Urplötzlich ein Restrukturierungs-Experte auf der Kommandobrücke und der zeitgleiche Aufmarsch einer auf Hartsanierung spezialisierten Unternehmensberatung – die einstige Warsteiner und heutige Haus Cramer Gruppe dürfte eine ungewöhnlich rasche Restrukturierung erwarten, die bittere Konsequenzen für die drei NRW-Standorte in Warstein, Paderborn und Herford befürchten lässt. Die Belegschaft ist verunsichert; den Menschen an Bord der traditionsreichen, vor drei Jahrzehnten so erfolgreichen Brauerei schwant nichts Gutes.
Erst Ende letzter Woche verließ Uwe Albershardt (63), Geschäftsführer Vertrieb und Marketing der Haus Cramer Gruppe, nach nur zweieinhalb Jahren das Unternehmen. Zum Monatsende legt die kaufmännische Leiterin Manuela Hemp ihr Amt nieder, die Personalleiterin Dagmar Borren geht Ende Oktober. „Beide gehen auf eigenen Wunsch“, betont Warsteiner-Sprecherin Laura Heinzelmann auf Anfrage von Getränke News. Die kommissarische Nachfolge der Führung der Bereiche Finanzen und Controlling übernimmt Restrukturierungs-Experte Karsten Jonczyk von der Beratungsagentur RSM Ebner Stolz.
Externe Berater sollen es richten
Die offizielle Lobhudelei zum vorzeitigen Abgang von Uwe Albershardt hätte den eigentlichen Richtungswechsel kaschieren können, wenn nicht Warsteiner-Chef Helmut Hörz im hauseigenen Newsletter die wichtigste Nachricht zum branchenweiten Lauffeuer gemacht hätte: Der krisenerfahrene Berater Karsten Jonczyk kommt mit dem Restrukturierungsteam von RSM Ebner Stolz und soll offenbar schnelle Ergebnisse herbeiführen. Hörz‘ Mission, mit dem Bier-Marktführer der Neunzigerjahre endlich wieder „auf Flughöhe“ zu kommen, kam offenbar ins Wanken – die hinzugeholten Berater sollen es jetzt richten. Das Signal im Markt ist jedenfalls angekommen: Hörz und seine Mitstreiter brauchen dringend externe Hilfe.
Die entscheidende Frage: Wie dünn ist die Luft in Warstein wirklich geworden? Nach der Oettinger-Gruppe scheint nun auch die Haus Cramer Gruppe aufgrund der branchenweiten Mengeneinbrüche deutlich angeschlagener dazustehen, als die Branche vermutet hätte. Beide Unternehmen gelten längst als größte Wackelkandidaten in einer unter Kostendruck ächzenden Brauwirtschaft.
Preisstellung schwächt die Marke
Die Probleme sind offenkundig: Oettinger leidet unter seiner Preisstellung, weil das Einstiegssegment unter Druck geraten ist. Warsteiner leidet ebenso, allerdings bleibt der Marke trotz einstiger Premium-Preis-Positionierung der Weg nach oben versagt. Erschwerend hinzu kommen zusätzliche Engagements im Preiseinstiegssegment (Paderborner) und im Lohnbrauen und –abfüllen (Traugott Simon, Tyskie etc.). Die Renditekraft der Haus Cramer Gruppe dürfte bedrohlich geschwunden sein.
Die Position von Albershardt hat Raphael Rauer übernommen. Er war zuletzt Geschäftsführer Vertrieb und Handel Export bei der Paulaner Brauerei Gruppe. Rauer ist seit 2015 bereits der fünfte Geschäftsführer für den Bereich Marketing und Vertrieb. In den letzten neun Jahren versuchten Uwe Albershardt, Christian Gieselmann, Alexandra Cama und Martin Hötzel, die Marke Warsteiner wieder auf die Erfolgsspur zu bringen.
