Trotz Mengenverlusten bleibt Radeberger seiner Monomarken-Strategie im umkämpften Premium-Markt treu
Keine andere Pils-Marke im deutschen Premium-Markt hat nach der Jahrtausendwende mit solch stoischer Ruhe alle pulsierenden Sortentrends so konsequent rechts und links am Wegesrand liegengelassen wie die Marke Radeberger. Kein Radler, nicht einmal ein alkoholfreies Pils stammt aus der sächsischen Kleinstadt, die mit ihren 18.000 Einwohnern zu den traditionsreichsten Braustandorten Deutschlands zählt. Geht das überhaupt? Ja, es geht! Zwar hatte die damalige Konzernmutter Bindung AG unter dem Oetker-Dach schon 2002 den ansehnlichen Markennamen Radeberger zur Gruppenbenennung ausgerufen, doch in der Frage der Monomarkenstrategie blieben die Frankfurter Markenführer bei Radeberger standhaft und ergänzten ihren „Bauchladen“ lieber anderswo.
Selbst Markengrößen wie Krombacher oder Bitburger hatten noch vor der Jahrtausendwende den Paradigmenwechsel vollzogen und der Monomarkenstrategie abgeschworen, um die Kraft ihrer Marken zu monetarisieren. Bei Radeberger heißt es stattdessen unverdrossen Pils, immer wieder Pils. Es darf gemutmaßt werden, dass auch die Bielefelder Konzernmutter ihre aufwendig geschliffene Premium-Pils-Marke von Trends unverwässert geführt wissen will. Das zeigt Wirkung: Die Marke erfreut sich nach einer MDR-Erhebung in Mitteldeutschland des höchsten ungestützten Bekanntheitsgrades, hat aber ungeachtet dieser hohen Erinnerung bei einem Ausstoß von rund 1,64 Millionen Hektolitern im Geschäftsjahr 2018 im zurückliegenden Jahrzehntverlauf immerhin 170.000 Hektoliter Marktmenge verloren. Der Ausstoß-Zenit von zwei Millionen Hektolitern in den Jahren 2002/03 sollte nie wieder erreicht werden.
Neustart nach der Wiedervereinigung
Tatsächlich gelang es der Radeberger Exportbierbrauerei, nach den Wirren der Wendejahre schnell wieder Tritt zu fassen. Die Frankfurter Binding AG hatte das Traditionsunternehmen, einst auch Lieferant am sächsischen Königshof, bereits im November 1990 von der Treuhand übernommen. Mit dem Oetker-Segen hatte man bei der Neuverteilung des ostdeutschen Biermarktes Geschick bewiesen und rasch ein mengenrelevantes Wörtchen mitgesprochen, denn Radeberger gehörte neben der Wernesgrüner Brauerei schon zu DDR-Zeiten zu den profiliertesten Adressen, deren Marken auch im Westen Wertschätzung fanden. Der erst im Juni 2019 verstorbene Dr. Hans-Wolfgang Lambrecht hatte bereits im Mai 1990 – ein halbes Jahr nach dem Mauerfall – die Geschäftsführung der Radeberger Brauerei übernommen.
Der Start mit 330 Mitarbeitern verlief nach seinen damaligen Schilderungen gegenüber der Tageszeitung „Die Welt“ gleich nach der D-Mark-Einführung erwartungsgemäß holprig, aber gezielt – Binding statt VEB hieß die Zukunft. 115 Millionen Mark hatte die Frankfurter Neu-Mutter an Investitionen gleich zum Start angekündigt, der Drittel-Liter-Vichy-Flasche sollte alsbald die Halbliterflasche folgen. Und beim Markenauftritt ließ man evolutionären statt revolutionären Geist in Schriftzug und Außenwerbung fließen. Die Maßgabe jener Jahre: Bloß den angestammten Verbraucher im Osten, der vorübergehend zu den Westmarken geflüchtet war, nicht entfremden, sondern ihm gegenüber mit Qualität neues Vertrauen schaffen.
Die Strategie sollte aufgehen. Klaus-Peter Erbrich, Vorstandsvorsitzender der Binding AG, hatte weitsichtig erkannt, dass die 90er-Jahre vor allem den Premium-Marken Wachstum bescherten – die Marke Radeberger sollte genau diese Positionierung erfahren. Und die Semper-Oper als Key-Visual bereitete der Profilierung seit 1993 ihren Weg. Kein Wunder, dass schon Jahre später Scharen von werbungsinformierten Verbrauchern das imposante Opernhaus in Sichtweite des Dresdener Zwingers für die altehrwürdige Exportbierbrauerei halten sollten. Binding-Chef Erbrich tat seinerzeit gut daran, der neuen Edel-Perle im ausschließlich regionalen Markensammelsurium der Binding AG eine konsequente Pflege zu verordnen. Immerhin waren die damaligen Versuche, die Marke Binding Lager mit hohen Investitionen und weltmännischem Flair zu pushen, alsbald gescheitert – Radeberger hieß das neue heiße Eisen im Feuer!
