Künstliche Intelligenz (KI) kann viel – doch kann sie auch bei der Entwicklung neuer Getränke eingesetzt werden? Erste Unternehmen experimentieren hier – doch der Erfolg ist noch überschaubar. Die meisten Produkte verschwinden so schnell wieder vom Markt, wie sie entstanden sind. Doch es ist wohl nur eine Frage der Zeit, bis die KI auch hier Einzug hält, wie erste Beispiele zeigen.
Auf internationalen Wettbewerben wie dem World Beer Cup oder dem European Beer Star wetteifern Braumeister um den perfekten Biergeschmack. Vielleicht kommt in Zukunft dort ja eine neue Kategorie „Brewed by AI“ hinzu – denn auch dem perfekten Bierrezept ist man mittlerweile mit KI auf der Spur.
Ein Forschungsteam aus Belgien hat es sich zur Aufgabe gemacht, mit modernen Methoden der Datenanalyse und des maschinellen Lernens die Geheimnisse des Biergeschmacks zu ergründen und Wege zu finden, diesen gezielt zu verbessern. Das Ziel der Forscher war es, die komplexen Zusammenhänge zwischen den chemischen Bestandteilen von Bier, den wahrgenommenen Aromen und der Verbraucherwahrnehmung aufzudecken.
Dafür wurden 250 kommerziell erhältliche belgische Biere, die 22 verschiedenen Bierstilen angehören, chemisch und sensorisch analysiert. Die Forscher ließen die KI 226 chemische Parameter messen, darunter Alkoholgehalt, pH-Wert, Zucker sowie über 200 Aromastoffe, die aus Hopfen, Malz, Hefe oder anderen Bestandteilen stammen.
Besserer Geschmack durch KI?
Was sonst des geschulten Gaumens eines Biersommeliers bedarf, erledigte für die Studie ein Sensorikpanel, das die Biere hinsichtlich 50 verschiedener sensorischer Attribute bewertete. Diese sensorischen Attribute umfassten Geschmacksrichtungen wie hopfig, malzig oder fruchtig sowie Mundeigenschaften wie Vollmundigkeit oder Säuregehalt. Ergänzend zu diesen Einstufungen durch Experten wurden über 180.000 Konsumentenbewertungen von Plattformen wie „Rate Beer“ gesammelt und analysiert. Sie boten eine weitere Perspektive auf die Verbraucherpräferenzen und halfen den Forschern, breitere Muster zu erkennen.
Mit ihren Erkenntnissen reicherten die Wissenschaftler in einem Folgeexperiment bestehende Biere gezielt mit bestimmten Aromastoffen an, um deren Geschmack zu verbessern. Die Testergebnisse zeigten, dass die modifizierten Biere von den Verkostern als deutlich angenehmer wahrgenommen wurden. Die Forscher sehen in ihrer Arbeit einen wichtigen Schritt hin zu einer „computerunterstützten Lebensmittelentwicklung“, die es ermöglicht, gezielt Lebensmittel mit herausragenden Geschmacksprofilen zu kreieren.
„Braukunst lebt von menschlicher Kreativität“
Beim Deutschen Brauer-Bund sieht man solche Aussagen mit Skepsis. „Entscheidend ist gerade auf dem Biermarkt in Deutschland, dass die Braukunst von menschlicher Kreativität, Handwerkskunst und Experimentierfreude lebt, was KI nicht ersetzen kann“, sagt Pressesprecherin Nina Göllinger. Grundsätzlich könne KI aber bereits heute helfen, neue Bierrezepte zu kreieren, indem sie große Datenmengen über Zutaten, Aromen und Verbraucherpräferenzen analysiert. So könnten Brauereien experimentelle oder kundenspezifische Biere schneller entwickeln.
„Unserer Einschätzung nach spielt dies in Deutschland jedoch bisher keine große Rolle, wenngleich die rasante Entwicklung von KI es schlicht unmöglich macht, eine sichere Prognose dazu abzugeben, inwiefern sich Brauereien zukünftig vermehrt dabei unterstützen lassen werden, ihre Bierrezepte mittels KI weiterzuentwickeln“, so Göllinger.
Futuristischer Weincocktail
Mit dem ersten vollständig KI-generierten Ready-to-drink-Cocktail Europas ist die Katlenburger Kellerei Anfang 2024 auf den Markt gegangen. „Nano Fizz“ heißt der Fruchtweinmix „mit futuristischem Flair“, der laut Bewerbung „von der Rezeptur über das Naming und Details wie die Verschlussfarbe bis hin zum Packaging-Design und den Kommunikationsmaterialien von KI generiert“ wurde.
„Ich wollte wissen, was kann die KI wirklich? Und ist sie wirklich so gut und kreativ, wie viele sagen“, erläutert Geschäftsführerin Alexandra Demuth das Experiment auf Anfrage von Getränke News. Einzigartigkeit sei seit Generationen eines der Alleinstellungsmerkmale des Unternehmens. „Und das erreichen wir nur, wenn wir als Fruchtweinmacher innovativ mit Herz und Seele an neuen Produkten am Puls der Zeit arbeiten“, erklärt sie weiter.