Rauer hätte in diesen Tagen wahrlich einen weniger holprigen Start verdient. Sein Neubeginn wird von Kostendruck und Unternehmensberatern begleitet. Ruhiges Fahrwasser sieht anders aus. Dabei wäre die Inszenierung durch einen nahtlosen Generationenwechsel im Vertrieb beinahe geglückt. Die Botschaft: Uwe Albershardt hat in zwei schaffensreichen Jahren die Vertriebs- und Marktseite beruhigt, der markenerfahrene Raphael Rauer übernimmt das strategische Ruder.
Turbulente Zeiten in Warstein
Nun kommt Rauer offenbar vom Regen in die Traufe. Nachdem ihn Schörghuber-Junior Florian mit einem Radikalumbau der Paulaner Gruppe zum Abgang motivierte, geht es bei der Haus Cramer Gruppe turbulent weiter. Rauer hatte vor seiner Zeit bei Paulaner viele Jahre bei AB Inbev das Handelsgeschäft von der Pike auf gelernt. Er weiß nur allzu gut, wie es geht, wenn ein systematisches Marken-Downgrading geschieht. Damals wurde Diebels, dann Hasseröder und zuletzt Beck’s systematisch ausgecasht. Das Prinzip ist einfach: Minimierung der Marketing-Budgets bei gleichzeitiger Fokussierung gezielter Mengenstrategie.
Jetzt verantwortet Rauer den Preiskampf um die Deutungshoheit beim Aktionspreisniveau von 9,99 Euro: Warsteiner gegen Beck’s. Auf den neuen Marketing- und Vertriebsgeschäftsführer warten in der Haus Cramer-Zentrale spannende Zeiten. Dass es zuletzt Uwe Albershardt war, der ihm aus alter Verbundenheit seine Nachfolge anbot, wurde anfangs als glücklicher Umstand gewertet. Und Raphael Rauer berichtete seinen Weggefährten, wie viel Zeit sich Warsteiner-Inhaberin Catharina Cramer bei seinem ersten Besuch in Warstein für ihn genommen hatte, um nach ihrem vorherigen Wunschkandidaten Albershardt nun auch Rauer nach Warstein zu holen.
Vertriebschefs ohne Biererfahrung
Die Mühe lässt sich gut nachvollziehen. Ihre Personalentscheidungen auf Rauers Position waren zuvor eher keine Glücksgriffe. 2015 wurde Martin Hötzel in die Chefetage berufen. Der sollte mit seiner Red Bull-Vergangenheit Warsteiner „challengen“ (O-Ton Catharina Cramer). Dann kam die unrühmliche Roland-Berger-Ära, die 2017 erst Alessandra Cama auf den Chefsessel katapultierte, um nach einem inneren Zerwürfnis 2019 ihrem Beraterkollegen Christian Gieselmann Platz zu machen. Heute weiß die Branche um die verlorene Zeit des damaligen Berater-Intermezzos. Cama und Gieselmann, das bestätigten damals Wegbegleiter, hatten weder den deutschen Biermarkt noch die Schwäche der Marke Warsteiner verstanden.
Während der Pandemie-Jahre holte Catharina Cramer mit Helmut Hörz einen neuen Berater, der sich im Internet-Portfolio seines Dienstleisters als Interimsmanager präsentierte. Erfahrungen in der Brauwirtschaft? Vom Hörensagen. Wie seine drei Vorgänger fern tiefer Biermarktkenntnis, nahm er 2021 selbstbewusst auf dem Chefsessel Platz. Er machte eine ergebnisoffene Bestandsaufnahme inklusive prüfender Verkaufsoption und gab schließlich das Startsignal „Wir schaffen das!“ Die personelle Neuaufstellung ließ nicht lang auf sich warten. Plötzlich hatte die Generation 60+ in Warstein das Sagen. Denn bei der Auswahl des Vertriebsgeschäftsführers hatte Catharina 2022 Gefallen an Uwe Albershardt gefunden, einem alten Haudegen in der stürmischen Getränkewirtschaft, der jahrelang Biererfahrung bei AB Inbev gesammelt hatte.