1991 war Radeberger mit 400.000 Hektolitern Jahresausstoß noch aus DDR-Kesseln in eine neue Ära gestartet, hatte schon im Jahr darauf auf 740.000 Hektoliter zugelegt. 1994 berichtete Dr. Hans-Wolfgang Lambrecht an die Frankfurter Zentrale ein respektables Mengenwachstum von 25 Prozent. Im Jahr zuvor war der Vertrieb schon in den alten Bundesländern, vornehmlich natürlich auf die Pils-Regionen von Niedersachsen und Hessen, ausgedehnt worden. Kaum zu glauben: Schon 1995 waren die Investitionen weitgehend abgeschlossen – für immerhin dann rund 170 Millionen D-Mark glänzte im Herzen Radebergs ein neues Sudhaus samt Gär- und Lagerkeller. Hinzu kamen neue Kästen, die mit Drittel- und Halbliter-Flaschen vom Band liefen. Die Kärrner-Arbeit war gemacht – Aufschwung Ost im beschaulichen Radeberg vor den Toren Dresdens!
Jahrtausend-Start
Mit einem Ausstoß von 1,99 Millionen Hektolitern startete die Marke Radeberger ins neue Jahrtausend und auch der Fassbierausstoß wuchs von 269.000 Hektolitern bis 2008 auf zeitweise deutlich über 300.000 Hektoliter rapide an. Zu verdanken war dieses Wachstum Ulrich Kallmeyer, der 2002 Sprecher der Geschäftsführung der Braugruppe wurde. Mit seiner ersten großen Strategieänderung erwies er dem Markenflaggschiff im Oetker-Reich die Reverenz und benannte die Binding AG kurzerhand in Radeberger Gruppe um. Vorbehalte oder gar Akzeptanzprobleme gegen den neuen Namen sollten sich als unbegründet erweisen. Gleichwohl werfen sie am Rande ein Schlaglicht auf den Bedeutungsverlust der einstmals so profilierten Brauereien Binding und Henninger, die in der Hessenmetropole seither auf ihre Markenpräsenz reduziert sind.
Die klaren A-Marken im nationalen Vertrieb der Radeberger Gruppe hießen fortan Radeberger und Jever – letztere wurde nach der Brau-und-Brunnen-Übernahme inventarisiert. Die Marke Radeberger erhielt gerade im Fassbiergeschäft zeitweilig Zuwächse, weil eine sichtbare Umstellung bereits verpflichteter Gastronomieobjekte vollzogen wurde. Ulrich Kallmeyer hatte spätestens 2004 lautstark zur Marktführerschaft geblasen, als er in der „Lebensmittelzeitung“ sein Marktanteilsziel von 20 Prozent ausgerufen hatte – ehrgeizig und selbst heute, nachdem Kallmeyer schon zehn Jahre im Ruhestand ist, unerreicht und vielleicht schon damals allzu vollmundig. Derweil hatte Dr. Hans-Wolfgang Lambrecht als verlässlicher Radeberger-Statthalter bis zu seinem altersbedingten Ausscheiden 2005 die Zwei-Millionen-Hektoliter-Schwelle genommen. Der deutsche Biermarkt zeigte nach dem Zenit in den Jahren 2002 und 2003 allerdings auch, dass einer Monomarke im deutschen Biermarkt naturgemäß Wachstumsgrenzen gesetzt sind – Radeberger hatte sie erreicht.
Das letzte Jahrzehnt
Auch die alljährlich beträchtlichen TV-Spendings sollten nichts daran ändern, dass die frühzeitig zum Gruppenflaggschiff ausgerufene Marke Radeberger in den alten Bundesländern nicht so richtig vorankam. Gewünschte Absatzzuwächse sollten trotz der Kraft der zusammengeführten Vertriebsmannschaft mit ihrem bunten Marken-Bauchladen in den alten Bundesländern über Achtungserfolge nicht hinausgehen. Hinzu kam, dass auch die Aktionstätigkeit im noch preissensibleren Markt der neuen Bundesländer der Marke Radeberger fortwährend zu schaffen machte und damit immer wieder Mengenverluste einbrachte. Im Windschatten von Radeberger konnte sich die eigene Konzernmarke Ur-Krostitzer mit ihrer aktionsattraktiven 10-Euro-Positionierung still und leise bei den Verbrauchern profilieren.
Der Gruppenvorteil: Die Abschmelzverluste von Radeberger blieben zum großen Teil im eigenen Haus, andere flossen immer wieder zu AB Inbev-Tochter Hasseröder ab, die in der Retrospektive das Gegenmodell zur Radeberger-Markenentwicklung abliefert. Einst durch die Hannoveraner Gilde-Gruppe von der Treuhand übernommen, fand bei Hasseröder unter AB Inbev ein beispielloses Downpricing bei gleichzeitiger Kommunikationsrücknahme statt, das die Marke am Ende Image und Wertschätzung gekostet hat. Die Radeberger Gruppe war dieser Versuchung nicht erlegen, sondern setzte in typischer Oetker-Manier auf Langfristigkeit.
