Der neue Brauerei-Gruppen-Report von Getränke News beleuchtet erstmals exklusiv die Entwicklung der großen Braugruppen in Deutschland. Im ersten Teil der neuen Serie geht es um den internationalen Konzernableger von AB Inbev. Das Unternehmen startete in den Nullerjahren mit der Akquisition auf dem deutschen Biermarkt. Heute schließt in der Brauwirtschaft kaum noch einer aus, dass das Deutschland-Abenteuer des weltweit größten Biergiganten bis zum Ende des Jahrzehnts beendet sein könnte.
Interbrew mit nassforscher Visitenkarten-Akquise
Es war schon sehr skurril: Auf dem Roland-Berger-Seminar im Herbst 2000 in Nürnberg waren die ersten Vorträge gerade gelaufen, als in der Pause ein kaum Deutsch sprechender Jungmanager ohne jedes Zögern wirklich jeden ansprach, auf dessen Namensschild ein Brauereiname stand. Man suche Partner, sagte der knapp über 30 Jahre alte Mann mit Interbrew-Visitenkarte zu einer Zeit, als man in der deutschen Bauwirtschaft schon lange über den drohenden Einstieg der ausländischen Brauer philosophierte. Wer nach den Zukunftsvorträgen seine Visitenkarten sichtete, dem war jetzt klar, was folgen sollte: „Merger & Akquisition“ war unter dem Interbrew-Logo zu lesen. Und in der Frankenmetropole wurde damit zu Jahrtausendbeginn erstmals ruchbar, dass es Interbrew – selbst aus der Fusion belgischer Brauereien entstanden – jetzt international wissen wollte.
Deren Schlüsselmarke Stella Artois hatte weder eine internationale Aura noch weitreichendes Potenzial, um europäische Märkte zu erobern. Erste Sondierungsgespräche in Deutschland ließen nicht lange auf sich warten und die belgischen Akquisitionsbemühungen sollten alsbald erfolgreich sein.
Diebels: Vom Altbier-Giganten zum Krisenfall
Die Übernahme der Brauerei Diebels durch Interbrew im Jahr 2001 wurde so zu einem Schlüsselereignis in der Geschichte der deutschen Brauindustrie – der Auftakt zu einem rasanten Übernahmekarussell. Diebels, die ebenso traditionelle wie in den 1990er-Jahren erfolgreiche Brauerei mit Sitz im niederrheinischen Issum war im Altbier-Segment längst uneinholbar Marktführer geworden. Unter der Ägide von Paul Bösken-Diebels hatte es die Marke geschafft, in den Olymp der Premium-Marken Deutschlands aufzusteigen. Legendär die Sehnsuchtskampagne „Ein schöner Tag…“ – für viele ist die Melodie bis heute ein Ohrwurm zum Mitsummen geblieben.
Der Hektoliter-Millionär vom Niederrhein, der selbst die erfolgreichsten Altbierjahre von Hannen-Alt in den frühen 1970er-Jahren in den Schatten gestellt hatte, war die erste Brauerei, die Interbrew hierzulande kaufte. Diebels war der erste Baustein ihrer Expansionsstrategie – eine regionale Perle mit nationalen Ambitionen sozusagen. Die Übernahme wurde schon damals von vielen Branchenbegleitern kritisch gesehen, da zu befürchten war, dass Diebels als eigenständige Traditionsmarke auf lange Sicht leiden könnte. Schließlich hatte Diebels Alt mit seinem Biermix-Beiboot Dimix zeitweise einen Jahresausstoß von 1,8 Millionen Hektolitern. Tatsächlich war schon wenige Jahre später, als Interbrew mit weiteren Biermarken den Vertriebskoffer immer voller packte, für alle spürbar, dass die erfolgreichen Jahre von Diebels bald vorbei sein würden. Strategisches Konzerngebaren machte aus der Brauerei eine Abfüllstation, in der von Jahr zu Jahr mehr Beck’s abgefüllt und schließlich auch die wachsende Biermixpalette konzentriert werden sollte.
