Brauereien, die ihr Bier in normale Pfandflaschen abfüllen, droht Ärger mit dem Finanzamt. Nach einem Urteil des höchsten deutschen Finanzgerichtes, des Bundesfinanzhofs, sollen die bestehenden und über viele Jahre gebildeten Rückstellungen für so genanntes Einheitsleergut zu einem Stichtag vollständig aufgelöst werden. Dadurch drohen den Brauereien, die Poolflaschen wie Euro, NRW oder Longneck nutzen, Steuerzahlungen in Millionenhöhe. Manche Betriebe werden unter der Steuerlast zusammenbrechen, fürchtet der Deutsche Brauer-Bund, der sich bei Bund und Ländern für einen Erhalt der bisherigen Regelung einsetzt.
Ein weiteres gewichtiges Argument: Die geplante steuerliche Neubewertung des Leergutes könnte das ohnehin unter Druck stehende Mehrwegsystem in eine gefährliche Schieflage bringen. Denn laut Bundesfinanzhof sollen individualisierte Pfandflaschen in Zukunft steuerlich privilegiert werden. Getränke News sprach mit Holger Eichele, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Brauer-Bunds, über die aktuelle Situation.
Getränke News: Was bedeutet das umstrittene Urteil des Bundesfinanzhofs für die Brauwirtschaft?
Eichele: Eigentlich befassten sich die Richter damals mit der Bilanzierung der Pfandgelder für Mineralwasserflaschen, die von den Mitgliedern der Genossenschaft Deutscher Brunnen verwendet werden. Solch ein geschlossenes und gesteuertes Poolsystem ist natürlich nicht mit den allen Brauereien zur Verfügung stehenden Euro- oder NRW-Einheitsflaschen zu vergleichen. Das ändert aber leider nichts daran, dass dieses Urteil zu den Brunnen nunmehr auf die Brauwirtschaft übertragen werden soll – mit dramatischen Folgen für unsere Branche: Künftig wären demnach in der Bilanz einer Brauerei nur noch für Individualflaschen Rückstellungen zulässig. Dagegen sind sämtliche Rückstellungen für Einheitsflaschen erfolgswirksam aufzulösen. Ich kenne Brauereien, die würden das finanziell nicht überleben. Da geht es um die Existenz.
Getränke News: Hatten sich die Richter über die wirtschaftlichen Folgen denn keine Gedanken gemacht?
Eichele: Zumindest wäre es nicht das erste Mal, dass ein Urteil des Bundesfinanzhofs bei der Umsetzung in die betriebliche Praxis für ganz erhebliche Verwerfungen sorgt. Aber nun ist dieses Urteil in der Welt, und wir müssen einen Weg finden, damit umzugehen.
Getränke News: Die Brauereiverbände appellieren an die Bundesregierung, die Anwendung des Urteils zu verhindern …
Eichele: Wir sind in Gesprächen mit dem Bund und den Ländern, um auf die Probleme aufmerksam zu machen, die für die deutschen Brauereien durch eine vollständige Übertragung des Richterspruchs entstehen würden. Da sind zum einen die hohen Steuerzahlungen, die auf die Brauereien zukommen, da sind zum anderen die enormen Dauerbelastungen, die eine Umsetzung der geänderten Vorgaben im Alltag mit sich bringen würde: bei der Leerguterfassung, in der Logistik oder dem Finanz- und Rechnungswesen. Für die Brauereien wäre das ein wahres Bürokratiemonster. Über die gesamtwirtschaftlichen und ökologischen Aspekte haben wir da noch gar nicht gesprochen …
Getränke News: Kritiker warnen bereits vor dem Kollaps des Mehrwegsystems …
Eichele: Tatsache ist: Durch die geplante Umsetzung des Urteils entsteht eine fatale Lenkungswirkung. Wenn man die bilanziellen Rückstellungen für die bewährten Einheitspoolflaschen streicht und diese gegenüber Individualflaschen schlechter stellt, erhöht man den Anreiz zur weiteren Individualisierung. Das kann nicht gewollt sein. Bundesrat und Bundestag haben die klare Absicht geäußert, das umweltfreundliche und weltweit einmalige Mehrweg-System in Deutschland zu fördern. Wenn man es ernst meint mit diesem Ziel und mit dem Klimaschutz, darf man nicht gleichzeitig die Axt an das funktionierende Mehrweg-System legen.
