Der vor dem Düsseldorfer Oberlandesgericht erneut aufgerollte Kartellprozess um die Bußgeldforderung von 62 Millionen wächst sich in der Revision zum Mammutverfahren aus. Die Liste der zur Aussage aufgerufenen Zeugen wird immer länger – mit einem Verfahrensende darf frühestens im ersten Quartal nächsten Jahres zu rechnen sein. Derweil ringt der 6. Kartellsenat um die Erinnerung der Zeugen, die nach den 14 Jahre zurückliegenden Vorkommnissen verblasst ist.
AB Inbev hatte das Ermittlungsverfahren beim Bundeskartellamt initiiert und im Ergebnis die Hauptwettbewerber mit Bußgeldern von insgesamt 338 Millionen Euro gegen elf Brauereien und 14 natürliche Personen überzogen – der internationale Konzern ging bußgeldfrei aus. Zuletzt hatte die Oetker-Gruppe den Widerstand aufgegeben und 2018 das behördlich geforderte Bußgeld von 160 Millionen gezahlt.
Revisionsurteil des BGH hilft Verteidigung
Auf der Anklagebank ist im wieder aufgerollten Verfahren allein die Carlsberg-Gruppe mit ihrem damaligen Deutschland-Vorstand Wolfgang Burgard verblieben, die gegen den Bußgeldbescheid gleich Einspruch eingelegt hatten. Für den ganzen Stab von Anwälten, die allwöchentlich im Gerichtssaal des Düsseldorfer Oberlandesgerichtes aufmarschieren, geht es buchstäblich um alles – sie wollen einen Freispruch und keinen Euro zahlen.
Dabei kommt der erkennbaren Verteidigungslinie das Revisionsurteil des Bundesgerichtshofs zur Hilfe. „Der Tatbestand der aufeinander abgestimmten Verhaltensweise ist zweigliedrig; er verlangt neben einem Abstimmungsvorgang (Fühlungnahme) eine tatsächliche Verhaltensweise im Sinne einer praktischen Zusammenarbeit auf dem Markt, das heißt ein konkretes Marktverhalten in Umsetzung der Abstimmung“, so der BGH in seinem Beschluss von 13. Juli 2020.
Erinnerungen nur noch bruchstückhaft
Das könnte eine wesentliche Chance für einen erneuten Freispruch der Hamburger Bierbrauer mit dänischem Hauptsitz sein. Rückblickend war es am Rande der Internorga 2007 zu einem Branchengespräch mehrerer großer Brauereien wie Radeberger, Bitburger, Warsteiner etc. gekommen, in dessen Verlauf es neben der anstehenden Fassbepfandung auch um ein Stimmungsbild der Beteiligten zu einer allseits gewünschten Bierpreiserhöhung ging.
Laut erster Zeugenaussagen von 2012 soll Carlsberg dort vertreten gewesen sein – die bisher gehörten Brauereimanager können sich allerdings angesichts der lange zurückliegenden Zeit nur noch bruchstückhaft an die Gesprächsrunde und deren Teilnehmer erinnern.
Holsten hatte für Premiumsegment keine Relevanz
Zu klären bleibt überdies, ob die für eine Verurteilung notwendige Preisabstimmung tatsächlich unter Teilnahme von Carlsberg stattfand, so wie es der BGH für eine Verurteilung als unabdingbar betrachtet. Damals war Krombacher-Chef Bernhard Schadeberg der Runde ferngeblieben und hatte nach Aussagen des damaligen Bitburger-Vertriebschefs Peter Rikowski die Entscheidung über eine Preiserhöhung bis in den Sommer hinausgezögert. Carlsberg hatte, so die übereinstimmende Einschätzung in den Aussagen, angesichts seiner Holsten-Konsumbierstrategie für den Premium-Wettbewerb keine Relevanz.
Staunen über den deutschen Biermarkt
Im Revisionsverfahren erleben die Prozessbeobachter einen 6. Kartellsenat, der sich mühevoll den Marktgepflogenheiten des Biermarktes nähert – mal staunend, aber immer wieder fragend. Allenthalben wird in den Zeugenaussagen deutlich, dass die hohe Wettbewerbsintensität im nationalen Biermarkt bei gleichzeitiger Zuspitzung der Marktkonzentration auf Handelsseite schon 2007 kaum Spielraum für Preiserhöhungen gelassen habe.
Ohne die Bereitschaft von Krombacher sei laut Peter Rikowski ohnehin eine Preiserhöhung nicht möglich gewesen. Damals habe bei der Bitburger-Gruppe ständiger Ertragsdruck geherrscht, um die Gesellschaft bedienen zu können. Allein 2007 hätten 25 Millionen Euro Ergebnisminderung idealerweise durch eine Preiserhöhung aufgefangen werden müssen – ungefähr „die Hälfte der jährlichen Rendite“, wie Rikowski in Düsseldorf berichtete.
