Getränke in Einwegverpackungen könnten durch eine strengere Klimapolitik der neuen Bundesregierung unter Druck geraten. Abgaben oder Steuern sollen die Mehrwegquote von aktuell 42 Prozent auf mindestens 70 Prozent erhöhen. Wir sprachen mit Günther Guder, geschäftsführender Vorstand des Verbandes „Pro Mehrweg“, über die geplanten Maßnahmen.
Getränke News: Die Grünen sitzen in der neuen Bundesregierung. Gut für das Mehrwegsystem?
Guder: Grundsätzlich ja. Sie haben mit dem Umwelt- sowie dem Wirtschafts- und Klimaministerium auch die für Mehrwegschutz und -förderung wichtigsten Ressorts in der Bundesregierung besetzt. Von ihrer Positionierung her stehen sie uneingeschränkt hinter Mehrwegsystemen und sehen die Notwendigkeit, Maßnahmen zur Erhöhung der aktuell bei 41,8 Prozent liegenden Mehrwegquote zeitnah zu ergreifen. Wir registrieren demgegenüber gewisse Abstriche bei der SPD und einige Fragezeichen bei der FDP. Es bleibt also abzuwarten, wie zukünftig Kabinettsentscheidungen getroffen werden. Auch der Bundesrat spielt ja in diesen Fragen eine wichtige Rolle.
Getränke News: Das Umweltbundesamt hat erste Überlegungen zur Stärkung des Mehrwegsystems vorgestellt. Im Gespräch ist u.a. eine Steuer auf Einwegverpackungen. Wie bewerten Sie diese Überlegungen?
Guder: Eine Steuer zusätzlich zum bestehenden Einwegpfand ist nach Ansicht der vom Umweltbundesamt mit der Prüfung beauftragten Juristen angeblich einfacher zu realisieren. Wir favorisieren demgegenüber die Lenkungsabgabe mit deren Hilfe die Einnahmen zielgerichtet zu Gunsten von Mehrweg, Mehrwegschutz und Mehrwegförderung zur Verfügung gestellt werden könnten. Dies und Fragen zur rechtlichen Zulässigkeit einer Lenkungsabgabe haben wir auch in einem Rechtsgutachten beantwortet. Eine Steuer – die nebenbei auch für Mehrweg gelten würde – könnte dagegen im Haushalt des Finanzministers „verschwinden“.
Getränke News: Auch verbindliche Mehrwegquoten für den Handel werden diskutiert.
Guder: Nach meiner Information soll es ab 2024/2025 in Österreich bereits Mehrwegquoten für Handelsunternehmen geben. Dies zeigt, dass eine solche gesetzliche Regelung nur mit einer Übergangsfrist realisierbar ist. Sie würde auf jeden Fall auch eine veränderte Wettbewerbssituation zwischen den Marktakteuren hervorrufen.
Es ist allerdings zu vermuten, dass sich die Harddiscounter bei Mehrweg auf wenige bekannte Marken konzentrieren würden, sodass für den Getränkefachmarkt Themen wie Sortimentsbreite, Sortimentstiefe und regionale Produkte sowie Nachhaltigkeit für die eigene Positionierung genutzt werden könnten. Der Discounter Netto, nach eigenen Aussagen größter Mehrweganbieter Deutschlands, hat bislang jedenfalls nicht die Erfolgsstory der filialisierten Getränkefachmärkte beeinträchtigen können.
Getränke News: Die letzte „neutrale“ Ökobilanz für Einweg und Mehrweg wurde vor gut 20 Jahren erstellt. Inzwischen haben sich sehr viele Parameter verändert. Brauchen wir eine neue Ökobilanz?
Guder: In der Tat haben sich einige Parameter verschoben. Dies aber sowohl auf der Einweg- als auch auf der Mehrwegseite. Es gilt aber mit „Vermeidung vor Verwertung“ nach wie vor das Prinzip der „Abfallhierarchie“, das im europäischen und deutschen Abfallrecht seit Jahren verankert ist. Das Mehrwegsystem ist daher von vornherein hierarchisch über dem Einwegsystem angesiedelt.
