Was vor gut 40 Jahren in den Niederlanden begann, könnte bald auch das deutsche Fassbiergeschäft nachhaltig verändern. Die Rede ist von Tankbier, das auch in Deutschland auf immer größeres Interesse stößt. Mittlerweile sind hierzulande schätzungsweise 500 Gastronomiebetriebe auf Tankbier umgestellt; beinahe täglich werden es mehr.
Tankbier* hat gegenüber Fassbier sowohl logistische als auch qualitative Vorteile. In den Niederlanden werden heute nur noch 30 Prozent des Bieres in der Gastronomie vom Fass oder aus der Flasche verkauft. Betriebe ab 100 Hektoliter Jahresabsatz zapfen dort vom Tank, über 10.000 Gastronomen werden von den Brauereien im Direktgeschäft beliefert.
Eine ähnliche Entwicklung fürchtet der deutsche Getränkefachgroßhandel (GFGH). „Wir müssen als GFGH Teil der Tankbier-Lieferkette werden“, fordert Dirk Reinsberg, Geschäftsführer des GFGH-Bundesverbandes. Das setze jedoch auch Investitionen im Getränkefachgroßhandel voraus. Außerdem müsse der GFGH lernen, mit Tankbier umzugehen. „Das Bestellverhalten der Wirte und die Touren verändern sich, und die Fahrer müssen den Umgang mit einem offenen Lebensmittel lernen. Das sind aber alles lösbare Herausforderungen“, so Reinsberg im Gespräch mit Getränke News.
„Das Tankbiergeschäft wird auch in Deutschland skalieren. Wenn der GFGH hier außen vor bleibt, ist er weg vom Fenster“, sagt ein Bierexperte, der nicht namentlich genannt werden möchte. Tatsache ist: Fassbier ist eine der Kategorien des Getränkefachgroßhandels mit den höchsten Deckungsbeiträgen. Deshalb sind Branchenkenner sich einig, dass die Belieferung der Gastronomie und sämtliche Dienstleistungen durch den GFGH ohne das Fassbiergeschäft nicht möglich wären.
Erste GFGHs investieren bereits
Erste Getränkefachgroßhändler haben bereits in das Tankbiergeschäft investiert. Hierzu wird mindestens eine Liefereinheit, bestehend aus zwei Tanks mit Pumpe und Zählwerk, benötigt. Die Kosten hierfür liegen bei gut 60.000 Euro. „Durch die Umstellung auf Tankbier ergeben sich aber auch erhebliche Kostenvorteile in der Logistik“, sagt Reinsberg. So dauert beispielsweise das Befüllen eines 1.000-Liter-Tanks beim Gastronomen ca. 25 Minuten. Eine erhebliche Zeitersparnis gegenüber Fassbier.
Aktuell arbeiten Warsteiner und Krombacher mit einem nationalen Tankbierspediteur, Warsteiner zusätzlich mit dem GFGH, die Brauerei Veltins mit ihrem eigenen Getränkefachgroßhandel. „Wir haben uns früh dazu entschieden, die sensible Tankbierlogistik für unsere verbundene Gastronomie nicht in Dienstleisterhände zu geben, um jederzeit die Qualitätsprämisse vorangestellt zu wissen“, sagt Veltins-Sprecher Ulrich Biene. Der Westfälische Gastronomie-Service (WGS) habe als 100-Prozent-Beteiligung der Brauerei Veltins die Belieferung im engen Schulterschluss übernommen. „So bleibt das Lieferprinzip ,One face to the customer‘ gewahrt“, so Biene.
Brauereien mit Tankbier-Konzepten am Start
Zurzeit beschäftigen sich sämtliche großen Brauereien in Deutschland intensiv mit dem Thema Tankbier und den möglichen Konzepten in diesem Bereich. „Wir arbeiten mit Tankbier während der EM in verschiedenen Austragungsstadien und haben dort sehr gute Erfahrungen gemacht“, sagt Rainer Noll, Direktor Vertrieb Außer-Haus-Markt der Bitburger Braugruppe. Auch andere Brauereien setzen hierzulande Tankbier bereits seit Jahrzehnten bei absatzstarken Partnern im Gastronomie- und Veranstaltungsbereich ein. So wird beispielsweise die Veltins-Arena auf Schalke seit 2001 mit Tankbier versorgt. Auch die Radeberger Gruppe setzt Tankbier bereits seit den 1960er Jahren erfolgreich in Berlin ein. Die jüngsten Objekte der Gruppe sind in Stuttgart und Harlesiel.