Von Werbespendings aus Zeiten der Selbstständigkeit konnten die Mitarbeiter in Issum nur noch träumen – von „Fremdsteuerung“ war alsbald die Rede. Und dass sich immer neue Produkt- und Brandmanager an der Marke vergingen, sollte vom Verbraucher nicht ungestraft bleiben. Jeder, der mit nur etwas Marktgefühl die Brauwirtschaft begleitete, ahnte, dass die groß angekündigten Innovationen von Diebels Pils und Diebels Export alsbald floppen sollten. Wo kein Verbraucherbegehren, dort keine Absätze. Die aus Bremen entsandten Marketingleute gaben Diebels in den letzten zwei Jahrzehnten den Rest. Gerade mal rund zehn Prozent des einstigen Ausstoßvolumens blieb bis heute übrig. Den Rest opferte AB Inbev dem deutschen Biermarkt in einer Mischung aus Konzernarroganz, mangelndem Regionalgefühl und schlichtem Unvermögen.
Kampagnen unter dem Claim „Das Altbier für echte Kerle“ konnten nicht annähernd die Performance der 1990er-Jahre erreichen, als der Spot „Ein schöner Tag“ ein wirkliches Lebensgefühl auslöste. Zumindest die konsequente Bestandsaufnahme der Zentrale von AB Inbev sollte dem erreichten Status Rechnung tragen: Die Diebels-Brauerei war späterhin für die nationalen Marktaktivitäten überflüssig geworden – 2017 wurde der Standort endgültig zum Verkauf angeboten. Doch obwohl anfängliches Interesse bekundet wurde, winkten potenzielle Käufer alsbald ab. Die Anlagen waren in die Jahre gekommen, der aufgerufene Kaufpreis von AB Inbev illusorisch. Verkauf? Fehlanzeige!
3,5 Milliarden D-Mark ließen Gesellschafter schwach werden
Ganz so schlimm sollte es für die Beck’s Brauerei bis heute nicht kommen – der Markenkraft sei Dank. Wieder waren es die Gesellschafter, die zu Jahrtausendbeginn nicht mehr so richtig an den deutschen Biermarkt glaubten. Sie hatten sich entweder weit vom Traditionsunternehmen entfernt oder sahen in der deutschen Brauwirtschaft kaum noch Expansionschancen. Dieter Ammer, nach Beck’s Managerlegende Josef Hattig nur wenige Jahre Vorsitzender der Geschäftsführung von Beck & Co., ergriff die Gelegenheit zu Jahrtausendbeginn beim Schopf. Ihm gelang es, die zweifelnden Gesellschafter zur finalen Entscheidung, dem Verkauf der Brauerei Beck & Co., zu bewegen.
So war es im Jahr 2001 um die Eigenständigkeit der Traditionsbrauerei in der Hansestadt geschehen: 67 Gesellschafter verabschiedeten sich mit dem Verkauf aus ihrem langjährigen, oft auch familiären Engagement. Der Trennungsschmerz sollte nicht allzu groß werden, denn mit der Kaufsumme von 3,5 Milliarden D-Mark aus der Interbrew-Schatulle wurde der bis dahin höchste Kaufpreis für eine deutsche Brauerei gezahlt. Die Deutsche Presseagentur zitierte damals gar Brancheninsider, die beim Bekanntwerden vom „Ausverkauf des Tafelsilbers der deutschen Brauindustrie“ sprachen. Das Versprechen der belgischen Neueigner von Interbrew schien zunächst verlockend: Sie hatten in die Kasse gegriffen, um endlich eine international veritable und überdies noch urdeutsche Marke für alle Länder in der Hand zu halten.
Niemand hätte es zu diesem Zeitpunkt für möglich gehalten, dass der Wachstumshunger der belgischen Brauer 2004 sogar der Verlockung einer Fusion mit der brasilianischen Ambev-Gruppe erliegen könnte. Der belgische Bierkonzern Interbrew übernahm die brasilianische Großbrauerei Companhia de Bebidas das Américas (Ambev) und verdrängte damit den US-Brauer Anheuser Busch im weltweiten Ranking sofort von Platz eins. Nach Aussage des damaligen Interbrew-Chefs John Brock zahlte der Konzern damals 9,2 Milliarden Dollar für 57 Prozent von Ambev. 2008 vollzog sich dann die ultimative Fusion mit Anheuser Busch, so dass fortan AB Inbev uneinholbar zum weltweit größten Braukonzern mutierte.