Getränke News: Engpässe bei Logistik und Neuglasbeschaffung, Chaos bei Rückführung und Sortierung – und Sie sprechen von einem „funktionierenden System“?
Eichele: Das Mehrweg-System ist besser als sein Ruf. Über Jahrzehnte hat sich Mehrweg in Deutschland erfolgreich und flächendeckend etabliert. Die Brauwirtschaft ist die einzige Getränkebranche, in der die Mehrwegquote bei mehr als 80 Prozent liegt und damit über den gesetzlichen Vorgaben. Zählt man das Fassbier hinzu, liegen wir bei weit über 90 Prozent. Darauf dürfen wir uns natürlich nicht ausruhen. In den kommenden Jahren geht es darum, das Mehrweg-System angesichts steigender Gebindevielfalt und steigender Kosten fit für die Zukunft zu machen.
Es stimmt: Der Druck im Kessel steigt, den Brauereien machen die immer höheren Kosten für das Leergut-Management und die Logistik zu schaffen. Aber Druck erzeugt auch Energie: Ich freue mich, dass es mittlerweile verschiedene Initiativen und Pilotprojekte gibt, die alle das Ziel haben, das Leergut in der Getränkewirtschaft besser steuerbar zu machen. Auch die Digitalisierung bietet hier viele Chancen, aber machen wir uns nichts vor: Solche Investitionen kosten Zeit und Geld.
Getränke News: Einer Erhöhung der Pfandsätze für Flaschen und Kästen stehen Sie weiter kritisch gegenüber?
Eichele: In der Diskussion um höhere Pfandsätze wird zuweilen übersehen, wie viele hoch komplexe Fragen damit verbunden sind – von der Notwendigkeit neuer Etiketten über die Technik der unterschiedlichen Rücknahmeautomaten im Handel bis hin zur Bewältigung der Sortierung, die nochmals komplexer wird. Diesen Details muss man sich stellen und auf alle Einzelfragen eine saubere Antwort finden, bevor man Mitgliedsbrauereien raten könnte, den Schritt zu gehen.
Getränke News: Warum stemmen sich Handel und GFGH gegen eine Erhöhung?
Eichele: Eine Umstellung würde erst einmal entlang der ganzen Kette enormen Aufwand verursachen und viel Geld kosten – und einer muss die Rechnung am Ende ja bezahlen. Zudem fließt, je nach Ausgestaltung der Erhöhung, Liquidität ab. Klar ist auch, dass die Brauwirtschaft ein solches Projekt nicht von heute auf morgen und nur in enger Abstimmung mit LEH und GFGH umsetzen könnte. Dazu muss man sich mit den Partnern an einen Tisch setzen. Jeder Alleingang wäre riskant und sicher nicht zielführend. Das sieht man im Verband „Pro Mehrweg“ übrigens genauso. Uns alle eint das Ziel, das Mehrwegsystem zu erhalten und zu optimieren.
Getränke News: Die Privaten Brauer aber haben sich bereits festgelegt, einige Brauereien in Bayern wollen schon im Frühjahr 2020 das Pfand erhöhen – auf fünf oder sechs Euro für den Kasten.
Eichele: Ich halte nicht viel davon, jede Woche analog zu den Lottozahlen immer neue Pfandsätze in die Welt zu setzen. Dazu sind die Herausforderungen, vor denen wir stehen, viel zu ernst. Aber vielleicht kann es in der Tat sinnvoll sein, die Chancen und Risiken einer Pfanderhöhung auf regionaler oder lokaler Ebene in einem Pilotprojekt auszutesten. Die Auswertung der Ergebnisse wird von der Branche mit großer Spannung erwartet.