Seit 2015 vier Geschäftsführer auf dem Warsteiner-Chefsessel. Im selben Zeitraum verlor die Marke rund 700.000 Hektoliter. Die Frage, die die Branche beschäftigt: Woran liegt diese ungeheure Fluktuation?
In der Brauwirtschaft gibt es allenthalben Mitleid mit der einst leuchtenden Marke, die zuletzt vor 26 Jahren mit einem Ausstoß von über sechs Millionen Hektolitern auftrumpfen konnte. Tatsächlich hatte Warsteiner in den späten achtziger Jahren König Pilsener von der Spitzenposition verdrängt, ehe Krombacher zur Jahrtausendwende seinen Dauerrivalen Warsteiner vom Thron stürzte und dessen Ausstoßvolumen in großen Teilen von Warstein nach Krombach holte. Dass es Jahre später für Inhaberin Catharina Cramer keine leichte Aufgabe werden sollte, im Jahr 2012 die alleinige Nachfolge ihres Vaters anzutreten, lag auf der Hand.
Die Schrumpfkur, die die Warsteiner Brauerei durchmachen sollte, war beispiellos. Übernahmen von Herforder und Frankenheim sollten sich als wenig stabilisierend erweisen, dazu am Stammsitz der Kostendruck von Überkapazitäten einer viel zu großen Brauerei und einer überdimensionierten Belegschaft. Spätestens zur Mitte des letzten Jahrzehnts gab es dringenden Handlungsbedarf – das Dilemma begann, die Unternehmensberater kamen. Inhaberin Catharina Cramer hatte Ende 2014 vorsorglich angekündigt, die vertrieblichen Geschicke in andere Hände zu legen. Bis dahin hatte sie selbst vergeblich versucht, die Mengenerosion zu stoppen.
Von Red Bull zu Warsteiner
Während bereits überall im Unternehmen Sparzwang herrschte, gab sich Warsteiner mit Vorschusslorbeeren betont großzügig, als es um die Ankündigungen des Spitzenpersonals ging. Martin Hoetzel sollte als Catharina Cramers Nummer 1 mit Jahresbeginn 2015 das Warsteiner-Team „challengen“, weil er mit seiner Red-Bull-Erfahrung wohl auch den Warsteiner-Produkten Flügel verleihen könne. So zumindest die Hoffnung. Tatsächlich hatte sich Hoetzel 2014 gerade ein Jahr im Export, also nicht einmal im Inlandsmarkt, eingearbeitet, ehe ihn die Inhaberin an die Spitze setzte.
Energy-Experience half allerdings wenig, das Biergeschäft unterliegt in Deutschland und anderswo eben ganz anderen Gesetzen. Letztlich sollte die Zukunft von Martin Hoetzel bereits zwei Jahre später am mangelnden Ausstoßerfolg, aber auch daran scheitern, dass er eine anstehende Bierpreiserhöhung hausintern nicht durchsetzen konnte. Die Angst vor weiteren Mengenverlusten war größer als das Einspielen von veritablen Mehreinnahmen. Die ständige Gretchenfrage: Schafft es Warsteiner wirklich, die Preisschwelle von 10 Euro deutlich zu überspringen? Eine Ablösung stand für den in Ungnade gefallenen Hoetzel zum Jahresbeginn 2018 schon bereit: Alexandra Cama war wenige Monate vorher von Roland Berger nach Warstein entsandt worden, um die Kosten dramatisch zu senken und für eine Schubumkehr zu sorgen.
Cama sollte alte Zöpfe abschneiden
Bei Warsteiner eine denkbar unpopuläre Aufgabe, die Cama übernahm, und dabei das zunächst uneingeschränkte Wohlwollen der Inhaberin genoss. Mit ihrer Inthronisierung als neue Geschäftsführerin für den Vertrieb kündigte Alexandra Cama im Januar 2018 sodann harte Einschnitte an: Bis zu 240 von insgesamt 1.500 Stellen sollten abgebaut werden abgebaut, später sollte man jedoch mit weniger Streichungen auskommen. Cama sprach richtigerweiser von einem „schmerzhaften Prozess“. Tatsächlich ging es schon damals ums Ganze und damit um die Verschlankung der Warsteiner Gruppe. Alte Zöpfe sollten endgültig und unternehmerisch sinnstiftend abgeschnitten werden. In diesem Zuge wurden drei der vier Beteiligungen am Getränkefachgroßhandel verkauft.
Zwar schlug Alexandra Cama für die Warsteiner Gruppe den richtigen Weg ein, um Ballast abzuwerfen. Doch vertriebsoffensive Biererfahrung hatte sie ebenso wenig wie ihr Vorgänger Hoetzel, so dass nennenswerte Markt- und Absatzimpulse gleichermaßen ausblieben. So erreichte ihre Verweildauer nicht einmal das nächste Weihnachtsfest. Womöglich ein Dissens mit der Inhaberin sollte der Grund gewesen sein, wollte man im Unternehmen herausgehört haben. Tatsächlich hat Cama mit einem deutlich längeren Verweilen in Warstein geplant. Doch auch sie konnte die strukturellen Verletzungen der Stamm-Marke Warsteiner weder pflastern noch ansatzweise heilen.