Produkte
Kein anderes Markensortiment eines Pils-Brauers der Premium-Liga ist zum Jahrzehntwechsel so überschaubar aufgestellt wie das von Radeberger. Die Drittel- und Halbliter-Mehrwegflaschen gehören zum Brot-und-Butter-Geschäft. Hinzugekommen ist die Halbliter-Dose, die Radeberger-Urgestein Dr. Hans-Wolfgang Lambrecht gleich nach der Investitionsoffensive von Oetker zu Beginn der 90er-Jahre noch kategorisch ausgeschlossen hatte. Sie ist, wie auch das 5-Liter-Fässchen, wohl das einzige Zugeständnis an die Erwartungshaltung des Verbrauchers an seine präferierte Pils-Marke. Das Investment 2007 in eine Individualflasche mit Markenkasten sollten Radeberger bis heute guttun.
Die einzige Sortenausnahme erfreut sich hingegen nur lokaler Präsenz: das Zwickelbier. Die Bierspezialität ist ausschließlich in Dresden im „Radeberger Spezialausschank“ an der weltberühmten Brühlschen Terrasse oder direkt in der Bierstadt Radeberg bei einem Brauereirundgang oder bei einer Einkehr im „Radeberger Brauerei-Ausschank“ zu verkosten. In der Radeberger Exportbierbrauerei wird es unmittelbar vor der Filtration, der letzten Stufe vor der Abfüllung, aus den Tanks entnommen.
Status
Im neuen TV-Spot erhält die Marke erstmals ein Verbrauchergesicht, indem die Geschichte eines Bierfreunds von Kindesbeinen bis hin zum entspannten Vinylplattenhörer erzählt wird. Und was hat das mit Radeberger zu tun? Es ist die Genusskomponente, die in eindrucksvollen Zapfszenen durstmachend zu sehen ist. Und der barocke Auftritt in der goldschwarzen Markenwelt unterstützt die unerlässliche Wiedererkennung. Die Handelsrealität hat dagegen mit den schönen Bildern wenig zu tun. Hier wird in Marktanteilen gemessen. Dabei bleibt die Drehgeschwindigkeit in den neuen Bundesländern deutlich höher als im ostdeutschen Stammmarkt.
Der Marktanteil im Lebensmitteleinzelhandel und Getränkeabholmarkt (ohne Discount) lag 2018 national laut AC Nielsen bei 4,2 Prozent. Nachteil West, Vorteil Ost: Die Marke Radeberger hat es geschafft, mit einem Bekanntheitsgrad von 51 Prozent in Mitteldeutschland aufzuwarten. Ungestützt wird sie in der Markterhebung des MDR von jedem zweiten Befragten als bevorzugte Biermarke genannt. Der ostdeutsche Biermarkt bleibt für Radeberger auf Dauer eine sichere Bank.
Perspektive
Mit Dr. Niels Lorenz als Sprecher der Geschäftsführung der Radeberger Gruppe KG in der Nachfolge von Dr. Erlfried Baatz und Ulrich Kallmeyer bewegt sich die Marke Radeberger weiterhin in einem ruhigen, betont unaufgeregten Fahrwasser – allen aktuellen Absatzeinbußen zum Trotz. Wenn sich Radeberger heute selbst als „Sachsens Exportschlager in 87 Ländern und auf allen Kontinenten als Botschafter des guten Biergeschmacks“ anpreist, meint die Frankfurter Zentrale jene schlanke Menge von etwa 75.000 Hektolitern, die der traditionsreichen Exportbierbrauerei im Auslandsgeschäft zwar gut zu Gesicht stehen, aber auch ein eher defensives Verkaufsbemühen erkennen lassen. Da haben eben andere Konzernmarken mehr zu bieten. Aber manchmal hilft’s eben auch, im unverändert regional geprägten Markenorchester von Deutschlands größter Braugruppe dabei sein zu können. Die Kölner Lanxess-Arena schenkt seit 2019 zusätzlich zu den Traditionsmarken Gilden Kölsch und Sion Kölsch inzwischen auch Radeberger Pilsner aus.
Und seit 2018 gibt’s ein eindeutiges Bekenntnis zur Gastronomie: Die Radeberger Exportbierbrauerei hat eine neue Fassabfüllanlage in Betrieb genommen. Diese besteht aus zwei Einzellinien, die 10-, 30- und 50-Liter-Gebinde abfüllen und bis zu 200 Fässer pro Stunde vollautomatisch bis in die Vollguthalle expedieren.
Zahlen & Fakten
Ausstoß 2018: 1,64 Millionen Hektoliter*
Fassbieranteil: 178.000 Hektoliter (10,9 Prozent am Ausstoß)*
Marktanteil im Handel: 4,2 Prozent**
Export: 75.000 Hektoliter*
*geschätzt
**AC Nielsen
Über die Serie
In unserer Serie „Bier-Marken-Analyse 2020“ betrachten wir monatlich eine der Top-Biermarken in Deutschland. Teil 4 „Krombacher“ erscheint Ende September.