Seit den frühen 1970er Jahren setzten sich Einwegverpackungen immer stärker durch. Für den Getränkefachgroßhandel und die mittelständische Brauwirtschaft wurden sie zunehmend zum Problem – ökologisch wie ökonomisch. Derart unter Druck geraten, gründeten Branchenvertreter 1983 den Verband Pro Mehrweg, damals noch unter dem Namen „Verein zur Bekämpfung und Verminderung von Einwegverpackungen“.
Mitte November feierte Pro Mehrweg in der Westerwald-Brauerei Hachenburg sein 40. Jubiläum. Getränke News sprach mit dem geschäftsführenden Vorstand Günther Guder über Erfolge und Rückschläge und blickte mit ihm in die Zukunft.
Getränke News: Sie kämpfen seit Jahrzehnten für Mehrweg. Hand aufs Herz: Wann haben Sie zuletzt eine Dose getrunken?
Guder: Da muss ich nachdenken … Das war vor zwei Jahren in einer Ferienanlage in Holland. Die Mehrwegflaschen waren dort ausgegangen und ich war gezwungen, bei meinem Abendbier auf eine Dose auszuweichen. Ich habe das Bier aber zumindest in ein Glas gegossen.
Getränke News: Die Einführung des Einwegpfands hat damals die Dose stark zurückgeworfen. Inzwischen ist das Gebinde aber wieder auf dem Vormarsch. Junge Leute kennen die Dose gar nicht mehr ohne Pfand. Wie könnte man junge Leute zu mehr Mehrweg bewegen?
Guder: Daran arbeiten wir in der Mehrweg-Allianz bereits. Wir haben unsere seit vielen Jahren bewährte Kampagne „Mehrweg ist Klimaschutz“ in diesem Jahr deutlich verjüngt. Die Werbematerialien zeigen jetzt nicht mehr, wie früher, die Erde im Weltall oder Eisbären auf ihrer Scholle, sondern Motive mit jungen Leuten. 2022 haben wir die Kampagne erstmals auf die sozialen Medien ausgeweitet, 2023 konnten wir die Reichweite dort bereits deutlich steigern. Das wollen wir noch verbessern und arbeiten gerade an weiteren neuen Werbemotiven.
Getränke News: Pro Mehrweg feiert gerade sein 40. Jubiläum. Was waren die größten Meilensteine?
Guder: Allein schon unsere Gründung war ein großer Meilenstein: Damals setzten sich Einweg-Verpackungen immer stärker durch, was sowohl ökologisch als auch ökonomisch immer mehr zum Problem wurde. Dass sich 1983 erstmals private Brauereien und der Getränkefachhandel zusammentaten, um gemeinsam etwas zu erreichen, war durchaus bemerkenswert.
Als weiteren Meilenstein sehe ich die Durchsetzung des Pflichtpfands. Es gab damals heftige Auseinandersetzungen darum, ob die Bundesregierung ein bestehendes Gesetz umsetzen darf, wenn die Mehrwegquote unter 72 Prozent sinkt. Die Einweg-Seite strengte damals zahlreiche Prozesse dagegen an.
Wir hatten seinerzeit auf einem Gelände gegenüber dem Bundesrat eine Kampagne gestartet, bei der wir Leute aufgefordert haben, uns gegen einen kleinen Geldbetrag weggeworfene Einweg-Verpackungen zu bringen, die sie auf der Straße oder im Park finden. Das war sehr erfolgreich; wir konnten einen riesigen Dosenberg aufschichten und so zeigen, welche Auswirkungen Einweg hat. Die Aktion kam genau rechtzeitig zur Abstimmung über die Verpackungsverordnung. Unsere Rechnung ist aufgegangen – 2003 wurde das Pflichtpfand eingeführt.
Getränke News: Das war nach 20 Jahren Pro Mehrweg. Was waren später noch Highlights für Sie?
Guder: Als die Verpackungsverordnung 2019 in ein Gesetz gegossen wurde, war zunächst keine Mehrweg-Zielquote darin vorgesehen. Nach zahlreichen Interventionen – nicht nur von Pro Mehrweg, sondern aus der gesamten Branche – wurde sie doch in das Gesetz aufgenommen. Gemeinschaftlich konnten Hersteller, Händler, Umwelt- und Verbraucherschützer der Politik klarmachen, dass das Thema in großer Breite Rückhalt hat.
