Der Craftbiertrend hat vieles angestoßen – aber die große Wende am deutschen Biermarkt blieb aus. Was als Aufbruch begann, endete in der Nische. Geblieben ist die Erkenntnis, dass Bier mehr kann als nur Durst zu löschen. Klaus Artmann, seit Oktober 2024 Präsident des Verbands der Diplom Biersommeliers, spricht im Interview über falsche Erwartungen, überforderte Konsumenten und die Zukunft einer Branche, die mehr Begeisterung braucht – und Menschen, die sie vermitteln.
Getränke News: Warum hat Craftbier Ihrer Meinung nach in Deutschland letztlich nicht funktioniert?
Artmann: Craftbier hat viele gute Impulse gebracht. Es gab eine Phase der Aufbruchstimmung, Bier war medial präsenter als je zuvor, es wurde viel experimentiert – teils mit Erfolgen. Allerdings waren die Erwartungen auch extrem hoch, man hoffte auf eine ähnlich positive Entwicklung wie in den USA.
Dabei waren die Voraussetzungen in Deutschland ganz andere: Wir hatten hier schon immer eine große Biervielfalt, insbesondere durch viele handwerklich arbeitende, regional verankerte Brauereien. Die Craftbierbewegung war also kein radikaler Bruch mit dem Bestehenden, sondern eher eine Ergänzung. Dennoch war es gut, dass sie kam – sie hat für frischen Wind gesorgt.
Getränke News: Haben die Craftbrauer am Markt vorbeigebraut – oder war der Konsument einfach noch nicht bereit?
Artmann: Viele Konsumenten waren schlichtweg überfordert. Craftbiere sind erklärungsbedürftig – man muss verstehen, was die Idee dahinter ist. Nur dann ist man bereit, den höheren Preis zu zahlen. Leider fehlt es oft an Aufklärung – sowohl im Handel als auch in der Gastronomie. Tatsache ist: Craftbier ist kein Selbstläufer. Wenn man den Menschen aber erklärt, was sie da trinken, erlebt man oft echte Begeisterung und diesen typischen „Wow“-Moment.
Getränke News: Was bleibt vom Craftbiertrend? Hat er die deutsche Bierkultur dennoch verändert?
Artmann: Wie bei jedem Trend gab es zunächst zu hohe Erwartungen, gefolgt von einer gewissen Ernüchterung. Am Ende ist Craftbier in der Nische der Spezialitäten angekommen – und sogar dort noch einmal eine Nische. In Mengen wird es den Markt nicht verändern, aber in der Wahrnehmung hat sich etwas verschoben. Es hat dem Thema Bier neue Facetten und neue Aufmerksamkeit verschafft.
Getränke News: Wenn Craftbier heute in Deutschland nur noch eine Nische in der Nische ist, braucht man dann überhaupt noch Biersommeliers?
Artmann: Unbedingt. Gerade weil die Vielfalt in der Nische stattfindet, braucht es Menschen, die diese Besonderheiten sichtbar machen. Wir Biersommeliers verstehen uns als Galeristen der Braukunst. Die Künstler sind die Brauerinnen und Brauer – sie schaffen mit handwerklicher Präzision und Kreativität echte Unikate. Unsere Aufgabe ist es, diese Kunstwerke in Szene zu setzen, ihre Geschichten zu erzählen und den Genuss erlebbar zu machen. Wir schlagen die Brücke zwischen dem, was in der Brauerei entsteht, und dem, was im Glas ankommt.
Biersommeliers sind jedoch für alle Biere und Brauereien da und zeigen auch bei klassischen Bierstilen, dass Bier wertvoll ist und nicht nur preiswert sein muss. Heute geht es mehr denn je darum, aus einem scheinbar gewöhnlichen Bier etwas Besonderes herauszuarbeiten. Wir zeigen, was in einem Pils wirklich steckt – abseits der gewohnten Geschmacksroutinen. Nur wer versteht, was er trinkt, kann es auch wirklich wertschätzen. Und genau dafür braucht es Biersommeliers.
Getränke News: Die Zahl der Ausbildungen zum Biersommelier geht zurück. Ist das Berufsbild überholt – oder braucht es ein Update?
Artmann: Die Ausbildung wurde vor einigen Jahren modernisiert und ist heute auf einem sehr guten Stand. Die Münchner Brauerschule Doemens bietet eine sehr gute und anerkannte Ausbildung. Im deutschsprachigen Raum werden jährlich über hundert neue Biersommeliers ausgebildet – das ist angesichts eines gesättigten Marktes ein beachtlicher Wert. Der Verband wächst kontinuierlich, wir zählen inzwischen 1.800 Mitglieder und feiern in diesem Jahr unser 20-jähriges Jubiläum. Wir sind gut vernetzt, aktiv und lebendig.
