Es ist die große Sortenfrage, die die deutsche Brauwirtschaft, aber auch den Handel als Nutznießer einer Erfolgsgeschichte umtreibt: Wie groß ist das Potenzial der Sorte Hell in Deutschland? 2023 ging Hellbier im Handel mit einem Marktanteil von 10,9 Prozent durchs Ziel. Erst im Jahr zuvor hatte Marktforscher AC Nielsen erstmals die Zweistelligkeit ermittelt. Die Sorte wächst jedenfalls rasant.
Was – bis auf wenige Ausnahmen – vornehmlich ein bayerischer Sortenerfolg ist, macht die Brauer im Süden zugleich zu Leidtragenden. Denn im gleichen Zeitraum verlor die süddeutsche Sorte Weizenbier immer weiter. Inzwischen liegt Weißbier mit einem Sortenanteil von nur noch 5,4 Prozent laut AC Nielsen im Handel nicht nur abgeschlagen hinter Pils (Marktanteil 49,5 Prozent) und Hellem, sondern musste sich hinter alkoholfreien Bieren und Biermix einordnen. Die Menschen mögen’s heute eben süffig, leicht und unkompliziert und greifen zum Hellen aus dem vor Jahrzehnten noch verpönten Becherglas.
Zwar gibt es berechtigte Hoffnungen der Brauer, dass das Jahr 2023 mit seinen desaströsen Volumenverlusten nur eine vorübergehende Ausnahme bleibt, doch die offensichtlichen Sortenpräferenzen werden sich mit dem Blick nach vorn kaum ändern. Der Hellbierzug rollt – und das mit mächtigem Tempo! Welcher Brauer seine Rolle bis heute nicht gefunden hat, wird wohl in den nächsten Jahren nur Beobachter der spannenden Hektoliter-Rallye sein. Dabei bleiben der Süden und Südwesten das unveränderte Zugpferd des Sortenwachstums. 63 Prozent der Hellbier-Menge werden im Handel Bayerns und Baden-Württembergs gedreht. Das stützt die These, dass die meisten dortigen Sortenwechsler weiter für herbe Weißbierverluste sorgen dürften. Der NRW-Markt bleibt ebenso wie der Osten Pils-dominiert.
Tatsächlich ticken die Verbraucher klar und berechenbar. Wer die Sympathien der Bierfreunde nicht erreicht, ist schlichtweg abgemeldet. Halbherzige Platzierungsversuche an den Konsumentenwünschen vorbei werden abgestraft. Dabei können sich die Brauer freuen, dass gerade das Helle mit einem Gebindeanteil von rund 82 Prozent in der Halbliterflasche nachgefragt wird, 13 Prozent werden in der Drittelliterflasche verkauft. Dass seit 2019 immerhin 80 Prozent der Halbliterkästen für 15 Euro und auch weit darüber verkauft werden, ist zweifellos ein Teil der Erfolgsgeschichte, der den Hellbiertrend für die Sortengewinner so wertvoll macht. Deutschlands Bierfreunde öffnen – allen Unkenrufen zum Trotz – eben doch das Portemonnaie, wenn es ihnen das Produkt wert ist.
Pülleken mit Sonderstellung
Das Markenranking von AC Nielsen (LEH und GAM) der Top 5-Marken wird aktuell wie eh und je von Augustiner Hell mit einem Marktanteil von 17,0 Prozent und einem Absatz von 961.000 Hektolitern angeführt. Doch beim Blick auf die Marktanteile haben auch die Traditionsbrauer aus München schon bessere Zeiten gesehen. Das Bayreuther Hell (7,7 Prozent) aus dem Hause Maisel, erst 2014 vorgestellt, rangiert inzwischen vor dem Tegernseer Hell (4,5 Prozent) auf Platz zwei. Noch vor dem Chiemseer (3,7 Prozent) als Fünftplatziertem liegt das helle Pülleken (4,2 Prozent) von Veltins weiterhin auf dem vierten Platz. Dabei nehmen die Westfalen in der Markenpositionierung jenseits der weißblauen Etikettenfolklore eine innovative Ausnahmestellung ein. Der Mut zur Differenzierung wird vom Markt belohnt.
