Zwei junge Ost-Unternehmensberater haben sich 2003 aufgemacht, die deutsche Brauwirtschaft aufzumischen: Mike Gärtner (58) und Karsten Uhlmann (53) kauften sich in den letzten zwei Jahrzehnten unter dem Dach der TCB Beverages respektable Braukapazitäten von gut und gerne 6,5 Millionen Hektolitern zusammen. Das Ergebnis kann sich sehen lassen: An den drei deutschen Standorten Frankfurt/Oder, Dresden und Hannover erwirtschaftet das so branchenuntypische Unternehmer-Duo mit 690 Mitarbeitern jährlich rund 300 Millionen Euro Umsatz – bei auskömmlicher Rendite, versteht sich. Ihr Geschäftsmodell: Regional solide Kirchturm-Biermarken und nationale Eigenmarken im Discount. Der Laden läuft!
Ohne Stallgeruch der Brauwirtschaft
Vom Stallgeruch der deutschen Brauwirtschaft waren Karsten Uhlmann und Mike Gärtner schon beim Einstieg in die Oderland-Brauerei weit entfernt. Aus den defizitären Hinterlassenschaften des letzten Brau-und-Brunnen-Vorstands Michael Hollmann übriggeblieben, stand die Braustätte 2003 vor der Schließung. Niemand wollte den einstigen DDR-Betrieb fünfeinhalb Kilometer vor der polnischen Grenze. Dann griffen Uhlmann und Gärtner zu – mit einem überschaubaren Investment, das eher einer Abwrackprämie glich, dafür aber reichlich Risiko bot. Die beiden wagten sich als Branchen-Neulinge in das Abenteuer des deutschen Biermarktes gerade in einem Moment, als die zeitgleich eingeführte Einwegbepfandung den Markt in mächtige Turbulenzen gestürzt hatte.
Gerade das Jahr 2003 markierte einen Tiefpunkt in der Wirtschaftspolitik der rot-grünen Bundesregierung: Umweltminister Jürgen Trittin hatte alle Einweggebinde quasi über Nacht mit einem Pflichtpfand belegt, ohne nur ansatzweise eine Lösung für ein Rücknahmesystem vorbereitet zu haben. In der Folge geriet der ohnehin angeschlagene Brau-und-Brunnen-Konzern in Schieflage, die einst stolze Holsten AG verlor aufgrund ihrer Einwegdominanz wenig später die wirtschaftliche Kraft und wurde von Carlsberg übernommen.
In jenen Jahren blickten einige Brauer in den Abgrund – auch der Standort der Oderland-Brauerei in Frankfurt/Oder. So gelang den jungen Managern Karsten Uhlmann und Mike Gärtner mit gerade mal 32 und 37 Jahren der fast unbemerkte Einstieg in den schon damals wettbewerbsintensiven Biermarkt. Nur diesseits der polnischen Grenze, am Brauereistandort an der Lebuser Chaussee, herrschte Aufatmen. Obwohl der Aufsichtsrat von Brau-und-Brunnen längst die Schließung beschlossen hatte, ging das Kapitel für den damals defizitären Standort glücklich zu Ende.
Hoffen auf Biergeschäft mit Polen
Noch zu DDR-Zeiten war die Brauerei neu aufgebaut worden, alle Hoffnungen hatten nach der Wende in dem Dortmunder Braugiganten gelegen – und sich schließlich zerschlagen. Zur Jahrtausendwende war unter der Dortmunder Konzernregie die Marke „Frankfurter“ eingeführt worden, während das Hauptgeschäft längst im Preiseinstiegsbereich angeschoben war. Darauf konnten Uhlmann und Gärtner zumindest aufbauen. Und sie konnten nach der Übernahme zum Jahresende 2003 auf ein historisches Momentum wetten: Nur wenige Monate nach der Übernahme im noch allzu fremden Biermarkt richtete sich die Hoffnung beider auf das Zukunftsgeschäft mit Polen, weil sich das nahe Nachbarland am 1. Mai 2004 der EU anschloss und deutsches Bier fast um die Hälfte billiger als polnische Produkte war.
Die Brauerei, die mit ihren 80 Mitarbeitern noch das endgültige Aus zu befürchten hatte, wollte laut Karsten Uhlmann zumindest darauf hoffen, von den damals gebrauten 1,4 Millionen Hektolitern „einige 100.000 Hektoliter“ in Polen absetzen zu können. Die Neuausrichtung war herausfordernd und fokussierte von Anfang an das Preiseinstiegsgeschäft, das in den Nuller-Jahren dem Wettbewerber Oettinger Jahr für Jahr satte Zugewinne bescherte – Geiz war damals geil. Die beiden jungen Unternehmensberater machten von Beginn an das, was sie am besten konnten: Cost-Cutting und Controlling, um den Betrieb nach der konzerndirigistischen Hollmann-Ära in die schwarzen Zahlen zu bugsieren.
