Die Folgen des Klimawandels machen auch dem Weinbau zu schaffen, die klassischen Rebsorten leiden immer stärker unter den Wetterextremen. Ein Schlüssel zum Erfolg könnten pilzresistente Rebsorten (Piwis) sein. Doch am Markt setzen sie sich bislang kaum durch.
Von der Sonne verbrannt, im Dauerregen verschimmelt, durch Spätfrost erfroren: Immer stärker setzen die Folgen des Klimawandels auch den Reben zu. Die beliebteste weiße Sorte in Deutschland, der Riesling, wandert immer weiter nordwärts, hierzulande können inzwischen Reben kultiviert werden, die bis vor kurzem am besten in südlichen Ländern gediehen.
Ähnlich wie andere landwirtschaftliche Zweige und die Forstwirtschaft muss sich auch die Weinbranche fragen, wie es in den nächsten Jahrzehnten weitergehen soll. Zusätzlich setzen strengere Regeln für den Umweltschutz die Winzer fast überall in Europa unter Druck: In der Europäischen Union soll der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln bis 2030 halbiert werden, zudem ist geplant, einzelnen Wirkstoffen die Zulassung zu entziehen. Gerade für den Wein ist das eine riesige Herausforderung, denn Reben zählen zu den Gewächsen mit dem höchsten Bedarf an Pflanzenschutz überhaupt, ob nun chemische Mittel im konventionellen Weinbau oder Schwefel und Kupfer in den Bio-Betrieben.
Dabei hat die Fachwelt den – oder zumindest einen – Schlüssel zum Erfolg bereits in der Hand: in Gestalt der „pilzresistenten Rebsorten“, kurz „Piwis“ genannt. Sie heißen Regent, Cabernet Blanc, Sauvignac oder Solaris und kommen mit 50 bis 80 Prozent weniger Spritzmittel aus als die Klassiker Riesling, Spätburgunder & Co., die jährlich acht bis zehn Mal, in schlechten Jahren noch öfter mit Pflanzenschutz behandelt werden müssen. Gezüchtet werden sie durch Kreuzung resistenter Wildreben mit qualitativ hochwertigen Kultursorten.
Eingeschleppte Krankheiten machten Züchtung nötig
Geforscht wird an den Piwis schon sehr lange, so begann zum Beispiel das Julius-Kühn-Institut (JKI) Geilweilerhof im pfälzischen Siebeldingen bereits 1926 mit der Rebenzüchtung. Notwendig wurde dies durch Krankheiten, die im 19. Jahrhundert aus Amerika nach Europa eingeschleppt wurden und großflächig Ernten vernichteten – vor allem der Echte und der Falsche Mehltau (Oidium und Peronospora). Bis allerdings qualitativ und geschmacklich brauchbare Pflanzen entstanden, sollten noch Jahrzehnte vergehen. Die ersten Neuzüchtungen erhielten in den 1990er Jahren ihre Zulassungen, marktfähig wurden sie erst Anfang der Jahrtausendwende.
Seit dieser Zeit seien sie den klassischen Sorten allerdings „qualitativ ebenbürtig“, betont Prof. Reinhard Töpfer, der am Institut für Rebenzüchtung des JKI zu dem Thema forscht und den Piwis eine große Zukunft prophezeit. Zumal sie neben ihrer Umweltverträglichkeit durch weniger Pflanzenschutz noch weitere Vorteile mitbringen, wenn es um Klima und Umwelt geht: Da Winzer deutlich seltener zum Spritzen durch die Weinberge fahren müssen, wird nennenswert weniger CO2 ausgestoßen und der Boden nicht so stark verdichtet.
Winzer zu ängstlich, Konsumenten kaum informiert
Ein wahres Wunder an Nachhaltigkeit und damit voll im Trend, sollte man meinen. Doch warum geht es in dem Thema trotzdem nicht so recht voran? Lediglich etwa drei Prozent der Rebflächen in Deutschland sind mit den innovativen Sorten bestockt, und die meisten Konsumenten haben noch nie davon gehört. „Wir befinden uns in einem Teufelskreis“, erklärt Christoph Kiefer, Doktorand am Institut für Wein- und Getränkewirtschaft der Hochschule Geisenheim, der an der Professur von Gergely Szolnoki über die Akzeptanz der Piwis forscht.
Zwar seien viele Verbraucher prinzipiell interessiert, die positiven Effekte dieser Rebsorten seien ihnen aber oft unbekannt. Eine aktuelle Studie seines Instituts* zeige, „dass die Kaufwahrscheinlichkeit um fast 50 Prozent steigt, sobald Verbraucher über das Thema informiert sind“. Und 72 Prozent der Befragten, die die Sorten bereits probiert haben, bewerten ihre Qualität als gut bis sehr gut. Dennoch werde sich an der Bekanntheit nicht viel ändern, „solange Weinproduzenten sie nicht akzeptieren und offen über das Thema sprechen“, so Kiefer. Die Erzeuger indessen sähen aktuell kaum eine Nachfrage und schätzten damit das Risiko als zu hoch ein, sich mit Piwi-Pflanzungen für die nächsten 25 bis 30 Jahre – die durchschnittliche Ertragszeit einer Weinrebe – festzulegen.
