Die Ergebnisse des Pilotprojektes für To-go-Mehrweggeschirr, das in diesem Frühjahr in Mainz und Wiesbaden stattfand, haben alle Beteiligten überrascht: Der Mehrwegkreislauf läuft, anders als zuvor angenommen, nicht regional, sondern lokal. Welche neuen Potenziale sich dadurch für den Getränkefachgroßhandel (GFGH) und die Getränkeindustrie ergeben, erklärt Frank Maßen im Interview mit Getränke News. Maßen ist Mitinitiator von „Reusable To-Go“, einer Mehrweg-Initiative, die an dem Pilotprojekt maßgeblich beteiligt war.
Getränke News: Die Ergebnisse des Projektes „Mehrwegmodell Stadt“ zeigen, dass rund 90 Prozent der Mehrwegbecher in den Städten verbleiben. Es handelt sich also um einen lokalen Mehrwegkreislauf. Hat Sie das Ergebnis überrascht?
Maßen: Wir sind schon immer von einem regionalen Mehrwegkreislauf für To-go ausgegangen. Dass es dann so lokal ist, hat uns auch etwas überrascht. Zwischen Mainz und Wiesbaden sind gerade einmal 13 Becher über den Rhein gegangen, ein verschwindend geringer Anteil. Somit haben wir extrem gut prognostizierbare Mehrwegströme im lokalen Raum – etwas, womit der Getränkefachgroßhandel bestens vertraut ist.
Getränke News: Welche Geschäftsmöglichkeiten ergeben sich?
Maßen: Unser Ansatz beruht auf lokalen Netzwerken, auch bei der Reinigung. Dadurch, dass wenige Mehrwegbehälter den lokalen Raum verlassen und auch nur wenige von außen hinzukommen, haben wir prognostizier- und berechenbare Leistungen, inklusive der Ver- und Entsorgung. Die komplette Digitalisierung des Systems mit den Sammelboxen erlaubt auch eine schnelle Abwicklung vor Ort ohne die üblichen Rüstzeiten. Das macht es lukrativ, zum Beispiel auch bei bisherigen Nichtkunden wie Bäckereiketten die Leistung anzubieten.
Aufgrund der vorhandenen Kosteneffizienzen durch die Nutzung bestehender Infrastruktur wird dies zusätzliche Deckungsbeiträge ermöglichen. Im Moment sind da nur vorsichtige Schätzungen möglich: Je nach Mehrwegquoten, die von den Maßnahmenpaketen abhängen, sind im Transportbereich mittel- bis langfristig ca. 100 Millionen Euro Deckungsbeitrag zu erzielen. Bei der Ertragslage und den schwindenden Erträgen im Stammgeschäft sicherlich eine interessante Einnahmequelle für den GFGH.
Getränke News: Das hört sich einfach an, ist es am Ende aber nicht doch sehr komplex?
Maßen: Im Gegenteil, das Rad muss nicht neu erfunden werden. Verplombte Sekundarverpackungen händelt der GFGH schon lange, die sogenannten Serviceartikel. Wir haben also bereits seit Jahrzehnten ein betrugssicheres Mehrwegsystem und Prozesse, die wir nun auch für die To-go-Abwicklung nutzen können. Durch unsere Kooperation mit der Gedat wurden nun die Rahmenbedingungen für ein offenes Daten-System geschaffen, dem sich jeder Inverkehrbringer von Mehrwegverpackungen anschließen kann. Damit ist der Verbleib der To-go-Mehrwegverpackungen im Kreislauf zwischen Ausgabestelle und Rückfuhrlogistik transparent, rechtssicher und effizient.
Getränke News: Sie sprachen vorhin von Maßnahmenpaketen. Was meinen Sie damit?
Maßen: Wir sind uns alle darüber einig, dass die bisherigen Effekte der Mehrwegangebotspflicht im OOH-Markt absolut enttäuschend sind. Die Gründe sind bekannt. Der größte Treiber für höhere Quoten ist sicherlich die preisliche Differenzierung zwischen Mehrweg und Einweg. Hierzu gibt es zwei Ansätze in den Kommunen: Die Einführung einer Einwegsteuer führt am Beispiel von Tübingen nach unseren eigenen Erhebungen vor Ort zu einer Mehrwegquote im Becherbereich von ca. 50 Prozent und Einnahmen für die Stadt in Höhe von 8,50 bis 11 Euro pro Einwohner.