Mit Plastikflasche auf Einwegpfand reagiert
Der grüne Umweltminister hatte damals – flankiert von der Deutschen Umwelthilfe (DUH) – in der Brauwirtschaft und im Handel einen politischen und wirtschaftlichen Kollateralschaden hinterlassen: Leere Dosenregale, stillstehende Abfüllmaschinen und lange Zeit keine Lösung für ein funktionierendes Rücknahmesystem. Für die Mutter TCB und ihr Frankfurter Brauhaus kam seinerzeit begünstigend hinzu, dass der Handel nach der flächendeckenden Auslistung von Einwegdosen ein wiederverschließbares Einweggebinde suchte.
Das Frankfurter Brauhaus kaufte eine PET-Anlage und konnte in den Discount-Channels rasch die PET-Flasche unterbringen. Die Geschichte des deutschen Biermarktes hat es damit ausgerechnet einem grünen Umweltminister zu verdanken, dass die Plastikflasche bis heute flächendeckende Verbreitung fand. „Geburtshelfer“ Jürgen Trittin sorgte allerdings auch dafür, dass die Sudkessel in Frankfurt/Oder wieder kräftig angeheizt werden konnten. Der damalige Geschäftsführer Götz Ziaja blieb als Kenner des Hauses und in der Funktion des Marketingleiters weiter an Bord – die Geschicke an der Lebuser Chaussee bestimmten Karsten Uhlmann und Mike Gärtner.
Nicht wissend, wie sich das PET-Geschäft entwickeln sollte, hatten beide die Aktivitäten rund um die „Plaste“-Flasche vorsorglich in die Viaplast GmbH ausgelagert. Die beiden Ost-Unternehmer, so hat es bei deren wenigen Auftritten immer wieder den Eindruck, fremdeln mit der Bierfolklore der oft mehrere Jahrhunderte alten Familienunternehmen der Brauwirtschaft. Dabei kann sich die Bilanz des stillen Erfolgsduos durchaus sehen lassen: Nach eigenem Bekunden verfügt das Frankfurter Brauhaus über drei PET-Linien, eine Mehrweg- und eine KEG-Abfülllinie und ist damit in der Lage, ein Gesamtvolumen von bis zu drei Millionen Hektolitern zu produzieren.
Ob Pilsner, Export, Hefeweizen, Radler oder edles Festbier – an der Oder produziert das Frankfurter Brauhaus alle Biersorten, die der Markt begehrt. Dass es in all den Jahren so gut voranging, hatte in der Brauwirtschaft oft zu Diskussionen geführt. Denn die Aufstockung von Einwegkapazitäten, so lautete 2009 der Vorwurf, geschah zu erheblichen Anteilen mit öffentlichen Fördermitteln. Damals wurden für die Kapazitätserweiterung wieder einmal 18 Millionen Euro in die Hand genommen – staatliche Mittel inklusive.
In der DDR sozialisiert
Um die TCB zu verstehen, darf der Blick auf den Hintergrund der beiden Manager nicht fehlen: Mike Gärtner aus Wernigerode im Harz war zur Grenzöffnung der DDR 23 Jahre alt, der Ost-Berliner Karsten Uhlmann hatte ein halbes Jahr vorher gerade seine Volljährigkeit erreicht. Pionierorganisation Ernst Thälmann und FDJ, Jugendclubs und organisierte Ferienfreizeiten – in diesem Umfeld wuchsen Gärtner und Uhlmann im Osten auf. 1989 war das alles von einem Tag auf den anderen DDR-Geschichte. Für die beiden kam in der frisch gewonnenen Marktwirtschaft die berufliche Weichenstellung passgenau.
Karsten Uhlmann schlug die universitäre Ausbildung ein – vom Bierbrauen war seine Vita damals weit entfernt. Nach dem Studium des Chemie-Ingenieurwesens in Berlin arbeitete der Diplom-Ingenieur für Bayer in Guatemala und später als Berater. Im Jahr 1999 wurde er nach eigenen Angaben geschäftsführender Gesellschafter von MGU, einer auf Fusionen und Übernahmen spezialisierten Beratungsgesellschaft.
Mike Gärtner wurde Diplom-Ökonom – beide verstehen sich vom Berufsbild als Unternehmensberater. Gärtner selbst frönt seiner Leidenschaft für schöngeistige Alltagskultur. Er ist seit zwei Jahrzehnten Gesellschafter der Berliner Art Galerie mit Sitz in Bad Saarow. Wer dort anruft, landet – wenig überraschend – in der Telefonzentrale des Frankfurter Brauhauses. Eine Dauerausstellung ist im Hotel Maritim proArte in Berlin zu sehen. Kein Wunder, dass das Unternehmer-Duo seine eigenen unternehmerischen Aktivitäten schon frühzeitig breit und ausbaufähig anlegte. Die TCB Beteiligungsgesellschaft sollte sich alle Optionen offenhalten.
