wird Schlösser in Oetkers Dortmunder Brauerei produziert. Lediglich die Düsseldorfer Hausbrauereien stehen noch für Altbier-Kultur.
Keine Pleite, aber Pech und Pannen. Von 1,6 Millionen Hektolitern Altbier im Jahr 2001 sank der Ausstoß der Diebels Brauerei kontinuierlich auf nicht einmal mehr 350.000 Hektoliter im Jahr 2016. Und in der Zwischenzeit gab es erneute Abschmelzverluste. In der Bremer Zentrale erinnert sich kaum mehr jemand an die glorreichen Tage von Diebels – die andauernden Personalrochaden kosteten nicht nur erfahrene Mitarbeiter den Job, sondern auch Marktfortune. Die Übernahme der Brauerei Diebels durch Interbrew im Jahr 2001 (später Inbev, dann AB Inbev) wurde so zu einem Schlüsselereignis in der Geschichte der deutschen Brauindustrie – der Auftakt zu einem rasanten Übernahmekarussell.
Dabei war die ebenso traditionelle wie in den 1990er-Jahren erfolgreiche Brauerei im Altbier-Segment längst uneinholbar Marktführer geworden. Unter der Ägide von Paul Bösken-Diebels hatte es die Marke geschafft, in den Olymp der Premium-Marken Deutschlands aufzusteigen. Legendär die Sehnsuchtskampagne „Ein schöner Tag …“ – für viele ist die Melodie bis heute ein Ohrwurm zum Mitsummen geblieben. Dazu die grün-goldenen BMW und Mercedes-Benz in der Deutschen-Tourenwagenmeisterschaft (DTM) der 90er Jahre.
Bolten-Abenteuer: Paul Bösken-Diebels schießt Geld zu
Während die Diebels-Familiengesellschafter 2001 Kasse machten, trat die letzte Leitfigur Paul Bösken-Diebels operativ nicht mehr in Erscheinung. Der damalige Neu-Bräu Michael Hollmann, einstiger Vorstand und Abwickler des gescheiterten Braugiganten Brau und Brunnen, konnte Paul Bösken-Diebels dann 2006 doch noch zum regionalen Altbier-Abenteuer bei der aufgekauften Bolten-Brauerei gewinnen.
Zum Zeitpunkt der Übernahme hatte auch Bolten einen erheblichen Investitionsstau. Unterstützt wurde Hollmann dabei mit frischem Geld von Paul Bösken-Diebels, wie Michael Hollmann vor dem Marketingclub Mönchengladbach erzählte. 50-Prozent-Mitgesellschafter Bösken-Diebels trat anders als zu Issumer Zeiten nicht mehr in Öffentlichkeit auf, sondern engagierte sich vorzugsweise ehrenamtlich wie beim Rotary Verlag. Dort schied er unlängst nach sechs Amtsjahren turnusgemäß aus dem Verwaltungsrat aus, dessen Vorsitz er innehatte. Die lange Familientradition der Diebels-Dynastie ist längst Geschichte – die Marke Diebels ächzt weiter unter der Last von AB Inbev.