Mit seinem Vortrag „Führung neu denken. Der Vorgesetzte als Gastgeber – ein Lösungsweg?“ sorgte Ernst „Aschi“ Wyrsch bei den diesjährigen Getränke Impuls Tagen für Gesprächsstoff.
Im Interview mit Getränke News erläutert Wyrsch, wie es mit einem modernen Führungsstil gelingen wird, talentierte Fachleute zu finden und im Unternehmen zu halten.

Getränke News: Sie waren Direktor des Steigenberger Grandhotels Belvédère in Davos und damit Hauptgastgeber des World Economic Forums. Was aus dieser Zeit hat am stärksten Ihr Führungsverständnis geprägt?
Wyrsch: Ich durfte über die Jahre hinweg mit den mächtigsten Persönlichkeiten der Welt aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft sprechen und sie beobachten. Alles Leute, die es geschafft hatten, in unserer Gesellschaft in Top-Positionen zu kommen. Ich konnte sehen, wer authentisch wirkte, wer eine Kopie und wer ein Original war. Das Beobachten und Studieren dieser Leute haben mich dazu gebracht, über meine eigenen Dinge und über meinen eigenen Führungsstil nachzudenken.
Getränke News: Was hat sich in den letzten Jahren in Sachen Führungsstil verändert?
Wyrsch: Der bisherige Führungsstil der Babyboomer, die sich nun langsam aus dem Berufsleben verabschieden, ist hierarchisch geprägt. Das heißt, der Chef ist der Vorgesetzte und sagt, wo es lang geht. Nebenbei bemerkt, steckt in dem Wort Vorgesetzter auch das Wort Gesetz. Dieser Führungsstil erreicht die junge Generation jedoch nicht mehr. Sie möchten selbst mitdenken und sich einbringen. Wenn sie das nicht können, suchen sie sich einen anderen Job.
Getränke News: Sie haben ein neues Führungskonzept entwickelt, bei dem der Vorgesetzte die Rolle eines Gastgebers einnimmt. Wie kamen Sie auf die Idee und was verstehen Sie konkret darunter?
Wyrsch: Ich habe mir immer die Frage gestellt, was kann ich tun, damit meine Mitarbeiter gerne für mich arbeiten. Irgendwann fiel mir auf, dass ich als Gastgeber meine Gäste auch führe und sie sich dabei wohlfühlen. Ein Gastgeber legt nämlich die Rahmenbedingungen fest und führt die Gäste durch die Veranstaltung. Das heißt, wenn ich beispielsweise Freunde zum Essen einlade, bestimme ich den Beginn, die Lichtstimmung, die Musik, das Essen, die Getränke und auch, wann sie wieder gehen sollen. Das alles mache ich aber so, dass sich die Gäste wohlfühlen.
Als ich damals im Hotel angefangen habe, meine Mitarbeiter wie ein guter Gastgeber zu führen, gab mir der Erfolg recht. Mein Team fühlte sich wohl und war bereit, für mich durchs Feuer zu gehen.
Getränke News: Was macht einen guten Gastgeber bzw. eine gute Führungskraft aus?
Wyrsch: Ein guter Gastgeber führt aus der Beobachterfunktion durch den Abend. So sollte auch der Chef seine Mitarbeiter führen. Als Führungskraft bin ich ebenso wie ein Gastgeber verantwortlich für ein eigenmotivierendes Umfeld und dass die Mitarbeiter ihre Stärken ausspielen. Ich muss gut zwischen Wirtschaftlichkeit und Harmonie dosieren und genau wissen, wo ich die Stellschrauben einstelle. Wenn sich ein Mitarbeiter wohlfühlt, ist er dem Unternehmen gegenüber loyal und wird im besten Fall für das Unternehmen durchs Feuer gehen.
Im Übrigen: Auch Kunden sind ein Führungsthema.
Getränke News: Inwiefern?
Wyrsch: Ganz einfach: Ich bestimme, wie die Beziehung mit dem Kunden geführt wird. Grundsätzlich beginnt eine gute Kundenbeziehung mit meiner Haltung. Ich darf meine Kunden nicht bewerten in gut oder schlecht, dann begebe ich mich auf ein gefährliches Terrain. Stattdessen sollte ich aufmerksam sein und sie verstehen wollen. Wenn ich meine Kunden verstehen will, bin ich aufmerksam. Das merkt mein Gegenüber und ich bin automatisch in der Wertschätzung. Das ist das wichtigste Element in einer guten Beziehung. Menschen möchten verstanden werden.
