29 Jahre führte er die Brauerei Veltins, so lange wie kaum ein anderer. Nun geht der Generalbevollmächtigte Michael Huber (75) von Bord. Seine Bilanz kann sich sehen lassen: Der Ausstoß stieg um 44 Prozent auf heute 3,26 Millionen Hektoliter, der Umsatz kletterte unter seiner Führung von 186 auf 441 Millionen Euro und legte damit um 137 Prozent zu. Die Veltins-Belegschaft wuchs in den letzten 29 Jahren um 76 Prozent auf 721 Mitarbeiter.
Mut zu Innovationen und Investitionen prägten das Schaffen von Michael Huber. Jetzt gibt er das Ruder an Dr. Volker Kuhl weiter, der künftig als Sprecher der Geschäftsführung das Unternehmen führt. Im Gespräch mit „Getränke News“ gibt Huber Einblicke in seine Anfänge, seinen Führungsstil und seine Erfolgsrezepte.
Es waren bewegende Jahre. „1995 lud mich Susanne Veltins zu einem Gespräch ein“, erinnert sich Michael Huber an den Beginn seiner Karriere bei der Brauerei Veltins. Ein Jahr zuvor war Rosemarie Veltins, die Mutter von Susanne Veltins, verstorben, und Susanne hatte die Verantwortung für das Familienunternehmen übernommen. Die damalige Situation in der Brauwirtschaft: Anfang der 90er-Jahre legten die westdeutschen Brauereien aufgrund der Wiedervereinigung beim Absatz zu. Doch Mitte des Jahrzehnts stagnierte das Wachstum, zeitgleich stieg der Druck des Handels.
Auch die Brauerei Veltins spürte die Marktveränderungen und stand vor neuen Herausforderungen. „Neue Konzepte waren notwendig. Der Vertrieb musste neu organisiert werden, das Key Account Management wuchs“, so Huber. Doch die damalige Geschäftsführung sei verwöhnt gewesen von den guten Erträgen der vorangegangenen Jahre und habe möglichst wenig verändern wollen. „Susanne Veltins suchte jemanden, der die Brauerei zukunftsfähig machen konnte“, erklärt Huber. Der damalige Anwalt der Familie Veltins und Beiratsvorsitzende kennt Huber und empfiehlt ihn für den Beirat der Brauerei. Sein Auftrag: Das Vermögen der Familie Veltins bewahren und sicherstellen, dass es in die nächste Generation übertragen wird.
Eine völlig neue Welt
Für Huber, damals 46 Jahre alt und geschäftsführender Gesellschafter eines erfolgreichen Logistikunternehmens, war die Brauwirtschaft eine völlig neue Welt. „Ich kam aus der Logistikbranche, die ein Pfenniggeschäft war und in der man nur mit Controlling und Planung überleben konnte“, so Huber. In der Brauerei habe man dagegen in den Tag hineingelebt: keine Budgetierung, unlimitierte Spesen und Arbeitszeiten von 37 Stunden pro Woche. „In der Logistik arbeiteten wir in der Regel 50 Stunden pro Woche. Mir war sofort klar: Hier kann man viel bewegen.“ Er habe zuerst mit dem Betriebsrat einen Deal gemacht: Keiner wird entlassen, dafür wird länger gearbeitet. „Frau Veltins wollte damals, dass ich ein Auto mit Panzerglas fahre. Sie hatte Angst, dass mir etwas zustoßen könnte.“
Nach nur vier Monaten im Beirat will Huber hinschmeißen. „Ich habe gefragt, was es kostet, eine Flasche Bier herzustellen. Niemand konnte mir eine Antwort geben. Da wusste ich: So kann ich nicht arbeiten.“ Doch Susanne Veltins überredet ihn zu bleiben – und bietet ihm an, als Generalbevollmächtigter die operative Verantwortung zu übernehmen. „Meine Bedingung war, das Unternehmen so führen zu können, als wäre es mein eigenes. Dazu brauchte ich Vollmacht. Die gab mir Susanne, allerdings mit zwei Einschränkungen: keine Veränderungen am Design und kein Verkauf des Unternehmens“, so Huber. Parallel zu Veltins führt er sein eigenes Unternehmen erfolgreich weiter. „Dadurch war ich nie abhängig von dem Job in der Brauerei. Es ging mir bei Veltins auch nie ums Geld. Es ging um Erfolg und Anerkennung und vielleicht auch um meine Eitelkeit“, sagt Huber.
