Die deutsche Braubranche hat einen handfesten Skandal: Wie Anfang Juni bekannt wurde, darf AB Inbev seine Marke Corona künftig in der zur Unternehmensgruppe gehörigen Hasseröder Brauerei brauen. Damit bricht erstmals ein internationaler Konzern – ja der weltgrößte überhaupt – in großem Stil mit dem seit fünf Jahrhunderten geltenden Reinheitsgebot, für das deutsches Bier in aller Welt berühmt und geschätzt ist. Denn die ursprünglich mexikanische Marke wird auf der Basis von Mais hergestellt, einer Zutat, die die älteste heute noch gültige Lebensmittelvorschrift nicht vorsieht.
Nach außen geben sich Branchenvertreter gelassen, doch hinter den Kulissen brodelt es. Von der Verletzung eines Tabus ist die Rede, manche sehen gar das Reinheitsgebot ins Wanken geraten. Zitieren lassen will sich mit seiner Kritik allerdings niemand. Doch was ist eigentlich das Problem? Die deutsche Brauwirtschaft zeichne sich nicht gerade durch innovative Kraft aus, eher durch Geschick im Kopieren, sagt ein Branchenkenner, der seinen Namen nicht in der Presse lesen möchte. Wenn Corona mit seinen Mengenplänen erfolgreich sei, werde es nicht lange dauern, bis billige Nachahmer-Produkte auf den Markt kämen und das Tor für Massenbiere geöffnet sei, die nicht nach dem Reinheitsgebot gebraut würden. Es drohe ein Dammbruch.
Angesichts von 400.000 Hektolitern, die AB Inbev für das Werk in Wernigerode offenbar anstrebt, könne von „homöopathischen Mengen“ keine Rede sein. Laut der aktuellen Importmarken-Hitliste des Fachmagazins „Inside“ lag der Ausstoß von Corona 2023 bei 340.000 Hektolitern. Bei solchen Mengen würden Hemmschwellen leicht sinken, nach dem Motto „Was interessiert mich das Reinheitsgebot“. Dabei gehe es um nichts weniger als das Image der deutschen Brauereien.
Behörden-Entscheidung in der Branche umstritten
Der Ärger richtet sich dabei nicht einmal in erster Linie gegen AB Inbev – sondern vielmehr gegen die Behörde, die den Umzug der Corona-Produktion von zuletzt Belgien in den Harz überhaupt erst möglich machte: das Landesverwaltungsamt Sachsen-Anhalt. Der Braukonzern nutzte nämlich eine Regel im geltenden „Vorläufigen Biergesetz“ für sich, das unter §9 Abs. 2 eine Ausnahme für sogenannte „Besondere Biere“ vorsieht. Zur Anwendung kommt sie in allen Bundesländern, außer in Bayern.
Demnach dürfen in Deutschland generell auch Biere gebraut werden, die nicht dem im deutschen Bierrecht verankerten Reinheitsgebot entsprechen. Ein Freifahrtschein ist das allerdings nicht; vielmehr muss jede Ausnahme beantragt werden und unterliegt „einer eingehenden Einzelfallprüfung“, wie das Amt auf Anfrage von Getränke News betont. Warum die Entscheidung im aktuellen Falle positiv ausfiel, begründet eine Pressesprecherin damit, dass „Mais dem Bier seinen besonderen Geschmack verleiht, wobei die charakteristischen Grundzüge eines untergärigen Bieres gemäß §9 Abs. 2 VorlBierG erhalten bleiben“.
„Das deutsche Bierrecht ist deutlich liberaler als die meisten wissen“, wiegelt Holger Eichele, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Brauer-Bunds, auf Nachfrage ab. Die weitreichenden Ausnahmen gebe es bereits seit Jahrzehnten. Als bekannte Bierstile, die „seit jeher“ vom Reinheitsgebot abweichen, führt er die Berliner Weiße, die Leipziger Gose oder das auch in Belgien sehr beliebte Witbier ins Feld, das ebenfalls in Deutschland gebraut wird. Die beschriebene Ausnahmeregelung werde „immer wieder von Brauereien in Anspruch genommen“ – in den letzten Jahren vor allem von Craftbrauern, so der Verbandschef mit diplomatischer Zurückhaltung.
Dass er die Geschichte nicht hochkochen möchte, ist dabei nachvollziehbar; gehört doch neben den Regionalverbänden und einigen deutschen Großbrauereien auch AB Inbev zu den Mitgliedern des Deutschen Brauer-Bunds. Anders als Eichele wollte im Übrigen der Bayerische Brauerbund zu der Anfrage von Getränke News zum jetzigen Zeitpunkt gar keine Stellung beziehen, wie dessen Hauptgeschäftsführer Dr. Lothar Ebbertz schriftlich mitteilte.
