In der Craftbier-Szene macht sich Ernüchterung breit. Der anfängliche Hype um die neuen Biere ist vorüber, der mediale Rummel vorbei. Über die aktuelle Lage sprach Getränke News mit Braufactum-Geschäftsführer Dr. Marc Rauschmann. Rauschmann gilt hierzulande als Craftbier-Pionier.
Getränke News: Die Craftbier-Szene befindet sich im Umbruch. Wo steht sie heute?
Rauschmann: Bisher bewegen sich viele Craftbier-Brauer noch in einer Nische. Sie brauen Biere für die „Szene“ und nicht für den „normalen“ Konsumenten. Um jedoch langfristig am Markt eine Chance zu haben, muss Craftbier auch den „normalen“ Biertrinker erreichen. Deshalb ist es gut und wichtig, dass wir alles dafür tun, dass Craftbier ausgehend von einem „Szene“-Getränk nun in der Mitte der Gesellschaft ankommt, und das sowohl im Handel als auch in der Gastronomie. Das Besondere dieser Biere muss dabei aber erhalten bleiben. Und genau das passiert jetzt gerade für den Konsumenten, aber auch für den Handel. Was gerade geschieht, ist also ein normaler und guter Prozess.
Getränke News: Craftbier muss also mehr in Richtung Mainstream?
Rauschmann: Ich bin überzeugt davon, dass es genau der richtige Weg ist, Craftbier und damit die Begeisterung für Biervielfalt weiter in die Mitte der Bevölkerung zu bringen. Genau das haben wir ja von Anfang an mit unseren Bieren gemacht. Alle Braufactum-Biere waren immer gut „trinkbar“. Wir hatten noch nie den Anspruch, das stärkste, bitterste oder sauerste Bier zu machen. Wir wollten von Anfang an immer ein ausgewogenes und ein gut trinkbares Bier brauen. Eines, das einfach Freude macht und tolle Geschmackserlebnisse bietet.
Getränke News: Fällt die Craftbier-Revolution damit also aus?
Rauschmann: Es gibt inzwischen in Deutschland einige sehr gute und ausgewogene Craftbiere. Manche Craftbier-Brauer wollen jedoch die Konsumenten mit Gewalt umerziehen. Das funktioniert so aber nicht. Wir brauchen hier in Deutschland mit unseren vielen tollen Bieren auch keine Craftbier-Revolution analog den USA. Wir haben eine komplett andere Voraussetzung. Wir müssen die Verbraucher dort abholen, wo sie sind, und Schritt für Schritt den Weg mit ihnen gehen.
Getränke News: Welche Rolle spielt hierbei die Gastronomie?
Rauschmann: Die Gastronomie spielt eine entscheidende Rolle, da hier Verbraucher in einer entspannten Atmosphäre etwas Neues kennenlernen können. Sie haben Zeit und lassen sich gerne darauf ein. Wichtig ist, dass die Gäste durch den Service hier hingeführt werden und durch das richtige Craftbier gleich ein positives Geschmackserlebnis haben. Zudem muss Craftbier hierbei eine gute Sichtbarkeit und einen ansprechenden Auftritt haben, unabhängig davon, ob es mit einer Sorte als Ergänzung des klassischen Biersortiments dient oder es sich um ein Bierkonzept mit zehn oder mehr Zapfhähnen bzw. entsprechender Auswahl an Flaschenbieren handelt.
Getränke News: Oftmals wird auch die Qualität der Craftbiere bemängelt…
Rauschmann: Es kommen zu viele Biere unter dem Label „Craftbier“ auf den Markt, die den Verbrauchern oft keinen Spaß machen oder die sie nicht verstehen. Es gibt auch zu viele Biere, die einfach nicht gut gebraut sind, die sogar deutliche Braufehler haben. Neben der guten „Trinkbarkeit“ ist deshalb die verlässliche Qualität der Biere enorm wichtig. Denn ein gerade erst für Craftbier gewonnener Verbraucher ist nach einer geschmacklichen Enttäuschung erst einmal verloren und kehrt zu seinen gewohnten Getränken zurück.
Getränke News: Was fordert der Handel von den Craftbier-Brauern?
Rauschmann: Im Handel selbst stellen wir fest, dass dieser nun auch bei Craftbier die Professionalität und Verlässlichkeit wie Lieferzuverlässigkeit, QM-Zertifikate, gesetzeskonforme Deklaration, Betreuung etc. erwartet und fordert. Die Schonfrist für die Craftbier-Brauer ist vorbei. Und weil viele die Anforderungen des Handels nicht erfüllen, führt dies automatisch zu einer Bereinigung des Sortiments. Der Handel möchte weiterhin Craftbiere haben, jedoch Marken mit einem guten, professionellen Auftritt und einer gewissen Bekanntheit.
Getränke News: Was können wir von der aktuellen Entwicklung aus USA lernen?
Rauschmann: Ich bin grundsätzlich kein Freund, immer über den Teich zu schauen, da wir bei uns ganz andere Voraussetzungen haben. Grundsätzlich befinden wir uns ja, was Craftbier betrifft, ca. 20 Jahre hinter den USA. Es ist aber interessant festzustellen, dass es in den USA exakt die gleiche Entwicklung gab. Nach einem rasanten Wachstum an Brauereien mit einer Zielgruppe im Bereich der Beer Geeks, kam es aufgrund fehlenden Marktvolumens bei der sehr begrenzten Zielgruppe ab 1999 zu einer Stagnation und einem Rückgang an Brauereien. Erst ab 2008 startete die zweite Wachstumsphase mit einem erheblichen Anstieg an Brauereien, aber auch Marktanteil. Aus dieser Entwicklung gingen dann Brauereien gestärkt hervor, die ihre Hausaufgaben mit einem guten Markenaufbau und gut trinkbaren, qualitativ hochwertigen Bieren für eine breitere Zielgruppe gemacht hatten (siehe Sierra Nevada oder Brooklyn). Genau diese Entwicklung hatten wir so auch in Deutschland vorausgesagt.