Von Geheimniskrämerei keine Spur
Unterdessen werfen die Ermittlungen des Bundeskartellamts zusätzliche Fragen auf. Denn schon Wochen vor dem damaligen Internorga-Meeting, das von der Bonner Ermittlungsbehörde bei der Begründung der Millionen-Bußgelder als zentral herausgestellt wurde, hatten zahlreiche Medien, darunter auch nationale Wirtschaftstitel, von einer alsbald anstehenden Preiserhöhung mit unterschiedlicher Akzentuierung berichtet – von Geheimniskrämerei in der Brauwirtschaft wahrlich keine Spur. Allein der Zeitpunkt war noch offen.
Tatsächlich habe man, so die übereinstimmenden Zeugenaussagen, in der Branche über alles immer sehr offen gesprochen. Schon auf dem Internorga-Meeting 2007 sei beim Einholen des Stimmungsbildes für alle klar und außer Diskussion gewesen, dass es um eine Erhöhung von einem Euro pro Kasten gegangen sein. Der Handel habe diesbezüglich keinen anderen Spielraum zugelassen und wollte auch im Nachgang an der Wertschöpfung beteiligt gewesen sein.
Erinnerung an repressive Vernehmungsmethoden
Nach den Worten von Peter Rikowski seien bei der Brauerei letztlich nur um die 40 Cent hängengeblieben. Der ehemalige Bitburger-Vertriebschef vermochte sich an seltsam repressive Vernehmungsmethoden beim Bundeskartellamt zu erinnern. Dort sei er mit der Aussage konfrontiert worden, dass die Ermittler seine Gehaltshöhe kennen und man ihm „alles wegnehmen“ werde. Erst auf Betreiben seines Rechtsbeistandes habe der nach eigenen Worten hoch erzürnte Rikowski angesichts dieses Tabubruchs wieder die Vernehmung fortgesetzt.
Terminkalender von damals ist verschwunden
Der Vorsitzende Richter des 6. Kartellsenates Dr. Ulrich Egger hat wahrlich kein leichtes Spiel in diesem Revisionsverfahren. Er will das bruchstückhafte Wissen der geladenen Zeugen allenfalls mit den bereits neun Jahre zurückliegenden Zeugenaussagen abgeglichen wissen. Hinzu kommen weitere Unwuchten, nachdem der beauftragten Carlsberg-Kanzlei auch noch der Original-Terminkalender des damaligen Vorstandes abhandengekommen sein will und nur noch Kopien vorliegen sollen. Egger hegte Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Beweisverlustes, ob es letztlich doch die „Putzfrau“ gewesen sei. Die Verteidigung hatte zwischenzeitlich die Anwesenheit von Wolfgang Burgard am Internorga-Meeting gänzlich in Frage gestellt.
Liste der Zeugen wird immer länger
Währenddessen ist das Verhandlungsszenario des 6. Kartellsenats ein durchaus spürbar anderes als im ersten Verfahren vor dem 4. Kartellsenat unter Führung des Vorsitzenden Richters Martin Winterscheidt. Jetzt führt Dr. Ulrich Egger die Zeugen noch enger durch die damaligen Zeugenaussagen. Er wird nicht müde, die wesentlichen Passagen auf den Erinnerungswert hin abzuklopfen – allzu oft begleitet vom Kopfschütteln der Zeugen. Die Liste derer hat sich indes verlängert. Auf Wunsch der Verteidigung sollen Verantwortliche aus Einkauf und vertrieblichem Innendienst in den Zeugenstand gerufen werden.
„Lichtgestalt“ im Zeugenstand erwartet
Mit Spannung wird indes die Vernehmung von Krombacher-Chef Bernhard Schadeberg erwartet, der von allen Seiten als Dreh- und Angelpunkt einer Bierpreiserhöhung beschrieben wird. Dr. Ulrich Egger ließ sich angesichts dieser Zuspitzung gar zu der Frage nach der „Lichtgestalt“ des Krombacher-Chefs hinreißen. Mehr noch als um die Inhaberpersönlichkeit aus dem Siegerland ging es den Wettbewerbern wohl 2007 eher um die mengensaugende Markenstärke von Krombacher. Ohne deren Preiserhöhung, so Peter Rikowski, habe seinerzeit keine Premium-Marke eine Preiserhöhung durchgeführt, um keine kostbare Menge verlieren zu müssen.