Zweites Standbein in Sachsen gefunden
Dass sich Karsten Uhlmann und Mike Gärtner in den neuen Bundesländern wohlfühlen und von dort ihre nationalen Fäden bei Lidl, Aldi und Netto ziehen würden, wurde spätestens 2011 deutlich. Damals griffen die beiden bei der traditionsreichen Feldschlösschen AG in Dresden-Coschütz zu und übernahmen nahezu das komplette Aktienpaket. Die TCB wurde bei der ersten großen Akquisition fern des Brandenburger Stammsitzes nicht müde, immer wieder zu betonen, dass die Brauerei damit „wieder in ostdeutschen Händen“ sei.
Die dänische Carlsberg-Gruppe hatte zuvor den Spaß am sächsischen Standort verloren und ließ in Dresden statt des eigenen Engagements weiterhin ihre Marken für den Ost-Markt abfüllen – ein guter Deal für die TCB. Zu Spitzenzeiten produzierten die Brauer in Coschütz bis zu 1,8 Millionen Hektoliter jährlich. Mike Gärtner nannte unlängst die Kapazitätsgrenze von zwei Millionen Hektolitern.
Doch der Einbruch sollte kommen, als Carlsberg wieder Gefallen am Osten fand und 2021 die Bitburger Braugruppe um die Wernesgrüner Brauerei erleichterte. So sackte der Ausstoß innerhalb weniger Monate auf rund 1,2 Millionen Hektoliter, weil Carlsberg die Lohnaufträge kurzerhand von Dresden nach Wernesgrün holte.
Zwei Flaschen-Abfülllinien, eine Dosen-Abfülllinie und zwei Fass-Abfülllinien warten in Coschütz derweil auf Auslastung. Wenngleich beim großen Dresdener Stadtfest die Oetker-Marken Radeberger und Freiberger das Canaletto-Festgelände beschicken, übt sich die lokale Feldschlösschen-Brauerei in bescheidener Zurückhaltung. Prestige-Sponsorings gibt es bei Uhlmann und Gärtner nicht, eher kleinere Vereinspartnerschaften. Ihr Geschäftsgebaren ist auf Schritt und Tritt spürbar: immer solide und kostenorientiert. Nur so lässt sich im Preiseinstiegsbereich Geld verdienen. Hauptwettbewerber Oettinger dürfte ein mahnendes Beispiel sein. Ungestümes Wachstum wie in den Nuller-Jahren hat die TCB unter ihrer zweiköpfigen Führung stets vermieden. Auslastung ja, aber eben nicht um jeden Preis. Anders lässt sich eine solide Renditekraft der Gruppe nicht erklären.
Standortübernahme mit Unwuchten
Mut zum Wachstum hatten die TCB-Gründer allemal. Immerhin zementierten Karsten Uhlmann und Mike Gärtner auch ihr drittes deutsches Standbein – allerdings erstmals in den alten Bundesländern. Nachdem AB Inbev 2009 begonnen hatte, bis 2014 die Produktion am Standort der Gilde-Brauerei in Hannover auf 150.000 Hektoliter herunterzufahren, griff die TCB in der niedersächsischen Landeshauptstadt zu. Anders als in Dresden vollzog sich der Gesellschafterwechsel diesmal nicht geräuschlos – ganz im Gegenteil. Mit der Aufkündigung des Tarifvertrages brachten Karsten Uhlmann und Mike Gärtner die Gewerkschaft auf die Palme. Die NGG kritisierte gleich bei mehreren lautstarken Streikaufrufen die offenkundige Ungleichbehandlung und beklagenswerte Einkommensunterschiede von etwa 15.000 Euro brutto/jährlich bei gleicher Tätigkeit. Nach einem erneuten Streik habe die TCB nach Gewerkschaftsangaben eine „nächtliche Betriebsspaltung“ der Gilde Brauerei umgesetzt. Bei „Nacht und Nebel“ sei, so die NGG, die vorgesehene Umstrukturierung durch eine Aufspaltung in vier Firmen vollzogen worden.
