Die Trinkgewohnheiten der Deutschen ändern sich, das betrifft ganz besonders auch die Spirituosen. Wie beeinflussen die anhaltenden Krisen den Konsum, was trinken junge Leute am liebsten und welche Trends sind in näherer Zukunft zu erwarten? Darüber sprach Getränke News mit Fernanda Saldaña Rodríguez, Senior Market Analyst beim IWSR, einem führenden weltweit agierenden Marktforschungsinstitut für alkoholische Getränke.
Getränke News: Angesichts der anhaltenden Krise leiden die Verbraucher seit Monaten unter steigenden Preisen. In welchem Maße wirkt sich das nach Ihren Erkenntnissen auf den Konsum von Spirituosen aus?
Saldaña: Es gibt in Deutschland definitiv Anzeichen für eine Verlangsamung der Premiumisierung. Die Nachfrage nach Premium-Getränken wuchs während der Lockdowns, als die Deutschen über ein größeres Einkommen verfügten; mit steigenden Inflationsraten nimmt dies aber wieder ab. Die Deutschen sind jedoch für ihre hohen Qualitätsansprüche bekannt. Insgesamt suchen die meisten Konsumenten, egal welcher Altersgruppe, nach der besten Qualität für ihren Geldbeutel. Das bedeutet, einige kaufen bei Sonderangeboten mehr und bevorraten sich, und andere trinken seltener als zuvor, ohne unbedingt das günstigste Getränk zu kaufen.
Getränke News: Der Alkoholkonsum in Deutschland geht immer weiter zurück, insbesondere unter jüngeren Menschen. Finden Sie in Ihren Daten bereits eine Bestätigung dieses Trends – wird weniger getrunken oder gibt es einen Wechsel zu Getränken mit geringerem Alkoholgehalt?
Saldaña: Es stimmt, dass in vielen Ländern die Nachfrage nach Getränken mit hohem Alkoholgehalt zurückgeht, vor allem in den jüngeren Altersgruppen, und Deutschland ist hier keine Ausnahme. Das ist einer der Gründe, warum der Aperitif-Trend hierzulande so stark ist und die Deutschen sich leichteren Getränken zuwenden und auch am früheren Abend trinken.
Gleichzeitig gewinnen auch alkoholfreie und alkoholreduzierte Getränke an Bedeutung. Da die Unternehmen deren geschmackliche Qualität verbessern und ihre Angebote erweitern, akzeptieren die Konsumenten zunehmend die alkoholfreien oder -reduzierten Varianten ihrer Lieblingsgetränke, auch abseits vom Bier.
Diese sind deshalb attraktiv, weil sie eine Alternative zu alkoholischen Getränken darstellen und ein Umsteigen erleichtern. Zudem sind sie auch interessante Getränke für Menschen, die generell keinen Alkohol trinken; sie haben dann nicht das Gefühl, dass sie von bestimmten gesellschaftlichen Anlässen ausgeschlossen sind. Es werden also auch neue Verbraucher gewonnen.
Getränke News: Was sind nach Ihrer Kenntnis die wichtigsten Konsumtrends bei den Spirituosen?
Saldaña: Whisky entwickelt sich seit vielen Jahren positiv. Insbesondere Blended Scotch hat dank intensiver Werbemaßnahmen ein stetiges Wachstum erfahren. Aufgrund der wirtschaftlichen Unsicherheiten suchten die Verbraucher nach einem besseren Preis-Leistungs-Verhältnis, und Blended Scotch hat davon am meisten profitiert.
Ein weiterer wachsender Trend in Deutschland ist die zunehmende Beliebtheit von Spirituosen, die als Aperitifs am frühen Abend genossen werden. Sie sprechen vor allem junge Erwachsene an, die ihren niedrigeren Alkohol- und Zuckergehalt schätzen und gerne tagsüber trinken.
Beim Gin gibt es Anzeichen, dass die Kategorie den Höhepunkt ihres Wachstums inzwischen erreicht hat und der Konsum wahrscheinlich nicht mehr stark steigen wird.
Getränke News: Wo Licht ist, ist auch Schatten: Welche Kategorien tun sich aktuell besonders schwer?
Saldaña: Da sich Lebensstil und Gewohnheiten ändern, gibt es einige Kategorien, die seit Jahren zu kämpfen haben, insbesondere traditionellere Getränke wie Bier, Wein und Weinbrand. Das bedeutet nicht, dass die Menschen aufhören, sie zu trinken, aber die Mengen, die früher getrunken wurden, sind zurückgegangen. Es gibt jedoch auch positive Entwicklungen, das heißt, die Kategorien schaffen es, sich neu zu erfinden, indem sie beispielsweise alkoholfreie oder alkoholarme Alternativen anbieten.
Getränke News: Sie untersuchen Trends in verschiedenen Ländern. Welche Verbrauchervorlieben ähneln sich stark über die Nationen hinweg, und wo sehen Sie ganz unterschiedliche Entwicklungen? Inwieweit schwappen Trends aus anderen Ländern nach Deutschland herüber?
Saldaña: Nicht alle globalen Trends kommen in allen Ländern gut an. Obwohl beispielsweise Hard Seltzer vor einigen Jahren in den USA einen Boom erlebte, konnte sich das Getränk nicht an die deutschen Geschmacksvorlieben anpassen.
Etwas anders ist es bei Spirituosen auf der Basis von Tequila und Agaven: Es ist kein Geheimnis, dass sie in verschiedenen Ländern wie den USA, Kanada, Spanien und Indien glänzen. In Deutschland boomen diese Getränke zwar noch nicht, sie wachsen aber allmählich und finden ihren Weg in das deutsche Getränkerepertoire – über den traditionellen Shot hinaus.
Wieder andere globale Trendkategorien erfahren auch in Deutschland eine starke Nachfrage, zum Beispiel Whisky, insbesondere Malt-Whisky. Wenn wir uns die DACH-Region genauer ansehen, stellen wir fest, dass zudem Aperitifs an Zugkraft gewinnen und in diesen Ländern immer beliebter werden.
Getränke News: Viele Konsumenten sind sehr interessiert an Produkten von (regionalen) kleinen, feinen Craft-Destillerien. Haben Sie darüber nähere Erkenntnisse?
Saldaña: Wir stellen eine wachsende Nachfrage nach lokalen Gin-Marken fest. Jeder dritte deutsche Spirituosen-Konsument ist bereit, dafür einen höheren Preis zu zahlen.
Getränke News: Welche Spirituosen-Trends prognostizieren Sie in Deutschland zurzeit ganz allgemein?
Saldaña: Wir gehen davon aus, dass der No & Low-Trend von einer kleinen Basis aus weiterhin wachsen wird, vor allem bei den alkoholfreien Getränken in allen Kategorien – beim Bier, Wein, bei Spirituosen und sogar Cider.
Raum für zukünftiges Wachstum sehen wir auch bei den Ready-to-drinks. Sie sind für viele Verbraucher attraktiv, weil sie Geschmack bieten und zudem die Ausgaben pro Drink überschaubar sind.
Der aktuelle Trend zu Aperitifs dürfte sich ebenfalls fortsetzen, vor allem, weil spontane, zwanglose Trinkanlässe immer beliebter werden, abseits von großen Partys und Clubbesuchen.
Schließlich sehen wir voraus, dass Whisky seine Attraktivität beibehält, nicht nur Blended-Varianten, sondern auch Malt-Whiskys, die weiterhin das Interesse der Deutschen wecken.