Sortenimpulse blieben aus
Über Jahre hinweg hatte das angestaubte Markenimage dafür gesorgt, dass es Warsteiner nicht mehr auf Flughöhe mit den Wettbewerbern von Krombacher, Bitburger oder Veltins schaffte. Nennenswerte Sortenimpulse wie Biermix, Landbier & Co. gingen am einstigen Marktführer vorüber. Stattdessen feierte man Erfolge mit der Diversifizierung der hauseigenen Preiseinstiegsmarke Paderborner. Das Pilger-Bier rollte der Warsteiner Außendienst zum Premium-Preis sogar in angestammte Traditionsobjekte, weil die eigene Markenpalette nichts Adäquates hergab.
Immer neue Markenrelaunches führten dazu, dass die Außenwerbung in vielen Teilen der Republik immer noch von einer „Königin unter Bieren“ kündet. Dabei hatte sich Inhaberin Catharina Cramer schon 2013 davon verabschiedet und das allseits bekannte Rundlogo erneuert. Und auch die Bemühungen, über Eventmarketing zu punkten, fruchteten offenbar nicht – trotz hoher Investitionen in Top-Events.
Gieselmann setzte auf „Brewers Gold“
2019 folgte auf die Beraterin der nächste Berater – die Nummer 3: Christian Gieselmann, ebenfalls im Roland Berger-Gefolge nach Warstein entsandt, stand bereit, um sich auf den noch warmen Chefsessel zu setzen. Sein smarter Auftritt gefiel der Inhaberin, doch notwendige Marktimpulse blieben während seiner Amtszeit ebenfalls aus. Stattdessen wurde ein Marketing auf den Weg gebracht, das weiterhin mit Konzerten auf eine Markenverjüngung setzte, bei der Zielgruppe aber letztlich nicht verfing. Die Menge erodierte weiter. Ein verirrter Biermix namens „Moscow Mule“ noch aus dem Jahr 2018 war in der Zwischenzeit ad acta gelegt worden, jetzt sollte es nach Gieselmanns Wunsch „Brewers Gold“ richten.
Bei Warsteiner scheint man Anglizismen, deren Decodierung es im Biermarkt erfahrungsgemäß schwer hat, zu lieben. Gieselmann wurde nicht müde, den Erfolg der Bierspezialität herbeizureden. Nur wenn es um Zahlen ging, wurde er schmallippig. Und dann scheiterte noch der aus Cama-Zeiten übrig gebliebene Verkauf der Herforder Brauerei. Warsteiner musste schmerzlich feststellen, dass das kostspielige und völlig unausgelastete Beiboot schlichtweg unverkäuflich war.
Die ostwestfälische Traditionsmarke – vor den Toren der Bielefelder Oetker-Heimat gelegen – hatte Catharinas Vater Albert noch ins Cramer-Reich geholt. Am Rande von Herford, in Hiddenhausen, wurden zu Glanzzeiten über eine Million Hektoliter gebraut. Unter Warsteiner-Ägide schrumpfte die Marke Herforder zusehends zusammen, und zum Preis besserer Auslastung machte man aus dem Standort eine Abfüllzentrale für die Edeka-/Trinkgut-Eigenmarke „Traugott Simon“.
Hörz übernimmt Spitze
Zu guter Letzt wird man sich in ein paar Jahren an Christian Gieselmann allenfalls noch erinnern, weil er als „Undercover Boss“ zur RTL-Primetime in lösungsorientierter Beratermanier Unternehmensprobleme wälzte. Zu wenig für erfolgreichen Bierverkauf. So war die Abberufung spätestens im Sommer absehbar, als Helmut Hörz urplötzlich auf der Bildfläche erschien und am selben Tag Gieselmann auf den Vizeposten verdrängte. Gegenüber Getränke News hatte der noch im Sommer beteuert, der „Außenminister“ unter seinem neuen Chef zu sein. Gegenüber der „Wirtschaftswoche“ brachte sich Helmut Hörz im November selbstbewusst in Position und berichtete davon, wie er von Inhaberin Catharina Cramer höchstselbst angerufen worden sei, um ihn nach Warstein zu holen.
Die Aufgaben für Hörz sind mannigfaltig. Die Marktbedeutung von Warsteiner im Handel schwindet, nachdem seit 2015 nicht nur rund 700.000 Hektoliter verloren gingen. Auch die Marktbedeutung schrumpft weiter. Von einem damaligen Marktanteil von 4,4 Prozent blieben unlängst gerade 3,7 Prozent übrig – mit erkennbar rückläufiger Drehgeschwindigkeit im Händlerregal. Und das bei einer Preisstellung, die seit Pandemiebeginn zuweilen deutlich unter die 10-Euro-Marke gesunken ist. Es droht auf absehbare Zeit der Verlust der nationalen Markenreputation, weil Warsteiner im unmittelbaren Markenwettbewerb schlichtweg das Nachsehen hat.