Größter Einschnitt für Beck’s
Es war der größte Einschnitt für Beck‘s, denn fortan sollte sich die Unternehmenskultur nachhaltig verändern. Viele Besucher der Hamburger Internorga erinnern sich noch daran, wie nach der Übernahme durch Interbrew am Beck‘s-Stand der Bruch mit angestammten Traditionen augenfällig wurde. Die gewünschte Verjüngung sollte sichtbare Symbole tragen: Vertriebsmitarbeiter, die traditionell-konservativ das Haus mit feingebundener Krawatte vertraten, fühlten sich denkbar unwohl, als sie mit offenem Hemdkragen zum Schaulaufen auf den Hamburger Messestand gebeten wurden. Es sollte der Beginn von zahlreichen Veränderungen sein.
Schlüsselpositionen in Kurzzeitintervallen ausgetauscht
Was die hanseatischen Brauer mit stoischer Ruhe und Marktbearbeitung als verlässliche Partner für den Getränkefachgroßhandel, aber auch für die Gastronomen im Land erreicht hatten und was sie lange Zeit auszeichnete, wurde angesichts des neuen Shareholder-Value-Prinzips immer mehr zurückgedrängt. Es dauerte nicht lange, bis die südamerikanischen Investmentbanker um Multi-Milliardär Jorge Paulo Lemann im Hintergrund die Parole auf ungehemmte Ertragssteigerung ausgaben. Bei Beck‘s wurde gespart, was das Zeug hielt. Gerüchte machten die Runde, wonach der Außendienst die Waschstraße für die gestellten Dienstwagen selbst zahlen musste. Und wer zu Meetings in die belgische Zentrale von Leuven beordert wurde, durfte die Nacht in einem Doppelzimmer verbringen – freilich mit einem oft bis dahin unbekannten Kollegen. Sparzwang eben.
Der Culture Change war so eruptiv, dass Schlüsselpositionen in Kurzzeitintervallen ausgetauscht wurden. Michael Beck, der die Übernahme der Gilde-Gruppe eingefädelt hatte, sollte in der Nachfolge von Dieter Ammer nur kurze Zeit seinen Titel „President Interbrew Deutschland“ tragen können. Dann kam mit Alain Beyens der nächste. Bekannte Namen verließen selten aus eigenem Antrieb, aber stets erleichtert den Konzern. Roland Tobias, nachfolgender President der InBev Business Unit Deutschland, Österreich, Schweiz, verließ 2007 das Unternehmen „auf eigenen Wunsch“. Zum selben Zeitpunkt und aus dem gleichen Grund schied auch Uwe Albershardt als Sales Director Gastronomie/Getränkefachgroßhandel aus, „um sich neuen beruflichen Herausforderungen zu stellen“, wie Beck’s damals wissen ließ. Beide verabschiedeten sich zunächst aus der Brauwirtschaft.
Roland Tobias machte zwei Jahre bei Tiefkühlspezialist Iglo Station, ehe er Geschäftsführer bei der Münchener Paulaner Brauerei wurde. Uwe Albershardt wechselte in den GFGH und die Getränkelogistik, ehe er nach 15 Jahren in die Brauwirtschaft zurückkehrte und unlängst bei der Warsteiner Brauerei andockte. Von nun an merkte sich in der deutschen Getränkelandschaft niemand mehr, wer vorübergehend als Statthalter von AB Inbev fungiert. Manager wie Eric Lauwers, Jens Hösel, Chris Cools, Steve McAllister, Harm van Esterik oder Florian Weins sollten mal schon nach einem Jahr, mal nach dreien ihre Posten räumen – insgesamt 13 Führungskräfte in 20 Jahren. Der Jüngste unter ihnen, Michel Pepa, schlägt sich seit 2019 tapfer.
Strahlende Ost-Biermarke wird heute verramscht
2002 markierte auch für die Hannoveraner Gilde-Gruppe eine Wende. Sie bilanzierte inzwischen einen Jahresausstoß von 4,46 Millionen Hektolitern für alle drei Standorte. In Wernigerode hatte es die zur Gilde Gruppe gehörende Hasseröder Brauerei beim Höhenflug des Auerhahns allein auf respektable 2,32 Millionen Hektoliter gebracht. Im November desselben Jahres beschloss die Aktionärsversammlung des Gilde-Hauptaktionärs Brauergilde Hannover AG mehrheitlich den Verkauf an die belgische Interbrew-Gruppe aus Leuven. Kolportiert wurde damals ein Kaufpreis von durchaus realistischen 500 Millionen Euro für die gesamte Gilde-Gruppe.