Piwis als „nachhaltiges Lifestyle-Produkt“
Ein weiteres Hemmnis ist die Bezeichnung der pilzresistenten Sorten in der Vermarktung. Zwar ist der Begriff „Piwi“ unter Experten etabliert und akzeptiert, die Bedeutung dahinter erscheint vielen allerdings zu theoretisch und technisch. Rebsorten als „pilzwiderstandsfähig“ zu bewerben, dürfte bei Konsumenten auch eher zu Verwirrung führen als Appetit zu machen. Stattdessen sei es zumindest in der Anfangsphase notwendig, die verschiedenen Varianten unter einem einheitlichen Begriff zu vereinen, ist Christoph Kiefer überzeugt. Statt die technischen Vorteile zu kommunizieren, sollten Piwis als „nachhaltiges Lifestyle-Produkt“ präsentiert werden, „die die Biodiversität auf eine neue Stufe heben“.
Ein gutes Beispiel dafür ist die Initiative „Zukunftsweine“, eine Vereinigung von Weingütern, die sich zum Ziel gesetzt hat, gemeinsam den Piwis zu mehr Bekanntheit und Erfolg zu verhelfen. Ende 2021 in Mainz von den Winzerinnen Eva Vollmer und Hanneke Schönhals gegründet, zählt der Verbund inzwischen bald 50 Weingüter – und wächst „rasant“, wie Geschäftsführer Felix Hoffmann berichtet.
Mit „Zukunftsweinen“ voll im Zeitgeist
Zwei Linien hat die Gruppe im Angebot: Unter dem Label „Wegbereiter“ werden Weine verschiedener Erzeuger für den Lebensmitteleinzelhandel gebündelt, die mit einem einheitlichen modernen, stilvollen Etikett und unter Namen wie „Klimaretter“, „Rosige Zukunft“ oder „Rebritter“ vermarktet werden. „Wir wollen damit möglichst viele Endkunden erreichen, um die Marke und die Problematik bekanntzumachen“, erklärt Hoffmann. Alternativ können die Weingüter für ihren eigenen Verkauf das Logo von „Zukunftsweine“ auf ihre eigenen Etiketten drucken lassen – und für die Labels wahlweise das Gemeinschaftsdesign oder auch ihren eigenen Look nutzen.
Obwohl die Gruppe immer mehr Anfragen erhält, ist Felix Hoffmann klar, dass für Piwis noch dicke Bretter gebohrt werden müssen. „Das Interesse steigt deutlich, aber außerhalb der Weinblase kennt die Piwis kaum jemand“, es sei noch einiges an Markenarbeit zu leisten. Ordentlich Rückenwind gibt ihnen allerdings, dass die „Zukunftsweine“ mit dem Deutschen Nachhaltigkeitspreis ausgezeichnet wurden. Gegenüber den Konsumenten und auch dem Handel sei das „eine sehr große Bühne“.
Besonders gelungen findet das Konzept auch Christoph Kiefer von der Hochschule Geisenheim. Die Vereinigung schaffe durch ihre einheitliche Gestaltung „einen Wiedererkennungswert, der dem Zeitgeist entspricht“. Wenn dann bestimmte Kundengruppen sich für das Thema interessierten, sollten diese „umfangreich aufgeklärt werden“, damit ein Bewusstsein für diese Rebsorten und ihre Bedeutung geschaffen wird.
Rebsorte für viele Deutsche wichtiges Kaufkriterium
Gerade das dürfte aber am deutschen Markt noch schwieriger sein als in Ländern, in denen Cuvées eine lange Tradition haben. Denn hierzulande spielt die Rebsorte eine herausragende Rolle, hat geradezu einen markenähnlichen Charakter. „Neben Geschmack und Preis ist sie eines der entscheidenden Kaufkriterien“, betont Kiefer.
Ein unbekannter Name macht einen Kauf nicht gerade wahrscheinlich – eine weitere Herausforderung für die innovativen Reben. Wobei sich Piwis, die auf bereits existierende Sorten verweisen wie Cabernet Blanc oder Souvignier Gris, es deutlich leichter haben als etwa Solaris oder Bronner, die Weintrinkern unter Umständen „zu fremdartig“ erscheinen oder gar überhaupt nicht mit Wein assoziiert werden.