Fest steht: Seit ein paar Jahren ist auch hierzulande Bewegung in das Thema gekommen. Immer mehr Gastronomieobjekte ab 100 Hektoliter Jahresabsatz werden auf Tankbier umgerüstet. „Innerhalb kurzer Zeit konnte über ein Dutzend Betriebe für die innovative Tankbierlogistik gewonnen werden“, sagt Veltins-Sprecher Ulrich Biene. Zahlreiche Gastronomen würden sich seither in den Referenzbetrieben über den jeweils individuell angepassten Anlagenzuschnitt und die Vorteile im operativen Geschäft informieren.
Die benachbarte Warsteiner Brauerei bietet seit Anfang des Jahres mit „Warsteiner TAP“ den Gastronomen ein eigenes Tankbierkonzept. „Dass das bei unseren Kunden und Gastronomen gut ankommt, haben wir sofort gemerkt, denn seitdem erhalten wir wöchentlich mehrere Anfragen zu unserem ,Warsteiner TAP‘ und konnten auch schon eine Vielzahl unserer Objekte auf Tankbier umstellen“, erklärt André Hilmer, Vertriebsdirektor Gastronomie national der Haus Cramer Gruppe.
Bierabsatz kann deutlich gesteigert werden
Die Krombacher Brauerei versorgt aktuell zehn Betriebe mit Tankbier. „Damit lässt sich das Thema Bier besonders in der Gastronomie nochmal ganz neu inszenieren“, sagt Krombacher-Sprecher Peter Lemm. „Der Umsatz in einzelnen Objekten konnte teilweise deutlich gesteigert werden, im besten Fall um ca. 15 bis 20 Prozent“, so Lemm. Auch die anderen von Getränke News befragten Brauereien bilanzieren Absatzzuwächse. „Unsere Tankbier-Partner berichten von positiven Erfahrungen, die sich auch in unserer Absatzstatistik widerspiegeln mit Zuwächsen im zweistelligen Prozentbereich“, so Radeberger-Sprecherin Birte Kleppien.
Dass Tankbier zu mehr Bierabsatz führt, weiß auch Cor Ax, Geschäftsführer der niederländischen Firma FIB Beer System, dem Marktführer beim Tankbier-Anlagenbau. „Unsere Kunden verkaufen im Schnitt sieben Prozent mehr Bier, wenn die Tanks im Keller verbaut sind, und zehn Prozent mehr, wenn die Tanks sichtbar im Schankraum installiert werden“, erklärt Ax im Gespräch mit Getränke News. Das liegt zum einen an der Inszenierung des Bieres, zum anderen an der besseren Bierqualität. „Tankbier kommt nicht mit Sauerstoff in Berührung und wird ohne CO2 oder andere Fördergase gezapft. Es gibt nahezu keinen Schankverlust und es herrscht immer der gleiche Zapfdruck.“ Das Bier sei ohne das zusätzliche CO2 als Fördergas bekömmlicher und süffiger, so Ax. Kein Wunder also, dass die Nachfrage der Gastronomie auch in Deutschland steigt.
In Deutschland 100.000 Anlagen möglich
Neben der hohen Produktqualität und dem damit verbundenen Mehrabsatz spielen aber auch andere Faktoren für die steigende Nachfrage nach Tankbier eine Rolle. So müssen beispielsweise keine Fässer mehr geschleppt oder im laufenden Betrieb gewechselt werden. Auch seien die Kosteneinsparungen enorm. „Eine Anlage für die Gastronomie, bestehend aus zwei 1.000-Liter-Tanks, Kälte- und Lufttechnik, kostet im Schnitt 25.000 Euro. Sie hat sich jedoch durch die enormen Kosteneinsparungen und den höheren Bierabsatz innerhalb von sechs bis zwölf Monaten amortisiert“, erklärt Ax, dessen Firma inzwischen über 40 Jahre Tankbier-Erfahrung hat. Er rechnet damit, dass sich der Markt in Deutschland ähnlich wie in den Niederlanden entwickeln wird. „Wir haben in den Niederlanden 10.000 Anlagen und sehen in Deutschland ein Marktpotenzial von 100.000 Anlagen“, so Ax.
