Zwischen 2019 und 2023 stellten 60 deutsche Brauereien ihren Betrieb ein. Was steckt dahinter? Warum geben immer mehr Unternehmen auf? Getränke News hat die Entwicklung in der deutschen Brauwirtschaft in einer exklusiven Marktanalyse aufbereitet und erläutert, warum der Biermarkt so stark in Bewegung ist wie lange nicht mehr.
Der Schein trügt nicht: Nach Pandemie-Ende beschleunigte sich der Prozess der Brauereischließungen in ganz Deutschland. Damit ist das eingetreten, was Kenner des deutschen Biermarktes schon seit der Jahrtausendwende prognostiziert haben: Überkapazitäten, aber auch mangelnde Wirtschaftlichkeit – bei gleichzeitiger Kostenexplosion und Investitionsstau – führten dazu, dass sich die Betriebsaufgaben in den letzten zwei Jahren häuften. Getränke News hat sich erstmals in einer exklusiven Marktanalyse mit den Veränderungen beschäftigt. Die Erkenntnisse sind erstaunlich und deuten darauf hin, dass der Prozess weitergeht.
Eines darf bei all den negativen Zahlen nicht vergessen werden: Der Biermarkt mit seinem Marktvolumen von rund 83,76 Millionen Hektolitern (ohne alkoholfreie Biere) bietet all jenen unverändert erfreuliche und auch renditeträchtige Marktchancen, die ihre unternehmerischen Strukturen am wettbewerbsintensiven Markt ausgerichtet haben. Marktbereinigung, das steht fest, ist in Zukunft notwendig und unvermeidbar, auch wenn es zum Verlust regionaler Brauereikultur führt. Schon heute dürften einzelne Brauereien über einen Marktaustritt nachdenken, weil es ihnen schlichtweg an Perspektiven, aber vor allem notwendiger Liquidität fehlt. Die ersten Brauer haben bereits ihre Konsequenzen gezogen.
Strategiewechsel zeigt Veränderungsbereitschaft
Selten zuvor war aus den großen Häusern der deutschen Brauwirtschaft soviel Veränderungsbereitschaft zu hören wie nach der Pandemie. Die Erfahrungen um Lockdowns mit ihren Marktverlusten für das Fassbiergeschäft – bei gleichzeitigem Boom der Flaschenbierabsätze – haben zu neuen strategischen Ansätzen geführt. Die Schörghuber Unternehmensgruppe führte zum 1. Januar 2023 eine neue, dezentrale Konzernstruktur ein. Der Enkel des Unternehmensgründers, Florian Schörghuber, zog als junger Vertreter der dritten Generation in den Vorstand ein, um auch die unterdurchschnittliche Ertragskraft der Paulaner Gruppe zu verbessern. Langjährige Führungskräfte wie Andreas Steinfatt und Raphael Rauer zogen von dannen. Rauer selbst kam bei Warsteiner unter, wo sich die Haus Cramer Gruppe unter der Führung von Helmut Hörz ebenfalls neu ausrichtete. Dort wird auf Lohnbrauen und Kapazitätsauslastung gesetzt.
Auch bei der in den Nuller-Jahren stark gewachsenen Oettinger-Gruppe wurde umstrukturiert. Oettinger-Chefin Pia Kollmar zog die Konsequenzen aus den jüngsten Marktverlusten und verkaufte den einst von ihrem verstorbenen Bruder aufgebauten Vorzeigestandort in Gotha. Die Krombacher Brauerei reagierte bereits früh auf den rückläufigen Biermarkt und übernahm schon 2006 die Vertriebsrechte von Schweppes. Seitdem setzt Krombacher unverdrossen auf ein weitreichendes Engagement in allen Warengruppen der Getränkewirtschaft und riskiert bei der Vielzahl der alkoholfreien Getränke jenseits der Erfolgsmarke Schweppes den Überblick zu verlieren. Die Radeberger Gruppe hingegen opferte seit Jahrzehntbeginn gleich zwei Braustätten, um als einziger Marktakteur sichtbar zum Kapazitätsabbau beizutragen. Tatsache ist: Die Veränderungsbereitschaft in der deutschen Brauwirtschaft ist so groß wie nie. Und sie wird für alle Marktbeteiligten folgenreich sein. Auch weil der Marktdruck und die Wettbewerbsintensität nochmals an Fahrt aufgenommen haben.
