Die Kosten steigen, der Alkoholkonsum sinkt, neue Getränke laufen dem Wein den Rang ab. Wer in dem stetig schrumpfenden Weinmarkt bestehen will, muss sich spezialisieren – und vor allem professioneller werden. Zu diesem Schluss kommt das Institut für Wein- und Getränkewirtschaft der Hochschule Geisenheim in seiner Unternehmensanalyse. Beim Eurovino Day der Messe Karlsruhe stellte Dr. Larissa Strub die Ergebnisse im Detail vor. Getränke News sprach mit ihr über eine Branche im Umbruch.

Getränke News: Die deutschen Winzer sehen sich angesichts sinkender Absatzzahlen in der Krise. Wie hat sich der Weinkonsum 2024 entwickelt, und wie dramatisch ist aktuell die Lage?
Strub: Nach unserer für Weingüter und Genossenschaften repräsentativen digitalen Absatzanalyse haben die deutschen Weingüter im Jahr 2024 fast sieben Prozent Absatz verloren, der Umsatz ging um knapp vier Prozent zurück. Bei den Genossenschaften lagen die Verluste noch höher. Dagegen haben die Kellereien laut den Zahlen der Qualitätsweinprüfung weniger stark verloren.
Getränke News: Welche Gründe sehen Sie für den sinkenden Konsum?
Strub: Zum einen geht die Käuferreichweite bei Wein in Deutschland laut Ergebnissen des Deutschen Weininstituts seit 20 Jahren kontinuierlich zurück. Immer weniger deutsche Haushalte kaufen überhaupt Wein. Zum anderen sind es, wie bei anderen Konsumgütern auch, die inflationsbedingt steigenden Preise. Das verfügbare Einkommen ist geringer, die Leute müssen sparen. Nach unserer Erfahrung sind Winzer eigentlich eher vorsichtig, was Preiserhöhungen betrifft; inzwischen haben sie aber keine andere Wahl mehr, als ihre eigenen Kosten weiterzugeben. Diese sind nämlich seit 2019 um 30 bis 40 Prozent gestiegen.
Getränke News: Welche Kosten schlagen im Weinbau am stärksten zu Buche?
Strub: Wir sehen höhere Kosten entlang der gesamten Wertschöpfungskette, ob das nun Energiekosten sind, die Preise für Glas, Kartonagen oder für Maschinen und Reparaturen. Auch Spritz- und Düngemittel sind viel teurer geworden. Besonders deutlich spürt der Weinbau – wie insgesamt die Landwirtschaft – seit der gesetzlichen Festlegung des Mindestlohns auch die hohen Lohnkosten. Denn er ist in hohem Maße auf Saisonarbeitskräfte angewiesen.
Der Mindestlohn ist dabei ein Grund, warum deutscher Wein es im Wettbewerb besonders schwer hat. Er muss einfach teurer sein als Wein beispielsweise aus Italien, Spanien oder Südafrika. Auch vom Klima waren diese südlicheren Herkünfte bisher meist begünstigt – die Erzeuger kommen mit weniger Pflanzenschutzmitteln aus – ein weiterer Grund, warum sie ihre Produkte oft günstiger anbieten können.
Getränke News: Insgesamt geht der Alkoholkonsum in der Gesellschaft zurück. Wie stark betrifft das den Wein?
Strub: Das betrifft alle alkoholischen Getränke. Der Gesundheitstrend ist allgegenwärtig, überall wird gepredigt, dass Alkohol sehr ungesund ist. Gerade jüngere Leute zwischen 20 und 40 Jahren bemühen sich um Selbstoptimierung. Viele benutzen zum Beispiel Smartwatches zum Schlaftracking. Daran sehen sie, dass sie schon nach geringen Weinmengen schlechter schlafen – und lassen sich davon beeinflussen. Aber auch ältere Menschen sind heute deutlich stärker gesundheitsorientiert und trinken weniger Alkohol.
Wer Alkohol vermeiden will, findet heute viele alkoholfreie Alternativen, weit über die früher übliche Saftschorle hinaus. Ob das nun ein alkoholfreier Gin Tonic ist oder ein modernes fermentiertes Getränk. Auch abseits vom Alkoholfreien steht Wein immer stärker in Konkurrenz mit anderen, neueren Getränken – ich denke da besonders an die Ready-to-drinks. Für Hugo oder Aperol Spritz braucht man keinen deutschen Qualitätswein. Dessen müssen sich die Produzenten bewusst sein und Wein noch viel stärker als Kulturgut oder auch als Begleiter zum Essen positionieren bzw. alternative Getränke aus Trauben produzieren.
Getränke News: Der demografische Wandel dürfte sich ebenfalls auf den Weinkonsum auswirken …
Strub: Ja, der wird den Markt sehr stark verändern. Die Babyboomer, die nicht nur eine große gesellschaftliche Gruppe sind, sondern auch pro Kopf viel Wein konsumieren, werden älter. Die nachfolgenden Generationen sind kleinere Gruppen und trinken weniger. Hinzu kommt ein hoher Anteil an Zuwanderern aus Kulturen mit größerer Distanz zu Alkohol.
Die Auswirkungen davon lassen sich heute nur grob quantifizieren. Wenn wir für die kommenden 20 Jahre von einem Rückgang der Weinkonsumenten um 20 auf 80 Prozent ausgehen, die jeweils pro Kopf nur noch 80 Prozent der Menge konsumieren, dann resultiert daraus ein Marktvolumen von 64 Prozent der heutigen Menge. Eine weiter andauernde wirtschaftliche Stagnation oder Rezession in Deutschland würde diesen Rückgang zusätzlich beschleunigen.
Getränke News: Wie wirkt sich das auf die Erzeugerbetriebe aus?
