Es ist gut 25 Jahre her, da sonnte sich Bitburger-Vertriebschef Dr. Michael Dietzsch im Rampenlicht der Formel 1 – an seiner Seite Formel-1-Weltmeister Michael Schumacher. Es war so etwas wie ein genialer Schachzug, der in der Eifel hinter vorgehaltener Hand noch heute als größter Marketingtreffer in der Bitburger-Markengeschichte gehandelt wird. Für damals vergleichsweise kleines Geld hatten sich die Eifelbrauer in den größten Rennzirkus der Welt eingekauft und beförderten damit ihren grünen Schriftzug auf gelbem Grund in die Verbraucherwahrnehmung. „Die Marke ist jünger geworden“, sagte Dr. Michael Dietzsch zum Formel-1-Engagement in einer Zeit, als Deutschland Michael Schumacher feierte. Bitburger war in aller Munde – die Wachstumssignale eindeutig. „Außer Fußball gibt es keinen Sport, der eine breitere Zielgruppe bietet“, so Dietzsch, der für die Marke stand wie kein Zweiter.
Typen-Trio mit Dietzsch, Göbel und Wurster
Es war die Zeit, als Warsteiner 1995 gerade die 6-Millionen-Hektoliter-Marke überschritten hatte, um nur fünf Jahre später von Krombacher in der Marktführung überholt zu werden. Der Wettbewerb war längst beinhart, nachdem die Ostmarken wiedererstarkten und diese die „Wessi-Biere“ im Osten erfolgreich zurückdrängten. Doch Bitburger gelang es, auf Rang zwei der Premium-Hitliste zu verbleiben und dabei gehobenes Gastronomie-Image auszustrahlen. Es waren Typen wie Dr. Michael Dietzsch, Handelschef Walter Göbel und sein Fassbierchef Henry Wurster, die die Aura der Gastronomie-Marke mit Leben erfüllten.
Unvergessen sind jene Momente, wenn Wurster zur Sakkotasche griff und sein Thermometer zückte, um sein fachgerechtes Bierurteil abzugeben. Samt präziser Kühltemperatur versteht sich. Der Fassbieranteil, dessen man sich in der Eifel viele Jahre sicher sein konnte, war mit über 20 Prozent traditionell hoch und lag im Premium-Segment auch quantitativ auf einer Spitzenposition. Doch der Umbruch des Marktes folgte unweigerlich und die Menge dahinter begann strukturell zu schwinden. Und damit auch der Ertrag. Die Bitburger Brauerei sollte absehbar Federn lassen. Oder zukaufen müssen.
Flucht in Menge forcierte Zukäufe
Die Flucht in Menge begann gleich nach Jahrtausendbeginn und führte angesichts der vorangegangenen Marktoffensive von Inbev und Heineken die Bitburger Braugruppe in eine Mehr-Standort-Strategie. 2002 ging es zunächst in den Osten: Die Bitburger Brauerei beteiligte sich mit 49 Prozent an der Wernesgrüner Brauerei – die Eifeler hatten die Anteile von der bayerischen Landesbank erworben. Später wurde auf 100 Prozent aufgestockt.
Dann 2004 ein Schachzug, den Bitburger-Chef Dr. Michael Dietzsch als „Krönung seiner beruflichen Karriere“ bezeichnete: Nachdem bereits Wernesgrüner zur Gruppe zählte, folgten sozusagen aus dem Nachlass des Hamburger Holsten-Niedergangs die Marken König und Licher. Branchenbeobachter sahen zu diesem Zeitpunkt eine Braugruppe gewachsen, die mit dem wohl qualitätsvollsten Markenportfolio ins neue Jahrtausend startete. Aber der Hunger schien noch nicht gestillt.
Bitburger holte sich Abfuhr von Erdinger
Bis zum Jahr 2007 klopfte Bitburger immer wieder an Wettbewerber-Türen an, um das Marken- und Standortprofil zu stärken. Doch der Kauf oder die Beteiligung an traditionsreichen Brauereien in Deutschland scheiterte in jenen Jahren, wie der damalige Sprecher der Geschäftsführung, Peter Rikowski, im Rahmen des Bierkartell-Prozesses als Zeuge im vergangenen Jahr vor dem Oberlandgericht Düsseldorf berichtete.