Warsteiner steigt aus Tarifvertrag aus
Helmut Hörz, wie Hoetzel, Cama und Gieselmann ebenfalls Neuling im Biermarkt, wird Branchenbeobachtern nach „Wunder wirken müssen“, um den weiteren Niedergang abzuwenden. Während 2021 für Warsteiner nochmals erhebliche Mengen am Markt verloren gehen dürften, rumort es zusätzlich an der eigenen Basis. Die Mitarbeiterschaft der Brauerei ist seit Sommer 2021 aufgebracht, weil sie sich nach dem Ausstieg aus dem Tarifvertrag um Lohnsteigerungen und die verdiente Corona-Prämie gebracht sieht. Krombacher und Veltins haben beides als Wertschätzung gegenüber ihren Belegschaften bereitwillig gezahlt, nur Warsteiner weigerte sich und zog den Zorn der Gewerkschaft NGG auf sich. In Social-Media-Kanälen äußern selbst ausgemachte Warsteiner-Markenfreunde Unmut über die despektierliche Behandlung der Mitarbeiter und solidarisieren sich mit ihnen. Bei allen großen Problemen kommen im Hause Cramer also noch hausgemachte Baustellen dazu.
Ambitionierter Mehrjahresplan
Nun will es Helmut Hörz – die Nummer 4 – mit einem ambitionierten Mehrjahresplan versuchen, aus dem dauerhaften Sinkflug wieder zum Steigflug anzusetzen, wie er gegenüber der „Wirtschaftswoche“ bildhaft beschreibt. Bis nach seinem 65. Geburtstag, so ist nachzurechnen, will er das schaffen, um vermutlich eine fünfjährige Vertragsdauer zu erfüllen. Ausgerechnet das Auslandsgeschäft soll nun zum Erfolg beitragen. Dabei dürfte keine andere deutsche Brauerei in den letzten Jahren so viel Exportvolumen verloren haben wie Warsteiner – auch ohne Pandemie-Effekt. Alleine in den letzten zehn Jahren rund 130.000 Hektoliter, in den letzten 20 Jahren sogar rund 300.000 Hektoliter.
Helmut Hörz hat nun China als Wachstumsmarkt für Warsteiner ausgerufen. Genau dorthin sollen die Container gehen, wo eher der Preis als die Marke eine Rolle spielt. Wieder würde sich Warsteiner auf ein unwägbares Konditionengeschäft mit fragwürdigen Margen zubewegen. Bliebe einzig noch die Chance von Neuprodukten, um Wachstumsfantasien zu beschleunigen und den sinkenden Ausstoß zu stabilisieren. Hörz steht unter Erfolgsdruck, mehr noch als seine Vorgänger. Und die Zeit wird immer knapper.
Zu wenig Biermarkt-Expertise
Getränkefachgroßhändler, die sich gern an die furios glänzenden Jahre des Aufstiegs von Warsteiner in den neunziger Jahren erinnern, haben vielerorts inzwischen Mitleid mit der Inhaberin. Catharina Cramer, so ist zu hören, versuche alles, um das Familienerbe zu bewahren. Man darf es ihr getrost als ehrliches Familienziel abnehmen. Doch woran hakt es im Unternehmen, dass gerade auf dem entscheidenden Chefsessel immer wieder ein Neuanfang notwendig wird?
Anders als in anderen Häusern, die ihre vertriebliche Spitzenposition mit branchenerfahrenen Managern besetzen und über viele Jahre hinweg für Kontinuität sorgen, sucht man in den Lebensläufen der letzten Warsteiner Top-Führungskräfte vergeblich nach Biermarkt-Expertise. Und das, obwohl das Wissen um das emotional durchdrungene Biergeschäft so existenziell ist, um integrative Weichen für Unternehmen und Markt zu stellen – mit Weitsicht und Erfolgsperspektive.
Nirgendwo sonst sind die Eigenarten der Vertriebskanäle von Handel und Gastronomie so stark ausgeprägt wie im nationalen Biermarkt. Dessen substanzielle Kenntnis sind letztlich Garanten für punktgenaue Entscheidungen, wenn es um neue Produkte und die Einschätzung der Marktmechanismen geht. Eines ist sicher: Helmut Hörz wird fernab seiner früheren Gastspiele bei Edeka, Alete oder Homann in den nächsten Monaten eine steile Lernkurve vor sich haben.
Mehr über die Geschichte der Warsteiner Brauerei lesen Sie in unserer großen Serie „Bier-Marken-Analyse“.