Resonanz nicht immer positiv
Allerdings liegt es keineswegs nur an den Konsumenten, dass die Piwis nach 20 Jahren der Diskussion in Fachkreisen noch immer keine nennenswerte Marktbedeutung haben. „Es gibt auch Gegenwind aus der Branche“, berichtet Felix Hoffmann von „Zukunftsweine“. „Wir sprechen über Pflanzenschutz in der Weinwelt, da fühlen sich manche bedroht und angegriffen“ und fürchteten, die Kommunikation der Vorteile von Piwis würde sich negativ auf die Wahrnehmung der konventionellen Sorten auswirken. Am Institut von Prof. Szolnoki in Geisenheim wurde genau dies allerdings in aufwändigen Studien bereits sicher widerlegt.
Auch Rebenzuchtexperte Prof. Töpfer sieht bei den Winzern „noch wenig Vertrauen in die Vermarktbarkeit“. Zu Unrecht, glaubt er, und ist überzeugt, sie könnten „problemlos“ sogar 30 Prozent ihrer Flächen mit Piwis vermarkten, wenn sie dazu nur alle Möglichkeiten nutzen würden: Neben dem Verkauf unter dem Sortennamen könnten Piwis als Typenweine mit Fantasienamen angeboten werden und eigneten sich zudem als Partner in Cuvées oder zur Versektung.
Zukunftsthema auch für den Sektmarktführer
Mit letzterem beschäftigt sich – in großem Stil – bereits auch Sektmarktführer Rotkäppchen-Mumm. Wie „Zeit online“ am 19. September 2022 berichtete, hat sich das Unternehmen in Kooperation mit Winzern in Rheinhessen eine Anbaufläche von 100 Hektar gesichert. Man wolle damit „die Zukunft des Weinanbaus aktiv gestalten“, erklärte dazu die Leiterin der Forschung und Entwicklung bei Rotkäppchen-Mumm, Tanja Rosenthal. Aus einer Vorauswahl von 20 Piwi-Sorten seien zwei für den Sektgrundwein ausgewählt worden.
Ein aktuelles Beispiel für einen Typenwein hat indessen das Deutsche Weintor zur ProWein präsentiert: Nach mehreren Jahren der Investition in die Entwicklung nachhaltiger Reben stellte die Winzergenossenschaft unter dem Namen „Supernatural“ erstmals zwei Piwi-Cuvées vor. Das Etikett weist ausdrücklich auf die Nachhaltigkeit der beiden Weine hin, die konkreten Sorten finden dabei gar keine Erwähnung.
Revolution nicht zu erwarten
Egal, ob nun Rebsortenwein, Fantasiename oder Sekt: Hersteller und Verbraucher sollten die Piwis unbedingt ausprobieren, zeigt sich Prof. Töpfer überzeugt. Auswahl und Qualität sind jedenfalls groß: Etwa 40 Sorten stehen zur Verfügung, mehr als die Hälfte seien „qualitativ exzellent“, unterstreicht er – und nimmt Winzern wie Weinkennern die Angst vor einer allzu schnellen „Revolution“: Reben stehen im Schnitt 30 Jahre im Ertrag, schon deshalb bestehe keine Gefahr, dass klassische Sorten von den Piwis „überholt“ werden.
Auch Christoph Kiefer will Mut machen: Wenn Piwis erst einmal im Bewusstsein der Konsumenten etabliert sind, haben Produzenten, die bereits Erfahrungen damit sammelten, klare Wettbewerbsvorteile.
*Die Forschung wurde im Rahmen des Projekts VitiFit durchgeführt, das durch das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages im Rahmen des Bundesprogramms Ökologischer Landbau (BÖL) finanziert wird.
Eigene Kategorie im Fair Wine Award
Eine neue Plattform erhalten die pilzresistenten Rebsorten auf der neuen Fachmesse Eurovino, die für sich in Anspruch nimmt, ein besonders zukunftsorientiertes Format an den Start zu bringen. Auf diesen Schwerpunkt war auch das Rahmenprogramm des Pre-Events zugeschnitten, das Anfang März in Karlsruhe stattfand. Wissenschaftler und Praktiker beleuchteten dort das Thema Piwis aus verschiedenen Blickwinkeln.
Auch bei dem parallel zur Messe aus der Taufe gehobenen „Fair Wine Award“ spielen Weine aus den innovativen Reben eine herausragende Rolle. Der Wettbewerb stellt umweltschonende und nachhaltige Konzepte in den Fokus: Neben Bio-Weinen und historischen Rebsorten wurde unter anderem für die Piwis eine eigene Kategorie geschaffen. Die Siegerweine wurden auf der Veranstaltung ausgezeichnet und konnten in einer eigenen Verkostungszone probiert werden.
Der Fair Wine Award findet im September 2023 zum zweiten Mal statt, die Eurovino ist am 3./4. März 2024 in Karlsruhe.