Auf der Suche nach einer weiteren Biermarke erhielt Bitburger via Medien eine öffentliche Abfuhr des Erdinger-Inhabers Werner Brombach. Schon damals wurden Pläne kolportiert, dass man in der Eifel ein eigenes Weizenbier brauen könnte. Durchgestochen wurde im Herbst 2009 die Nachricht, dass der Bitburger Braugruppe der Kauf der Kult-Limo Bionade auf der Ziellinie weggeschnappt wurde – sie ging damals an Dr. Oetker. Bekanntlich nur ein Zwischenstopp des Bionade-Schicksals. Die Bitburger Gesellschafter dürften aus heutiger Sicht froh sein, dass dieser Limo-Kelch an ihnen vorübergegangen ist.
Holding brachte Paradigmenwechsel
Das Jahr des Umbruchs und damit auch eines Paradigmenwechsels, der bis heute im Marktengagement des Unternehmens zum Ausdruck kommt, war 2007. Angesichts des schrumpfenden Marktvolumens rüstete sich die Bitburger Braugruppe strategisch für die Zukunft und kündigte eine Neuaufstellung als Bitburger Holding GmbH an. Von nun an stand offenbar Ertrag vor Branche, Kennziffern vor Tradition. So wurde die nun untergeordnete Bitburger Braugruppe GmbH als neue Führungsgesellschaft für die Biersparte mit den Braustandorten in Bitburg, Duisburg, Lich, Wernesgrün und Köstritz formiert. Die Holding übernahm fortan das Beteiligungsgeschäft. Die über all die Jahre gewachsene Gesellschafteranzahl – 2023 sind es 32 – hatte offenbar den pekuniär stabilisierenden Wunsch reifen lassen, die Ertragskraft des Gesamtunternehmens auf Dauer zu erhalten und zu steigern.
Beteiligung außerhalb der Brau-Branche
Während die Holding Mehrheitsgesellschafter beim Gerolsteiner Brunnen war, beteiligte sie sich in den Folgejahren an deutschen Familienunternehmen wie dem Kinderbekleidungshersteller Sterntaler und der Dürr Dental AG. Dabei folgte die Kapitalstreuung in unterschiedliche Branchen eher dem Portfoliogedanken– Solidität durch minimiertes Risiko im Branchenmix. 2016 übernahm die Bitburger Holding den Werkzeugspezialisten Wera und beteiligte sich an der Poli-Tape Gruppe in Remagen. Im Frühjahr 2019 folgten 45 Prozent an der Avista Oil AG, einem Altölrecycler.
Schweres Erbe König Pilsener
Nach der Jahrtausendwende stand bei der Braugruppe mit König, Licher, Köstritzer und Wernesgrüner die West-Ost-Achse von Rheinland-Pfalz und NRW über Hessen und Thüringen bis Sachsen. Nur die vertriebliche Kraft, die den eigentlichen Erfolg hätte ausmachen sollen, sollte die Mannschaft nicht schnell genug auf die Straße bekommen. Gerade im zentralen deutschen Biermarkt Nordrhein-Westfalen gelang es der Bitburger Braugruppe zu keiner Zeit, die Markenstärke zu mobilisieren. Dabei wollte Dr. Michael Dietzsch mit dem König-Deal das Fassbiergeschäft stärken und weiter ausbauen. Geblieben ist bis heute ein schweres Erbe, das außer Hektoliterverlusten und einem bedauernswert schwindenden König-Image zu guter Letzt auch noch deutlich mit König Pilsener unter die Hektoliter-Million rutschte.