Auffallend: Alle Hellbiere im Markenranking von Platz 1 bis 12 haben – bis auf Pülleken – einen bayerischen Absender. So rangiert Paulaner mit einem Marktanteil von 3,5 Prozent auf Platz 6, dahinter Mönchshof (3,2 Prozent), Spaten (3,0 Prozent), Allgäuer Büble (2,9 Prozent) und Hacker Pschorr (2,5 Prozent). Die Top Ten der Hellbiermarken knapp verfehlt haben Benediktiner (2,0 Prozent, 11. Platz) und Arcobräu (1,9 Prozent, 12. Platz). Das Benediktiner Hell von der Bitburger Braugruppe stammt zwar aus den hessischen Sudkesseln der Licher Brauerei, hat aber dennoch eine authentische weißblaue Aura. Das kommt an. Ebenso das Ende 2020 von der Radeberger Gruppe gelaunchte Oberdorfer Helles (1,5 Prozent), das im Markenranking bereits auf Platz 14 zu finden ist.
Sortentrends entwickeln sich langsam
Es ist ein gutes Zeichen für den deutschen Biermarkt, dass selbst neue Sortentrends die Mengenverteilung erst nach und nach verändern. Der Verbraucher in Deutschland reagiert mit seinen Konsumveränderungen langsam und mit dosierter Nachfrage auf neue geschmackliche Präferenzen. Der Bierfreund möchte probieren, Empfehlungen hören und die Marken beobachten, ehe er wieder zugreift. Somit gerät das Spiel der Kräfte auch in der jüngsten Hellbier-Bewegung nicht allzu schnell aus dem Gleichgewicht. Aus einer Wurzelbewegung – geprägt von einer Sonderkonjunktur der Marke Augustiner – erwuchs an der Seite des angestammten Weißbiers ein ebenfalls weißblau-geprägter Sortentrend. 2023 kämpften die drei Newcomer Krombacher, Erdinger und Warsteiner gemeinsam um den erfolgreichen Markteintritt ihrer jungen Produkte mit durchaus unterschiedlichen Erfolgen.
Dass das Verbrauchervotum jedes zehnten Verbrauchers zugunsten eines Hellen selbst große Marken hilflos zurücklassen kann, erfuhr auch Krombacher. Nachdem Krombacher Hell, seit 2014 auf dem Markt, nie so richtig durchstarten konnte, gibt es seit 2023 mit „Eins Hell“ einen neuen Versuch, am Hellbierwachstum zu partizipieren. Zunächst nur im NRW-Markt platziert, erwies sich „Eins Hell“ als wenig wettbewerbsfähig. Dabei hatte Krombacher bewusst auf ein neues, anderes Helles gesetzt – ähnlich wie Veltins mit Pülleken in der kleinen Euro-Flasche gelauncht. Doch die Siegerländer Markenarchitektur des hellen Eins stand von Anfang auf tönernen Füßen. Der Unterbau offenbar zu schwach, keine Erdung in den Verbraucherwünschen, keine Storyline. Heute werden dem Eins Hell handelsseitig kaum noch Chancen eingeräumt, es wird gar für möglich gehalten, dass Krombacher das Markenabenteuer alsbald beendet.
Starnberger blieb Durchbruch verwehrt
Auch mit Starnberger Hell kam Krombacher Inhaber Bernhard Schadeberg nicht so richtig voran. Er hatte sich mit seiner frühen Beteiligung an dem kleinen, expansionsbereiten Starnberger Brauhaus alle Marktchancen erhofft. Doch weder die Expansion gelang, noch funktionierte eine veritable Marktdurchdringung. Bestes Beispiel: Das Starnberger Brauhaus am touristischen Hotspot des Kölner Heumarktes musste nach nur einem Jahr wieder schließen. Obwohl es anfänglich gelang, mit einem zeitlichen Vorsprung Boden gut zu machen, konnte nur zwei Häuser weiter das Augustiner Brauhaus innerhalb weniger Wochen das Starnberger Konzept ins Abseits stellen. Zu guter Letzt blieb Krombachers gastronomieerfahrenen Partner nur noch der Rückzug.
