In Zeiten schwerer Krisen und knapper Kassen geraten die Interessen des Gastgewerbes leicht aus dem Blick. Das fürchtet die Denkfabrik Zukunft der Gastwelt (DZG)* und will schon im Vorfeld der Bundestagswahl dafür kämpfen, dass die Branche angesichts harter Priorisierungen politisch nicht an den Rand gedrängt wird. Getränke News sprach mit dem DZG-Vorstandssprecher und ehemaligen Bundestagsabgeordneten Dr. Marcel Klinge über die Pläne.
Getränke News: Wo liegen aus Ihrer Sicht derzeit die gravierendsten Probleme des Gastgewerbes und verwandter Branchen?
Klinge: Wir haben jetzt das dritte Jahr in Folge faktisch kein Wirtschaftswachstum in Deutschland. Das merken die Konsumenten natürlich immer stärker im Portemonnaie, und wie es 2025 wirtschaftlich weitergeht, ist alles andere als sicher. Viele sparen an allem, was im Alltag nicht absolut notwendig ist. Das schlägt sich in jeglichem Außer-Haus-Konsum nieder – und beginnt schon bei dem Kaffee auf dem Weg zur Arbeit. Für die Gastwelt ist das eine ganz große Herausforderung. Eine Ankurbelung des Konsums ist übergeordnet wichtig.
Getränke News: Fragt sich nur, woher das Geld kommen soll …
Klinge: Egal, wer die Regierung im kommenden Jahr stellt – ein Konjunkturprogramm wird es sehr sicher geben. Aber wohin fließen die Mittel? Wir setzen uns dafür ein, dass sie nicht nur an die Großindustrie gehen. Ganz laut trommelt bekanntlich die Automobilindustrie, die gehen im Kanzleramt ein und aus und drohen schon mit Werksschließungen. Eins ist sicher: Bevor VW zumacht, gibt es einen dicken Schluck aus der Pulle. Da müssen wir schauen, dass wir nicht hinten runterfallen.
Wenn hier und da ein kleiner Gastronomiebetrieb schließt, interessiert das am Ende in Berlin kaum jemanden. Dabei ist die Gastwelt, die sich aus den Branchen Tourismus, Hotellerie, Gastronomie und Foodservice zusammensetzt, in ihrer Summe der zweitgrößte private Arbeitgeber in unserem Land. Das wollen wir als DZG klar machen, ähnlich wie es das Handwerk schon lange tut. Am 23. Februar 2025 werden die Weichen für den wirtschaftlichen Erfolg oder Misserfolg der 250.000 Unternehmen unserer Gastwelt gestellt, fast alle sind kleine und mittlere Betriebe.
Getränke News: Wie stehen Sie zur Rückkehr zum ermäßigten Mehrwertsteuersatz von sieben Prozent auf Speisen in der Gastronomie?
Klinge: Die sieben Prozent unterstützen wir selbstverständlich, aber wenn die Leute sich dauerhaft gar keine Restaurantbesuche mehr leisten können oder wollen, bringt das der Gastronomie wenig.
Getränke News: Ein großes Problem ist bekanntlich auch der Personalmangel …
Klinge: Der Mangel an Arbeitskräften tut jetzt schon weh, das wird aber mit dem demografischen Wandel noch schlimmer, also wenn besonders viele Babyboomer bis 2030 in Rente gehen. Wobei das Problem teilweise auch hausgemacht ist, wie bei den Gehältern in der Gastronomie und Hotellerie. Ich bin sehr froh, dass sich das inzwischen deutlich gebessert hat und wir kein reiner Niedriglohnsektor mehr sind.
Der Arbeitskräftemangel betrifft dabei die ländliche Region deutlich stärker als die Großstädte. Schon jetzt müssen viele mit kürzeren Öffnungszeiten und Schließungstagen reagieren, das führt dazu, dass vor allem kleine Betriebe aufgeben und oft auch keine Nachfolger mehr finden. Wenn wir nicht wollen, dass man nur noch in den Großstädten ausgehen und bei großen Ketten genießen kann, muss sich etwas tun.
Getränke News: Welche Unterstützung erwarten Sie bei diesem Thema von einer neuen Bundesregierung?
Klinge: Eine wichtige Stellschraube ist die Zuwanderung. Die OECD hat in einer Studie die Attraktivität verschiedener Länder für Fachkräfte bewertet. Da liegt Deutschland nur auf Platz 15. Ein Grund dafür sind sicherlich bürokratische Hürden: Wir brauchen unbefristete Aufenthaltsgenehmigungen, eine einfachere Anerkennung von Berufsabschlüssen und eine bessere Unterstützung beim Erlernen der Sprache. Da muss vieles schneller und unkomplizierter werden.