Seit der Jahrtausendwende schrumpfte Hasseröder von 2,4 Millionen Hektolitern mit einem Zwischenhoch von 2,8 Millionen Hektolitern im Jahr 2012 auf zuletzt 1,7 Millionen Hektoliter. Die Gastronomierelevanz halbierte sich von damals zehn auf nicht einmal mehr fünf Prozent. Die Markengeschichte von Hasseröder gilt heute als Beispiel für den rasanten und wertevernichtenden Bedeutungsverlust einer einst reputierten Marke, die durch den börsennotierten Weltkonzern schlichtweg an den Rand gedrängt wurde.
Weißbiermarke im harten Wind
Für Interbrew folgte bereits 2003 die nächste Weichenstellung im Deutschlandgeschäft: Immerhin rund 530 Millionen Euro, so war damals zu hören, blätterten die belgischen Brauer von Interbrew für das Münchener Traditionshaus Spaten-Franziskaner hin. Ein Komplettpreis, der 20 Jahre später nicht annähernd mehr zu erzielen wäre. Als Portfolioergänzung zur nationalen Pils-Marke Beck’s, dem Altbier Diebels und der damals reputierten Ost-Marke Hasseröder innerhalb der Gilde-Gruppe sollten fortan auch die Marken Spaten, Löwenbräu und eben Franziskaner Weißbier hinzustoßen. Es war seinerzeit genau diese München-Dependance, die für Interbrew den deutschen Markt von Süden aufrollen sollte.
Nach nur drei Jahren lag der Marktanteil von Interbrew nach der mehrstufigen Akquisitionsphase bei 11 Prozent. Damals atemberaubend und für die deutsche Brauwirtschaft bedrohlich. „Wir haben jetzt das beste Markenportfolio in Deutschland“, sagte damals Interbrew-Chef John Brock in München. „Mit der Übernahme wollen wir vor allem unser Geschäft in Süddeutschland und im Weißbier-Bereich ausbauen.“ Dass damit den damals noch nicht multinational fusionierten Belgiern auch die Stuttgarter Brauereien Dinkelacker und Schwaben-Bräu zufielen, galt wohl eher als Beifang. Diesen regionalen Appendix hätte man nun wirklich nicht gebraucht, um eine nationale Braugruppe mit Marktführerstatus aufzubauen. Folgerichtig währte das Gastspiel der Stuttgarter Brauerei innerhalb des neuen Konzerns nur kurz. Zwei Jahre waren vergangen, ehe die Dinkelacker-Familiengesellschafter „ihre“ einstige Brauerei zurückholten, die sie seit 2006 wieder alleine führen.
Ständiger Schlingerkurs
„Wir investieren einen Millionenbetrag“, sagte der damalige InBev-Sprecher und heutige Oetker-Sprecher Jörg Schillinger 2007, als die Exportkapazitäten am Bremer Beck‘s-Stammsitz zur Hannoveraner Gilde-Brauerei umgeschichtet wurden. Schon zuvor hatte es erste Gerüchte um einen Verkauf der Braustätte in der niedersächsischen Landeshauptstadt gegeben. Offensichtlich spielten schon damals erhebliche Überkapazitäten eine zentrale Rolle. Damals ging es auch um die Zukunft von 250 Arbeitsplätzen in Hannover, für die es eine vorübergehende Garantie gab. Tatsächlich hatten sich nach der zusätzlichen Übernahme von Anheuser Busch durch den bereits aus Interbrew und Ambev fusionierten neuen Konzern AB Inbev eruptive Veränderungen im eigenen Deutschlandgeschäft vollzogen. Unbemerkt hatten die südamerikanischen Investmentbanker, die hinter den Kulissen die Fäden zogen, alle Länderchefs durch Höchstprämien motiviert, aber zugleich erbarmungslos und druckvoll auf Ertrag getrimmt.