Die wichtigste Regel beim Führen lautet: Hinhören, um zu verstehen, und nicht, um zu antworten. Das ist der Unterschied zum Zuhören. Die Haltung sollte immer sein, mein Gegenüber verstehen zu wollen. Das macht heute eine gute Führungskraft aus.
Getränke News: Welche Rolle spielt Authentizität in der Kundenbeziehung?
Wyrsch: Eine enorm große. Wenn mir beispielsweise jemand ein Produkt verkaufen möchte, finde ich innerhalb von zwei Minuten heraus, ob er stolz auf sein Produkt ist und loyal dahintersteht. Das möchte ich als Kunde in den ersten zwei Minuten spüren. Ansonsten bräuchte der Verkäufer dringend eine Aus- und Weiterbildung.
Getränke News: Zurück zur Führung von Mitarbeitern: Wie lernt man, richtig zu führen?
Wyrsch: Führung wird nicht gelehrt, sondern es wird vorausgesetzt, dass man es kann. Führung ist auf der einen Seite ein Talent, auf der anderen Seite ist vieles auch erlernbar. Meist wird nach dem Modell geführt, das man selbst kennengelernt hat. Führung ist aber eine permanente Weiterentwicklung. Man sollte sein Handeln immer wieder hinterfragen, denn das Umfeld und man selbst verändern sich. Der größte Fehler ist es, sich in die Ohnmacht zu begeben – von wegen „ich kann nichts ändern, ich habe keine guten Mitarbeiter, ich habe keine guten Kunden“. Gute Führung bedeutet agieren, nicht reagieren.
Getränke News: Ich kenne viele Führungskräfte, die keine Notwendigkeit für eine Veränderung ihres Führungsstils sehen …
Wyrsch: Wenn die guten Mitarbeiter die Firma verlassen, ist das meist auch die Folge einer schlechten Führung. Oft agiert der Chef in der Ich-Perspektive, nach dem Motto, ich weiß, was für meine Mitarbeiter gut ist. Er sollte jedoch in die Du-Perspektive wechseln und schauen, was der einzelne Mitarbeiter braucht und welchen Führungsstil ich bei jedem Einzelnen anwenden muss. Es geht heute nicht mehr, alle über einen Kamm zu scheren. Jeder Mitarbeiter sollte individuell geführt werden. Zufriedene Mitarbeiter bleiben und empfehlen ihren Arbeitgeber weiter. Führungskräfte sollten also offen sein für Veränderung.
Getränke News: Wie sieht es bei der Führung von Marken aus, kann man auch hier in die Gastgeberrolle schlüpfen?
Wyrsch: Wenn ich bei einer Marke im Storytelling persönlich werden, bin ich automatisch auch hier in der Gastgeberrolle. Eine Marke sollte erklären, warum sie die Menschen glücklich machen kann. Erfolgreiche Marken tun das und gehen über die reine Produkterklärung hinaus. Sie bieten Identifikation, Wiedererkennungswert und haben quasi ein Gesicht. Die Konsumenten sollten bei der Markenführung im Vordergrund stehen und verstanden werden. Genau dann ist man auch mit einer Marke in der Gastgeberrolle.
Getränke News: Wie können kleine und mittelständische Hersteller sich gegen große Konzerne behaupten, wenn es um emotionale Markenführung geht?
Wyrsch: Wir leben in einer automatisierten, digitalen Welt, zu der es aktuell einen Gegentrend nach Menschlichkeit und Nahbarkeit gibt. Die Leute wollen das Greifbare, wollen Vertrauen und Offenheit. Das sollten die kleinen und mittelständischen Getränkehersteller für sich nutzen und entsprechendes Storytelling machen. Denn sie sind das Original und keine Kopie.
Getränke News: Sie sagen, Getränkemarken könnten auch für bessere Stimmung in der Gesellschaft sorgen. Was meinen Sie damit?
Wyrsch: In Deutschland herrscht aktuell politisch und gesellschaftlich eine große Unzufriedenheit. Die Getränkehersteller könnten Teil der Lösung werden, die Stimmung wieder aufzuhellen. Sie könnten mit ihren Marken ein positives Lebensgefühl zu den Menschen bringen. Vielleicht werden Getränke dann das Gegengift für schlechte Stimmung. Das wünsche ich der Branche, denn sie verkauft keine Flüssigkeiten, sondern Glücksgefühle!