Nicht zuletzt haben wir auch einiges dazu beigetragen, dass das EU-Parlament die Abfallhierarchie beschlossen hat. Wir hatten auf den Mehrweg-Konferenzen in Brüssel, die heute Re-Use-Konferenzen heißen, immer wieder appelliert, dass man sich auch auf europäischer Ebene um das Thema kümmert.
Getränke News: Sicherlich gab es auch Rückschläge oder Niederlagen …
Guder: Vorab: Ich würde nicht von Niederlagen sprechen. Wir stehen mit der Einweg-Lobby, die die gleichen im Grundgesetz verbrieften Rechte wie wir hat, ihre Interessen zu vertreten, in einem Wettbewerb. Da kann man sich nicht immer durchsetzen.
Der letzte Fall, wo wir uns leider nicht durchsetzen konnten, ist noch ganz frisch – das war bei der aktuellen Abstimmung – am 22. November – über die EU-Verpackungsverordnung PPWR im Europäischen Parlament. Für Mehrweg wurden zwar einige Zielquoten festgelegt, aber auf Druck der Einweg-Seite wurde eine Ausnahme beschlossen: Staaten können die Mehrwegquoten aussetzen, wenn die Materialfraktion der jeweiligen Einwegverpackung eine Recyclingquote von über 85 Prozent hat.
Getränke News: Was bedeutet das konkret?
Guder: Faktisch ist das eine Aufweichung der europäischen Abfallhierarchie „Vermeidung vor Verwertung“. Allerdings handelt es sich jetzt erst um die Verhandlungsposition des Parlaments. Im sogenannten Trilogverfahren müssen nun Parlament, die EU-Kommission und der Rat noch eine gemeinsame Regelung finden. Ob sich die Position des Parlaments am Ende durchsetzt, ist noch unklar.
Ein weiteres Thema, wo wir uns bislang nicht durchsetzen konnten, ist eine Lenkungsabgabe auf Einweggebinde zusätzlich zum Pfand, die wir seit langem fordern. Wir hoffen allerdings, dass durch die jüngsten Entwicklungen im To-go-Geschäft Bewegung in das Thema kommt. Bekanntlich denken viele Kommunen darüber nach, nach dem Vorbild der Stadt Tübingen Einwegbecher und -Essensverpackungen zu besteuern. Wenn das dort funktioniert, könnte uns das zusätzliche Argumente liefern und eine Blaupause auch für Getränkeflaschen und -dosen sein.
Getränke News: Die Mehrwegbranche gerät immer wieder gegenüber der Einwegfraktion in Erklärungsnot, weil sie vermeintlich mit alten Zahlen argumentiert. Wann kommt eine neue Ökobilanz?
Guder: Die Einweg-Seite diskreditiert Mehrweg immer wieder durch einzelne Aussagen aus Ökobilanzen. Dabei ist jedem offenkundig, dass es besser ist, eine Flasche bis zu 50 Mal wieder zu befüllen als nach einmaligem Gebrauch immer wieder neue Dosen in Umlauf zu bringen. Der europäische Green Deal setzt klar die Priorität „Abfallvermeidung und Ressourcenschonung“. Ein wesentliches Instrument dafür ist Mehrweg. Innerhalb regionaler Kreisläufe im Umkreis von bis zu 300 Kilometern ist Mehrweg unschlagbar. Da brauchen wir keine neue Ökobilanz.
Getränke News: Welche Rolle spielt die gerade fertiggestellte Studie des Ifeu-Instituts, die vom Umweltbundesamt in Auftrag gegeben wurde? Darin kommt Einweg nicht so schlecht weg.
Guder: Es handelt sich um eine in die Zukunft gerichtete ökobilanzielle Betrachtung. Sie untersucht Optimierungspotenziale bis 2030 und 2045 – allerdings mit der Voraussetzung einer Energiewende und der Defossilisierung von Energie, Industrie und Verkehr. Unserer Meinung nach geht auch diese Untersuchung an mehreren Stellen von diskussionswürdigen Annahmen aus, etwa beim Rezyklat-Einsatz, um nur ein Beispiel zu nennen.
Kritikwürdig ist auch, dass bei Mehrweg manche Parameter – wie zum Beispiel die Umlaufzahlen – nicht auf den aktuellen Stand gebracht wurden. Für Einweg hingegen hat man die neuesten Daten zugrunde gelegt. Hinzu kommt, dass es im Mehrweg-Bereich noch viele Möglichkeiten zur Verbesserung gibt wie bei der Reinigung der Flaschen, in der logistischen Kette oder durch die Reduzierung von Individualgebinden. Einweg hingegen ist schon weitgehend optimiert, da gibt es nur noch wenig Spielraum.