Pandemie zwang viele Betriebe zum Handeln
Rückblick: 2019, ein Jahr vor der Pandemie, schien die Welt der deutschen Brauwirtschaft noch weitgehend intakt. Der Markt war berechenbar aufgeteilt. Das schrumpfende Absatzvolumen um die rund einprozentigen Verluste war planbar und schreckte niemanden mehr. Dann kam Corona und alles wurde anders. Es war eine Art Katalysator, der die Verletzbarkeit der einzelnen Betriebsgrößen offenlegte und zum Handeln zwang. Viele kleine Betriebe bis zu einer Betriebsgröße von 100.000 Hektolitern wurden mit existenziellen Problemen konfrontiert. Zwar half die Bundesregierung zwischenzeitlich mit Ausgleichszahlungen über die lange Durststrecke hinweg, doch vor allem die vom Fassbierverkauf abhängigen Regionalbrauer mussten 2022 erkennen, dass ihr angestammtes Geschäft nicht in der gewohnten Größenordnung zurückkommen sollte. Eine Erfüllungsquote von über 80 Prozent im traditionellen Fassbiergeschäft im Vergleich zu 2019 gilt heute als erfolgreich, viele Betriebe blieben jedoch darunter.
Auch deshalb nahmen die Betriebsaufgaben in den Jahren 2022 und 2023 spürbar zu; dem Endverbraucher blieb nicht verborgen, dass sich strukturelle Veränderungen direkt vor seiner Haustür vollzogen. Nach der Erfassung des Statistischen Bundesamtes ging die Zahl der Brauereistandorte von 2019 bis 2023 von 1.552 auf 1.492 zurück. Der Verlust von immerhin 60 Braustätten betrifft alle Betriebsgrößen, wenn auch in unterschiedlicher Anzahl. So verbirgt sich dahinter auch das langsame Sterben der Craftbier-Brauereien, die das Gros der Verluste ausmachen. Immerhin 29 der 60 aufgegebenen Standorte, die statistisch erfasst wurden, brauten weniger als 3.000 Hektoliter, sieben weitere sogar weniger als 1.000 Hektoliter.
Doch die wirklichen Einschläge geschahen dort, wo von den Brauereistandorten noch regionale Kraft ausging. Immerhin elf Brauereien, die zuletzt zwischen 10.000 und 100.000 Hektoliter brauten, gingen in Insolvenz oder stellten schlichtweg den Betrieb aus mangelnder Wirtschaftlichkeit ein. Die meisten stillgelegten Brauereien wurden inzwischen entkernt – von den Sudhäusern, die einst hinter großen Scheiben repräsentative Wirkung entfalteten, ist nichts mehr zu sehen.
Bayern ist der große Braustätten-Verlierer
Kein Wunder also, dass das Brauereisterben vor allen in jenen Bundesländern einsetzte, in denen die meisten Braustandorte und die größte Absatzmenge zur traditionellen Marktstruktur zählten. So führt Bayern mit 26 Betriebsaufgaben die Liste der Braustätten-Verlierer in den letzten fünf Jahren an. Unter allen Bundesländern rangiert Nordrhein-Westfalen auf Platz zwei – dort gingen 20 Brauereien verloren. Die Abwärtsentwicklung bei den anfangs trendigen Craftbier-Brauereien darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch die Kleinstbetriebe, die oft mit hoffnungsvollen Idealisten an den Start gegangen waren, vor Ort Lücken hinterließen. Letztlich scheiterte das Projekt Craftbier deutschlandweit an der mangelnden Verbrauchernähe. Deutschlands Bierfreunde – und das beweisen die Sortenstatistik und der Boom der Hellbiere – wünschen gefällige Biere.
Die Zahl relevanter Betriebsaufgaben bezieht sich aber durchaus auf nennenswerte Standorte, die letztlich dem notwendigen Kapazitätsabbau in der deutschen Brauwirtschaft geopfert wurden. Die Oetker-Tochter Radeberger Gruppe ging hier zweifellos mit gutem Beispiel voran. Schon 2019 wurde die Betriebsaufgabe der Braustätte des einstigen Kölner Verbundes in Köln-Mülheim eingeleitet, im Jahr darauf dann vollzogen.