Österreich hat zum Beispiel einen Integrationsfonds, da bekommen Zugewanderte Sprachkurse vom Staat und können berufsbegleitend Deutsch lernen, statt erst nach einem Jahr in den Job starten zu können, weil die Sprachkenntnisse noch fehlen. Im Übrigen würde aus unserer Sicht auch Englisch als Fremdsprache reichen. Da hat die Bundespolitik die Latte in den vergangenen Jahren einfach zu hochgelegt, so etwas können wir uns nicht mehr erlauben im weltweiten Wettbewerb um Arbeitskräfte. Die DZG fordert daher auch, Englisch als Amtssprache in Behörden zu installieren. Das würde den gesamten Onboarding-Prozess für Zuwanderer erleichtern.
Um qualifizierte Kräfte nach Deutschland zu holen, brauchen wir nicht zuletzt Hilfe bei der Anwerbung, ein professionelles Auslandsmarketing.
Getränke News: Aus Ihrer Sicht wird es also nur noch mit Zuwanderung gehen?
Klinge: Die brauchen wir dringend, ich sehe aber auch noch Potenzial bei uns im Land: Die Teilzeitquote ist sehr hoch, es gibt insbesondere viele Frauen, die wir aktivieren könnten. Hinzu kommen fast drei Millionen junge Menschen ohne Berufsabschluss, die in den Arbeitsmarkt integriert werden könnten.
Getränke News: Welche Rolle spielt der steigende Mindestlohn?
Klinge: Das Thema ist eigentlich durch, die meisten verdienen in der Gastwelt inzwischen sowieso mehr. Ein Riesenproblem ist aber, dass die Bundeszuschüsse zu den Sozialversicherungsbeiträgen im Bundeshaushalt 2025 gekürzt werden sollen. Die Beiträge steigen also weiter, für die Arbeitgeber verteuert das die Löhne. Das ist die größte Herausforderung, die wir sehen.
Eine große Baustelle ist auch die Digitalisierung; in Hotels können zum Beispiel 70 Prozent der Prozesse laut Fraunhofer-Institut noch digitalisiert und automatisiert werden. Das geht vom Buchungsportal, über die Weiterbildung bis hin zum Roboter, der in Zeiten der extremen Personalknappheit das Geschirr abräumt. Gerade in kleineren Betrieben fehlt dazu oftmals das Geld, und Gastronomen bekommen im Allgemeinen kaum noch Kredite. Auch da verweise ich auf Österreich, die haben eine eigene Förderbank für Hotellerie und Tourismus geschaffen.
Getränke News: Sie haben gerade eine Kampagne an den Start gebracht, um vor der Bundestagswahl Ihre Themen zu platzieren. Handelt es sich um eine Werbekampagne im engeren Sinne oder eher um Lobbyarbeit?
Klinge: Beides. Mit der neuen Kampagne „Unsere Stimme zählt“ knüpfen wir an die bisherige unter dem Motto „Herz unserer Gesellschaft“ an. Die Gastwelt ist kein „Nice-to-have“, sondern ein Garant für Lebensqualität und soziales Miteinander. Gerade, wenn gesellschaftliche Spaltung droht, brauchen wir diese Orte, wo Menschen interagieren, wo Demokratie gelebt wird. Nicht zuletzt ist der Dienstleistungssektor Gastwelt mit 6,18 Millionen Beschäftigten und einem Beitrag von elf Prozent zum Bruttoinlandsprodukt auch ein bedeutender wirtschaftlicher Faktor.
In Zeiten, in denen es um Krieg oder Frieden geht und in denen Trump wieder an die Macht kommt, wird eine reine Werbekampagne nicht reichen. Wichtiger ist es, unsere Themen und Anliegen in den nächsten Koalitionsvertrag zu bekommen. Wir werden daher schon vor der Wahl Politiker auf Bundes- und auch auf Landesebene persönlich ansprechen, um ihnen eine neue Wertschätzung unserer Branche zu vermitteln. Ohne persönliche Kontakte und die direkte Auseinandersetzung erreicht man nichts.
*Über die DZG:
Die 2021 gegründete Denkfabrik Zukunft der Gastwelt (DZG) vernetzt Politik, Verbände und hochkarätige Vertreter aller Wertschöpfungssektoren der Tourismus-, Hospitality- und Foodservice-Industrie (wie z.B. Radeberger Gruppe, Deutsche Bahn, Unilever Food, Motel One, Transgourmet, Metro, Center Parcs, Dorint, Bioland, Dussmann, Nord Cap, Centro Hotels, Best Reisen, Rational, Gerolsteiner).
Der interdisziplinäre Thinktank kümmert sich inhaltlich vor allem um strategische Zukunftsthemen – wie Mitarbeitergewinnung, Nachhaltigkeit, Digitalisierung und Ernährungswende – und entwickelt praxisnahe Maßnahmen zur effektiveren Krisen-Bewältigung. Die Mitgliedsunternehmen beschäftigen zusammen über 665.000 Mitarbeiter in allen Regionen Deutschlands. Finanziert und getragen wird der Thinktank von der Union der Wirtschaft e.V.