Getränke News: Um die Flaschenpools der Brauer ist es ruhig geworden. Ist der Leidensdruck in der Branche noch nicht hoch genug – oder warum machen nicht längst mehr Unternehmen mit?
Guder: Leider ist der Schwung etwas abgeebbt. Das dürfte an der derzeit schwierigen wirtschaftlichen Situation liegen. Hohe Energiekosten, Unsicherheit über die Entwicklung in der Gastronomie, eine steigende LKW-Maut usw. mindern sicherlich aktuell die Bereitschaft zur Investition. Es sind also nicht die besten Zeiten, auf Poolflaschen umzustellen. Zudem verunsichern die Diskussion um das neue Verpackungsgesetz auf Bundesebene und die europäische PPWR die Unternehmen. Da sind momentan so viele Fragen offen, etwa zur dauerhaften Kennzeichnung von Mehrweg oder bei der Vorschrift, dass Verpackungen nicht mehr als 40 Prozent Leerraum haben dürfen. Keiner weiß, ob das auch Getränkekisten betrifft. Da warten viele lieber erst einmal ab.
Getränke News: Die Weinbranche setzt sich erstmals umfangreicher mit dem Thema Mehrweg auseinander. Wie schnell wird sich hier ein nennenswerter Marktanteil bilden?
Guder: Ich hoffe, dass die Umstellung schneller geht als bei den Pools der Brauer. Die Weinbranche füllt traditionell in Glas-Einwegflaschen ab. Angesichts der problematischen Preissituation bei Neuglas ist der Druck hoch, eine alternative Lösung zu finden. Eine Wiederverwendung wäre da eine große Hilfe. Dass von der Vorstellung der ersten Flasche bei der ProWein im März bis zur ersten Abfüllung nur wenige Monate vergangen sind, macht mir Hoffnung.
Der Pool der Württemberger Wein Mehrweg eG ist bereits am Markt – und er ist ein für weitere Teilnehmer offener, gesteuerter Pool. Das ist eine gute Nachricht, denn man weiß, wer die Flaschen einsetzt und wie viele im Umlauf sind. Daneben wird im nächsten Jahr der Pool vom Behälterglashersteller Verallia an den Start gehen. Das wird Wein in Mehrweg zusätzlich pushen.
Insgesamt stößt das Thema aktuell auf viel höhere Akzeptanz als noch vor fünf Jahren. Ich hoffe, Mehrweg wird in den nächsten zwei, drei Jahren auch beim Wein einen richtigen Schub bekommen und einen nennenswerten Marktanteil von zehn Prozent erreichen können.
Getränke News: Was müssten die nächsten Schritte sein, um Mehrweg in Zukunft noch erfolgreicher zu machen?
Guder: Ein wichtiger Punkt wäre, die Anzahl der Individualflaschen weiter zurückzufahren und stärker auf bestehende Poolgebinde zu setzen. Auch der Einsatz von neutralen Ladungsträgern wie von Logipack wäre wünschenswert. Es ist doch Unsinn, dass jede Brauerei ihre Sechser-Träger in ihren eigenen Kisten in Verkehr bringt; das führt zur Vermischung von Leergut und erschwert die Sortierung und Rückführung. Hier könnten unnötige Transportwege eingespart werden.
Probleme bei der Leergutsortierung verursachen auch kaum unterscheidbare Flaschenvarianten wie zum Beispiel bei der kleinen Euroflasche. Davon sind drei im Umlauf, die sich nur minimal unterscheiden. Hinzu kommt die Tatsache, dass jeder Hersteller trotz des Einsatzes von gleichen Flaschen jeweils eine eigene Leergut-Artikelnummer vergibt. Das bringt einen hohen Verwaltungsaufwand in der logistischen Kette. Das wird sich allerdings wohl nur langsam ändern.
Verbesserungen erwarte ich aber von einer weiteren Digitalisierung der Logistikkette und damit der Voll- und Leergutströme. Sie wird die Verfügbarkeit von Leergut weiter verbessern, weil man genauer wissen wird, wo die Flaschen stehen und in welcher Menge.
Daher mein Appell an die gesamte Branche: Lieber selbst handeln, bevor der Gesetzgeber reguliert!