Preisgünstige Herstellung bringt Wettbewerbsverzerrung
Doch gerade die von Holger Eichele beschriebene Kontinuität sehen viele Beteiligte nicht: Die Ausnahme für „Besondere Biere“ werde im aktuellen Falle „nach Gutsherrenart“ ausgelegt, wettert ein Branchenteilnehmer aus Bayern; damit seien Gose, Grutbier und ähnliche traditionsreiche Spezialitäten gemeint, dies verstehe man aber bei den Behörden offenbar nicht. Ein anderer Brauereivertreter wird deutlicher: „Mais ist billig, daraus wird sonst Viehfutter oder Biogas. Jetzt wird in Deutschland erstmals ein Massenbier mit Mais gebraut.“ Damit erreicht er einen der entscheidenden Punkte, die den Fall zum Politikum machen: Man ärgert sich unter den deutschen Brauern auch über die Wettbewerbsverzerrung, die zweifelsfrei zu erwarten ist.
Bei der jungen Zielgruppe bekannt und besonders beliebt, sei Corona renditestark und hochpreisig wie wenige andere Marken und verspreche, „ein Riesen-Ertragsbringer“ zu werden. Da trete die deutsche Brautradition ganz klar in den Hintergrund. Das gilt freilich umso mehr für einen ausländischen Konzern, der zudem mit der Hasseröder Brauerei einen schwer angeschlagenen Standort im Portfolio hat, für den der Corona-Coup eine deutlich belebende Wirkung haben dürfte. Ebenso wie für das Deutschland-Geschäft von AB Inbev insgesamt, das nach Durchhängern mit Marken wie Beck’s, Diebels oder Hasseröder (siehe unser Brauerei-Gruppen-Report) durch eine ordentliche Performance von Corona wieder erfolgreicher zum Konzerngeschäft beitragen könnte.
Gerade angesichts dieser durchschlagenden Kraft ist der Fall mit bisherigen Ausnahmen vom Reinheitsgebots keineswegs vergleichbar, da besteht in der Branche große Einigkeit. Als in den späten 2010er-Jahren die Craftbier-Brauer für eine großzügigere Auslegung des Reinheitsgebots kämpften, steckte keine echte Markenkraft dahinter. Zu einer wirklichen Gefahr konnte die Provokation durch die jungen Wilden selbst zur Hoch-Zeit des Trends kaum werden. Jetzt, wo Craft-Bier im engeren Sinne inzwischen ganz in der Bedeutungslosigkeit verschwunden ist, steigt erst recht bei niemandem mehr der Blutdruck.
Wie stehen junge Konsumenten zum Reinheitsgebot?
Beim Deutschen Brauer-Bund bewahrt man sich auch abseits des Craftbiers den Optimismus. 99 Prozent aller Biere würden derzeit nach dem Reinheitsgebot gebraut und „die deutschen Brauereien werden auf jeden Fall an der Tradition festhalten“, zeigt sich Hauptgeschäftsführer Eichele zuversichtlich. Auftrieb gibt der uralten Vorschrift nach seiner Einschätzung schon allein der Verbraucherwille. Für die deutschen Konsumenten habe das Reinheitsgebot einen hohen Stellenwert, sagt der Verbandschef unter Verweis auf eine Forsa-Umfrage von 2014. Darin hätten 85 Prozent der Befragten angegeben, dass das Reinheitsgebot Bestand haben sollte. Die Studie liege zwar zehn Jahre zurück, das Ergebnis sei aber weiterhin aktuell.
In der Branche teilen viele den Optimismus nicht, gerade mit Blick auf veränderte Konsumgewohnheiten und Einstellungen. Kommt nicht das durch den Mais deutlich süßere Corona schon allein geschmacklich bei der heute gar nicht mehr so bieraffinen jungen Zielgruppe besser an? Muss dann Bier künftig generell süßer werden? Ist den jungen Verbrauchern das Reinheitsgebot überhaupt noch wichtig? Mit diesen Fragen werden sich die Hersteller immer stärker auseinandersetzen müssen.
AB Inbev indessen unternimmt bereits einiges, um die Corona-Zielgruppe auf eine Alternative zum Reinheitsgebot einzuschwören: „Gebraut mit 100 % natürlichen Zutaten“ lautet die Kernbotschaft einer Werbekampagne, die gerade angelaufen ist. Inklusive einem „klimaneutralen“ Riesenposter aus Recycling-Materialien in Berlin, das dank seiner „Anti-Smog-Beschichtung“ so viele Schadstoffe zersetze wie sieben Bäume – O-Ton AB Inbev. Am Ende könnte da ein internationales Bier mit gefälligem Geschmack und mit stattlicher Markenkraft stehen, das auch noch umweltfreundlich ist. Einem besonders pessimistischen deutschen Brauer geht das entschieden zu weit: „Wenn das Nachahmer findet, haben die deutschen Brauereien bald keine weiße Weste mehr!“