Der andere Ansatz ist eine Art freiwillige Selbstverpflichtung der örtlichen Betriebe, die wir aus Sicht der Wirtschaft immer empfehlen würden. Bei der Steuer kommen erhebliche Verteuerungen und Kosten hinzu, bei der Variante Selbstverpflichtung können wir nachweisen, dass dies wirtschaftlich neutral oder sogar besser ist als die Ist-Situation. Sicherlich hängt dies von der Einschätzung des Kartellamtes zu einer solchen Maßnahme ab.
Ein weiterer bedeutender Schritt ist das von allen Seiten geforderte Return Anywhere, also die anbieterunabhängige Rückgabe in Armeslänge bei allen Letztvertreibern. Das haben wir übrigens auch im Pilotprojekt erfolgreich getestet. Als dritten Treiber können wir die Inhouse-Verbote von Einweg identifizieren.
Getränke News: Gibt es noch weitere Bereiche für die Wertschöpfung in der bestehenden Mehrweginfrastruktur?
Maßen: Ja, zum Beispiel stehen in vielen Betrieben bereits heute Spülmaschinen für das Veranstaltungsgeschäft. Durch entsprechende Aufrüstungen entsteht auch hier ein potenzielles Geschäftsfeld. Ebenso im Bereich der Bereitstellung von Mehrwegpools. Durch den lokalen Charakter des Geschäftes ist man in vielen Fällen dann auch sofort lokaler Marktführer und kann sogar einen ganzheitlichen Ansatz durch Integration des meistens sowieso schon mit Getränken versorgten Veranstaltungsbereiches fahren. Und das auf dann nur noch einer Rechnung in vertrauten und qualitativ hochwertigen Systemen.
Getränke News: Welche Rolle kann dabei die Getränkeindustrie spielen?
Maßen: Integration in bestehende Mehrweginfrastrukturen heißt ja, wir fahren Huckepack mit und nutzen die vorhandenen Läger und Rampen als Drehscheiben. Wir schauen uns das gerade am Beispiel der kommenden Städte mit Einwegsteuer Heidelberg, Freiburg und Konstanz unter Berücksichtigung von Tübingen an. Wenn wir beispielsweise eine Getränkerampe als Drehscheibe und Konsolidierungspunkt nutzen, sind 150 Kisten mit Mehrweggeschirr für 0,18 Prozent des Kraftstoffverbrauches als Zusatzladung verantwortlich. Das wird unter Aspekten der Nachhaltigkeit und der Kosten schwierig zu toppen sein.
Gleichzeitig stehen auch in vielen Brauereien Spülmaschinen, die entsprechend auf Kunststoffreinigung angepasst werden können. Eine weitere Idee ist die gemeinsame Nutzung der lokal vorhandenen Mehrwegpools durch die Getränkeindustrie für das Veranstaltungsgeschäft. Im Bereich der Gläser und des Veranstaltungsequipments wird das heute bereits erfolgreich praktiziert.
Getränke News: Sie sprechen öfter von weiteren Mehrwegsortimenten und Anwendungsfällen. Was ist damit gemeint?
Maßen: Die entwickelte Systematik zur Integration neuer Mehrwegsortimente und -gebinde ist zum Beispiel auch auf den Konsumgüterbereich oder auch den E-Commerce-Sektor übertragbar. Letztendlich ist der Inhalt der Primär- und der Sekundärverpackung fast zweitrangig. Wichtig ist, dass die Prozesse verlässlich funktionieren, inklusive der daran hängenden Finanzströme. Das können wir durch die Nutzung, Verknüpfung und Integration der großen und erprobten Infrastrukturen in Transport, Reinigung und IT darstellen.
Aus dem Blickwinkel meiner alten Funktionen in der Brauerei und im GFGH finde ich es spannend, wie wir die Prozesse im Bereich unserer digitalisierten Sammelboxen auf die Kisten im Getränkebereich übertragen können. Wir allen kennen den einen Moment im Jahr, wenn das Leergut gesucht wird. Ich glaube, dass wir hier durch die Übertragung unseres Know-hows bei digitalisierten Sekundärladungsträgern deutlich mehr Transparenz in den Leergutstrom bekommen können, insbesondere durch die Kooperation mit der Gedat. Das wäre für den ganzen Bereich, inklusive Gastronomie und LEH, enorm wertschöpfend. Wer also aus der Getränkebranche hier Lösungen sucht, ist bei der Initiative Reusable To-Go herzlich willkommen.