Die Ursache ist in der Retrospektive schnell gefunden: Die Bitburger-Geschäftsführer Peter Rikowski und Nachfolger Werner Wolf versuchten den Weg der Integration, um der Marke König später Eigenständigkeit zurückzugeben. Der Versuch des letzten Vertriebs- und Marketingchefs Axel Dahm, König im Frühjahr 2019 mit einem Rotbier zu mehr Aufmerksamkeit zu verhelfen, scheiterte. Ein eigens inszenierter TV-Spot wurde nach kurzer Zeit verworfen – das Produkt im Herbst 2020 kurzerhand eingestellt. Vorher hatte der Markenrelaunch dem plötzlich einsamen König-Schriftzug noch den gelernten Pilsener-Appendix genommen. In der Pandemie lautete das Motto „Rückzug in den Kernmarkt“!
Pandemieverlusten folgt Wernesgrüner-Verkauf
Kaum eine andere Brauereigruppe hat in den zurückliegenden 25 Jahren so mit ihrem Portfolio gehadert, wie es in der Eifel der Fall war. Mit dem Beginn des Spezialitäten-Trends zur Mitte des letzten Jahrzehnts wurden umfangreiche Spendings in das Köstritzer-Sortiment gesteckt, um die Marke aus dem Herzen Thüringens dem erfahrenen Pilsgenießer in NRW nahezubringen. Das vom Wettbewerb ohnehin mit Ungläubigkeit begleitete Marktengagement sollte scheitern. Köstritzer blieb das Bier, das es schon zu Ostzeiten war: ein Schwarzbier mit Charakter und ein Pilsener, das allenfalls im regionalen Heimatmarkt Verwendung fand.
Dass es im Pandemie-Herbst 2020 letztlich Wernesgrüner an den Kragen gehen sollte, hatten selbst lang erfahrene Marktbeobachter nicht für möglich gehalten. Zwar war es dem Bitburger Vertrieb bis dahin nie gelungen, die Absatzkraft der Wettbewerbsmarken Radeberger, Ur-Krostitzer oder Freiberger zu erreichen, doch die gut ausgestattete Brauerei hätte niemand im Feuer gesehen. Womöglich wäre sie ohne die Pandemie bis heute noch in der Brauereigruppe verblieben. Doch die dramatischen Fassbierverluste und damit im Wettbewerbsvergleich überproportionalen Ertragseinbußen verlangten nach Konsequenzen.
Bereits im Sommer 2020 kündigte die Bitburger Brauerei erstmals Personalentlassungen an. Der Verkauf der kleinen, feinen Marke Wernesgrüner an die Carlsberg-Gruppe sollte der Holding überdies recht zügig cash in die Kasse bringen. Damit war der Weg frei für das von den Gesellschaftern stets mit Wohlwollen begleitete Investment in neue, biermarktferne Aktivitäten.
Neuprodukte mit wenig Strahlkraft
In den letzten Jahren war es, was neue Produkte mit Marktimpuls und Strahlkraft für die Stammmarke angeht, eher still bei der Bitburger Braugruppe. Und so büßte Bitburger immer mehr vom Premium-Glanz der 90er-Jahre ein. Andere Brauereien wie Veltins konnten näher an die Bitburger-Marktposition heranrücken.
Mit Craftwerk Brewing sprang das Unternehmen 2013 auf den Craftbier-Zug auf, von dem inzwischen jeder weiß, dass er leider im Nirgendwo angekommen ist. Kleinteiliges Craftbier-Engagement stand der Gastronomie-affinen Brauereigruppe zwar gut zu Gesicht, brachte im operativen Geschäft aber alles andere als hilfreiche Absatzimpulse. Diese Erfahrung mussten die Gesellschafter in den zurückliegenden Jahren machen, wenngleich Mitgesellschafter und Technik-Geschäftsführer Jan Niewodniczanski nicht müde wurde, sich vielerorts zu engagieren und das Versandgeschäft zu beschleunigen. Er war endlich wieder eine glaubwürdige Leit- und Integrationsfigur, wie sie die Branche von Bitburger noch aus den 90er-Jahren kannte. Niewodniczanski glaubt offenbar weiterhin an das Craftbier-Segment in Deutschland: Seit 2022 ist die Bitburger Braugruppe auch an den Münchner Craft-Brauern Crew Republik beteiligt.