Der Brasilianer Carlos Britos hatte seinen Aufstieg an die Spitze von AB Inbev mit dem Segen der Investorengruppe um den Investmentbanker Jorge Paulo Lemann geschafft und einen Kulturwechsel beschleunigt, der nun alles verändern sollte. Absatzmittler im deutschen Markt spürten den südamerikanischen Wind, der deutsche Markttraditionen ins Hintertreffen geraten ließ. Das Gastronomiegeschäft der Stammmarke Beck‘s verzichtete immer mehr auf langfristige Investitionen in die Fassbiergastronomie und forcierte stattdessen das Flaschenbier. Der Ertragsdruck auf das Bremer Management wuchs von Jahr zu Jahr, sodass letztlich die personellen Rochaden in zahlreichen Unternehmensbereichen weiter zunahmen.
Angesichts der heterogenen Ertragsstärke der unterschiedlichen Ländermärkte galt Deutschland im internen Vergleich schon lange als Schlusslicht. Unter AB Inbev wurde das Shareholder-Value-Prinzip weiter geschärft. Während der internationale Großkonzern immer mehr auf Quartalsergebnisse zugeschnitten wurde, wandte sich das Deutschlandgeschäft von den tradierten Befindlichkeiten der heimischen Brauwirtschaft zusehends ab. Dort, wo man über lange Zeit auf eine kontinuierliche Marktentwicklung Wert gelegt hatte, sahen Getränkefachgroßhändler eine von Jahr zu Jahr schwindende Marktnähe der Vertriebsorganisation. Sie trug weniger den Kundenwünschen Rechnung als vielmehr dem unternehmerischen Ziel der Ertragsstärke. Immer neue Kostenrunden erhöhten den Druck – das konzernweite Benchmarking ließ die deutschen Standorte ins Hintertreffen geraten.
Bedeutungsarme Standorte über Bord geworfen
Nachdem man es bei AB Inbev bis 2005 mit einer rasanten Geschwindigkeit bis zur größten Braugruppe Deutschlands gebracht hatte und zwischenzeitlich rund 11 Millionen Hektoliter Ausstoß verbuchte, standen die Zeichen fortan auf schleichenden, aber keineswegs lautlosen Rückzug. 2006 wurde der Verkauf der Dinkelacker Brauerei in Stuttgart abgewickelt, drei Jahre später warf man das Hofbrauhaus Wolters in Braunschweig über Bord. Der Fokus von AB Inbev richtete sich immer mehr auf die Erfolgsmarken Beck‘s und Franziskaner. Gerade die Sonderkonjunktur, die die Marke Beck‘s mit ihrem weltmännischen Markenimage in den Nullerjahren erlebte, gab dem Deutschlandgeschäft über lange Zeit Rückenwind.
Doch auch der begann nach der Jahrzehntwende abzuflauen, weil sich in der vorher taktgebenden Zielgruppe die Imagepräferenzen verändert hatten. Die Rückbesinnung auf die Regionalität von Biermarken stellte das Deutschlandgeschäft vor größere Probleme. Beck‘s war längst kein Selbstläufer mehr. Und es kam, wie es kommen musste: Nachdem die Regionalmarke Diebels bereits abgehängt war, befand sich Hasseröder ohne wahrnehmbare Marketingbudgets ebenfalls in einem unumkehrbaren Abwärtssog. Um den Ertrag zu stabilisieren und gleichzeitig den Ausstoßverlust zu begrenzen, wurde Hasseröder peu à peu im Preis abgesenkt und ins Aktionsfeuerwerk des deutschen Handels gegeben.
Den gleichen Trend beobachten Branchenbegleiter seit 2018 auch bei Beck’s – ein weiteres Trauerspiel. Zwischenzeitlich ist die längst in die Jahre gekommene Vorzeigemarke aus Bremen aufs Preisniveau von Warsteiner und König abgesenkt und damit dem Premium-Wettbewerb von Krombacher, Veltins und Bitburger nach unten entrückt. Für das Deutschlandgeschäft musste eine neue Strategie her. Und wieder wurde eine Verschlankung durch Verkauf angestrebt.
2015 war es dann die Gilde-Brauerei in Hannover, die an das Frankfurter Brauhaus – bekannt durch Preiseinstiegsbiere – veräußert wurde. Nur drei Jahre später geschah das, womit man längst gerechnet hatte: Die Brauereien Diebels in Issum und Hasseröder in Wernigerode wurden ins Schaufenster gestellt, um zum Höchstpreis veräußert zu werden. Das monatelange Schaulaufen zahlreicher Brauereien, die sich die Braustätten am Niederrhein und am Harz anschauten, brachte Klarheit über die wirkliche Situation der beiden Konzerndependancen.
