Resilienz, Nachhaltigkeit, Künstliche Intelligenz – die Logistikbranche steht vor tiefgreifenden Veränderungen. Prof. Dr. Christoph Tripp, Experte für Distributions- und Handelslogistik, gibt im Interviews mit Getränke News spannende Einblicke in die Megatrends, die die Getränkelogistik von morgen prägen werden.

Getränke News: Als Trendforscher beschäftigen Sie sich intensiv mit den Zukunftsentwicklungen in der Logistik. Welche Megatrends sind aus Ihrer Sicht von besonderem Interesse?
Tripp: Aus der Makroperspektive sehen wir aktuell die Themen Resilienz, ökologische Nachhaltigkeit und Digitalisierung inklusive KI als die zentralen Megatrends in der Logistik. Alle drei Themen beeinflussen die gesamte Branche nachhaltig, wobei die ökologische Nachhaltigkeit aufgrund anderer Herausforderungen gerade etwas ins Hintertreffen gerät.
Getränke News: Was meinen Sie mit Resilienz in Bezug auf die Logistik?
Tripp: Wachsende geopolitische Einflüsse, neo-protektionistische Tendenzen, kriegerische Konflikte und Natur- bzw. Technikkatastrophen stellen Logistiknetzwerke – aktuell und in den nächsten Jahren – vor enorme Herausforderungen. Dadurch bleiben Widerstandsfähigkeit und Resilienz von Lieferketten verstärkt im Fokus. Unternehmen müssen zukünftig umso mehr bzw. jederzeit in der Lage sein, auf solche externen Schocks flexibel und agil zu reagieren.
Getränke News: Wie wird man als Logistiker resilienter?
Tripp: Automatisierung und Technologie-Einsatz sind „Enabler“ bzw. Schlüsselfaktoren zur Erreichung von Resilienz und wettbewerbsrelevanter Produktivität. Bislang lag der Fokus in der Automatisierung – vor allem bedingt durch den Arbeitskräftemangel – auf den physischen Logistikprozessen im Lager. Zukünftig erwarte ich eine deutliche Zunahme von KI-bezogenen Anwendungen, die sich auf die administrativen Planungs- und Prognoseprozesse beziehen. Valide Mengen-Prognosen entscheiden maßgeblich über die externe und interne Kapazitätsplanung und sind ein wesentlicher „Kosten-Hebel“ in der operativen Logistikabwicklung.
Getränke News: Trends erzeugen immer Gegentrends. Welche sind das aktuell?
Tripp: Das ist richtig und wir spüren das aktuell beim Thema Globalisierung. Die Globalisierung war lange Zeit ein dominanter Trend, von dem die Entwicklung der Logistik spürbar getrieben wurde. Aktuell erleben wir verstärkt handelspolitische Strategien, die von Marktabschottung, Zöllen und nicht-tarifären Handelshemmnissen geprägt sind. Und das nicht erst, seit Donald Trump wieder Präsident ist. Auch bzgl. des teils überbordenden Konsums gibt es erste Gegenbewegungen eines bewussteren Konsums. Die wachsende Beliebtheit von Second-Hand-Kleidung in der Sharing Economy ist u.a. ein Ausdruck dieser Entwicklung.
Getränke News: Welche der anfangs genannten Trends sind besonders relevant für die Getränkelogistik?
Tripp: Resilienz ist insbesondere für Unternehmen relevant, die international beschaffen, produzieren und distribuieren. Je globaler die Lieferketten, desto wichtiger wird es, robuste und gleichzeitig agile Strukturen aufzubauen. Ökologische und auch soziale Nachhaltigkeit betrifft hingegen alle Unternehmen der Branche. Sie beeinflusst Marke und Image und wird immer mehr zu einer Art Eintrittskarte, um überhaupt mitspielen zu dürfen.
Der zunehmende Einsatz KI-basierter Technologien ist ebenfalls ein dringliches Thema für die mengenvolatile, event- und wetterabhängige Getränkelogistik, weil KI-Technologien erhebliche Verbesserungen von Prognose- und nachgelagerten Planungsprozessen versprechen. Viele Unternehmen nutzen bislang überwiegend prädiktive Analysen auf Basis historischer und aktueller Daten, um Absatzprognosen zu erstellen. Ich sehe großes Potenzial in präskriptiven Analysen, die über prädiktive Analysen hinausgehen und in der Lage sind, konkrete Handlungsempfehlungen – basierend auf den Absatzprognosen – zu geben.
Getränke News: Ein Beispiel…
Tripp: Denkbar wäre zum Beispiel, dass Vorschläge zur Tourenanpassung automatisiert aus dem System erfolgen, wenn sich die Mengen- und Umsatzprognosen wetterbedingt verändern sollten. Das Spektrum möglicher Anwendungen ist quasi unerschöpflich. Ziel ist es immer, die menschliche Entscheidungsqualität zu verbessern. Grundsätzlich verschiebt sich der Schwerpunkt der Digitalisierung in der Getränkelogistik zunehmend von der „Hardware“ im Lager zur „Software“ in den administrativen Prozessen.
Getränke News: Das bedeutet aber auch jede Menge Investitionen in die genannten Themen …
Tripp: Es führt kein Weg daran vorbei, und das bedeutet am Ende auch, dass die Logistik teurer wird. Notwendige Investitionen in Digitalisierung, Nachhaltigkeit und Resilienz erhöhen kurz- und mittelfristig die Logistikkosten in der Getränkebranche. Die Kostensteigerungen sind zunächst auch höher als die Produktivitätsgewinne durch Digitalisierung, sodass der Logistikkostenanteil in der Getränkeindustrie weiter steigt.
Getränke News: Wie wirken sich die veränderten Kundenerwartungen auf die Getränkelogistik aus?
Tripp: Kunden fordern eine quasi grenzenlose Convenience und eine hohe Servicequalität. Diese Entwicklung wurde seit vielen Jahren vor allem von den großen Online-Händlern getrieben und stellt die Getränkeindustrie u.a. in der Letzten Meile vor entsprechende Herausforderungen. Gleichzeitig nehmen Kundenloyalität und Markentreue ab, sodass Händler und Hersteller mit massiven Investitionen in Kundenbindungsprogramme reagieren müssen. Ziel ist es, Kunden im Sinne eines „Lock-in-Effektes“ langfristig und eng an das eigene Unternehmen zu binden. Im Handel kennen wir derartige Strategien von viele Einzelhändlern, aber auch von marktführenden Großhändlern. In solchen Kundenbindungsprogrammen spielen besondere logistische Leistungen eine zentrale Rolle.
Das Interview wird fortgesetzt. Im zweiten Teil, der am kommenden Mittwoch mit dem Newsletter erscheint, geht es u.a. um die Diskrepanz zwischen Haltung und Handlung von Kunden, um Ökointelligenz und um Logistikdienstleister.
Mehr zur Getränke-Logistik der Zukunft?
Am 4. September hält Prof. Dr. Christoph Tripp auf dem SideKick-Kongress von Getränke News einen spannenden Vortrag über die Zukunft der Getränke-Logistik und welche Weichen die Unternehmen stellen müssen, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Weitere Infos und Anmeldung unter: www.sidekick-kongress.de