Skurril: Unter Aufsicht von Sicherheitskräften mussten die Beschäftigten ihre Spinde räumen, neue Zeiterfassungskarten wurden verteilt, neue Arbeitskleidung ausgegeben und Trennwände im Betrieb eingezogen. Das Ost-Management hatte es diesmal den Wessis so richtig gezeigt. Die Leine Logistik GmbH, die Fass- und Flaschenabfüllgesellschaft Hannover GmbH und die Hannoversche Abfüllgesellschaft mbH haben inzwischen wesentliche operative Aufgaben übernommen – und es ist wieder Ruhe eingekehrt. Zu den produzierten Biersorten zählen Premium Pils, Pilsener, Radler, Hefeweizen, Alkoholfrei und Spezialbiere. Abgefüllt wird in Flaschen, Dosen und Fässer. Die Kapazität wurde wieder auf 1,5 Millionen Hektoliter, wie zu besten Gilde-Zeiten, hochgefahren.
Uhlmann gönnt sich Gasthaus-Brauerei in USA
Unabhängig davon engagiert sich die TCB im Ausland. In der französischen Braustätte Champigneulles wird neben den eigenen Marken eine Vielzahl an Bierspezialitäten gebraut. Sie gehen nach eigener TCB-Aussage „an Supermarktketten und namhafte Handelsmarken in ganz Europa“. Insgesamt komme, so die TCB, dieser Standort auf eine Kapazität von über vier Millionen Hektoliter und verfüge über drei Abfülllinien für Flaschen und drei für Dosen. Und weil Karsten Uhlmann ein Faible für die USA hat, gibt es seit 2022 eine „kleine, aber feine Gilde 1546 Brauerei“ in Charlotte, North Carolina. Die Braustätte mit angeschlossenem Gastbetrieb soll Bierliebhabern und Freunden der „German culture“ als Treffpunkt dienen. Karsten Uhlmann engagiert sich unter dem Vorsitzenden Sigmar Gabriel im Vorstand der renommierten, amerikafreundlichen Atlantik-Brücke. Wenn sich dort der Vorstand trifft, kann sich Uhlmann jedes Mal auf eine hohe VIP-Dichte freuen.
Im Brauer-Präsidium zum kleinen Preis
Karsten Uhlmann hat gut daran getan, mit seinem unternehmerischen Engagement auch regionale Verbandsehre zu zeigen. So ließ er sich zum Vizepräsidenten des Sächsischen Brauerbundes küren – ein Amt, dass dem Ost-Berliner mit seinem Engagement in der Atlantik-Brücke eher folkloristisch anmuten dürfte. Ein nationales Branchenengagement sucht man vergeblich. In der TCB wissen Mike Gärtner und Karsten Uhlmann gern Bescheid, wie es hinter den Kulissen läuft, ohne das Portemonnaie als denkbares Direktmitglied des Deutschen Brauer-Bundes zu öffnen.
Brauereien mit einem Gesamtausstoß von über 3,5 Millionen Hektolitern können sich nach der Reform aus der Kleinstaaterei des Verbandsgeschehens befreien und gleich in Berlin mitreden. Die Hektoliterabgabe fließt direkt in die Kasse vom Deutschen Brauer-Bund. Diesem Prozedere entzieht sich die TCB einstweilen erfolgreich. Uhlmann ließ sich als Vizepräsident des Sächsischen Brauerbundes kurzerhand ins Präsidium entsenden – und redet damit quasi zum nationalen Nulltarif mit. Kleiner Preis, großer Nutzen – das passt zur Preiseinstiegsphilosophie der ausgewiesenen Ost-Braugruppe. Immerhin ist die TCB doch noch mit dabei und hält zugleich die sächsische Flagge hoch.
Anders bei der Oettinger-Gruppe. Die stark von familiärer Eitelkeit geleitete Preiseinstiegsbrauerei zeigt unter der Ägide ihrer Gesellschafterin Pia Kollmar dem verbandlichen Geschehen seit jeher die kalte Schulter. Tatsächlich zählen die schwäbische Oettinger-Gruppe und die Brandenburger TCB zu den großen Rivalen im Preiseinstiegsgeschäft. Während die Kollmars in der jüngsten Vergangenheit mit einer Schieflage und deutlichen Unwuchten aufgrund dramatischer Mengenverluste zu kämpfen haben, geht es beim Duo Uhlmann/Gärtner ruhig zu. Ihre Bilanzen geben keinen Grund zur Nervosität. Und auch die Erträge machen die beiden ostdeutschen Quereinsteiger seit vielen Jahren glücklich, ohne in der Öffentlichkeit jemals auffällig Präsenz gezeigt zu haben.
Schlank und zurückhaltend arbeiten die drei deutschen Standorte – für subventionierte und im Alltagsgeschäft wenig hilfreiche Bierfolklore wird kaum ein Cent ausgegeben. Warum auch. Das große Mengengeschäft in Einwegdose und „Plaste-Flasche“ (PET) wird mit dem profanen Bierdurst und nicht mit dem Image gedreht.