Damit die deutsche Wirtschaft mit einem „Wumms“ aus der Corona-Krise kommt, hat sich der Koalitionsausschuss auf ein zweites umfangreiches Konjunkturpaket verständigt. Insgesamt werden damit in den nächsten Monaten branchenübergreifend 130 Milliarden Euro verteilt. Getränke News fragte GFGH-Bundesverbandschef Dirk Reinsberg, in welchem Maße das Paket dem Getränkefachgroßhandel nutzen kann.
Getränke News: Wie beurteilen Sie das Paket ganz allgemein?
Reinsberg: Wir als Bundesverband begrüßen das grundsätzlich. Es kommt auch unserer sehr frühzeitig erhobenen Forderung nach einem weiteren, branchenübergreifenden Hilfspaket nach. Viele durch den Lockdown angeschlagene mittelständische Unternehmen in der Gastronomie- und Veranstaltungsbranche, dem gastronomieorientierten Getränkefachgroßhandel und auf Seiten der Brauereien brauchen eine nachhaltige finanzielle Unterstützung, um die nächsten Monate wirtschaftlich zu überleben. Hier kann das mit 25 Milliarden taxierte Hilfspaket für Unternehmen des Mittelstandes durchaus helfen.
Getränke News: Bei dem ersten Paket der Bundesregierung wurde oft kritisiert, dass es vor allem Hilfen umfasste, die zurückgezahlt werden müssen – was viele Unternehmen angesichts der gravierenden Krisenfolgen gar nicht werden leisten können …
Reinsberg: Das ist bei dem zweiten Paket anders. Die hier als „Überbrückungshilfen“ angeführten Gelder sind keine Darlehen, sondern echte Liquiditätshilfen. Unternehmen, die extrem unter der Corona-Krise leiden, da sie monatelang keinen Umsatz generieren konnten, kann jetzt doch geholfen werden. Bedauerlich finde ich aber, dass die Unterstützung nur beantragen kann, wer mindestens 50 Prozent Umsatz verloren hat. Natürlich müssen irgendwo Grenzen gezogen werden. Aber da hätte ich mir eine andere Lösung gewünscht.
Getränke News: Das Paket enthält auch einige Maßnahmen, die Unternehmen helfen sollen, ihre Lkw-Flotten zu modernisieren. Wie schätzen Sie das ein?
Reinsberg: Das ist absolut zu begrüßen. Da werden wirklich Anreize gegeben, in klimaschonende Mobilität und Zukunftstechnologien zu investieren. Das hilft Industrie und Handel, kurzfristig wieder Fuß zu fassen und langfristig ihre Wettbewerbsfähigkeit zu sichern.
Getränke News: Aber hat der von Corona gebeutelte GFGH derzeit nicht andere Sorgen als seinen Fuhrpark zu modernisieren? Fehlt ihm da nicht trotz Förderung das Geld?
Reinsberg: Bei diesem Thema denke ich in der aktuellen Situation weniger an Gastronomie- und Event-orientierte Unternehmen. Aber Fachhändler mit umfangreichem Streckengeschäft oder der Belieferung des Getränke-Einzelhandels hatten unter der Krise ja nicht so stark zu leiden. Und die Programme sind langfristig angelegt, laufen teilweise über einen Zeitraum von anderthalb Jahren. Wenn die Krise überstanden ist, kann das Paket tatsächlich dazu dienen, im Fachhandel Flotten zu modernisieren.
Getränke News: Gilt das nach Ihrer Einschätzung auch für die in dem Paket genannte Förderung der Digitalisierung?
Reinsberg: Die Digitalisierung hat durch die Corona-Krise einen unerwarteten Schub bekommen. Vieles, was im letzten Jahr noch unvorstellbar erschien, ist bei Endverbrauchern wie in Unternehmen ganz schnell Realität geworden. Spätestens jetzt muss jedem klar sein, dass der Prozess nicht mehr aufzuhalten ist.
Entscheidend für unsere Branche ist nun die Art und Weise, wie die Kunden in Gastronomie und Einzelhandel mit digitalisierten Bestellmöglichkeiten umgehen. Ein Fax zur Bestellung kann nicht mehr funktionieren. Das müssen auch die Kunden akzeptieren. Die Digitalisierung wird eines der entscheidenden Themen der nächsten Wochen, Monate und Jahre sein. Insofern steckt auch in dieser Krise eine Chance, die es zu nutzen gilt. Dabei helfen auch die Förderprogramme.
Getränke News: Also ist das Konjunkturpaket für Sie alles in allem gelungen?
Reinsberg: Na ja, auf die Mehrwertsteuerreduzierung hätte ich gut verzichten können. Die kurzfristige Reduzierung zum 1. Juli und die zeitliche Begrenzung bis zum 31. Dezember stellt die Unternehmen vor erhebliche Herausforderungen. Für sechs Monate – innerhalb von nicht einmal vier Wochen – Preise anzupassen und ggfs. Preisschilder, Preislisten und Kataloge neu zu gestalten sowie elektronische Systeme und Kassen umzustellen, ist wirtschaftlicher Wahnsinn.
Der gut gemeinte Ansatz, über eine Mehrwertsteuerreduzierung Nachfrage zu stimulieren und Umsatz zu fördern, könnte sich für Teile der Wirtschaft – insbesondere im Einzelhandel – ins Gegenteil verkehren. Aufwand und Kosten der Umsetzung belasten die Unternehmen überproportional. Und dabei ist wohl mehr als fraglich, ob die kurzfristige und temporäre Steuersenkung um drei Prozentpunkte überhaupt den erhofften Kaufimpuls gibt. Dafür trinkt doch keiner auch nur ein Bier mehr. Das hilft allenfalls den Anbietern von Kassensystemen.
Getränke News: Aber damit wird die Branche wohl leben müssen …
Reinsberg: Zusammen mit anderen Verbänden der Getränkewirtschaft haben wir in der letzten Woche das Wirtschafts- und das Finanzministerium angeschrieben und darum gebeten, dass es zumindest im B2B-Bereich bei 19 Prozent bleibt. Da ist die Mehrwertsteuer doch sowieso ein durchlaufender Posten. Auch das Pfand als Besonderheit in der Branche sollte ausgeklammert werden. Es entstehen sonst einfach nur Mehrkosten, ohne dass die Maßnahme auf das Ziel das Pakets einzahlen würde.
Getränke News: Wie schätzen Sie inzwischen ganz allgemein die Stimmung in der Branche ein?
Reinsberg: Eins ist klar: Nach der Corona-Krise werden die Umsatz- und Ergebniszahlen nicht mehr so sein wie zuvor. Aber immerhin ist die aussichtslose Zeit des Lockdowns vorbei. Vieles hängt jetzt davon ab, wie sich der Endverbraucher verhält, ob er wieder in die Gastronomie geht. Auch für den GFGH ist das ein entscheidender Faktor.
Dabei ist noch völlig offen, wie viele Gastronomen die Krise nicht überleben werden. Branchenkenner gehen davon aus, dass 25 bis 30 Prozent sich nicht erholen werden. Das wären Schließungen in einem nie gekannten Ausmaß. Wir sollten uns dennoch auf den Standpunkt stellen „das Glas ist nicht halbleer, sondern halbvoll“, wie es ein Verbandsmitglied mir jüngst sagte. Die Branche braucht jetzt Mut und Optimismus.