Getränke News: Gibt es noch echte berufliche Perspektiven – oder ist das inzwischen eher ein Hobby für Bier-Enthusiasten?
Artmann: Gerade im Bereich der Direktvermarktung sehe ich viel Potenzial: Brauereiführungen, Verkostungen, Events – überall dort, wo die Wertschätzung für das Produkt gelebt wird, braucht es auch Biersommeliers.
Wir haben heute viele, die sich nach der Ausbildung als Biersommelier selbstständig machen. Gleichzeitig schulen auch Brauereien ihre Mitarbeiter, um die Kompetenz im eigenen Haus zu stärken. Wo Wertschätzung für Bier entsteht, folgt auch Wertschöpfung. Der Verband kann diese Entwicklungen begleiten, stärken und vernetzen.
Getränke News: Was genau macht der Biersommelier-Verband – und was sind Ihre Ziele?
Artmann: Wir verstehen uns als zentrale, unabhängige Interessenvertretung für die Biersommeliers und setzen uns für mehr Bekanntheit und Wertschätzung ein. Unser Ziel ist es, allen Mitgliedern konkrete Mehrwerte zu bieten – durch Austausch, Weiterbildungen und Netzwerke. Wir fördern den Zusammenhalt innerhalb der Community sowie mit Partnern und Verbänden. Und wir leisten Genuss-Lobbyarbeit, um die sensorische Vielfalt und kulturelle Bedeutung von Bier stärker ins öffentliche Bewusstsein zu rücken. Bei all den Herausforderungen für die Brauereien, können und wollen wir immer Teil der Lösung sein und nie Teil des Problems.
Getränke News: Stichwort Genuss-Lobbyarbeit: Deutschland hat eine riesige Biervielfalt. Wie kann man diese heute noch vermitteln?
Artmann: Indem man Entdeckungsfreude weckt. Niemand würde sein Leben lang denselben Wein trinken – warum also beim Bier? Natürlich hat jeder sein Lieblingsbier, aber die Vielfalt lädt zum Ausprobieren ein. Auch Foodpairing spielt dabei eine große Rolle. Es braucht aber Zeit, Begeisterung und den direkten Kontakt zum Konsumenten, denn im Handel oder in der Standard-Gastronomie ist diese große Biervielfalt oft nicht sichtbar.
Getränke News: Was müsste passieren, damit Bier in der Gastronomie wieder einen höheren Stellenwert bekommt?
Artmann: Es braucht Genussempfehlungen. Gute Beispiele wie das „Liebesbier“ in Bayreuth oder auch die vielen begeisternden Braugasthöfe zeigen, wie es funktionieren kann – ohne Chichi, authentisch und zugänglich. Aber das ist noch die Ausnahme. Entscheidend ist, dass die Gastronomie authentisch bleibt und nicht überinszeniert.
Dafür braucht es ein Umdenken. Bier sollte nicht nur als Durstlöscher, sondern als Genussgetränk wahrgenommen werden – als Speisenbegleiter. Beim Wein hat sich dieses Verständnis über Jahrzehnte entwickelt. Beim Bier fangen wir gerade erst an. Da ist noch Luft nach oben.
Getränke News: Wenn Sie heute ein junger Mensch fragt: Soll ich Biersommelier werden – was antworten Sie?
Artmann: Unbedingt. Die Ausbildung zum Biersommelier ist nicht nur fachlich bereichernd, sie verändert auch den Blick auf Genuss insgesamt. Man lernt, bewusster zu riechen, zu schmecken und zu genießen – nicht nur bei Bier, sondern auch bei Kaffee, Wein, Käse oder anderen Lebensmitteln. Außerdem ist man als Biersommelier Teil einer außergewöhnlichen Gemeinschaft. Diese Verbundenheit unter Gleichgesinnten ist etwas ganz Besonderes. Es ist eine echte Bereicherung fürs Leben.
Getränke News: Sie sind seit gut einem halben Jahr Präsident des Biersommelier-Verbandes. Macht das Amt noch Spaß – oder ist es inzwischen vor allem viel Arbeit?
Artmann: Es ist ein echtes Ehrenamt – und zwar im besten Sinne. Denn es ist tatsächlich eine Ehre, mit so vielen engagierten Menschen zusammenzuarbeiten. Mit dem großartigen Team im Verband, mit unseren Kooperationspartnern und mit den Freunden der Biersommeliers. Dieses Netzwerk lebt von Leidenschaft, Zusammenhalt und gegenseitiger Wertschätzung. Genau das macht die Arbeit nicht nur sinnvoll, sondern auch erfüllend.