„Bier in der Krise oder Bier als Krisenhelfer?“, dieser Frage ist Heinz Grüne, Geschäftsführer des Rheingold-Instituts, in einer aktuellen Untersuchung nachgegangen. Im Interview mit Getränke News erklärt der Psychologe und Marktforscher, wie die Braubranche durch diese bewegte Zeit kommt.
Getränke News: In einer aktuellen tiefenpsychologischen Marktforschung des Rheingold-Instituts wurden Biertrinker genauer unter die Lupe genommen. Wie könnten sich die Pandemie, der Krieg, die Preisexplosionen und der drohende Rohstoffmangel auf deren Konsumverhalten auswirken?
Grüne: Wir rechnen damit, dass sich die Biertrinker noch deutlicher als in früheren Zeiten, also bis ca. 2019, in ihrem Verhalten unterscheiden und jeweils klar abgrenzbare Verhaltensmuster zeigen werden. Die einen werden weiter konsumieren wie bisher und ihre Biergewohnheiten nicht ändern. Andere werden beim Bierkonsum die Kostenbremse ziehen und zu den niedrigpreisigen Biermarken bzw. zu den Eigenmarken des Handels wechseln. Wieder andere werden ihren Konsum reduzieren. Sie bleiben ihrer Marke treu, trinken jedoch deutlich weniger, um Kosten zu sparen. Es wird aber auch diejenigen geben, die ihren Bierkonsum reduzieren, dafür aber auch Neues probieren und sich ab und zu etwas Besonderes gönnen. Für die Brauer bietet dieses Verhalten auch immer eine Chance: Von einem besonderen Angebot wird kein besonders niedriger Preis erwartet. Man kann in diesem Kontext zumindest eine Teilkompensation für die entgangenen Einnahmen bei den ‚klassischen Bierangeboten‘ erzielen.
Getränke News: Der Trend hin zu Spezialitäten wird sich also fortsetzen?
Grüne: Insgesamt wird in Zukunft gelten: Die Brauer, die von Preiseinstieg bis Spezialität und von Pils bis Bock am besten diversifizieren, haben die größten Chancen, auch in der Krise ihre Kunden zu finden. Wer an seiner Monomarke ohne Abweichungen und Spezialisierungen festhält, wird es in Zukunft schwerer haben.
Dabei ist die Haltung des Unternehmens gegenüber dem Markt und den Produkten wichtig. Erfolgreiche Brauer warten nicht erst, bis eine Krise kommt, sondern arbeiten permanent an solchen Dingen. Sie lassen sich nicht von den äußeren Bedingungen leiten, sondern von der inneren Einstellung.
Getränke News: Wie also weitermachen in Krisenzeiten?
Grüne: So schwer es auch fällt: Man muss agil und beweglich bleiben. Dinge ausprobieren, auf der Produktebene, bei der Gebinde-Gestaltung, beim Marketing. Immer wieder versuchen herauszufinden, welche neuen Angebote, Gebindeformen oder Werbeauftritte den Geschmack des Publikums treffen. Ausloten, welche Lücken es im eigenen Portfolio noch gibt. Die Biertrinker überraschen und neugierig machen.
Getränke News: Was erwarten Sie bei den klassischen Biersorten wie Pils und Weißbier?
Grüne: Bei den Biersorten erleben wir derzeit einen Umbruch. Die Sorten ‚sortieren‘ sich derzeit in der Käufergunst neu, Weißbier und vor allem Pils stehen unter Druck. Hellbier sowie Bier-Spezialitäten können Boden gut machen. Vor allem bei der Preisakzeptanz sind Letztere derzeit in einer besseren Position. Die großen Pilsmarken müssen sich heute vor allem in den Preisschlachten des Handels behaupten. Akzente oder gar innovative Impulse bleiben jedoch im Pils-Sektor weitgehend aus. Die meisten Marken stagnieren oder verlieren permanent an Terrain und damit Hektolitern.
Weißbier hat mit ähnlichen Problemen zu kämpfen. Es gab nur wenige Innovationen, seit der höchst erfolgreichen Einführung von Weißbier alkoholfrei durch Erdinger. Zudem ist die Sorte stark gebunden an sehr ältlich-traditionelle und bayrische Bildwelten, ländliches Ambiente sowie ‚sitz-sames‘ Trinkgebaren. Weißbier trinkt man meist aus größeren Gläsern und setzt sich dazu am besten für längere Zeit an einen festen Platz. Urbane Umgebungen und die dort vorkommenden Trinkgewohnheiten und -vorlieben werden damit oftmals verfehlt.
Getränke News: Die großen Gläser können es aber nicht sein, denn die Erfolgssorte Hellbier wird auch aus großen Gläsern getrunken.
Grüne: Hellbier zeigt sich derzeit dem Zeitgeist und den Erwartungen der meist jungen Städter am nächsten. Deren Vorliebe für Mobilität beim abendlichen Ausgehen, die Freude an neuen, unverbrauchten Marken sowie Biergenuss mit hoher ‚Drinkability‘ – das alles wird von den gängigen Hellbiermarken bestens bedient. Und auch neue Marken dieses Segments treffen auf aufgeschlossene, noch nicht markenfixierte Konsumenten. Neugier, Aufgeschlossenheit und Probierfreude sind heute in größerem Maße vorhanden. Hierzu hat auch die Craftbier-Bewegung ihren Beitrag geleistet.
Getränke News: Hellbier wird also weiter zulegen, da sind sich alle Experten einig. Doch wie sieht generell Ihre Prognose für den Biermarkt aus?
Grüne: Es gibt keine seriösen Prognosen für die Zukunft. Ich bin jetzt seit über 35 Jahren Marktforscher und würde es aktuell noch nicht einmal wagen, die nächsten sechs Monate vorauszusagen. Wir wissen nicht, welche Kosten allein mit der neuen Heizperiode auf uns zukommen. Wir wissen aber heute bereits: Die Nachzahlungen werden die Leute hart treffen. Das wird sich auch auf das Konsumverhalten auswirken. Das dürfte insbesondere die Gastronomie spüren. Denn alles, was entbehrlich ist, wird zur Disposition stehen. Es wird zu Situationen kommen, die wir uns heute noch nicht vorstellen können. Das wird auch die Bierbranche treffen.
Wir sind aktuell in so einer Art Übergang, der uns noch ein wenig Hoffnung gibt. Jetzt gilt es, Zeichen zu setzen: Wir lassen uns nicht unterkriegen – als Gesellschaft, als Freunde der Bierkultur, als Marktteilnehmer in schweren Zeiten.
Warum? Weil es dazu keine Alternative gibt als zu resignieren. Und das hätten wir – und das Bier – nicht verdient!
Rheingold-Institut
Das Kölner Rheingold-Institut gilt als eines der führenden Institute der qualitativen und quantitativen Marktforschung und spürt mit tiefenpsychologischen Methoden gesellschaftliche Trends auf. Rund 45 feste und 55 freie Mitarbeiter erforschen Märkte, Medien und Kultur. Mit Dependancen in San Francisco und Shanghai baut das Institut seine Internationalität stetig aus.