Das Thema „Wein in Mehrweg“ nimmt immer mehr Fahrt auf: Zum 1. Januar traten Peter Riegel Weinimport und weitere Hersteller und Abfüller der vor einem Jahr gegründeten Wein-Mehrweg eG bei. Die Initiative aus dem württembergischen Möglingen brachte im August 2023 die erste wiederbefüllbare 0,75-Liter-Flasche auf den Markt. Allein die zehn Gründungsmitglieder stehen für fünf Prozent der Rebfläche in Deutschland, inzwischen sind etliche Vermarkter dazugestoßen.
Dass das Thema schon länger in der Luft lag, beweisen zwei weitere große Projekte, die ebenfalls im letzten Jahr einem breiteren Publikum bekannt wurden: Auch Verallia stellte im Juni eine eigene Mehrwegflasche vor, die in ein umfassendes Konzept eingebunden ist. Der Behälterglashersteller bietet rund um das Gebinde auch die Rückführlogistik und die Flaschenspülung an. Unter dem Namen „Hoffmann‘s Weinbar“ schließlich beeilte sich die Nummer eins unter den filialisierten Getränkeeinzelhändlern, sich als Vorreiter in dem Thema zu profilieren.
Im Wesentlichen sind es zwei Gründe, warum Wein in Mehrweg heute stärker in den Fokus rückt als noch vor wenigen Jahre. Zum einen ist es die Allgegenwart der Klimadiskussion, zum anderen sind es die hohen Preise für Neuglas. Dabei besteht in der Weinbranche noch gewaltig Nachholbedarf: Während bei den klassischerweise bepfandeten Getränkekategorien der Mehrweganteil im Schnitt bei gut 40 Prozent liegt (bei Bier sogar fast 80 Prozent), wird Wein traditionell in Einwegflaschen verkauft und kommt auf einen Mehrweganteil lediglich im kleinen einstelligen Prozentbereich.
Weinflasche hat großen CO2-Fußabdruck
Einzig in Baden-Württemberg ist seit Jahrzehnten eine Mehrweg-Literflasche nebst 6er- und 12er-Kiste gängig, wenn auch in einem offenen System. Das Optimierungspotenzial ist also riesig. Laut Werner Bender, Vorstand der Wein-Mehrweg eG, hat die Glasflasche einen Anteil von über 45 Prozent am gesamten CO2-Fußabdruck einer Flasche Wein, wenn man den gesamten Zyklus von der Kultivierung der Trauben über das Keltern bis zu Abfüllung und Vertrieb betrachtet. Mit Mehrweg könnten sicherlich 50 bis 60 Prozent der Emissionen gespart werden, ist er sicher, und das bei nur fünf bis sechs Umläufen der Flasche.
Diese Zahl ließe sich laut Bender noch deutlich steigern, da die neue besonders robust konzipierte Mehrwegflasche mindestens 50 Umläufe schaffe. Wie realistisch diese Zahl allerdings ist, bleibt noch völlig offen. Es hänge einzig und allein von der „Rückgabedisziplin der Verbraucher“ ab, sagt Bender. Der Wille scheint immerhin vorhanden zu sein. Bei Publikumsmessen erlebe man viele Endverbraucher als gegenüber dem Thema „sehr aufgeschlossen“.
Neben dem Konsumenten-Interessen macht auch die politische Diskussion den Herstellern und Abfüllern Druck. In der in den nächsten Wochen zu erwartenden neuen EU-Verpackungsverordnung (PPWR) dürfte das Thema Mehrweg einen zentralen Platz einnehmen. Auch im deutschen Verpackungsgesetz erwartet die Branche Verschärfungen. Darin hat sich Deutschland schon lange auf eine Mehrwegquote von 70 Prozent verpflichtet, ist jedoch noch sehr weit davon entfernt.
Klimaziele mit Mehrweg schneller erreichen
„Die Pfandregelungen für Verpackungen werden seit Jahren kontinuierlich erweitert“, unterstreicht Melanie Gratwohl, Geschäftsführerin der Verallia-Mehrweg-GmbH. Aus Nachhaltigkeitssicht sei dies sinnvoll, „denn weltweit verursachen Verpackungen über die Hälfte der CO2-Emissionen“. Eine flächendeckende Einführung von Mehrwegangeboten beim Wein biete „großes Potenzial, um dieses Ziel gemeinsam schneller zu erreichen“, erklärt die Managerin das Engagement ihres Unternehmens in dem Bereich.
Das hat Verallia im Vorfeld in einer breit angelegten Marktforschung untersucht; diese habe bestätigt, dass die deutschen Konsumenten sich ökologisch vorteilhafte Verpackungen für Wein wünschen, ja sogar bereit sind, dafür mehr zu zahlen. Genaueres hat dazu Werner Bender von der Wein-Mehrweg eG beobachtet: Insbesondere Menschen, die bereits früher Wein in den 1-Liter-Mehrwegflaschen gekauft hätten, zeigten sich auch für das neue Gebinde offen. Ebenso Verbraucher, die auch in anderen Getränkesegmenten vor allem Mehrweg nutzten, fänden das Thema auch beim Wein „sinnvoll“.