In weiten Teilen waren die Anlagen unter der Führung von AB Inbev abgewirtschaftet worden. Sowohl bei Diebels als auch bei Hasseröder mussten, so damalige Beobachter, erhebliche Investitionen für eine Zukunftsfähigkeit aufgebracht werden. Zu allem Überfluss fiel die Bremer Deutschlandzentrale auf einen Investor herein, der sich bereits in Wernigerode vorgestellt hatte, aber am Ende keine liquiden Mittel bereitstellen konnte, um die Brauerei zu übernehmen. So wurde der Verkauf beider Standorte 2019 abgeblasen.
Fazit: Deutschlandgeschäft vor ungewisser Zukunft
Mangelnde Marktnähe und sinkendes Engagement beobachteten Absatzmittler schon seit Jahren, wenn sie mit dem Deutschlandgeschäft von AB Inbev konfrontiert wurden. Der Blick des Vertriebsmanagements, so ist immer wieder zu hören, geht heutzutage kaum noch über das Jahresende hinaus. Visionen, wohin der internationale Großkonzern in Deutschland in Zukunft steuern will, sind nicht erkennbar.
Stattdessen ist die deutsche Brauwirtschaft auf Distanz gegangen und sieht das Unternehmen spätestens seit dem Kartellverfahren als weitreichend isoliert. Damals hatte AB Inbev beim Bundeskartellamt in Bonn vorgesprochen, um die Wettbewerber der Preisabsprache zu denunzieren. Reichlich Aktenbände wurden zur Verfügung gestellt, um vom Kronzeugenvorteil zu profitieren. Damit hatte man die wesentlichen Wettbewerber an den Pranger geliefert und ihnen überdies Bußgeldzahlungen von über 200 Millionen Euro aufgebürdet. Für die zumeist mittelständischen Brauereien bedeutete das eine erhebliche Schwächung ihrer Investitionen und temporären Wirtschaftlichkeit.
Während über die einst so strahlende Marke Diebels heute kaum noch jemand spricht, gilt Hasseröder als Aktionsmarke des Handels, der es nur noch selten gelingt, mehr als acht Euro im Portemonnaie des Verbrauchers locker zu machen. Allenfalls Franziskaner steht im Süden der Republik noch gut im Wind, hat aber in den letzten Jahren auch stark unter dem Aktionsgeschäft gelitten. Aus Branchensicht ist der Weg von Beck‘s inzwischen vorgezeichnet: Die große Erfolgsmarke, die für den Weltkonzern durchaus noch einen Imagegewinn bedeutet, wird in vielen Ländern als Lizenzmarke abgefüllt, hat die deutschlandweite Sonderkonjunktur der Nullerjahre aber längst hinter sich gelassen. Mit mangelnder Mediaunterstützung ist Beck‘s längst ein Opfer der LEH-Aktionitis geworden – und das mit dem Zusehen der Bremer Zentrale.
Währenddessen ist die Ertragserwartung der belgisch-südamerikanischen Investmentbanker in der Schaltzentrale von AB Inbev keineswegs geringer geworden. Schon jetzt ist absehbar, dass mit dem Verlust des weiteren Markenimages von Beck‘s, Hasseröder oder Franziskaner langfristig auch die Erträge schwinden werden. Auch das jüngste Aufpumpen der Ausstoßmengen in der Hasseröder Brauerei durch die Produktion des Mexiko-Bieres Corona kann nicht mehr als ein Luftholen sein. Dagegen bleiben notwendige Investitionen an den wichtigen Standorten und die zudem erhebliche Pacht für das Gelände der Münchener Braustätte ein latentes Problem. Der Schlingerkurs dürfte weitergehen – die Harvester-Strategie ebenfalls.
Mehr noch: Viele Marktbeobachter hegen ernsthafte Zweifel darüber, ob zum Ende dieses Jahrzehnts der Weltkonzern AB Inbev nicht längst den Spaß am Deutschlandgeschäft verloren haben könnte. Keine rosigen Zeiten für Marken und Mitarbeiter.
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