Immer mehr branchenfremde Beteiligungen
Marktbeobachter werden den Eindruck nicht los, dass die Bitburger Braugruppe in jüngster Zeit unter den Zwängen des facettenreichen Holding-Dachs immer mehr um die eigene Identität ringt. Die Kernfrage: Wie lange wird das Biergeschäft den wachsenden Ansprüchen der 32 Gesellschafter noch gerecht? Da ist es kein Wunder, wenn sich die Eigentümer dreier Generationen in ihren regelmäßigen Meetings immer öfter über branchenfremde Beteiligungen freuen können. Familienerben wie Holding-Geschäftsführer Matthäus Niewodniczanski oder Technikchef Jan Niewodniczanski dürften sich mit aller Kraft gegen die Entfremdung der eigenen Gesellschafterstruktur stemmen.
2017 verkündete Bitburger das Aus im Fußballsponsoring. Die Marke war seit 1992 Partner des DFB und die Fußball-Nationalmannschaft war zu einem wesentlichen Bestandteil des Bitburger-Markenkerns geworden. „Die Bitburger Brauerei hat im Rahmen ihrer neuen strategischen Ausrichtung entschieden, die Qualität und den einzigartigen Geschmack des Bitburger Premium Pils bei allen Kommunikationsmaßnahmen zukünftig noch stärker in den Vordergrund zu stellen“, hatte der inzwischen ausgeschiedene Vertriebsgeschäftsführer Axel Dahm die über Jahre geflossenen Millionen-Investments zu Grabe zu tragen.
Im nächsten Jahr kehrt Bitburger nun als Sponsor der Europameisterschaft zum Fußball zurück. Als Gastro-Marke Nummer eins wolle man nun dazu beitragen, „Deutschland als Top-Gastgeberland zu präsentieren“, betonte Jan Niewodniczanski. Als Offizielles Bier der Uefa Euro 2024 wird Bitburger in allen Stadien, in den offiziellen Fanzonen und bei Veranstaltungen der Austragungsstädte erhältlich sein. Auch im Handel und in der Gastronomie sind Promotions und Aktionen rund um den Fußball geplant. In den sozialen Medien solle die Marke schon im Vorfeld der EM „eine aktive Rolle spielen“, ergänzte Niewodniczanski.
Ende 2023 startet die Braugruppe auch mit einem neuen Vertriebs- und Marketing-Geschäftsführer. Sebastian Holtz, dem man als Deutschland-Statthalter der Carlsberg-Gruppe vor zwei Jahren noch die Wernesgrüner Brauerei verkauft hatte, wechselt von der Carlsberg-Gruppe in die Eifel. Holtz wird seine Rolle in der Bitburger Gruppe erst noch finden müssen. Keine leichte Aufgabe im unwägbaren Fahrwasser des deutschen Biermarktes.
Fazit – Marktstärke nur über Investitionen
Wenn Holding-Gebaren zum Selbstverständnis wird, müssen die Schwachen leiden. Wer heute die durchschnittliche Rentabilität von Geschäftsmodellen im Business-to-business-Bereich nimmt, der weiß, dass dort Consumer-Unternehmen zumeist das Nachsehen haben. Die Bitburger Braugruppe bewegt sich in diesem Spannungsfeld und damit in der Vergleichbarkeit ihrer Ergebnisse auf schwierigem Terrain. Gesellschafterstrukturen aus drei Generationen – manche mit mehr, manche mit weniger Distanz zum traditionsreichen Stammgeschäft – legen andere Kriterien an als es die klassische enge Familie tut. Schon deshalb regieren mehr Kennziffern und weniger Emotionen.
Dabei ist die Bitburger Braugruppe mit Marken gerade wegen ihrer emotionalen Nähe zu den Menschen groß geworden. Dieses Unternehmenskonstrukt ist für das Bitburger-Management wie ein Minenfeld – den letzten drei Marketing- und Vertriebs-Geschäftsführern wurde eine längere Verweildauer nie über sieben Jahre zugestanden, ehe der Chefsessel wieder vakant war. Kontinuität sieht anders aus und sie bedarf in unwägbaren Zeiten mutiger Investitionen, um einem Verlust an Marktbedeutung zu entgehen und Marktstärke zu erreichen.