Union und SPD werden heute ihren Koalitionsvertrag vorstellen. Details, die in den letzten Wochen bereits aus den Sondierungsgesprächen in die Öffentlichkeit drangen, geben in der Getränkebranche ersten Anlass für Optimismus. Vor allem die viel diskutierte und offenbar so gut wie beschlossene Absenkung der Mehrwertsteuer auf Speisen in der Gastronomie ist für viele ein Lichtblick. Unumstritten ist sie allerdings nicht. Während etwa viele Wirtschaftsexperten skeptisch sind, klingen die Stimmen aus der Gastronomie selbst – wenig überraschend – erfreut und erleichtert.
Offenbar würde eine Senkung der Mehrwertsteuer aber nicht allen Gastronomien gleichermaßen nutzen – das befürchtet zumindest Foodwatch. Die Verbraucherschutzorganisation geht davon aus, dass von der Reform vor allem Fast-Food-Ketten profitieren würden, insbesondere umsatzstarke Unternehmen wie Mc Donald’s oder Pizza Hut. Laut Foodwatch-Berechnungen würde die Senkung der Mehrwertsteuer die Fast-Food-Branche insgesamt um rund 500 Millionen Euro entlasten, allein 140 Millionen entfielen auf Mc Donald’s.
Eine gezielte Reform der Mehrwertsteuer, die tatsächlich Verbrauchern nützen würde, sei hingegen eine Steuerbefreiung für Obst und Gemüse, kombiniert mit einer höheren Steuer auf Fleisch und Milch. Sie würde zugleich die Gesundheit und das Klima schützen, so Foodwatch.
Steuerermäßigung federt andere Kosten ab
Indessen kommt viel Zustimmung erwartungsgemäß von Seiten der Lieferanten der Gastronomie. Für den Getränkefachgroßhandel seien der Bereich Out of Home und die Gastronomie „sehr große und wichtige Kundengruppen“, unterstreicht Dirk Reinsberg, geschäftsführender Vorstand des GFGH-Bundesverbandes, auf Anfrage von Getränke News. „Jede Maßnahme, die sie entlastet, ist zu begrüßen.“ Für ihn ist die Steuerreform eine Maßnahme, die angesichts steigender Kosten unter anderem bei Energie und Personal „Druck rausnehmen“ und andere finanzielle Belastungen abfedern könne.
Nur eine kleine Einschränkung äußert Reinsberg: Die Steuererleichterung dürfe nicht allein in den Taschen der Gastronomen landen. Zwar brauchten die Wirte das freiwerdende Geld, um steigende Kosten zu kompensieren, sie müssten aber auch schauen, ob ihre Preislisten neu geschrieben werden sollten, um ihren Vorteil in Teilen an ihre Gäste weiterzugeben. „Ich habe aber die Hoffnung, dass ein Preisniveau sichergestellt werden kann, dass es möglichst vielen Menschen erlaubt, in die Gastronomie zu gehen.“
Wie stark nutzt es der Kundschaft?
Genau daran zweifeln allerdings viele Experten. So geht beispielsweise Ralph Ohnemus, Vorstand des Marktforschungsinstituts K&A Brand Research, davon aus, dass „Gastronomen einen Teil der Steuergeschenke für sich behalten“. Eine psychologische Begründung liefert er gleich mit: „Diese kurzfristige Gewinnerhöhung erscheint für unser Gehirn als verlockender als die unsichere Chance auf mehr Kundschaft.“
Erfahrungen aus dem Ausland bestätigen diese Vermutung. So wurden etwa in Frankreich oder auch Portugal nach einer Reduzierung der Mehrwertsteuer in der Gastronomie nur knapp 20 Prozent der Absenkung an die Konsumenten weitergegeben – die erhoffte Entlastung der Gäste blieb damit aus.
Doch selbst wenn die Gastronomen die zwölf Prozent Ersparnis tatsächlich an ihre Gäste weiterreichten, würde dies wahrscheinlich nicht viel mehr Besucher in die Restaurants locken, glaubt der Marktforscher. Viel stärker falle nämlich die Kaufzurückhaltung ins Gewicht, die angesichts der sehr unsicheren Zeiten zu beobachten sei – was der aktuelle Konsumklimaindex deutlich zeige.
Verbraucherstimmung immer schlechter
„Die Stimmung war bisher schlechter als die Lage. Jetzt allerdings kommen noch die Trumpschen Zollbeben dazu, da wird die Lage effektiv schlechter und die Stimmung dürfte weiter absacken“, prophezeit Ohnemus. Wer über die Zukunft beunruhigt sei, für den mache es keinen bedeutenden Unterschied, „ob das Essen zu zweit 70 oder 60 Euro kostet“.
Hinzu kommt, dass nach Ansicht von Ökonomen gerade in diesem Punkt eine soziale Ungerechtigkeit steckt: Da die Ausgaben für Gastronomiebesuche mit dem Haushaltseinkommen stiegen, begünstige die Absenkung der Mehrwertsteuer wohlhabende und kinderlose Haushalte, die Subvention werde aber letztlich von allen Steuerzahlern finanziert. Dies kritisierte unter anderem das Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in einer Kurzexpertise vom Oktober 2023, in der die Entfristung des Steuervorteils nach der Pandemie diskutiert wurde. Das Institut rechnete in seiner Analyse mit Steuerausfällen von etwa 38 Milliarden Euro in den kommenden zehn Jahren.
Strukturwandel kein Argument für Subvention
Neben diesen verteilungspolitischen Aspekten haben die Experten auch wirtschaftspolitische Einwände: So zeige unter anderem die relativ schnelle Erholung mancher Betriebe insbesondere in den Metropolen, dass die Probleme der Gastronomie nicht allein krisenbedingt waren, sondern eine Auswirkung veränderter Konsumgewohnheiten seien. Solch ein Strukturwandel liefere aber kein Argument für eine Subventionierung. „Die Sichtweise, dass die Steuersubvention geeignet sein könnte, nicht mehr nachgefragte Restaurants in Innenstädten oder in Dörfern zu bewahren, überzeugt nicht“, so ein Argument des ZEW.
Ganz anders sieht dies der Deutsche Brauer-Bund (DBB), der die Rückkehr zum ermäßigten Steuersatz „ausdrücklich positiv“ bewertet. „Das ist ein wichtiges Signal für die Branche, die massiv unter Druck steht, und kann dazu beitragen, viele der angeschlagenen Gaststätten zu stabilisieren“, betont DBB-Hauptgeschäftsführer Holger Eichele. Er begrüßt zudem die ersten Überlegungen von Union und SPD zur Senkung der Energiekosten, „auch wenn hier ein nachhaltiges Konzept noch fehlt“.
Verbände fordern grundlegende Reformen
Insgesamt zeigt sich der Spitzenverband der deutschen Brauwirtschaft von den bisher bekannten Plänen allerdings wenig überzeugt. Gemeinsam mit insgesamt 100 Verbänden hat er Anfang April in einem Brandbrief an die Koalitionsparteien Reformen gefordert. Die nächsten vier Jahre müssten dazu genutzt werden, die Belastungen für die Unternehmen spürbar zu reduzieren und Bürokratie abzubauen.
Als zentrale Forderung formulierten die Verfasser eine Senkung der Unternehmenssteuer „auf ein international wettbewerbsfähiges Niveau“. Was hingegen bisher auf dem Tisch liege, sei aus Sicht vieler Verbände „enttäuschend“, erklärte DBB-Chef Eichele. „Wir brauchen eine echte Wende in der Wirtschaftspolitik, kein Weiter-so.“