Auch die Radeberger Gruppe erwartet eine große Zukunft für Tankbier. „Was dabei an spürbarer Relevanz für den Ausbau des Geschäfts gewinnt, sind auch veränderte Rahmenbedingungen wie gesetzliche Vorgaben – Stichwort ,Lastenhebegesetz‘ – oder der Fachkräftemangel“, sagt Radeberger-Sprecherin Birte Kleppien. Wie hoch der Anstieg sein wird, sei nicht valide zu beziffern. „Wir gehen allerdings grundsätzlich von einem wachsenden Volumen aus – im Markt genauso wie innerhalb unserer Radeberger Gruppe“, so Kleppien.
Wird Tankbier zur Normalität?
Ähnlich sieht es André Hilmer bei Warsteiner: „Schon heute ist Tankbier in einigen europäischen Ländern das ,New Normal‘. In Deutschland und auch bei Warsteiner wird das Tankbier das Fassbier nicht von heute auf morgen ablösen. Doch schon jetzt ist es für uns eine wichtige Ergänzung des Portfolios“, so der Gastrochef. Auch die Brauerei Veltins rechnet mit einem weiteren Ausbau des Tankbiergeschäfts; das Interesse der Gastronomie sei groß. „Wir sehen gute Chancen, dass wir die Anzahl der Objekte nach und nach erweitern können“, so Veltins-Sprecher Ulrich Biene.
Für Dirk Reinsberg vom GFGH-Bundesverband steht fest, dass sich der Getränkefachgroßhandel und die Brauereien auf die steigende Nachfrage nach Tankbier einstellen müssen. Wer dieses Geschäft als Gastro-GFGH negiere, werde in Zukunft große und gute Kunden verlieren, ist er überzeugt. „Es ist aber kein Geschäft, dass so nebenbei mitgemacht werden kann. Für den GFGH gibt es jedoch mehr Chancen als Risiken. Jetzt geht es darum, diese Chancen zu ergreifen“, so Reinsberg.
*Hintergrund
Beim Tankbier wird das Bier direkt von der Brauerei in einem großen Tank statt in Fässern zum Gastronomiebetrieb geliefert. Das Bier wird dort in einen luftdichten Kunststoffbeutel, der sich in einem Drucktank befindet, gepumpt und lagert. Um das Bier zu zapfen, wird zwischen die Innenwände des Tanks und den Kunststoffbeutel Luft gepumpt. Dadurch entsteht Druck auf den Beutel, das Bier wird quasi zum Zapfhahn „gedrückt“. Es wird also zum Zapfen kein CO2 benötigt. Das Bier in den Tanks behält seinen natürlichen CO₂-Gehalt und kommt nicht mit Sauerstoff in Berührung, was sich positiv auf die Bierqualität auswirkt. Wenn der Tank neu befüllt wird, wird der alte Kunststoffbeutel durch einen neuen ersetzt. Dadurch muss der Drucktank selbst nicht gereinigt werden.
Vorteile
- Einfache Handhabung: Weniger Aufwand als beim Fasswechsel und bei der Leergutsortierung, was die Bedienung vereinfacht → Personaleinsparung
- Platzersparnis: Tanks benötigen weniger Lagerfläche als Fässer.
- Kein Pfand: Da keine Fässer verwendet werden, entfallen Pfandkosten bzw. gebundenes Kapital.
- Kosten- und Energieersparnis: Reduzierte Kosten für CO2 und Reinigungsmittel, geringerer Energieverbrauch
- Durchgängige Zapfmöglichkeit: Tankbiersysteme erlauben ein kontinuierliches Zapfen ohne Unterbrechung und ohne zusätzliche Geräte wie Fasswechsler.
- Geringere Logistik: Weniger Lieferungen und damit auch weniger logistischer Aufwand im Betrieb
- Umweltfreundlichkeit: Reduzierter CO2-Ausstoß und Energieverbrauch machen das System ökologisch vorteilhaft.
- Höhere Qualität: Gewährleistete Kühlkette und Verhinderung von Aufkarbonisierung ermöglichen vom ersten bis zum letzten Glas eine gleichbleibend hohe Qualität.
- Keine Schankverluste und nahezu keine Restbiermenge
- Marketing-Aspekt: Die Verwendung eines modernen, umweltfreundlichen Systems kann als Verkaufsargument dienen.
- Sicherheit und Gesundheit: Keine Gefahr von CO2-Leckagen in Kellern oder Kühlzellen und kein schweres Heben von Fässern, was die Arbeitsbedingungen verbessert
- Verlässliche Tankgröße: Feste, aber effiziente Größe der Tanks erlaubt Planungssicherheit.