Die Angst vor Inflation und steigenden Preisen überlagert bei den Deutschen zurzeit praktisch alle anderen Sorgen. Erst mit Abstand folgen der Ukrainekrieg, die Coronapandemie und schließlich die Klimakrise. Das ist das zentrale Ergebnis der aktuellen repräsentativen Studie „Konsum-Klimawandel 2022“. Über die Ergebnisse im Detail und die Folgen für die Markenartikelindustrie sprach Getränke News mit Prof. Dr. Oliver Kaul, Mitautor der Studie.
Getränke News: Wer Angst vor Inflation hat, entscheidet sich normalerweise zu sparen. In welchem Maße konnten Sie das bereits bei Ihren Befragungen feststellen?
Kaul: Die Tendenz zum Sparen ist sehr deutlich. Die Deutschen schnallen jetzt schon den Gürtel enger. 95 Prozent haben bereits angefangen zu sparen, das gilt auch für wirtschaftlich besser gestellte Konsumenten. Nur fünf Prozent haben ihr Kaufverhalten gar nicht verändert. Alle anderen schränken sich jetzt schon deutlich ein, vor allem bei Lebensmitteln, aber auch bei Gastronomiebesuchen und bei Bekleidung.
Getränke News: Wie stark stehen Lebensmittel im Vordergrund?
Kaul: Das ist individuell verschieden. Wir konnten drei eindeutig voneinander abgrenzbare Sparer-Typen ausmachen: 46 Prozent sparen verstärkt bei Lebensmitteln und anderen Dingen des täglichen Bedarfs. 19 Prozent – die schon vor der Krise preissensibel waren – sparen notgedrungen an allem. Und dann gibt es noch die Gruppe, die überall spart – außer an Lebensmitteln und Freizeitaktivitäten.
Getränke News: 46 Prozent sparen an Lebensmitteln, das erscheint mir sehr viel …
Kaul: Das ist ein Reflex, der bei den Deutschen tief drin ist. Wir sind eine Discounternation. Viele sparen am Essen, selbst wenn sie es sich leisten könnten. Unabhängig von unserer Befragung beobachten wir das auch beim Handel. Da zeigt sich jetzt bereits eine Bewegung von Marken zu Handelsmarken und vom LEH zu Markendiscountern.
Getränke News: Auf Lebensmittel kann man nicht ganz verzichten. Wie sparen die Menschen da konkret?
Kaul: Wir sehen drei Arten, wie bei Lebensmitteln gespart wird: das Downgrading, also ein Ausweichen auf günstigere Produkte, eine bessere Einkaufsplanung und Konsumreduktion oder -verzicht. Überdurchschnittlich anfällig für eine Kaufzurückhaltung sind Fleisch- und Wurstprodukte, Schokolade und alkoholische Getränke.
Getränke News: Auf Alkohol kann man sicherlich leichter verzichten als auf Brot. Glauben Sie, dass sich da das Konsumverhalten dauerhaft verändern könnte?
Kaul: Zunächst einmal sind die Antworten aus der Befragung Absichtserklärungen, im Markt sieht man das noch nicht so stark. Und dann ist das auch individuell verschieden. Manche Konsumenten sind hochloyal, beispielweise beim Bier. Da werden die „Eingefleischten“ bei ihren Marken bleiben. Andere waren bisher schon immer auf der Suche nach Sonderangeboten, die kaufen jetzt vielleicht weniger Kisten je Einkaufsakt.
Wer gerne mal eine Spirituose trinkt, wird darauf auch nicht prinzipiell verzichten. Ich gehe aber davon aus, dass die Bereitschaft abnimmt, immer noch weitere Sorten dazuzukaufen. Die Vielfalt im heimischen Barfach dürfte geringer werden.
Getränke News: Seit vielen Jahren sehen wir eine wachsende Hinwendung zu Premiumprodukten. Jetzt auf einmal haben wir es mit Downgrading zu tun. Wie wirkt sich das auf höherpreisige Marken aus, insbesondere bei Getränken?
Kaul: Laut unserer Studie wollen sich Käufer hochwertiger Marken künftig stärker zurückhalten. Bei Marken-Erfrischungsgetränken gaben 66 Prozent an, sich diese seltener oder gar nicht mehr zu leisten, bei Säften waren es sogar 82 Prozent und bei alkoholischen Getränken 70 Prozent.
Getränke News: Wie lange wird das anhalten?