Strub: Wir beobachten seit Jahren bereits einen Strukturwandel. Die Zahl der Betriebe sinkt kontinuierlich – bei wachsender Durchschnittsgröße. Inzwischen beschleunigt sich die Marktbereinigung deutlich. Manche Winzer lösen ihre Pachtverträge, die im Allgemeinen auf sehr lange Dauer oder unbefristet geschlossen werden, vorzeitig auf, geben ihre Flächen zurück. Das gab es früher nicht. Es gibt heute kaum noch Käufer an Flächen, und Genossenschaften nehmen keine neuen Mitglieder mehr auf, weil sie den zusätzlichen Wein nicht vermarkten können.
Getränke News: Was raten Sie Weinerzeugern in diesen schwierigen Zeiten?
Strub: Die Produzenten sollten zwingend die wirtschaftliche Lage ihres Betriebes kennen, um fundiert zu entscheiden, ob sie zukunftsfähig sind oder kurz- bis mittelfristig aufgeben müssen, weil sie ihre Kosten nicht decken können. Fassweinbetriebe vermarkten ihre Produkte auf dem Fassweinmarkt und müssen dort die Marktpreise akzeptieren. Deshalb haben sie nur mit großen Strukturen eine Chance, kostendeckend und profitabel zu wirtschaften.
Mischbetriebe, die einen Teil auf Flasche vermarkten und ihre Überschüsse als Fasswein an die Kellereien verkaufen, können ihre Kosten durch ungeeignete Kostenstrukturen nicht decken.
Getränke News: Was bedeutet das konkret?
Strub: Weinerzeuger müssen sich unbedingt professionalisieren. Wer Fasswein liefert, muss seine Kosten ganz genau kennen und detailliert steuern, um bei den geringen Fassweinpreisen keinen Verlust zu machen. Flaschenweinvermarkter müssen sich differenzieren und die Kunden emotional über eine Marke vom Zusatznutzen ihrer Produkte überzeugen. Nur spezialisierte und hoch professionelle Unternehmer haben eine Chance, in diesem stetig kleiner werdenden Markt zu bestehen.
Es muss in den Köpfen verankert werden, dass jeder Winzer ein Unternehmer ist. Dazu gehört, dass man seine Kennzahlen kontrolliert. Stattdessen erfolgt die Preisbildung leider oft noch aus dem Bauch heraus oder man schaut, was der Nachbar nimmt. Wenige Betriebe haben jemals eine Kostenrechnung eingesetzt. Nur der Jahresabschluss, der ja auch viel zu spät erst vorliegt, reicht längst nicht mehr. Man muss monatlich auf die Zahlen achten, ein echtes Monitoring einführen.
Getränke News: Es gibt doch immer mehr junge Winzer, die Weinbau studiert haben – bringen die nicht mehr Professionalität in die Branche?
Strub: Ja, aber das dauert. Der Klassiker ist immer noch, dass ein Ehepaar einen kleinen Betrieb gemeinsam führt. Oft wird kein Unternehmerlohn einkalkuliert, man setzt die eigene Arbeitskraft nicht an, sondern lebt von den Privatentnahmen aus einer GbR. Zusätzlich fließt viel Eigenkapital in den Betrieb, das man aus rein wirtschaftlicher Sicht eigentlich besser am Kapitalmarkt verzinsen lassen sollte. Am Ende geht das Geschäft null auf null auf. Da die junge Generation oft nicht mehr bereit ist, ohne Ertrag so viel zu arbeiten, gibt es dann für solche Betriebe in vielen Fällen keinen Nachfolger mehr. Daneben haben wir natürlich sehr erfolgreiche Unternehmen, die junge, qualifizierte Studenten anstellen oder als Nachfolger einsetzen.
Getränke News: Wird unsere Kulturlandschaft in Zukunft völlig anders aussehen?
Strub: Davon muss man leider ausgehen, auch wenn das natürlich nicht von heute auf morgen passiert. Insbesondere Steillagen sind sehr kostenintensiv zu bewirtschaften und werden immer öfter aufgegeben. Am Mittelrhein ist dieser Prozess schon weit fortgeschritten, und viele Steillagen in Franken, Württemberg, in Baden und an der Mosel, die nicht als Premiumwein vermarktet werden können, werden folgen. Die Anpassung der Landschaften stellt eine große Herausforderung für die Regionen dar. Das ist wie mit einem Puzzle, wo man 30 Prozent der Teile rausnimmt und es zu für den Weinbau geeigneten Strukturen neu zusammenfügen muss. Was mit den Flächen langfristig passieren soll, ist noch unklar. Biodiversitätsflächen mit Umweltnutzen, Olivenhaine und Solarparks sind nur drei Möglichkeiten, über die diskutiert wird.
Im Grunde ist es auch eine Frage der Infrastruktur. Weinberge beugen Erosion und Hangrutschen vor, zudem ist der Weinbau von hohem Wert für den Tourismus, viele Menschen leben in den betreffenden Regionen davon. Wie sollte Landschaft künftig aussehen? Wer finanziert die Umstellung? Wer pflegt die Flächen? Das sind alles Fragen, die noch geklärt werden müssen.
Unsere Gesprächspartnerin
Dr. Larissa Strub ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Wein- und Getränkewirtschaft der Hochschule Geisenheim University. Die promovierte Agrarökonomin bringt als ausgebildete Winzerin mit einem Masterabschluss in Weinwirtschaft und Erfahrung als Key Account Managerin in einer deutschen Großkellerei fundierte Praxiskenntnisse mit. In ihrer Forschung konzentriert sich Dr. Strub als Projektleiterin der Geisenheimer Unternehmensanalyse auf die ökonomische Nachhaltigkeit im Weinbau und die Erforschung zukunftsfähiger Konzepte für die Weinwirtschaft.