Restrukturierung des Managements
Eine seiner ersten großen Entscheidungen ist die Restrukturierung des Managements. „Die damalige Geschäftsführung war ein Klüngel und nicht qualifiziert für das, was auf uns zukam. Ich habe relativ schnell Dr. Volker Kuhl zum Geschäftsführer ernannt und auch die anderen beiden Positionen neu besetzt.“ Die ersten zwei Jahre bei Veltins nutzt Huber, um das Geschäft von Grund auf zu lernen. „Ich hatte keine Ahnung vom Biergeschäft. Zum Glück hatte ich mit Dr. Kuhl einen großartigen Lehrer. Er brachte mir alles über die Branche bei, während ich ihm Unternehmensführung beibrachte.“ Gemeinsam führen sie ein Controllingsystem ein, das heute eines der präzisesten in der Brauwirtschaft sein dürfte. „Unsere Prognosen weichen maximal um zwei Prozent ab, wir kennen jede Schraube in der Brauerei.“
Ein zentraler Baustein von Hubers Erfolgsrezept ist die Unternehmenskultur. „Das Wichtigste in einem Unternehmen sind die Menschen“, sagt Huber. „Man muss sie fördern, motivieren und an die richtigen Stellen setzen“, betont er. Für ihn ist es entscheidend, Vertrauen in die Mitarbeiter zu haben und ihnen Verantwortung zu übertragen. Um das Unternehmen besser zu verstehen und das Vertrauen der Belegschaft zu gewinnen, ist er die ersten Jahre jeden Morgen um sechs Uhr in der Produktion. „Ich habe mir die Prozesse erklären lassen, mit den Mitarbeitern gesprochen und versucht, das Unternehmen aus ihrer Perspektive zu sehen.“ Auch beim Umgangston pflegt Huber seinen eigenen Stil: „Ich habe alle geduzt. Wenn ich jemanden gesiezt hätte, hätte er vermutlich gedacht, dass ich ihn entlassen möchte.“
Für Huber essenziell: „Ein Unternehmer sollte niemals operative Aufgaben übernehmen, sonst fehlt ihm die Zeit, sich um die Mitarbeiter zu kümmern.“ Vertrauen, Ehrlichkeit und Selbstständigkeit seien die Eckpfeiler einer guten Unternehmenskultur. „Alles, was wir bei Veltins erreicht haben, verdanken wir dem Team. Meine Aufgabe war es lediglich, die Menschen zu coachen, die Unternehmenskultur zu stärken und am Ende des Teamworks die Entscheidungen zu treffen.“
Logistische Vorteile früh erkannt
Während viele Brauereien in den 1990ern und 2000ern durch Übernahmen wachsen, geht Veltins einen anderen Weg. „Unsere Maßgabe war immer: Keine Abenteuer. Andere Brauereien haben gekauft und verkauft, aber wir haben uns darauf konzentriert, organisch zu wachsen“, erklärt Huber. Eine Ausnahme sei die Übernahme von Bier Schneider im Jahr 2000 gewesen. „Damals wollten wir lediglich das Geld retten, das uns Bier Schneider schuldete. Hätte ich vorher gewusst, wie aufwendig die Integration wird, hätte ich es wahrscheinlich nicht gemacht. Aber im Nachhinein war es richtig, weil daraus die DGL entstanden ist.“ Es sei damals schon erkennbar gewesen, dass sich die Welt des Getränkefachgroßhandels verändern werde. „Wir haben früh erkannt, welche logistischen Vorteile die Übernahme von Bier Schneider für uns bringt“, sagt Huber.
Ein weiterer Meilenstein in Hubers Ära ist die Einführung des neuen Kastens im Jahr 2009. „Ich war zunächst strikt dagegen, weil wir alle Emballagen sofort abschreiben und keine Bankverbindlichkeiten wollten.“ Doch das Team habe für den neuen Kasten gekämpft. „Mit einem Finanzkonzept und der Bereitschaft, an anderer Stelle zu sparen, haben sie mich überzeugt“, so Huber. Heute sei er ihnen sehr dankbar dafür, denn Veltins zähle laut Marktforschung – unter anderem durch den neuen Kasten und die neuen Etiketten – zu den Biermarken mit den jüngsten Verwendern. „An diesem Beispiel ist klar zu sehen: Ein Unternehmer muss zuhören und erkennen, was die Mitarbeiter empfinden. Dafür braucht man Zeit, und die hat man mir hier immer gegeben.“
Mehr als ein Arbeitsplatz
Nach 29 Jahren zieht sich Huber nun zurück. „Wir haben hier etwas Einzigartiges geschaffen. Die Belegschaft ist allein in den letzten 25 Jahren um 45 Prozent gewachsen, wir haben 705 Millionen Euro in den Standort investiert, und alles, was wir besitzen, ist bezahlt. Wir haben keine Bankverbindlichkeiten und eine Eigenkapitalquote von 75 Prozent.“
Für Huber war Veltins stets mehr als ein Arbeitsplatz. „Ich durfte ein Unternehmer im Unternehmen sein und das Unternehmen so führen, als wäre es mein eigenes. Susanne Veltins hat mir immer das Vertrauen gegeben, eigenständig zu handeln. Dieses Vertrauen war der Schlüssel zu unserem Erfolg.“ Gleichzeitig sieht er seinen Rückzug als notwendig an. „Ich habe es abgelehnt, Beiratsvorsitzender zu werden, weil ich in dieser Position nicht mehr gestalten könnte.“
Der Abschied fällt ihm nicht leicht. „Es tut weh, das Sauerland zu verlassen. Diese Region und vor allem die Menschen sind ein großer Teil meines Lebens geworden.“ Er brauche aber jetzt den räumlichen Abstand will nach Österreich ziehen. „Aber Veltins wird immer ein Teil von mir bleiben. Es wird seltsam sein, ab Januar keine Absatzzahlen mehr zu sehen oder nicht mehr Teil des Teams zu sein.“ Er gehe aber mit dem Wissen, dass die Brauerei hervorragend aufgestellt ist.
Mit Michael Huber verabschiedet sich eine der prägendsten Persönlichkeiten der deutschen Brauwirtschaft. Seine Führungsphilosophie und seine strategische Weitsicht haben die Brauerei nicht nur sicher durch schwierige Zeiten geführt, sondern sie auch nachhaltig für die Zukunft gestärkt. „Ich gehe mit Stolz und würde alles genauso wieder machen“, sagt Huber abschließend. „Denn am Ende ging es immer um mehr als um den bloßen Erfolg: Es ging um die Menschen, die diesen Erfolg erst möglich gemacht haben.“