Wissen von Fachleuten weiter unverzichtbar
So ganz hat man sich bei Katlenburger aber doch nicht auf die KI verlassen. „Die KI ist schon ein interessantes Tool, aber noch nicht so weit, eine Produktentwicklung vollständig zu übernehmen. Die Ergebnisse, die aus der KI kamen, waren eine gute Inspiration, aber noch bei weitem keine finale Rezeptur, die unseren Anforderungen entspricht“, so Demuth.
Das durch die KI entworfene Rezept, das auf einem menschlich erstellten Prompt basiert, wurde sorgfältig vom Produktteam verkostet und in die „Standards“ der Kellerei übersetzt. Auch beim Design hatten Menschen das letzte Wort: Das von der KI vorgeschlagene Design wurde durch erfahrende Designer druckfähig umgesetzt und das Naming in der Marketingabteilung bewertet, erläutert Demuth. „Um ein Getränk für ein einzigartiges, wertiges Genusserlebnis marktfähig umzusetzen, benötigt es auch weiterhin das Fachwissen, die Leidenschaft und Erfahrungen unserer Fruchtweinmacher“, resümiert sie.
Nur zwei Tage Entwicklungszeit
Bereits 2023 hat das Schweizer Unternehmen Vivi Kola sein erstes Süßgetränk auf Basis künstlicher Intelligenz auf den Markt gebracht. Unter dem Namen „Vivi Nova“ entstand ein veganer Softdrink. Wie das Unternehmen berichtet, kamen die KIs Chat GPT, Midjourney und Unreal Engine zum Einsatz. Die Entwicklung von Vivi Nova – von der Idee bis zum fertigen Getränk und Design – habe nur zwei Tage gedauert, heißt es.
Der ganz große Erfolg war Vivi Nova dann offenbar doch nicht. „Vivi Nova ist sehr gut in den Retail-Segmenten gestartet. Die Verkaufszahlen blieben jedoch stabil und konnten nicht kontinuierlich gesteigert werden“, sagt Patrick Agnéus vom Produzenten Vicollective. Deshalb solle Vivi Nova 2025 durch ein neues Getränk abgelöst werden, welches nicht mehr ausschließlich mit KI generiert wurde. „KI kann durchaus eine Unterstützung im Entwicklungsprozess von Getränken darstellen. Wir setzen in Zukunft aber weiterhin auf den Geschmack unsere Kundinnen und Kunden und entwickeln Getränke, die zu positiven Geschmackserlebnissen mit ehrlichen Zutaten – weniger Zucker, nachhaltige, lokale Beschaffung der Rohstoffe – führen“, so Agnéus.
Dem besten Whisky auf der Spur
Erfolgreicher ist die KI offenbar dabei, Geschmacksprofile zu erstellen. Der multinationale Getränkeproduzent Diageo (unter anderem Johnnie Walker, Smirnoff, Baileys und Guinness), setzt KI unter anderem ein, um Verbrauchern den perfekten Whisky für ihren Geschmack zu empfehlen, berichtet eine Unternehmenssprecherin. 2019 launchte Diageo dazu die Webseite „What’s Your Whisky“.
Auf der Plattform beantworten Verbraucher elf Fragen wie zum Beispiel „Wie oft isst du Bananen?“ oder „Wie stehst du zu Chili?“ Die Antworten werden dann mithilfe von KI und Maschinenlernen analysiert und ein persönliches Geschmacksprofil erstellt. Dieses beinhaltet Whiskynoten wie süß, fruchtig, würzig und rauchig. Aufgrund dessen empfiehlt das Programm einen Single Malt Whisky, der dem Geschmack der Nutzer am besten entspricht und bietet so eine einzigartige Möglichkeit, Scotch Whiskys zu entdecken, erklärt die Sprecherin.
Das ursprünglich in neun europäischen Ländern gelaunchte Tool habe bisher 1,5 Millionen Menschen geholfen, ihren perfekten Whisky nach dem persönlichen, KI-generierten Geschmacksprofil zu finden. Mittlerweile gibt es zusätzlich das Portal „What’s Your Cocktail“, das nach demselben Prinzip Empfehlungen für Drinks gibt und dabei sämtliche Spirituosenkategorien von Wodka und Tequila über Whisky und Rum bis zu Gin berücksichtigt.
Wettlauf zwischen Mensch und Maschine
Noch können Brauer, Brennmeister oder Getränketechnologen bei der Entwicklung neuer Getränke mit ihrer Erfahrung und Ausbildung klar gegenüber der KI punkten. Doch es wird wohl nur eine Frage der Zeit sein, bis auch hier genügend Datensätze vorliegen, dass die KI den Geschmack der Kunden mindestens genauso gut trifft. Gerade in schnelllebigen Bereichen, wie der Herstellung von Softdrinks, wird KI wohl bald nicht mehr wegzudenken sein.