Kaul: Das hängt davon ab, wie sich die Situation weiterentwickelt. Wenn sie sich in absehbarer Zeit zum Besseren ändert, werden die Menschen ihre Markenpräferenzen nicht vergessen haben. Sollte sich die Lage nicht bald beruhigen, bekommen manche möglicherweise den Eindruck „Handelsmarken sind ja gar nicht so schlecht“ und bleiben dabei.
Getränke News: Schlechte Zeiten für teure Markenartikel …
Kaul: Ja, für viele lautet jetzt die Devise „Mainstream statt Premium“. Tatsächlich leidet das obere Preisende am stärksten, die Handelsmarken profitieren hingegen am meisten. Über die Preisniveaus hinweg steigt von unten nach oben der Druck fast linear.
Getränke News: Was raten Sie in dieser Situation Markenartiklern im Premiumsegment?
Kaul: Sie sollten sich auf jeden Fall weiterhin auf Premium ausrichten und nicht in der Kommunikation sparen, denn die Verluste fallen bei starken Marken definitiv geringer aus. Auch hier zeigt sich wieder einmal: Wer bisher einen guten Marketingjob gemacht hat – da gibt es eine Reihe von Beispielen –, kommt auch besser durch die Krise.
Getränke News: Wegen der allgemeinen Teuerung müssten aber auch sie die Preise anheben …
Kaul: Daran wird im Zweifel kein Weg vorbei gehen. Je nach Produktkategorie gibt es aber verschiedene Szenarien, die es individuell zu prüfen gilt: In Kategorien wie Käse, Wurst etc. kann es auch eine Option sein, die Packungsmenge zu verringern. Hiermit meine ich keine stumpfe, indirekte Preiserhöhung, in der Hoffnung, dass Konsumenten das nicht bemerken.
Im Gegenteil: Das muss clever kommunikativ begleitet werden und ist optimalerweise kein Ersatz des bisherigen Formats, sondern steht zusätzlich im Regal. Auch bei Getränken besteht durchaus die Chance, auf ein günstigeres Produkt in der Markenrange zu verweisen. So hat es Mumm offensichtlich geschafft, preissensiblen Markenverwendern mit Jules Mumm eine Alternative zu bieten.
Getränke News: Sie sprachen von einer vermehrten Abwanderung zu den Discountern. Wie wird das den traditionellen Lebensmittelhandel verändern?
Kaul: Der LEH wird das sicherlich spüren, zumal es ja viele Marken inzwischen auch bei den Discountern gibt. Falls die Krise anhält, könnten manche Leute sehen, dass der Discount „gar nicht so schlecht ist“, und längerfristig wechseln. Zudem wird sich sicherlich der Preiskrieg zwischen den LEHs verstärken, das hat auch schon begonnen – mit immer mehr Promotions, mit denen man seine Leistungsfähigkeit beweisen will. Das wird den Druck auf die Markenartikler noch weiter erhöhen, für sie wird es immer schwerer werden, ihren Regalpreis durchzusetzen.
Getränke News: Laut Ihrer Studie wollen viele Befragte auch auf Gastronomiebesuche verzichten. Ist damit die schon durch Corona gebeutelte Branche ganz am Ende?
Kaul: Wir sehen zurzeit noch zwei widerstreitende Tendenzen: Einerseits sparen viele an allem, was nicht unbedingt notwendig ist, dazu gehören auch Gastronomiebesuche. Andererseits ist der Wunsch deutlich, nach Auslaufen der Corona-Maßnahmen die „neue Freiheit“ zu genießen. Die Biergärten sind voll, es gibt geradezu einen Run auf die Gastronomie. Wer sparen muss, wird vielleicht nicht mehr so oft ausgehen oder beim Restaurantbesuch darauf achten, weniger oder günstigere Speisen und Getränke zu bestellen.
Unser Gesprächspartner
Prof. Dr. Oliver Kaul unterrichtet Marketing an der Hochschule Mainz und ist Vorsitzender des Academic Board des Marktforschungs- und strategischen Beratungsunternehmens Smartcon mit Sitz in Mainz und Mitautor der CSR-Kompass-Studie „Konsum-Klimawandel 2022“.
Die Untersuchung wurde in Zusammenarbeit mit der CSR-Beratungsagentur Keßler Kommunikationsberatung, Wiesbaden, erstellt. Für die repräsentative Studie befragte Smartcon Mitte Juni 1.200 Personen von 18 bis 65 Jahren in Online-Interviews.