Dort, wo einst Gilden-Kölsch und später alle anderen in der Domstadt zusammengekauften Oetker-Marken gebraut wurden, ging Kölsche Braugeschichte zu Ende. Die Radeberger Gruppe hatte sich dazu entschlossen, die verbliebenen Mengen im Lohnbrau von Flaschen- und Fassbier bei der privat geführten Früh-Brauerei zu bündeln. 2020 wurde dort mit dem Brauen und Abfüllen begonnen. Der Verkaufserlös der Altimmobilie dürfte Oetker nach aktuellem Bodenrichtwert über drei Millionen Euro gebracht haben – ein gutes Geschäft.
Immer mehr Biermarken aus denselben Sudkesseln, das scheint ein Rezept im Großen und im Kleinen zu sein. Auch nach regionalen Betriebsaufgaben wie in Pfungstadt oder jüngst bei Karmeliter landen die Produkte bei Brauereien in der Nachbarschaft, um fortgeführt zu werden. An Kapazitäten herrscht auch in regionalen Brau- und Abfüllbetrieben kein Mangel.
Hauptlast schulterten Hektoliter-Millionäre
In den letzten fünf Jahren waren die Absatzverluste der deutschen Brauwirtschaft enorm hoch. Zwar dürfte sich 2024 das Blatt zum Positiven wenden, doch an der Ausstoßmisere ändert das zwischenzeitliche Luftholen aufgrund von EM-Geschäft und rückläufiger Inflation nichts. Zwischen 2019 und 2023 gingen dem Biermarkt rund 6,5 Millionen Hektoliter Biervolumen verloren (ohne alkoholfreie Biere). Leidtragende waren aber nicht alleine die vielen kleinen und mittleren Brauereien, sondern lediglich 22 Brauereien, die die Hauptlast trugen. Gemeint sind Braustätten der Hektoliter-Millionäre mit einem Jahresausstoß von über einer Million Hektolitern. Sie verloren zusammen eine Ausstoßmenge von 5,91 Millionen Hektolitern und hatten damit 91Prozent der Mengeneinbußen des Gesamtmarktes zu schultern.
Auf die übrigen 1.470 Brauereien unterhalb des Jahresausstoßes von einer Million Hektoliter verteilen sich die schmerzlichen, aber vergleichsweise überschaubaren Marktverluste von 563.375 Hektolitern. Damit wird deutlich, wie weit die Schere der Marktakteure im deutschen Biermarkt auseinandergeht. So sind es die Hektoliter-Millionäre, in deren Braustätten mit einem Gesamtausstoß von 45,3 Millionen Hektolitern 56,8 Prozent des gesamtdeutschen Ausstoßes gebraut werden. Sie sorgen für die notwendige Agilität, um im Blick des Verbrauchers und vor allen Dingen als Partner des Handels für gleichbleibende Dynamik zu sorgen.
Fazit – Marktwirtschaft sorgt für weitere Bereinigung
Es steht außer Zweifel, dass die Marktwirtschaft für eine weitere Bereinigung der ungleichen Strukturen innerhalb der deutschen Brauwirtschaft sorgen wird. Letztlich geht es um Verbrauchernähe und Verbraucherwünsche – und die befinden sich deutlich im Wandel. Diskussionen um Pfandpool-Lösungen oder das Für und Wider von Einweg helfen da wenig. Entscheidend für das Wohl und Wehe der Verbraucherakzeptanz werden diese Fragen nicht sein. Mehr noch: Der kostenintensive Transformationsprozess in der Energiebereitstellung wird die große Herausforderung für alle Brauereien bleiben. Ohne große Investitionen in naher Zukunft geht es nicht. Und dabei haben schon jetzt viele Brauer einen Investitionsstau, weil man mangels finanzieller Mittel Projekte zurückstellen musste.
Noch viel wichtiger bleibt es, den Biermarkt über Produkte und Gebinde attraktiver zu machen und, bei allen drängenden Problemen, den Verbraucher als Marktregulativ nicht aus den Augen zu verlieren. Wer die jüngste Entwicklung der alkoholhaltigen Mixgetränke mit Wodka, Rum oder Gin beobachtet, der weiß, wie schnell es Trendgetränken gelingen kann, sich beim Verbraucher Wertschätzung zu verschaffen.
Mehr als früher müssen kleine und große Brauer daran denken, dass ihre Marktchancen unterschiedlicher nicht sein können. Kräfte bündeln, Innovationen vorantreiben und auf Renditekraft Wert legen – das ist der einzige Zukunftsweg in diesem wettbewerbsintensiven Biermarkt. Für die Anbieter, die zögerlich bleiben und dort keine Chancen erkennen können, dürfte auf kurz oder lang der Marktaustritt die einzige Perspektive bleiben.