Eine große Nachfrage erwarten die Protagonisten aber auch seitens der Erzeuger: Angesichts eines Umdenkens in der Weinbranche sei auch das Interesse der Hersteller und Abfüller „sehr groß“, glaubt Melanie Gratwohl. Im Visier hat Verallia dabei nicht nur Weinerzeuger aus Deutschland, sondern auch Abfüller, die ausländische Produkte hier in Verkehr bringen. Insgesamt werden laut der Geschäftsführerin hierzulande ungefähr 1,2 Milliarden Flaschen Wein abgefüllt.
Ein großes Potenzial auch für ihr Unternehmen, selbst wenn man einkalkuliert, dass für Mehrweg ausschließlich Weine relevant sind, die schnell konsumiert werden. Darauf weist auch Werner Bender hin: „Es macht sicherlich weniger Sinn, Weine in Mehrwegflaschen zu füllen, die jahrelang im heimischen Keller gelagert werden, ehe man sie konsumiert.“
Neue Chancen für den Getränkefachhandel
Sollen die Systeme am Ende funktionieren, muss zudem der Handel überzeugt werden. Auch da zeigt sich Werner Bender zuversichtlich. Er sieht besonders großes Potenzial insbesondere beim Getränkefachhandel, der durch seine Mehrweg-Erfahrung und bestehende Infrastruktur „prädestiniert“ sei, um auch Wein in Mehrweg zu verkaufen. Auch seine Kunden seien Poolgebinde gewöhnt und hätten weniger Vorbehalte. Zudem biete sich Einzelhändlern die Chance, mit Mehrweg in Kundenkreise vorzustoßen, die ihnen bisher nicht zugänglich gewesen seien.
Genau das glaubt auch Robert Hoefer, Bereichsleiter Einkauf Wein und Sekt von Getränke Hoffmann, der sicher ist, dass die neue „Hoffmann’s Weinbar“ den Märkten der Filialkette helfen wird, sich neue Kundensegmente zu erschließen, denn: „Nachhaltigkeit und bewusste Kaufentscheidungen spielen bei Konsumenten zunehmend eine Rolle“, so Hoefer. Er erhofft sich von dem System zudem eine stärkere Kundenbindung, da die Rückgabe der leeren Flaschen einen Wiederholungskauf wahrscheinlicher mache.
Dabei kann er schon über erste Erfolge berichten, denn das Angebot ging schon vor über einem Jahr, im Herbst 2022, an den Start – unterstützt von Peter Riegel Weinimport als Lieferant. Ende 2023 konnte Getränke Hoffmann seinen Kunden bereits in 265 der bundesweit fast 500 Filialen sechs Sorten Biowein in Pfandflaschen anbieten. „Die Entwicklung ist sehr positiv, wir sind sehr zufrieden“, resümiert der Bereichsleiter. Der Absatz entspreche heute in etwa dem vergleichbarer Einwegweine. Als Vorreiter in Sachen Mehrweg gehe man davon aus, dass sich der Umsatz mit Wein insgesamt dank der Initiative weiter steigern lässt.
Wenn sich die positive Entwicklung fortsetzt, dürfte derweil auch das Interesse in anderen Absatzschienen wachsen, glaubt Werner Bender. Er erwartet eine steigende Nachfrage selbst in der Gastronomie. „Dort spart man sich die Entsorgung der leeren Flaschen in übervollen Glascontainern und kann die ausgeschenkten Weine in der Mehrwegflasche zusammen mit dem anderen Leergut bequem wieder an seinen Getränkelieferanten zurückgeben“, blickt er in die Zukunft. Auch mit Lebensmittelhandel befinde man sich „in guten Gesprächen“. Mit der Eignung der Flasche aus dem Ländle für die gängigen Leergutautomaten ist eine sehr wichtige Voraussetzung auf alle Fälle gegeben.
Bundesweite Strukturen müssen erst aufgebaut werden
Bis sich Mehrweg beim Wein indessen in größerem Stil durchsetzt, braucht es aber noch einen langen Atem. Das wissen auch die Anbieter. Während die Ausdehnung in Baden-Württemberg mit seinen bestehenden Strukturen wohl relativ schnell funktionieren wird, fehlt es bundesweit noch an einer ausgeklügelten Leergut-Logistik und beispielsweise auch an geeigneten, gut erreichbaren Spülzentren, wie Bender einräumt. Das Entscheidende ist für ihn trotz allem die Bereitschaft des Handels und der Verbraucher. Hier müsse man daher noch Aufklärungsarbeit leisten.
Auf eine wichtige wirtschaftliche Bedingung weist Melanie Gratwohl von Verallia hin: Damit das System von den Abfüllern angenommen werde, müssten die Kosten der Mehrwegflasche unter denen der Einwegflasche liegen, betont sie. „Dies kann nur bei entsprechend hohen Stückzahlen erreicht werden, ansonsten schlagen die Spülkosten verhältnismäßig stark zu Buche.“ Es droht also ein klassischer Teufelskreis.
Vor diesem Hintergrund betrachtet sie die konkurrierenden Anbieter auch weniger als Wettbewerber, denn als Mitstreiter: Bedarf und Nachfrage seien sehr groß, und „auf dem Weg zu einer nachhaltigeren Zukunft hilft jede einzelne Initiative“, so Gratwohl. An ein dauerhaftes Wachstum glaubt auch Robert Hoefer von Getränke Hoffmann. „Der Markt sendet bei Wein klare Signale in Richtung mehr Mehrweg.“