Rheinische Brauer hatten das bayerische Markenduell mit kölscher Gelassenheit beobachtet und sehen im Verbleib des Augustiner Brauhaus heute eher eine Bereicherung. Die Bayern machen das, was ihre Hellbier-Marke ausgemacht: Sie setzen auf eine klare Positionierung und auf den ersten Blick erkennbare Tugenden bayerischer Brauhauskultur. In Köln gescheitert, startet Starnberger derweil in Frankfurt den Gastronomieversuch Nummer 2: Dort hat das Starnberger Wirtshaus eröffnet.
Warsteiner erfindet Oberbräu neu
Woran es gelegen haben mag, dass es der Warsteiner Brauerei mit seiner Beteiligung an der Kaltenberg-Brauerei und dem König Ludwig Hell nicht früher gelungen ist, auf den unübersehbaren Markttrend zu reagieren, kann Gruppenchef Helmut Hörz nur allein beantworten. Händler hatten die lange Zurückhaltung ohnehin nicht verstanden, als man 2022 Hals über Kopf mit dem konstruierten Oberbräu ein Helles aus der Retorte schuf. Nachdem der Erfolg ausblieb, verpasste Warsteiner nur zwei Jahre nach dem Launch der Hellbiermarke einen komplett neuen Auftritt.
Oberbräu verabschiedete sich von der bayerischen Folklore, verzichtete auf weiß-blaues Rautenmuster und Elemente des original Holzkirchner Oberbräu-Logos; der Kapelle und dem bayerischen Pärchen in typischer Tracht. Stattdessen ist nun das zentrale Designelement eine Gams, die Aufbruch und Abenteuer symbolisiere und – so hofft Marketingdirektor Andreas von Grabowiecki – eine junge Zielgruppe ansprechen soll. Er schwört nach eigenem Bekunden auf die gelernten Color-Codes des Hellbier-Marktes, um „aus der Masse der Hellbiere herauszustechen“. Was der Verbraucher vom zweiten Anlauf hält, darauf dürfte alsbald eine Antwort des Marktes folgen.
Erdinger unter den Top 25
Wenn es denn einen Gewinner unter dem Newcomer-Trio des letzten Jahres gab, dann war es Erdinger Brauhaus Hell. Das beste Signal für Werner Brombach und seine Truppe: Die Marke ist wieder da! Oder immer noch. Jedenfalls gelang es, im Handel lt. AC Nielsen unter die Top 25-Hellbiermarken zu kommen. Es gibt gutes Marktpotenzial, mit Brauhaus Hell weiter zu wachsen. Erdinger hatte unter Bündelung der Kräfte gleich im ersten Jahr damit begonnen, alle Vertriebswege zu nutzen. Auch das forcierte Einweggeschäft über die Harddiscounter brachte der neuen, durchaus besonderen Markenoptik erfreuliche Wahrnehmung und natürlich hilfreiche Absätze.
Doch der größte Feind der großen Weißbierhäuser bleibt leider nicht der Wettbewerb, sondern der Verbraucher, der mit seinem vornehmlichen Wechsel von Weißbier zu Hellbier im Süden und Südwesten die angestammte Traditionssorte weiterhin schwächt. Fürs Weizenbier bleibt es angesichts des Hellbierwachstums weiterhin schwierig. Auch in der Gastronomie. Gerade im Norden und Osten, wo der bayerische Sortenhype im Sommer seit jeher für wichtige Weizenbierabsätze sorgt, wird immer öfter ein Zapfhahn für Helles freigemacht.