Albershardt mit durchwachsener Bilanz
Die Biermarkterfahrung von Uwe Albershardt lag allerdings, als er nach Warstein kam, lange zurück. Er verabschiedete sich nämlich bereits 2007 von AB Inbev und war danach 15 Jahren lang bei keiner Brauerei mehr beschäftigt. Stattdessen hatte er sich bei Getränke Nordmann als Geschäftsführer und zuletzt bei Team Beverage um das Absatzmittler- und Logistikgeschäft gekümmert. Albershardts dortige Funktion wurde nach dem Weggang 2021 schlichtweg gestrichen.
Die zweijährige Bilanz von Uwe Albershardt fällt bei Warsteiner durchwachsen aus. Eine scheinbar runderneuerte Vertriebsmannschaft, die Getränkefachgroßhändler als durchweg verunsichert bewerten, ebenso keine nennenswerten Marktanteilsfortschritte und dazu noch ein Marken-Harakiri im Wachstumssegment Hell. Dort wurde das Oberbräu nach nur zwei Jahren komplett relauncht. Der Markenerfolg muss so bescheiden ausgefallen sein, dass man gleich die Notbremse zog und im Frühjahr dieses Jahres auf dem Etikett ein bayrisches Folklore-Pärchen gegen eine Gams austauschte (wir berichteten).
Einzig im Me-too-Bereich der Natur-Radler-Mixe konnte Albershardt punkten – sonstige Innovationen: Fehlanzeige. Dafür ein großes Media-Investment in einen TV-Spot, bei dem der Protagonist in einen Kühlschrank wandert, um neue Konsumwelten zu erleben. Die Kampagne zeigte offenbar wenig Wirkung, und so wartet der Warsteiner-Markenetat gerade wieder auf eine neue Kreativagentur.
Tatsache ist: Es rumpelt fortwährend im Warsteiner-Getriebe und es hat den Anschein, dass in Warstein oft Anspruch und Wirklichkeit weit auseinandergehen. Jahrzehntelange Branchenbeobachter führen an, dass sich das Unternehmen nie vom Helden-Image der Überfliegerzeit der Neunzigerjahre befreit habe. Die lange zurückliegende Sonderkonjunktur der Marke Warsteiner liegt offenbar wie ein Fluch über dem Haus und scheint den geforderten Marktrealismus der Jetztzeit schon im Anfangsstadium zu ersticken. Warsteiner ist inzwischen im Handel eine Marke, die von all jenen gekauft wird, die nicht mehr als zehn Euro für den Kasten Bier ausgeben wollen – am liebsten noch mit Gratiszugaben on top.
Lohnbraugeschäft ausgebaut
Zuletzt angekündigte Millionen-Investitionen in den Standortausbau in Paderborn und Herford, allein um im ertragsschwachen Lohnbraugeschäft zu punkten, werfen weitere Fragen auf und drängen zu schnellen Antworten. Gleiches gilt für die neuen Kooperationen. Haus Cramer-CEO Helmut Hörz hat in Interviews immer wieder angekündigt, das Unternehmen bis 2025 wieder in die Profitabilität geführt zu haben. Doch die Kosten explodierten und die Verbraucherzurückhaltung zog die Absätze nach unten. RSM Ebner Stolz wird auch eine Antwort auf die Weichenstellung hin zum Lohnbraugeschäft geben müssen. Seit dem letzten Jahr ist Adriano Leo Geschäftsführer der H.C. Drinks Solutions GmbH, die sich um die Mengenbesorgung jenseits der Marken Warsteiner, Paderborner und Herforder kümmert.
Helmut Hörz dürfte in den nächsten Wochen zunehmend in die Beobachterposition gedrängt werden, wenn RSM Ebner Stolz die Fäden der Restrukturierung zieht. Karsten Jonczyk wird damit zum neuen Dreh- und Angelpunkt der kurz- und mittelfristigen Neuausrichtung – wohl auch im Hinblick auf die Vertrauensbildung in Richtung Bankenpartner. Jonczyk ist vertraut mit unternehmerischen Schieflagen und weiß um die Risiken von Insolvenzen, aber auch um Verkaufsprozesse. Die harten Zeiten für die Haus Cramer-Gruppe scheinen soeben erst begonnen zu haben.