Eine Bier-Mehrwegflasche, die bis zu 50 Mal umläuft und danach zu großen Teilen direkt im neuen Produktionsprozess recycelt wird, ist für die Umwelt und das Klima allemal besser als z.B. eine Dose, die nach nur einmaligem Gebrauch entsorgt und aufwendig recycelt werden muss. Vor diesem Hintergrund wird in dem neuen Forschungsvorhaben des Umweltbundesamtes auch von einer „zukunftsorientierten ökobilanziellen Betrachtung“ gesprochen. Man ist sich wohl im Klaren darüber, dass eine neue Ökobilanz für den gesamten Getränkebereich kaum finanzierbar wäre und darüber hinaus zum Zeitpunkt der Fertigstellung nach drei bis fünf Jahren schon wieder veraltete Werte enthalten würde.
Getränke News: Die letzten Jahre gab es immer wieder Engpässe beim Mehrweg-Leergut und in der Logistik. Auch Glashütten kamen an ihre Kapazitätsgrenzen. Kann eine höhere Mehrwegquote überhaupt gemanagt werden?
Guder: Grundsätzlich gesehen hatten wir in früheren Zeiten ja schon einmal eine höhere Mehrwegquote, die entsprechend gemanagt wurde. Nachdem die Mehrwegquote insbesondere im Mineralwasserbereich durch die Dumpingpreispolitik der Harddiscounter aber rapide einbrach, fehlte es an dem politischen Willen, sehr rasch gegenzusteuern. Kein Wunder also, wenn z.B. Produktionsstraßen für Mehrweg-Glasflaschen vor dem Hintergrund steigender Einweganteile nicht mehr erneuert wurden. Die Produktion jetzt wieder hochzufahren kostet aber Geld und dauert seine Zeit.
Die Probleme beim Mehrweg-Leergut und in der Logistik sind auch der Tatsache geschuldet, dass in den letzten Jahren viele Individualgebinde auf den Markt gebracht wurden, die eine erhöhte Komplexität im Handling des Mehrwegsystems verursachten und so seine Effizienz beschnitten. Wir müssen daher gezielt und rasch daran arbeiten, diese Komplexität wieder zu reduzieren.
Die verstärkte Rückkehr zu bestehenden Mehrweg-Poolgebinden sowie insgesamt zu gesteuerten Flaschenpools sollte vielmehr auf die Tagesordnung gesetzt werden. Auch der verstärkte Einsatz von neutralen Ladungsträgern in der Auslieferung von z.B. 6er Trägern oder für den Prozess der Sortierung ist sicherlich geboten. Zu guter Letzt sollten wir in überschaubarem Zeitraum zu einer digitalen Abbildung aller Voll- und Leergutströme auf der Grundlage einer einheitlichen Datenbasis kommen.
Getränke News: Die Kampagne „Mehrweg ist Klimaschutz“, die 2007 an den Start ging, ist heute aktueller denn je. Wird die Öffentlichkeitsarbeit weiter ausgebaut?
Guder: Durch das erfreuliche Wachstum bei der Mitgliederzahl des Verbandes Pro Mehrweg haben wir nun auch die finanziellen Mittel, die Kampagne weiter auszubauen. Anfang 2021 haben wir einen Erklärfilm zum Funktionieren des Mehrwegsystems und seiner ökologischen Vorteile veröffentlicht. Derzeit stehen wir kurz vor der Fertigstellung eines zweiten etwas kürzeren Films, der sich mit dem Thema „Kennzeichnung von Mehrweg und Einweg“ befasst. In beiden Filmen werden die Klimaschutzaspekte von Mehrweg transportiert. Zu guter Letzt denken wir gerade über eine modifizierte Neuauflage einer ergänzenden Aktion nach, die vor drei Jahren unter dem Begriff „Klimahelden“ lief.
Getränke News: Wo sehen Sie das Mehrwegsystem in fünf Jahren?
Guder: Ich hoffe sehr, dass sich die Mehrwegquote dem im Verpackungsgesetz verankerten 70-Prozent-Ziel durch Umsetzung der angesprochenen Sanktionsmöglichkeiten wieder angenähert hat. Ich gehe zudem davon aus, dass sich die Projekte zur Digitalisierung der Voll- und Leergutströme auf einheitlicher Datenbasis ebenso in der Umsetzung befinden wie die wieder stärkere Rückbesinnung auf Mehrwegpoolgebinde in allen Getränkesegmenten.
Das Erreichen der durch die neue Ampelkoalition definierten Klimaziele und Ressourcenschonung wird große Anstrengungen von uns allen erfordern. Jeder Beitrag zur Abfallvermeidung und CO2-Einsparung wird wichtig werden, um die Welt nachhaltig zu gestalten und auf den 1,5-Grad-Pfad zu bringen. Mehrweg kann dazu einen signifikanten Beitrag leisten.